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Felsenherz der Trapper – Teil 9.4

Felsenherz-der-Trapper-Band-9Felsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 9
Die belagerte Hazienda
Viertes Kapitel
Der kleine Nachen

Die Hazienda Lago del Parral war damals die am weitesten in die südlichen Indianergebiete vorgeschobene Ansiedlung. Der Besitzer Señor Alvaro, ein geborener Spanier von außergewöhnlicher Energie und Umsicht, hatte den riesigen Landkomplex vor sechs Jahren für einen Spottpreis von der texanischen Regierung erworben. Es war von ihm ein Wagnis ohnegleichen gewesen, hier mitten in den Prärien, die mit zu den Jadgefilden der nordwestlich wohnenden Apachen und der im Norden ansässigen Comanchen gehörten, eine Hazienda zu gründen. Er hatte jedoch insofern Glück gehabt, als die Rothäute nur selten in größerer Zahl so weit nach Süden ihre Streifzüge ausdehnten, da es für sie hier nichts gab, was ihre Habgier hätte reizen können. So war es ihm denn möglich gewesen, mithilfe seiner Vaqueros ungestört auf der Halbinsel einen festungsartigen Gebäudekomplex zu errichten, der nach der Fertigstellung von einer Indianerhorde kaum zu erobern war.

Um die drei Gebäude – Wohnhaus und zwei Ställe – zog sich eine fünf Meter hohe Steinmauer herum, die außerordentlich stark und auf der Innenseite mit einem breiten Vorsprung derart versehen war, dass dieser es den Männern ermöglichte, auch über die Mauerkrone hinwegzufeuern. Die Tore waren außen mit Eisenblech beschlagen und ebenso hoch wie die Mauer, trugen ebenfalls noch spitze, lange, nach außen gebogene Eisenzacken, die ein Erklettern sehr erschwerten. Kurz: Señor Alvaro hatte nichts versäumt, seine Besitzung gegen jeden Überfall zu sichern.

In den sechs Jahren seit Gründung dieser ausgedehnten Viehfarm waren nur zweimal kleinere Apachenabteilungen in friedlicher Absicht in der Nähe der Hazienda erschienen und hatten um Überlassung von Pulver und Blei gebeten. Señor Alvaro war aus Klugheit ihren Wünschen nicht abgeneigt gewesen, wenn er auch nicht gerade das beste Pulver ihnen überließ. Andererseits hatte er sie aber, um ihnen einen Begriff von der Verteidigungsmöglichkeit seiner Besitzung zu geben, einen Blick in die Waffenkammer tun lassen, wo in Gestellen etwa vierzig Gewehre aller Art standen.

Gerade diese Büchsen und Karabiner waren es dann, die den Oberhäuptling der Apachen zu dem Raubzug gegen die Hazienda bestimmt hatten.

Als Felsenherz nun den im hellen Mondschein daliegenden Hof der Hazienda betrat, streckten ihm Benito und Juan erfreut die Hände entgegen.

»Karamba!«, meinte der alte Vaquero, »da seid Ihr mit knapper Not den roten Schuften entschlüpft, Señor Felsenherz! Willkommen hier in unserer Festung! Unser Herr hat sich vor zwei Stunden zum Schlafen niedergelegt, sonst hätte er Euch hier begrüßt. Wir, der Juan und ich, sind von den Apachen ebenfalls wie toll gehetzt worden. Die Bande war bereits in der Nähe der Hazienda angelangt, hat sich also offenbar gar nicht um unsere Fährten gekümmert, sondern ist in der Annahme, dass auch Ihr, Señor, und Chokariga hierher eilen würdet, auf dem kürzesten Weg bis zum Lago del Parral geritten.«

Im Laufe des Gesprächs erfuhr Felsenherz dann auch, dass Sancho, der Gambusino, nicht auf der Hazienda eingetroffen, also den Apachen in die Hände gefallen war.

Dasselbe musste man von dem Schwarzen Panther und den drei Vaqueros mit aller Bestimmtheit vermuten.

Als der Trapper den alten Benito fragte, ob in der Hazienda genügend Leute zu einer erfolgreichen Verteidigung vorhanden seien, erwiderte der Vaquero mit recht bedenklicher Miene: »Mit Euch sind wir jetzt neun Männer und fünf Frauen, die ebenfalls mit einer Büchse umzugehen verstehen. Die Anzahl genügt also, zumal wir über reichlich Schusswaffen und Munition verfügen. Nur – mit dem Proviant sieht es schlecht aus, Señor, sehr schlecht! Für unseren Herrn kam das Auftauchen der ersten Apachenspäher, die zum Glück sofort bemerkt wurden, so überraschend, dass wir nur zwei Rinder hier im Hof haben, die geschlachtet werden können. Señor Alvaro hatte vor etwa zwei Wochen unseren Majordomo mit zwei Lastwagen und drei Vaqueros zum zwölf Tagesreisen nach Süden zu gelegenen Städtchen San Antonio geschickt, damit Wispara – das ist der Majordomo – dort Reis und andere Hülsenfrüchte sowie verschiedenes andere einkaufe. Man kann etwa übermorgen mit Wisparas Rückkehr rechten. Aber die Wagen werden jetzt natürlich von den Apachen aufgehalten werden und sind für uns verloren. Wie gesagt: Acht bis zehn Tage werden wir hier keinen Mangel leiden! Dann jedoch …« Benito machte eine Handbewegung, als wollte er sich den Hals durchschneiden. »… dann jedoch beginnen für uns die Schrecken der Belagerung, der Hunger!«

Während dieser Unterhaltung standen Felsenherz, Benito und Juan mitten in dem ein langgestrecktes Viereck bildenden Hof. Das Mondlicht ließ hier alle Einzelheiten erkennen. Auf dem Mauervorsprung schritten vier Vaqueros als Wachen auf und ab und beobachteten den See und die Landseite. Ein Fünfter war auf dem flachen Dach des Wohnhauses postiert, von wo er mithilfe eines Fernrohres eine sehr weite Fernsicht hatte. An der Mauer lehnten überall in kurzen Abständen geladene Büchsen und Karabiner, während in den nach innen zu sich stark erweiternden Schießscharten der dicken Mauer doppelläufige Pistolen griffbereit lagen. Die Karabiner waren sogar mit Bajonetten versehen und konnten somit auch als Stoßwaffen benutzt werden.

Der alte Benito bemerkte, dass der erfahrene Trapper die Verteidigungsmaßregeln mit ernsten Blicken prüfte.

»Seid Ihr mit alledem zufrieden, Señor Felsenherz?«, fragte er gespannt.

Der blonde Hüne nickte. »Das wohl, Benito! Aber was will dieses Waffenarsenal gegenüber fünfhundert blutgierigen Rothäuten besagen?Ein einziger Angriff, der zugleich von der Land- und von der Wasserseite erfolgt, bringt zumindest den Hof und die Stallungen in den Besitz der Apachen, wenn diese auch dabei arge Verluste haben mögen. Wir müssten uns dann in das Wohnhaus zurückziehe, und das eignet sich mit seinen vielen ungeschützten Fenstern keineswegs zur Verteidigung.«

»Siehst du Juan!«, rief Benito leise, »dasselbe habe auch ich schon Señor Alvaro vorgehalten! Er aber glaubte mir nicht. Er rechnet damit, dass die Apachen größere Verluste scheuen und nicht offen angreifen werden!«

»Nun – zunächst werden sie es auch kaum tun«, meinte Felsenherz beruhigend. »Juan, bringt bitte meinen Bräunen irgendwo unter. An den Stall ist er nicht gewöhnt. Bindet ihn draußen an.«

Juan entfernte sich mit dem braven Pferd, das seinen Herrn schon so manches Mal durch seine Schnelligkeit und Ausdauer gerettet hatte.

Benito und Felsenherz waren nun allein. »Hört, Benito«, meinte der Trapper sehr ernst, »ich habe nur vor Juan so getan, als wäre ich fürs Erste um unser aller Sicherheit nicht allzu besorgt. In Wahrheit denk ich anders. Der Große Bär schont seine Krieger nicht, wenn es gilt, gerade mich in seine Gewalt zu bekommen. Ich nutze Euch hier also nicht nur, sondern schade Euch insofern, als ich für den Oberhäuptling der Ansporn sein werde, recht bald sich der Hazienda zu bemächtigen. Er weiß ja, dass ich hier bin …« Felsenherz blickte zum Nachthimmel empor, wo gerade ein dünner Wolkenfetzen den Vollmond etwas verhüllte. »In einer Stunde bekommen wir Regen und Finsternis, Benito«, fügte er sinnend hinzu, indem er sich leicht auf seine lange Doppelbüchse lehnte. »Habt Ihr auch Regen und Dunkelheit bei Euren Verteidigungsmaßnahmen berücksichtigt? Gewiss – ich sehe da über der Mauer an eisernen Bügeln Eisenkörbe, gefüllt mit Holz, hängen. Ein starker Regen wird diese Beleuchtung aber schnell wieder auslöschen.« Benito zeigte auf den Nächsten der Eisenkörbe. »Da stehen doch große Blechkannen auf dem Mauervorsprung, Señor Felsenherz. Petroleum ist darin – Petroleum aus der Erdölquelle, die wir vor einem halben Jahr dort drüben bei der Suche nach Trinkwasser anbohrten. Mit dem Petroleum ist das Brennholz in den Körben getränkt. Daher dürfte es kaum so rasch durch einen Regenguss, wenn es erst mal brennt, wieder ausgehen, zumal wir in der Lage sind, stets frisches Petroleum in die Körbe zu gießen.«

Felsenherz nickte abermals nachdenklich. »Wo liegt die Petroleumquelle?«, meinte er dann lebhaft. »Sprudelt sie dauernd hervor? Und wohin fließt das Erdöl, das nicht aufgefangen wird?«

»Die Quelle liegt dort nach Nordwest zu zwischen Dornendickicht. Die Entfernung bis dahin beträgt kaum zweihundert Meter. Der Strahl der Quelle ist von uns durch ein Balkendach und durch Holzrinnen so geleitet worden, dass das Erdöl sich in ein felsiges Tal unweit des Nordufers des Sees ergießt. Das Tal ist bereits so weit gefüllt, dass wir den Südrand durch eine Mauer und einen Damm haben erhöhen müssen.«

Felsenherz stand wie eine Statue regungslos da und hielt den Kopf wie gedankenschwer tief gesenkt.

Benito blickte ihn forschend an und hob dann die Augen zum nächtlichen Firmament empor, wo schon wieder eine leichte Wolke als Vorläuferin einer schwarzen, den ganzen westlichen Horizont bedeckenden Wand den Mond verhüllte. Über diese finstere Wolkenmasse lief ein fahler Schein – Wetterleuchten – hin, und gleichzeitig vernahm der alte Vaquero auch ein fernes, dumpfes Grollen als zweites Anzeichen eines nahenden Gewitters.

In demselben Moment ertönte die Stimme eines der beiden Vaqueros, die die Landseite bewachten.

»Es naht ein Roter, der einen grünen Zweig schwingt.«

»Ah – ein Unterhändler«, meinte Benito nicht ohne ernste Sorge im Ton seiner Stimme. »Dort zieht ein Gewitter auf, Señor Felsenherz. Und dieses ist hier ja stets von einem längeren oder kürzeren Wolkenbruch begleitet, der allerdings die Leuchtkraft der Petroleumkörbe …«

»Empfangen wir zunächst mal den Apachen«, unterbrach der Trapper ihn. »Ich ahne, welche Botschaft er bringt …«

Das große Tor wurde ein wenig geöffnet und der Apache, kein anderer als der Fliegende Pfeil, der Unterhäuptling, eingelassen.

Inzwischen war auch Señor Alvaro, ein kleiner, magerer, schwarzbärtiger Herr, geholt worden, der den Trapper etwas von oben herab begrüßt hatte, da er für dessen Berühmtheit als Westmann wenig Verständnis besaß.

Der Fliegende Pfeil trat sehr selbstbewusst auf.

»Das Bleichgesicht«, sagte er zu Alvaro, »wird uns sofort den blonden Jäger ausliefern.« Dabei deutete er auf Felsenherz, der bescheiden als stiller Beobachter abseits stand. »Außerdem verlangt der Große Bär dreißig Gewehre, drei Fässchen Pulver und so viel Blei, wie ein Mann wiegt. Gehorchst du nicht, dann werden die Apachen, sobald das Gewitter heraufgezogen ist, die Hazienda stürmen.«

Señor Alvaro war durchaus kein Feigling. Als Spanier von edler Abkunft besaß er sogar neben hervorragendem Mut jenen Stolz, der ihm auch jetzt zornsprühend antworten ließ.

»Felsenherz ist mein Gast, elender roter Halunke! Ein Spanier liefert keinen Gast aus! Scher dich zum Teufel, Bursche! Holt euch doch die dreißig Gewehre! Auch Blei sollt ihr haben – aber Blei in euer rotes Fell hinein und in eure diebischen Schädel!«

Der Fliegende Pfeil lächelte höhnisch. »Das Bleichgesicht wird in zwei Stunden um sein Leben winseln!«, sagte er nur, wandte sich um und verließ den Hof der Hazienda.

Kaum war er hinaus, als schon aus der schwarzen Wetterwolke der erste Blitz aufzuckte.

Der Mond hatte sich ebenfalls hinter Gewölk versteckt. Die Vaqueros zündeten ganz von selbst das Holz in den Eisenkörben an, das auch infolge der Durchtränkung mit Erdöl sogleich hoch aufloderte und sowohl den Hof als auch den See und die Ufer weithin in ein rötliches Licht tauchte.

»Nun – ist die Beleuchtung nicht vorzüglich?«, meinte Alvaro stolz zu Felsenherz.

»Jetzt noch genügt sie«, erklärte der blonde Trapper bedächtig. »Ein wolkenbruchartiger Regen aber wird einen Teil der Körbe fraglos ersticken und dann werden fünfhundert Apachen den Sturm beginnen, Señor!«

Das klang so ernst und so warnend, dass Alvaro in Gedanken an seine Frau und seine beiden erwachsenen Töchter, die im Wohnhaus ahnungslos schlummerten, etwas erbleichte.

»Ihr haltet unsere Lage für bedrohlich?«, fragte er Felsenherz dann hastig.

»Ja, Señor. Immerhin will ich versuchen, die Hazienda zu retten«, erklärte der Trapper in seiner kurz angebundenen Art. »Mag Benito mir ein kleines Fässchen Pulver herschaffen und eine Zündschnur – aber schnell! Dort an der Wasserpforte liegt noch innerhalb der Mauer ein kleiner Nachen. Lasst ihn sofort zu Wasser bringen. Ich werde die Hazienda verlassen – über den See!«

»Was habt Ihr denn vor, Felsenherz?«, forschte Señor Alvaro zweifelnd nach. »Retten wollt Ihr die Hazienda? Ihr als Einzelner – mit einem Fässchen Pulver?«

»Eilt – holt das Pulver!«, sagte der Trapper zu Benito. Und zu Alvaro: »Señor, ich mache nie viel Worte. Wartet ab! Ihr werdet sehr bald nur noch die Landseite zu verteidigen haben. Und das wird Euch gelingen, hoffe ich.«

Alvaro schwieg. Die ganze, so selbstbewusste ruhige Art des Trappers flößte ihm Vertrauen ein.

Als der kleine Nachen über die Wassertreppe hinweg ins Wasser gebracht wurde, ruderten sofort zwei der mit Apachen besetzten Boote herbei, wurden jedoch durch Schüsse ferngehalten.

Felsenherz bestieg den Nachen. Seine Büchse hatte er Benito in Verwahrung gegeben. Das Füßchen Pulver, um das er einen langen Strick gebunden hatte, lag vorn in dem winzigen Kahn. Die Zündschnur hatte er unter den Hut geschoben, den er sich ganz fest auf den Kopf drückte.

Nun griff er zu den beiden Rudern und trieb den Nachen mit mächtigen Schlägen zum Ostufer hin. Der Kahn schoss nur so durch das Wasser, und das eine Boot der Apachen hatte alle Mühe, dem Insassen den Weg abzuschneiden.

Da – ganz plötzlich änderte Felsenherz die Richtung, so, als ob er eingesehen hätte, nach Osten nicht durchbrechen zu können.

Er hielt auf das Nordufer zu. Doch auch hier lag bereits das zweite Boot als gefährliches Hindernis. Schüsse blitzten aus diesem Boot auf.

In den Knall der Indianerbüchsen mischte sich der laute Donner der Batterien des Himmels, des Gewitters, das immer näher kam.

Mit atemloser Spannung verfolgten Alvaro und Benito, über die Mauer hinwegspähend, die Vorgänge auf dem See.

Felsenherz schien verloren, da die drei Boote ihn bereits eingekreist hatten.

Aber dort auf dem See, wohin der Feuerschein der Eisenkörbe nicht mehr reichte, wurde es nun auch von Sekunde zu Sekunde dunkler.

Felsenherz hatte abermals die Richtung gewechselt und schien zu der gut 150 Meter entfernten Wasserpforte zurückrudern zu wollen, nachdem er sich dem Nordufer bereits bis auf dreißig Schritte genähert hatte. Doch an diesem Ufer waren schon zahlreiche Apachen zu Pferde erschienen.

Er musste umkehren – musste! So glaubten die Rothäute. So glaubten Benito und Alvaro.

Ohne Unterlass feuerten die Apachen aus den drei immer näher rückenden Booten auf den einzelnen Mann im Nachen.

Plötzlich schnellte Felsenherz von der Ruderbank empor, breitete die Arme aus und fiel nach rückwärts ins Wasser, wobei der Nachen umkippte und nun kieloben weitertrieb.

Die Rothäute in den Booten hatten unterdessen Fackeln angezündet. Als der Trapper, offenbar tödlich getroffen, versank, stießen sie ein wildes Geschrei aus.

»Der Verwegene hat sein Leben umsonst geopfert!«, sagte Señor Alvaro traurig zu Benito. »Vorwärts – rüsten wir uns zur Verteidigung! Denn Felsenherz wird wohl recht haben: Die Apachen werden im Gewitterregen einen Sturm versuchen!«