Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Freibeuter – Ein Rendezvous

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 15

Es gibt Gemüter, an denen die Schwermut nicht haftet. Sie bleiben sich in allen Lebenslagen gleich, heitere Gemälde, lachend, selbst wenn das Unglück durch das Haus schreitet. Dieser Frohsinn ist das Kind flacher Naturen. Sie sind der Freude, die die Seele berauscht, so wenig zugänglich, wie dem Schmerz, der die Seele läutert und erhebt. Jene Gemüter gleichen dem seichten Dümpfel, den selbst der Sturm nur leise kräuselt, dessen Oberfläche aber auch nur von den Strahlen der Sonne erhellt und nie mit Regenbogenfarben geschmückt wird. Ein wahrhaft heiteres Gemüt ist für Freude und Schmerz gleich empfänglich, nur hat der Schmerz keine bleibende Stätte bei ihm wie die Freude. Die Freude ist ihm die Lebensnahrung, der Schmerz das Salz. Ein solches Gemüt ist ein reiner, tiefer See in einem grünen Tal. Stolze Berghäupter spiegeln sich darin, klarer Kies deckt den Boden, Fischlein schwimmen munter darin und die Strahlen der Sonne erhellen das Wasser bis auf den Grund. Aber wenn ein Sturm durch die Talschluchten herabbraust, so türmen sich Wellen, es tobt im Schoße des Sees – aber trübe wird er nicht.

Christine von Ove glich dem Waldsee, den der Sturm eben gepeitscht und die Sonne noch mit keinem Blick wieder erfreut hatte. Dessen ungeachtet war sie ruhig und wehmütig-heiter, während Friederike dem grollenden Bergstrom glich, der sich schäumend durch die Talwindungen drängt, von den Höhen stürzt und an den Felsen stößt, die seinem wilden Lauf entgegenstehen.

Beide Mädchen lebten zurückgezogen im Garten des Vizestatthalters. Christine hatte, in Ungnade gefallen, ihre Stelle als Hofdame der Königin niederlegen müssen. Selten zeigten sie sich öffentlich. Die Zungen des Hofs und der Stadt ermüdeten endlich, sie zu bearbeiten, da sie sich um alles über sie im Umschwung gehende Gerede nicht kümmerten. Der Vizestatthalter sorgte zwar für den anständigen Unterhalt der beiden Mädchen, aber er zürnte ihnen, die es wagten, den Hof zu verachten. So lebten sie ein stilles ungestörtes Leben, das allein von der Sehnsucht bewegt wurde, von jenen beiden Männern zu hören, welche der Gegenstand ihrer täglichen Unterhaltung waren.

So war ihnen von Hoffnung und Furcht bewegt der Sommer vergangen. Da nahm Christine in Friederikes Wesen plötzlich etwas ihr Fremdes wahr. Sie bemerkte es nicht mit den äußeren Sinnen, aber es wehte sie kühl und unbefriedigend von der Freundin an, dass sie eine Verstimmung erlitt, die sie nicht verbergen konnte.

Eines Abends setzte sie sich, um den Gefühlen ihrer Wehmut ungestört nachhängen zu können, im Garten in eine entfernte Laube. Friederike war ausgegangen. Es dunkelte, und über den Garten flogen die Nachtschatten des Herbstes. Die Natur harmonierte mit Christines Seele. Ein Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit, welches unweit der Gartenmauer, an welche die Laube gelehnt war, entstand, gleichsam als habe sich jemand an der Mauer herabgelassen, und wurde von ihr bald als leise schlürfende Fußtritte erkannt, welche näher und näher kamen.

In eine Ecke geschmiegt wartete Christine mit klopfendem Herzen. Es kam herangeschlichen und trat in die Laube. Das Mädchen wagte kaum zu atmen. Schon glaubte sie sich von Dieben und Mördern umringt. Ihre Blicke flogen nach dem vorderen Raum der Laube, wo sie aus dem Hintergrund des noch von einem Lichtstreif erhellten Westhimmels die Umrisse einer kleinen männlichen Gestalt gewahrte, die mit Behutsamkeit aus der Laube heraus nach dem Gartenhaus hin zu lauschen schien. In dieser Stellung verhielten sich beide eine kurze Zeit, bis die Gartentür geöffnet wurde und Schritte sich hören ließen, welche Christine für die ihrer Freundin erkannte. Diese Schritte führten nicht zu dem Haus, sondern zur Laube, in welcher die geängstete Christine und die kleine rätselhafte Gestalt verborgen waren, und wurden leiser und vorsichtiger, je näher sie kamen, sodass es Christine endlich dünkte, als schliche die Nahende auf den Zehen. Endlich war Friederike an der Laube und fragte mit leiser Stimme hinein: »Bist du da?«

»Ja, gnädiges Fräulein«, versetzte eine Jünglingsstimme ebenfalls leise.

Friederike trat herein und setzte sich vorn auf dieselbe Bank, auf welcher hinten Christine ihren Platz hatte. Der Fremde blieb ehrerbietig mit unbedecktem Haupt stehen.

»Was habt Ihr heute ausgerichtet?«, fragte Friederike hastig.

»Courtin habe ich endlich aufgetrieben. Er ist heute mit einem Kriegsschiff, das in Jütland gebaut worden ist, im Hafen eingelaufen, aber den Brief des Lieutenants haben wir ihm noch nicht gegeben. Wir trauten seiner Flagge nicht ganz, und der Kapitän sagte, es wäre am besten, wenn er selbst mit Euch sprechen könnte, gnädiges Fräulein. Er meint, das Schreiben wäre gefährlich. Der Brief könnte mir abgenommen werden, dann wären wir alle verraten.«

»Ich sehe auch nicht ein, was mir der Kapitän noch zu schreiben hat?«, versetzte Friederike. »Aber es scheint mir in der Tat, als traue er auch meiner Flagge nicht. Wenn die ganzen Anstalten weiter nichts bezwecken, als eine einfache Herausforderung des Kronprinzen von Lord Palmerston, so begreife ich nicht, was da viel zu schreiben und zu reden ist. Schon gestern Abend sagte ich dir, ich wünsche eine solche Herausforderung, und wenn der Thronfolger feige genug sein sollte, das Duell auszuschlagen, so billige ich es sogar, dass Ihr ihm einen Denkzettel anhängt. Ich sagte dir schon, dass der Kronprinz von früh bis neun Uhr allein auf seinem Zimmer sei und dass ich es selbst übernehmen wolle, die Herausforderung des Lords in seine Hände zu spielen. Ich habe dir ferner gefügt, dass er von neun bis elf um die Tore spazieren reitet, meist mit einem kleinen Gefolge. Doch noch schicklicher, eine Realsatisfaktion zu nehmen, sobald er das Duell verweigert, sind seine Jagdritte. So wird er zum Beispiel übermorgen dieselbe Tour machen, welche er im vorigen Jahr an jenem Tag mit dem Zar und der Zarin machte, an welchem Kapitän Norcroß meine Wenigkeit von dieser Insel entführte. Hier bieten sich unvergleichliche Gelegenheiten, ihm mit ein paar handfesten Burschen zu Leibe zu gehen. Was will der Kapitän noch weiter? Aber er hat andere Pläne, und wenn er mich seines Vertrauens nicht würdig hält, so werde ich der ganzen Sache wegen keinen Schritt weiter tun, denn Ruhm und Ehre ist wahrlich nicht dabei zu gewinnen.«

»Eben darum will der Kapitän selbst mit Euch reden, und er lässt Euch dringend ersuchen, ihm diesen Abend eine Unterredung in dieser Laube zu schenken.«

»Wo denkt der Kapitän hin? Ich ihm ein Rendezvous geben? Er mag dir immerhin anvertrauen, was ich wissen soll.«

»Bitte, bitte, gnädige Dame!«, rief der Schiffsjunge schmeichelnd, »schlagt es ihm nicht ab! Er hat Euch wahrlich Dinge von der größten Wichtigkeit zu sagen.«

»Er soll sie dir in den Mund legen.«

»Unmöglich! Er muss selbst mit Euch reden.«

»Was mag er mir zu sagen haben?«, rief Friederike halb verdrießlich.

»Darüber mag er Euch selbst Auskunft geben. Ihr könnt meinen Bitten nicht widerstehen. Ihr habt schon eingewilligt. Ich hör es am Ton Eurer Stimme.« Indem er diese Worte sprach, schlug er, gleichsam vor Freude, die Hände klatschend zusammen.

»Was tust du?«, sprach die Dame. »Du wirst unvorsichtig.«

In diesem Augenblick raschelte es hinten an der Mauer, und das Geräusch eines Sprunges in den Garten wurde vernommen.

»Was ist das?«, rief Friederike.

Aber kaum hatte sie ausgeredet, als eine Männergestalt mit den Worten in die Laube trat: »Es ist Ihr ergebener Diener John Norcroß, der sich glücklich schätzt, mein gnädiges Fräulein, von Ihrer gütigen Erlaubnis sogleich Gebrauch machen zu können.«

»Wer hat Euch etwas erlaubt, Kapitän?«, zürnte Friederike. »Euer sonderbarer Besuch gleicht einem Überfall, und es wäre fürwahr das erste Mal nicht, dass Ihr auf diese Insel gekommen wärt, mich zu rauben.«

»Wenn dieser Schelm von Jungen mich betrog und mir das Zeichen gab, bevor er Ihrer Einwilligung gewiss war, so zürnen Sie mit der rotbäckigen Katze, aber nicht mit einem Männergesicht, das vor Freude strahlt, Sie wiederzusehen, wenn auch im Schleier der Nacht.«

»Nun soll ich gar Eure Keckheit mit Eurer Freude entschuldigen. Wenn Ihr doch nur vorausgesetzt hättet, dass mich Eure Gegenwart nicht ganz unangenehm berühren würde.«

»Und darf ich das nicht hoffen?«, rief Norcroß feurig. »Soll ich glauben, dass ich Ihnen gleichgültig geworden bin?«

»Ihr werdet unbescheiden, Kapitän! Wie befindet sich Eure Frau? Gewiss in erwünschtem Wohlsein. Was habt Ihr mir sonst Wichtiges zu sagen? Euer Bube hat viel Aufhebens von den Dingen gemacht, die ich aus Eurem Mund erfahren soll.«

»Sie sind grausam, Fräulein. Noch einmal schiebe ich die Schuld meines Kommens auf Juel. Er hatte Befehl von mir, durchaus nicht eher zu klatschen, bis Sie die völlige Erlaubnis zu meinem augenblicklichen Erscheinen erteilt haben würden. Ich werde ihn hart strafen wegen Übertretung meines Befehls.«

»Nimmermehr!«, rief Friederike. »Hört Ihr, Kapitän? Ihr straft ihn nicht!«

»Ich werde Eurem Befehl besser nachzukommen wissen als er dem meinen. Doch ich bin nun einmal hier. Sie wissen es ja, dass John Norcroß kein Sklave der Gewöhnlichkeit ist, und ich weiß, dass Friederike von Gabel mich deshalb nicht tadelt, denn unsere Bahnen kreuzen sich, fern von den betretenen Wegen der übrigen Menschen.«

»Ihr seid mir noch die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie sich Eure junge Frau befindet.«

»O, Sie sind ein trefflicher Arzt für Fieberkranke. Eisumschläge auf den brennenden Kopf, Eis auf das glühende Herz. Sie haben recht. Es ist Wahnsinn, in Fieberglut die Sonne anzubeten, wenn man bereits mit anderweitigem Licht versorgt ist.«

»Es scheint, Ihr seid gekommen, mir Galanterien zu sagen.«

»Beim Himmel, nein! Ich kam … um über anderes mit Ihnen zu reden. Sie erinnern mich zur rechten Zeit daran. Es ist notwendig, dass ich wegen des bösen Handels selbst mit dem Kronprinzen rede. Ich wollte Sie bitten, Fräulein, mir Audienz bei ihm zu verschaffen.«

»Es würde Euch nichts nützen, und viel schaden, Kapitän, wenn Ihr auf geradem und rechtem Wege diese Sache abmachen wolltet. Jede Audienz, in welcher Ihr von einer Herausforderung des Lords redet, würde Euch ins Gefängnis bringen. Und des Lords Geheimnis müsst Ihr doch in jedem Fall schonen.«

»Welches Geheimnis?«, fragte Norcroß.

»Nun – das Geheimnis seiner Brieftasche. Seid Ihr darüber nicht unterrichtet?«

»Ich weiß von keinem Geheimnis.«

»So wird er es Euch zur rechten Zeit schon selbst entdecken. In keinem Fall dürft Ihr innerhalb der Stadt mit dem Kronprinzen reden. Die Herausforderung könnt Ihr schriftlich an ihn gelangen lassen.«

»Das möchte uns alles verderben. Sie raten selbst zur Vorsicht. Es hieße unser eigenes Spiel verraten, gäben wir ihm ein Dokument in die Hand.«

»Ich frage nicht, ob Ihr mehr als eine Herausforderung bezweckt. Aber es will mich so bedünken. Übermorgen wird der Kronprinz auf die Jagd reiten – so spricht man wenigstens bei Hofe – und dass ich mich nach solchen Bagatellen Euertwegen erkundige, um Hofgeschwätz, das mich schon lange anekelt. Daran könnt Ihr sehen, wie sehr ich mich für Palmerstons Sache interessiere.«

»Wenn ich gewiss erfahren könnte, welchen Weg er nähme.«

»Auch dass sollt Ihr. Hinwärts reitet er über das Ried und die untere Jagdhütte, herwärts wahrscheinlich auf das Jagdschloss und von da am Strand über Güldenlund. Bei Hofe werden diese wichtigen Dinge alle vorher ausgemacht und besprochen. Doch damit Ihr ganz sicher seid, will ich morgen selbst den Kammerjunker von Raben danach fragen. Der Pinsel wird glücklich sein, mir die ganze Nichtigkeit weitläufig zu erzählen. Schickt morgen Abend Euren Buben wieder her.«

»Sie werden mich sehr verpflichten. Und nun noch eins! Lord Palmerston – oder jetzt Lieutenant Flaxmann – hat mir die zärtlichsten Grüße an das Fräulein von Ove aufgetragen. Ich kann mich meiner Pflicht nicht selbst entledigen. Nehmen Sie es über sich.«

»Lassen wir diese Grüße! Die Verhandlung unter uns muss ein Geheimnis bleiben. Auch Christine darf nichts davon ahnen. Wozu wär es auch? Der Lord soll ihr lieber einen Brief schreiben und sie mit seinen neuen Hoffnungen und Aussichten bekanntmachen.«

»Glauben Sie mir, die Stunde ist nicht mehr fern, wo Flaxmann das ihm teure Mädchen heimführen wird. Wir haben jetzt größere Hoffnungen als je, dass Jacob Stuart den Thron seiner Väter bald besteigen wird.«

»Dann ist die Stunde ihrer Vereinigung gewiss sehr fern, wenn nicht für immer entschwunden.«

»Sie sprechen in Rätseln.«

»Auch Euch werden sie sich lösen, so wie sie sich mir gelöst haben. Aber des Einen seid versichert, nur erst, wenn Jacob Stuart alle und jegliche Hoffnung auf den englischen Thron aufgegeben oder verloren hat, erst dann ist Möglichkeit vorhanden, dass Christine Flaxmanns Frau werde.«

»Ich darf nicht in Sie dringen, sich mir darüber deutlich zu machen, sobald Sie Gründe vorschützen, dies mir zu verweigern. Nur die eine Frage erlauben Sie mir noch: Werden Sie Christine nach Schweden folgen, wenn ihr Geschick sie dahin ruft?«

»Was sollte ich dort? Ich habe nichts in Schweden zu suchen.«

»Das Glück, das Ihrer würdig ist, und das Sie in Dänemark nie finden werden?«

»Mein Schicksal kann sich nur im wildesten Sturm des Lebens oder in der tiefsten Ruhe erfüllen. Jeder Mittelweg wird mir verhasst und verschlossen sein. Das Letztere habe ich getrieben, vielleicht öffnet sich mir die Bahn zum Ersteren. Ich schwöre Euch zu, diese Ruhe ist mir unerträglich, aber ich zwinge mich dazu und werde mich zwingen, bis mein Herz tot ist. Ihr habt mich schwach gesehen, Kapitän, dafür will ich büßen. Oder ich will meinen Zorn am Leben auslassen, dass alles verkehrt und dumm, albern und schülermäßig in unserer kleinen Menschenwelt ist, und Gottes große Welt doch so herrlich, so weise, so unbegreiflich schön. Geht, Kapitän! Verlasst mich!«

»O, warum musste das Schicksal uns trennen!«, rief Norcroß.

»O, winselt nicht so kläglich! Das ist mir vollends zuwider. Ihr seid ein schwacher Mann!«

»Ein wahres Wort! Es wäre anders, wenn ich nicht ein schwacher Mensch gewesen wäre.«

»Schweigt, schweigt, Kapitän, und geht mir Gott! Wir wollen uns nicht wiedersehen. Es ist besser für uns beide.«

»O, weh mir!«, rief Norcroß.

»Vielleicht sehen wir uns auch wieder«, setzte Friederike weicher hinzu.

»Und wo? Und wann?«, fragte der Kaperkapitän rasch.

»Auf dem stürmenden Meer, im wütendsten Aufruhr der Wellen, im Schlachtensturm unter dem Donner der Kanonen. Verflucht sei die widernatürliche Ruhe! Wenn der Odem des Lebens mich wild umweht, Meereswellen an mir vorübersausen, wenn die Kanonenkugel Meeresschaum aufwühlt, wenn die Masten splittern, dann – dann wird mir wohl sein. Vielleicht«, setzte sie mit begeisterter Stimme hinzu, »zerreißt dann eine Kugel aus Kapitän Norcroß Schiff dies wilde Herz.« Mit schnellen Schritten eilte sie den Garten entlang dem Haus zu.

»Göttliches Weib, dich in meinen Armen auf der empörten Meerflut, und die Könige der Erde wären Bettler gegen mich! O Friederike! Das Leben hat mich betrogen. Wohlan, ich will es wieder betrügen. Euch, ihr finsteren Mächte, sei fortan mein Leben geweiht. Und du, Kronprinz, sollst die erste Wirkung meines Schwurs spüren.«

Juel drängte den Garten zu verlassen. Sie stiegen über die Mauer.