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Der Marone – Der Totenzauber

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 30

Der Totenzauber

In der Nacht nach jener, in welcher Chakra Jessurons Besuch erhalten hatte, und um dieselbe Stunde war der Koromantis in seiner Hütte mit einer offenbar höchst wichtigen Arbeit beschäftigt, da sie seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

In der Mitte auf dem Fußboden der Hütte brannte ein Feuer in einem rohen Ofen, der aus dem Stegreif durch vier große, einen kleinen viereckigen Raum umschließende Steine gebildet war.

Das Feuer gab sehr viel Rauch, brannte aber dennoch mit heller, klarer Flamme. Das Brennmaterial war kein Holz, sondern bestand aus schwarzen, zusammengeschmolzenen Stücken, die eine große Ähnlichkeit mit Torf oder Kohlen hatten.

Ein auf Jamaika Fremder wäre sicher in Verlegenheit gewesen, hätte er bestimmen sollen, was dies eigentlich war. Jedoch ein auf dieser Insel Eingebürgerter hätte gleich auf den ersten Blick erklärt, dass die schwarzen Stücke, die erst frisch auf dem Feuer aufgehäuft zu sein schienen, Bruchstücke von den Nestern gewisser großer Ameisen waren, die oftmals in großen Klumpen an den Bäumen eines tropischen Waldes festsitzen.

Da der Rauch dieses Brennmaterials den Augen minder unangenehm, als der von Holzfeuer und dennoch wirksamer bei der Vertreibung der Moskitos, jener entsetzlichen Plage eines südlichen Klimas, war, so hatte der Koromantis es deshalb gewählt. Jedenfalls diente es zu diesem Zweck ganz vortrefflich.

Ein kleiner eiserner Topf stand auf den Steinen des Herdes, und die sorgsamen Blicke, mit denen der Schwarze dessen kochenden Inhalt betrachtete, während er ihn zuweilen ein wenig umrührte, aber auch etwas davon in einem Holzlöffel genau beim Licht der Lampe untersuchte, verrieten, dass das zu Kochende wohl nicht gerade ein Nahrungsmittel, sondern vielmehr ein chemisches Präparat sei. Wie der Mann sich von Zeit zu Zeit über das Feuer beugte, ganz wie die einen Hexentrank bereitende Hekate, so kündeten sein ganzes ernstes und heimlich feierliches Benehmen, seine katzengleichen, leisen und stets von Berechnung und Nachdenken zeugenden Bewegungen sowie seine verstohlenen Blicke offenbar eine höllische Absicht an.

Der Gedanke hieran wurde noch bestärkt, wenn man die ihm naheliegenden Gegenstände sah, von denen ein Teil bereits in den Topf hinein getan war. Ein auf dem Boden stehender Cutacco enthielt verschiedenartige Pflanzen, unter denen ein Kenner sofort den astigen Calalue, das Teufelsrohr und mehrere andere tödliche Kräuter und Wurzeln erkannt haben würde. Am ersichtlichsten war jedoch die Sawannahblume mit krumm gewundenem Stängel und goldiger Blütenglocke, die eines der wirksamen Pflanzengifte ist.

Daneben war aber auch das Gegengift, die sonderbaren Nüsse der Rhandiroba (Fevillea cordifolia), denn der Myalmann vermochte ebenso wohl zu heilen, wie zu töten, wo dies in seinem Interesse lag.

Solchen Vorräten nach war es wohl klar, dass der Mann nicht mit der Bereitung seines Abendessens beschäftigt sein könne, denn Gifte, nicht Speisen waren der Inhalt seines Topfes.

Was er zusammenkochte, war aus verschiedenen Kräutern, doch vorzüglich aus dem Saft der Sawannahblume, es war Obiahs Totenzauber!

Für wen bereitete der Koromantis diesen kräftigen Höllentrank?

Seine Ausrufungen, wenn er sich über den Topf beugte, verrieten den Namen des von ihm beabsichtigten Opfers.

»Wohl magst du stark und kräftig sein, Custos Vaughan! Das bezweifle ich nicht. Aber, bei der Macht Obiahs! Du sollst bald in deinen Schuhen wackeln. Obiah! Ha, ha, ha! Der ist gut für die dummen, einfältigen Neger! Mein Obiah ist die Sawannahblume, der astige Calalue und der Alligatorapfel! Das ist der Zauber, der noch mächtiger ist als Obiah selbst, das ist der Stoff, der den Körper hinfällig und die Glieder lahm macht! Humm!«

Abermals tauchte er den Löffel in den Topf, holte ein wenig von der kochenden Flüssigkeit heraus und besah diese aufs Genaueste.

»Jetzt ist’s genug!«, rief er aus. »Gerade die rechte Farbe, gerade die rechte Dicke! Nun in die Flasche!«

Hiermit nahm er den Topf vom Feuer, goss die Flüssigkeit zuerst in eine Kalabasse, ließ sie darin abkühlen und brachte sie dann in die längst ihres ursprünglichen Inhalts entleerte Rumflasche.

Nachdem er nun den Pfropfen sorgfältig hineingepresst hatte, setzte er die Flasche zur Seite, doch nicht so, dass sie verborgen war, sondern als ob sie in nicht langer Zeit gebraucht werden sollte.

Hierauf sammelte er die zerstreut liegenden Pflanzen, legte sie alle in den Cutacco, trat dann in die geöffnete Tür der Hütte, stemmte eine Hand gegen den Türpfosten und stand in horchender Stellung.

Offenbar erwartete er einen Besuch, und wer dieser sein würde, wurde bald aus seinem leise gemurmelten Selbstgespräch klar. Die Sklavin Cynthya sollte ihm abermals ihre Aufwartung machen.

»Zeit, dass das gelbe Mädchen kommt, muss nahe an Mitternacht sein. Vielleicht hat sie schon gerufen und ich habe sie vor dem Wasserfall nicht gehört! Will lieber da hinuntergehen. Möglicherweise finde ich sie da!«

Als er über die Türschwelle schritt, um seine Absicht auszuführen, kam von oben, von dem Felsenrand, ein heller hochtönender Frauenschrei, der trotz dem brausenden Schalle des unaufhörlich tobenden Wasserfalles gerade noch hörbar war.

»Das ist das Mädchen!«, rief der Myalmann aus, als er den Schrei hörte. »Ich wusste gewiss, sie würde kommen. Liebe führt die Weiber durch Feuer und Wasser und führt sie auch dem Teufel zu! So ist das gelbe Mädchen auch! Nun keine Sorge mehr! Nur noch eine Sorge für Chakra, in ihren Armen zu weilen! Nur einmal sie umfassen und dann willig sterben.«

Mit solchen leidenschaftlichen Ausrufungen trat der Koromantis aus der Tür und schritt in großer Aufregung eilig hinweg, wie jemand, der von der Aussicht auf die baldige Erreichung eines schrecklichen, ihm sehr am Herzen liegenden und seit langer Zeit vorbereiteten Anschlages getrieben wird.