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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 42

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Neuntes Kapitel – Teil 2
Eine Jugendliebe

Fünf Jahre waren nach den hier geschilderten Szenen verflossen, als sich eines Abends das Zimmer des Advokaten und Notar Böger öffnete und Hermann Dahlburg einen Augenblick darauf in den Armen des Freundes und Universitätsgenossen lag.

»Hier bin ich«, sagte er, »um nach langer Abwesenheit dich und meine Vaterstadt endlich einmal wiederzusehen.«

»Die du hoffentlich nun auch nicht mehr verlassen wirst«, entgegnete der junge Rechtsgelehrte. »Du hast deine Zeit trefflich benutzt und dein Ruf ist selbst bis in diese entlegene Gegend gedrungen.«

»Nun, ich habe allerdings die Hände nicht in den Schoß gelegt«, erwiderte lächelnd Dahlburg, »und seitdem wir uns trennten, habe ich Wien, Paris und Berlin besucht, war auch eine Zeitlang Assistenzarzt unseres berühmten Professor Langenberg.«

»Das heißt, du warst seine rechte Hand, er schenkte dir sein ganzes Vertrauen«, ergänzte Böger.

»Nun, lassen wir dies«, sagte, bescheiden abwehrend, der Doktor. »Das, was mir auf dem Herzen brennt, ist etwas anderes. Was macht Helene Helmstädt, die Rose von Grünau?«

»Teurer Freund«, antwortete der Advokat, »du weißt, ich selbst erhebe mich Gott sei Dank über das Niveau kleinstädtischer Klatschereien. Helene Helmstädt ist ein liebenswürdiges, in jeder Beziehung interessantes Mädchen, aber ich selbst fürchte, dass der enge Umgang mit diesem Baron von Lövenzahn nicht vorteilhaft auf sie einwirkt.«

»Baron von Lövenzahn? Was ist das für ein Mensch?«

»Ein Assessor von der fürstlichen Kammer, der hierher geschickt wurde, um mit dem Magistrat mehrere fiskalische Streitigkeiten zu regulieren. Er ist ein Liebling des Erbprinzen, mit dem er zwei Jahre in Heidelberg zubrachte.

»Nun, und in welcher Verbindung steht denn Helene zu ihm? Auch ich habe von dem Herrn gehört. Man bezeichnet ihn als zukünftigen Kabinettsrat.«

»In einer ziemlich vertrauten. Er brachte, wie ich glaube, an die alte Helmstädt eine Empfehlung von seinem Oheim, aus der Residenz, der dort ein Hofamt bekleidet, und seitdem ist er täglich Gast im Hause.«

»Nun, das wäre am Ende noch nicht so schlimm. Er macht auch häufig mit Helene allein kleine Ausflüge und außerdem soll sein Ruf auch nicht der beste sein.«

Das Auge des Doktors trübte sich. »Helene besitzt niemand, der ihr einen guten Rat erteilen könnte, denn die schwatzhafte Gedankenlosigkeit ihrer Tante rechne ich für nichts«, sagte er entschuldigend. »Jedenfalls kennt sie die schiefe Stellung nicht, in die sie geraten ist und arglos setzt sie diesen Umgang fort, ohne zu bedenken, dass ihr Ruf darunter leidet. Morgen will ich der alten Helmstädt meinen Besuch abstatten, und dann hoffe ich mich mit eigenen Augen von der Lage der Verhältnisse zu überzeugen.«

»Ich bin, wie gesagt, kein Freund kleinstädtischer Klatschereien«, bemerkte Böger nochmals, indem er dabei sanft die Hand des Freundes drückte. »Auch ich betrachte die Handlungsweise der jungen Dame nur als eine unbedachte. Doch wie gesagt, überzeuge dich selbst, denn in solchen Dingen muss man sich auf sein eigenes Urteil verlassen.«

»Du hast recht, und ich breche daher für jetzt dieses Thema ab. Lebe wohl, denn nachdem ich dich begrüßt habe, ziehe ich mich nunmehr in meinen Gasthof zurück. Morgen aber mache ich bei Frau Helmstädt meinen Besuch und dann komme ich zu dir, um über diese Visite Bericht abzustatten.«

Die beiden Freunde trennten sich und eine Viertelstunde nachher überschritt Doktor Dahlburg die Schwelle zum »Goldenen Löwen« und zog sich mit etwas umwölkter Stirn sogleich auf sein Zimmer zurück.

Am nächsten Tag gegen elf Uhr des Vormittags schritt er der Wohnung der ehemaligen fürstlichen Kammerfrau zu. Sein Gesicht war wo möglich noch ernster als am Abend vorher, und selbst in seinem Gang sprach sich eine gewisse Unruhe aus, die auf seine innere Stimmung schließen ließ. Seine Erregtheit war ja aber auch eine sehr natürliche. Mit reichen Hoffnungen im Herzen hatte er vor mehreren Jahren Helene als aufblühende Schönheit verlassen. Treu war seitdem von ihm ihr Bild in seinem Inneren bewahrt worden, und jetzt sollte er vor sie treten, erschüttert in seinem Glauben durch das, was er gehört hatte, zweifelhaft darüber, ob man ihn noch ebenso wie früher willkommen heißen würde. Der Bescheid, welchen er von der ihm öffnenden Dienerin erhielt, dass sich Madame und Mademoiselle mit dem Herrn Baron im Garten befänden, würde vielleicht manchen anderen vollends niedergedrückt haben. Wie wir aber bereits bemerkten, fehlte es dem Doktor keineswegs an männlichem Selbstvertrauen. Und da er in den letzten Jahren auch vielfach Gelegenheit gehabt hatte, sich in höheren gesellschaftlichen Kreisen zu bewegen, so war ihm hierdurch ein ruhiges und festes Auftreten eigen geworden. Er richtete daher auch jetzt seinen Kopf entschlossen empor. Ohne sich weiter zu besinnen, eilte er festen Schrittes dem Ort zu, wo er erwarten durfte, die Familie zu finden.

Freilich schnitt es ihm durchs Herz und einen Augenblick blieb er hinter dem Gebüsch verborgen, zaudernd stehen, als er in der Entfernung von einigen Schritten Helene in einer Laube am Tisch sitzend und in einem reichverzierten, mit Zeichnungen gefüllten Album blätternd bemerkte, während Herr von Lövenzahn mit lächelnder Miene hinter ihr stand, seinen Arm auf die Lehne des Stuhles stützte und, über ihre Schulter gebeugt, ihr eifrig den Sinn dieser Zeichnungen zu erklären schien. Dabei war der Baron wirklich keine üble Erscheinung. Eine sorgfältig gewählte Toilette hob sein Äußeres noch vorteilhafter hervor. Aber dieser Eindruck wurde wieder verwischt durch einen Zug von Hochmut und Anmaßung, welcher den verwöhnten Liebling eines Fürsten, den sich bereits mächtig fühlenden Günstling erkennen ließ.

Dies alles entging unserem Bekannten nicht und es stimmte mit dem, was er in der Residenz über den angehenden Kabinettsrat gehört hatte, vollkommen überein. Doch blieb ihm keine Zeit, weitere Betrachtungen anzustellen, denn Frau Helmstädt, welche bisher damit beschäftigt gewesen war, Blumen zu einem Strauß zu sammeln, richtete sich plötzlich empor und stieß unmittelbar darauf ein Schrei der Überraschung aus, denn ihre Augen ruhten jetzt auf dem Arzt. Mit der ihr eigenen Gutmütigkeit eilte sie ihm entgegen.

»Wie«, rief sie, »sehe ich recht, Doktor Dahlburg? … Ei, welche Freude! … Geschwind, Helene! Siehst du denn nicht, wer vor dir steht? Fort mit dem Buch, komm her, Mädchen, und reiche deinem Jugendgespielen die Hand zur Begrüßung!«

In der Tat hatte sich die Nichte erhoben, aber vergebens versuchte sie den Fuß vorwärts zu setzen, denn Verwirrung und Bestürzung hatten sich ihrer bemächtigt. Ein tiefes Rot übergoss ihre Wangen, und unwillkürlich stützte sich ihre Hand auf den Tisch, denn ihr Körper erbebte leise. Erst als der Arzt näher trat und ihr unter einer freundlichen Verbeugung die Hand reichte, gewann sie wieder einige Ruhe. Aber noch immer blieb ihr Auge gesenkt, und ein »Seien Sie uns herzlich willkommen« glitt endlich unsicher über ihre Lippen.

»Möge dies Wort eine Wahrheit sein«, sagte der junge Mann nicht ohne Betonung, »denn der Wunsch, Sie in jeder Beziehung unverändert wiederzufinden, begleitete mich bei diesem Besuch.«

»Und weshalb sollte denn dies nicht der Fall sein«, entgegnete das junge Mädchen, welches jetzt seine Fassung wiedergewonnen hatte, scheinbar unbefangen. »Hat sich doch seit den paar Jahren, wo wir uns nicht sahen, in unserer Stellung nichts geändert. Als harmlose Jugendgefährten trennten wir uns und ebenso harmlos heiße ich Sie heute willkommen.«

Der Baron, welcher dem Gespräch bisher stillschweigend mit übereinandergeschlagenen Beinen und an der Lehne eines Stuhles rüttelnd, zugehört hatte, brach bei dieser Bemerkung in ein kurzes, rücksichtsloses Gelächter aus. Die Stirn des Arztes verfinsterte sich und seine Augen hefteten sich streng und herausfordernd auf den Mann, welcher der Meinung war, sich ungestraft eine solche Unhöflichkeit herausnehmen zu dürfen. Aber ein bittender Blick Helenes veranlasste ihn, sich zu beherrschen und seine Zurückhaltung zu bewahren. Eben noch zeitig genug trat auch die Tante dazwischen, um der Höflichkeit zu genügen, indem sie die Herren einander vorstellte.

»Der Herr Baron von Lövenzahn«, sagte sie, auf diesen zeigend, und mit der ihr eigenen eitlen Geschwätzigkeit fügte sie mit einer tiefen Verbeugung hinzu: »Der vertraute Freund Seiner Hoheit des Erbprinzen und, wie wir uns rühmen dürfen, auch der unsere.«

»Allerdings eine große Ehre«, erwiderte der junge Arzt, wobei seine Lippen sich zu einem ironischen Lächeln kräuselten.

»Herr Doktor Dahlburg«, ergänzte Frau Helmstädt die Vorstellung, indem sie nun auch auf diesen zeigte, »derselbe ist soeben nach mehrjähriger Abwesenheit hierher in seine Vaterstadt zurückgekehrt.«

»So, so!« Der Baron warf unserem Bekannten unter einer nachlässigen vornehmen Neigung des Kopfes einen prüfenden Blick zu.

»Herr Dahlburg ist ein vertrauter Jugendfreund von mir«, bemerkte Helene, »wir sind zusammen aufgewachsen.«

»Ein Glück, um welches ich den Herrn beneide«, erwiderte der künftige Kabinettsrat nun mit einer sehr entgegenkommenden Verbeugung gegen die Sprecherin. »Freilich, dieses Krähwinkel, dieses Grünau, verdient gar nicht ein solches Kleinod, wie Sie sind, zu besitzen, und ich glaube, dass sich auch schwerlich hier jemand auffinden lässt, der imstande wäre, Ihren Wert zu würdigen, Mademoiselle.«

»Oh, der Herr Baron sind gar zu gütig«, fiel die Tante, einen tiefen Knicks machend, ein.

»Sie verfallen wieder in Ihren alten Fehler der Übertreibung«, rief dagegen Helene, aber dabei lächelte sie doch selbstzufrieden, obgleich das Kompliment nichts weiter als eine tausend Mal verbrauchte Redensart war.

Der Doktor Dahlburg hatte recht gut bemerkt, auf wem die von dem Baron getane Redensart hinzielte, denn sie war mit einem spöttischen, unmittelbar auf ihn gerichteten Blick begleitet gewesen. Obgleich er im Stillen über den flachen Menschen mitleidig die Achseln zuckte, so beschloss er doch, ihm eine Zurechtweisung zuteilwerden zu lassen.

»Da ich ebenfalls ein Grünauer Kind bin«, sagte er, seinen Blick fest auf Herrn von Lövenzahn richtend, so muss ich wohl den Handschuh, welchen Sie uns armen Kleinstädtern soeben zuwarfen, aufnehmen. Nun sehen Sie, wir sind hier praktische Leute und als solche prüfen wir genau. Uns kommt es nicht auf das Äußere, sondern auf den inneren Gehalt an, und ein hohler Topf, wäre er auch noch so glänzend angestrichen, würde uns doch über die Leere seines Inhalts nicht täuschen können.«

Herr von Lövenzahn und Helene erröteten zu gleicher Zeit, denn der Erstere fühlte ganz gut, dass er mit dem hohlen Topf gemeint sei, und die Letztere erkannte, dass in den Worten des Doktors für sie die Lehre lag, dass ohne den inneren Wert des Menschen die äußere Schönheit nichts weiter als eine gehaltlose täuschende Larve sei.

Zum Glück intervenierte die Schwatzhaftigkeit der Tante noch eben wieder zur rechten Zeit, um die peinliche Stille, welche eingetreten war, zu unterbrechen.

»Ei, mein Gott«, rief sie, »was gehen uns die Töpfe an, mögen sie nun hohl oder voll sein, und überhaupt muss ich dem Herrn Baron darin recht geben, dass es hier in Grünau zum Sterben langweilig ist.«

»Beschränkte Ansichten, unmanierliches Auftreten, wohin man sich auch wendet«, ergänzte der künftige Kabinettsrat im wegwerfenden Tone, indem er dabei verächtlich mit den Achseln zuckte und dem Arzt einen dementsprechenden Blick zuwarf.

»Mademoiselle Helene im Glanz vollendeter Schönheit und Liebenswürdigkeit, mitten unter diesen unbeholfenen bäuerlichen Menschen. Die Rose unter Disteln und Unkraut. Nein, schon der Gedanke daran jagt mir ein Frösteln über den Körper und ich fühle mich wirklich glücklich, dass es meinem Zureden gelungen ist, die Damen zu einer Übersiedlung nach der Residenz zu bewegen.«

Nun horchte der Doktor hoch auf, denn die Worte des Barons enthielten für ihn eine Enthüllung, welche ihn tief aufregte und mit schmerzlicher Unruhe erfüllte. Es wurde ihm plötzlich klar, dass der Letztere auf die beiden Frauen einen größeren Einfluss erlangt hatte, wie er bisher geglaubt, und er fürchtete daraus für Helene, deren Schwächen er kannte, die übelsten Folgen.

Gespannt horchte er daher auf, als die Tante auf die Worte des Herrn von Lövenzahn Folgendes erwiderte.

»Von einer festen Zusage wegen unseres Umzuges nach Lobenheim ist bis jetzt doch eigentlich wohl noch nicht die Rede gewesen.«

»Indessen ist das Projekt doch auch keineswegs aufgegeben«, fiel Helene rasch ein.

»Sie sehen wohl«, rief der Baron, »dass Mademoiselle durchaus nicht die Neigung fühlte, in diesem El Dorado von Spießbürgerlichkeit ihr Leben zu beschließen. Sie würden sich auch wahrlich an dem Glück derselben versündigen, wollten Sie die Hand dazu bieten, ihr die Wege zu einer glänzenden Zukunft zu verschließen, denn wo sich so viele Anmut und Schönheit vereinigen, kann es an glänzenden Triumphen nicht fehlen.«

Diesmal hatte Herr von Lövenzahn recht, Helene war wirklich eine herrliche, bezaubernde Erscheinung, und sie besaß Stolz und Eitelkeit genug, um sich ihrer Vorzüge im vollen Maße bewusst zu sein.

»Die Sache ist also abgemacht«, fuhr der Baron fort, »ich gehe nach Lobenheim voraus und die Damen folgen dann nach.«

»Nun, wie gesagt, lassen Sie mir Zeit zum Überlegen, ich sage nicht Nein. Und wenn Sie meinen, dass Helene in der Residenz ihr Glück machen kann …«

»Dafür garantiere ich Ihnen. Mein Oheim, der Hofmarschall, welcher seit seiner letzten Anwesenheit hier selbst mit wahrem Enthusiasmus von Mademoiselle spricht, behauptet, schon wenige Wochen würden genügen, um Ihre Nichte als Stern erster Größe am gesellschaftlichen Himmel der Residenz glänzen zu sehen. Und Sie wissen ja, dass er nicht ruhte und rastete, bis er mit Ihrer beiderseitigen Erlaubnis das Portrait dieser holden, unvergleichlichen Göttin, welcher wir uns jetzt gegenüber befinden, erhielt.«

Was es mit der Zusendung dieses Portraits und überhaupt mit der geheimen Verbindung zwischen Oheim und Neffen für eine Bewandtnis hatte, dies werden wir später sehen, für jetzt bemerken wir nur, dass der junge Arzt immer betroffener wurde und dass er sehnlichst auf den Augenblick wartete, wo es ihm möglich sein würde, mit Helene einige Worte allein zu sprechen.

»Apropos«, rief die Tante, »haben der Herr Baron neuerdings Nachrichten von deren Verwandten, dem Herrn Hofmarschall erhalten?«

»Nein, aber bei der Wichtigkeit der Umstände können solche stündlich eintreffen.«

»Sie glauben also wirklich, dass die Krankheit des Herzogs eine sehr bedenkliche ist?«

Der künftige Kabinettsrat nahm plötzlich eine diplomatische Miene an, welche offenbar auch dem Doktor imponieren sollte, die indessen in ihren Wirkungen nicht weiter reichte, als dass sie die Neugier der beiden Frauen stark reizte.

»Nun«, sagte Helene, »Sie schweigen ja plötzlich?«

»Ich überlege, wie weit ich es wagen darf, mich über ein so wichtiges Geheimnis zu äußern. Das Befinden unseres Regierenden ist allerdings der Art …«

»Dass sein Tod jetzt vielleicht schon erfolgt ist«, fiel Doktor Dahlburg mit ruhiger klarer Stimme ein.

Alle sahen den Sprecher erstaunt an. Eine so bestimmte Erklärung hatte niemand erwartet, am allerwenigsten von dem jungen Arzt.

Der Baron war der Erste, welcher sich sammelte. Er betrachtete es in seiner Stellung als eine treffliche Gelegenheit, den Mann, welchen er, ungeachtet er ihn erst wenige Stunden kannte, doch bereits hasste, sein Übergewicht fühlen zu lassen. Er beschloss deshalb zu intervenieren.

Mit der Miene eines Kriminalbeamten, der eben im Begriff steht, einen Verbrecher zu überführen, trat er daher einen Schritt vor. Seinen Blick drohend auf unseren Bekannten geheftet, sagte er im barschen Ton:

»Darf ich fragen, woher Sie diese überraschende Nachricht haben, mein Herr?«

»Aus der besten Quelle«, lautete die Antwort, »aus eigener Anschauung.«

Herr von Lövenzahn prallte zwei Schritte zurück und blickte den jungen Arzt verdutzt an. Er wusste offenbar nicht, was er aus ihm machen sollte.

Dieser lächelte und betrachtete eine Sekunde fast mitleidig seinen Gegner. Dann sagte er. »Ich hatte vergessen den Herrschaften zu bemerken, dass ich gestern Abend direkt von Lobenheim hier angelangt bin.«

»Von Lobenheim? Aus der Residenz?«

»Allerdings, und zwar unmittelbar vom Krankenbett des Herzogs.«

Jetzt riss der Baron die Augen weit auf. Man sah es ihm an, dass er sich im Stillen die Frage vorlegte, ob er träume oder wache. Aber auch der Arzt erschien ihm nunmehr als eine ganz andere Person. Er fing ordentlich an Respekt vor ihm zu bekommen, und endlich krümmte sich sogar höfisch sein Rücken, welcher bisher völlig unbiegsam geschienen hatte.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie um einige nähere Mitteilungen zu bitten?«, fragte er äußerst höflich.

»Sehr gern. Der Herzog ist in der Tat rettungslos verloren, ja sein Tod wird in diesem Augenblick wahrscheinlich schon erfolgt sein. Gerade als ich im Begriff stand, von Berlin abzureisen, erhielt eine der dortigen medizinischen ersten Größen die Einladung, sich unverzüglich zu einer Konsultation wegen des Zustandes des Herzogs nach Lobenheim zu begeben. Da ich dem Professor als Assistenzarzt lange Zeit nahe gestanden hatte, so lud er mich ein, ihn zu begleiten. So hatte ich Gelegenheit, durch eigene Anschauung den Zustand des hohen Kranken kennenzulernen.«

»Durch eigene Anschauung?«, wiederholte der Baron. »Ich gebe mir die Ehre, Ihnen mein Kompliment zu machen.«

»Mir wurde auch später das Glück zuteil, mit Seiner Hoheit, dem Erbprinzen eine Unterredung zu haben.«

»Mit Seiner Hoheit dem Erbprinzen?«, stammelte Herr von Lövenzahn, und sein Gesicht schien um einige Zoll länger zu werden. »In der Tat, eine große Ehre, Sie erlauben, dass ich dazu gratuliere.«

»Der Prinz hatte die Gnade, mir eine Stellung in seiner unmittelbaren Nähe anzubieten.«

Das war dem künftigen Kabinettsrat hoch zu viel. Ihm schwindelte der Kopf, seine Hand griff nach einer Stuhllehne. Unter einer zweiten, noch weit tieferen Verbeugung stotterte er: »Aber mein Gott, warum treten Sie, hochverehrter Herr, erst jetzt aus Ihrem Inkognito? Sollte irgendein Missverständnis vorgefallen sein, so nehmen Sie die Versicherung hin, dass ich dies von ganzem Herzen bedaure.«

Der Doktor verbeugte sich mit einem stummen Lächeln der Genugtuung und fuhr dann fort: »Es ist wohl vorauszusehen, dass Sie sich hier nun nicht mehr lange aufhalten werden?«

»So wie die Sachen liegen, kann meine Abreise allerdings jeden Augenblick erfolgen.«

»Freilich! Sie werden dem neuen Herzog unentbehrlich sein.«

Herr von Lövenzahn hatte diese Bemerkung überhört, er war an das Gitter des Gartens getreten und hatte von dort einige Mal lebhaft nach der Straße hinuntergewinkt.

»Wünschen der Herr Baron etwas?«, fragte Frau Helmstädt.

»Eben verließ der Briefträger die Post, es schien mir sogar, als ob dort eine Stafette angekommen wäre – Sie begreifen, in welcher Unruhe ich mich befinde, ich habe ihm ein Zeichen gegeben, heraufzukommen.«

In diesem Augenblick trat der Bote Merkurs ein.

»Haben Sie Briefe an mich?«, fragte Herr von Lövenzahn hastig.

»Ein Citissime aus der Residenz – schwarz gesiegelt, durch einen Kurier befördert.«

»Geben Sie!« Der Baron ergriff mit vor Erregtheit zitternder Hand das Schreiben und entfaltete es hastig. »Von meinem Oheim, dem Hofmarschall!«, bemerkte er. Dann las er weiter, endlich ließ er das Schreiben sinken und rief: »Es verhält sich so, wie dieser Herr uns eben sagte. Seine Durchlaucht ist gestern Nachmittag um vier Uhr verschieden. Stimmen Sie, meine Herrschaften, mit mir in den Ruf ein: »Es lebe der neue Herzog!«

»Aber was werden Sie nun tun?«, fragte die Tante, der ihre eigenen Angelegenheiten mehr am Herzen lagen, wie die Staatsaffären.

»Ich eile, Kurierpferde zu bestellen«, antwortete der Baron, »schon in wenig Stunden reise ich ab. Gestatten Sie es, so bestelle ich den Wagen hierher. Wir verabreden dann, was nun auch in Bezug auf Sie, meine Damen, zu beschließen ist.«

»Nun, wir werden ja sehen«, sagte, bereits halb einwilligend, Frau Helmstädt, »ein Entschluss muss freilich gefasst werden. Wenn Sie also die Zeit bis zu Ihrer Abreise bei uns zubringen wollen, so können wir das Erforderliche besprechen, und ich denke, wir werden dann zu einem festen Resultat gelangen.«

»Also auf Wiedersehen«, rief Herr von Lövenzahn, indem er sich tief gegen Helene, nur flüchtig gegen den Doktor verneigte. »In einer Stunde bin ich reisefertig. Wie schmerzlich diese Trennung mir fällt, brauche ich wohl nicht erst zu versichern«, fügte er hinzu. »Doch die Hoffnung eines recht baldigen Wiedersehens hält mich aufrecht und wird mir den Abschied erleichtern.«

»Ich begleite Sie bis an die Haustür«, sagte die Tante und folgte dem Davoneilenden.

»Helene, unterhalte inzwischen Herrn Dahlburg, du wirst dir ohnedem so manches mit ihm zu erzählen haben.«