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Der Teufel auf Reisen 37

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 6
Des Teufels Anteil

Mit diesen Worten schlug er den Brief auseinander und begann Folgendes zu lesen:

Mein alter Freund und Gesinnungsgenosse!

Leider ist Dein ungeratener Sohn, ungeachtet er im Überfluss lebt, trotz meiner eindringlichsten Ermahnungen nicht zu bewegen gewesen, Dir von seinen reichlichen Mitteln zur Erleichterung Deiner alten Tage eine Unterstützung zufließen zu lassen. Von Teilnahme gegen Dich ergriffen und empört über solch unnatürliches Benehmen, teile ich das Wenige mit Dir, was ich augenblicklich besitze. Dein undankbarer Sohn steht im Begriff, eine sehr reiche Heirat zu tun. Seine Handlungsweise gegen Dich erscheint daher in einem umso schwärzeren Licht. Allein ich kenne ein Mittel, um ihn zu bessern und Dir gleichzeitig eine ganz hübsche Rente zu sichern. Es wird Dir jedenfalls bekannt sein, dass er, bevor er nach Paris abreiste, mit einem jungen Mädchen, Agnes Werner, in sehr intimen Verhältnissen stand und ihr sogar ein Eheversprechen gab. Könntest du nun dieser Agnes Werner einen Wink von der bevorstehenden Vermählung Deines Sohnes geben, so erhieltest Du hierdurch gleichzeitig das Mittel in die Hand, demselben einen heilsamen Schreck einzuflößen und Deine Vermittlung zur Beschwichtigung dieser jungen Dame anzubieten, worauf natürlich von Dir nur unter der Bedingung der gerichtlichen Zusicherung der vorerwähnten Leibrente eingegangen werden würde.

Benimm Dich klug und lass Dir diese gute Gelegenheit, Deine Lage zu verbessern, nicht entgehen, dies rät Dir dringend

Dein alter Freund Rodenwald.

Der alte verkommene Edelmann rieb sich vergnügt die Hände.

»Klug soll ich mich benehmen und mir diese gute Gelegenheit nicht entgehen lassen … Als wenn sich dies nicht von selbst verstände! Und noch dazu einem so ungeratenen Sohn gegenüber, der mir zumutet, mich mit einer Schüssel Kartoffeln mit Speck zu begnügen und klares Wasser zu trinken, während er Austern und Hummer isst und Sekt schlürft! Schon morgen reise ich in die Stadt, um die Agnes Werner auf ihre Rolle vorzubereiten. Schließlich findet man sie mit einer Kleinigkeit ab und ich lache mir mit meiner Leibrente ins Fäustchen. Habe so lange genug in dem alten durchlöcherten Nest hier ein Eulenleben geführt, will auch wieder einmal ans Tageslicht – steige in dem ersten Hotel ab, lebe standesgemäß und die Rechnung – bah, Nebensache! Kann dem Freiherrn Hahnenfeder von Hahnenfelde nachgeschickt werden, ist dann gut dazu, um unter dem übrigen Plunder dieser Art einen Platz zu finden!«

Nach diesem vorläufigen Programm braute sich der Baron verschiedene große Gläser Punsch und begab sich dann in sehr rosenfarbiger Laune zur Ruhe. Am anderen Morgen war er schon früh auf den Beinen, um den Postwagen nicht zu versäumen. Nachdem er sich von demselben einen halben Tag hatte hin und her schleudern lassen, stieg er wirklich in einem Gasthof dritten Ranges ab, denn nach längerem Nachdenken war ihm unterwegs die Erkenntnis gekommen, dass es doch wohl möglich sein könnte, dass man in dem Hotel, wo er zuerst einkehren wollte, nicht den gebührenden Respekt vor seinem alten Namen haben könnte und dass man es daher vielleicht vorziehen möchte, erst nach seinem Gepäck zu fragen, bevor man ihm ein großes Konto eröffnete.

Mit dem Dunkelwerden begab er sich dann auf den Weg, um Fräulein Werner aufzusuchen, was ihm nicht schwer wurde, da er deren Wohnung noch von früher kannte.

Das junge Mädchen hatte gerade ihre Arbeit auf kurze Zeit beiseitegelegt, als der Freiherr bei ihr eintrat.

»Verzeihen Sie, wenn ich störe«, begann er, »aber als ein Mann von moralischen Grundsätzen hat es mir mein Gewissen zur Pflicht gemacht, vor Ihnen zu erscheinen.«

Nach dieser feierlichen Einleitung hielt er inne, während Agnes ihn halb misstrauisch, halb erstaunt anblickte.

»Ich muss mich nur näher erklären«, fuhr er fort, »ich sehe es Ihnen an, Sie erwarten dies von mir.«

»Allerdings, mein Herr, denn vorläufig verstehe ich Sie wirklich nicht.«

»Nun, Sie standen bis noch vor einem halben Jahr in einem näheren Verhältnis zu einem jungen Mann.«

Agnes wurde plötzlich feuerrot, während ihre Augen zornig aufblitzten. »Erinnern Sie mich nicht an jenen Unwürdigen«, rief sie, »schon der Gedanke an denselben erfüllt mich mit Abscheu.«

»Das kann ich mir ganz gut denken, denn auch ich bin aufs Höchste empört über seine Handlungsweise.«

»Er war ein Schwindler der gefährlichsten Art, das habe ich erst hinterher erfahren.«

»Leider kann ich Ihnen nicht widersprechen. Alle guten Lehren, die ich ihm gab, waren fruchtlos.«

»Aber wer sind Sie, mein Herr?«, fragte das junge Mädchen sich gespannt emporrichtend, denn ein Gedanke hatte sich ihrer plötzlich bemächtigt.

»Der unglückliche Vater jenes Menschen, der so treulos an Ihnen handelte«, erwiderte der Baron im heuchlerischen Ton.

»Dann bedauere ich Sie wirklich, einen so unwürdigen Sohn zu besitzen.«

»Nun, das Schicksal hat mir einmal dieses Kreuz auferlegt, aber was er verdarb, will ich wenigstens versuchen, einigermaßen wieder gut zu machen. Vielleicht wird Ihnen bekannt sein, dass er jetzt in Paris lebt?«

»Ja, er soll dort ebenfalls seine Existenz vom Spiel fristen.«

»Wohl möglich, inzwischen hat ihn das Glück begünstigt. Er steht auf dem Punkt, eine sehr reiche Heirat zu tun.«

»Eine Heirat? Der Elende! Mir gab er ein schriftliches Eheversprechen, wie oft hat er mir unter den heiligsten Versicherungen zugeschworen, dass er es redlich mit mir meine.«

»Ich weiß das alles. Die Frage ist jetzt nur die, was wollen Sie nun tun?«

Die Furien der Eifersucht waren in Agnes Busen erwacht, der Gedanke des an ihr verübten Verrats erbitterten ihr sonst sanftes Herz. Der Wunsch, sich an dem Treulosen zu rächen, machte sich bei ihr geltend.

»Natürlich werde ich Einspruch gegen seine Heirat erheben«, sagte sie im leidenschaftlichen Ton.

»Ich finde dies natürlich, aber die Entfernung ist etwas groß und wahrscheinlich haben Sie keine Bekanntschaften in Paris?«

»Allerdings nicht«, lautete die ziemlich verlegene Antwort.

»Nun, zum Glück stehe ich Ihnen zur Seite, ich selbst werde Ihr Anwalt sein.«

»Wie, Sie wollten bei dem dortigen Gericht für mich auftreten?«

»Das eben nicht, aber ich werde Ihnen einen tüchtigen Advokaten verschaffen, der Ihr Vorzugsrecht wahrnimmt.«

»Oh, wie edel Sie sind. Bedürfen Sie einer Vollmacht?«

»Nein, aber des Eheversprechens, welches mein Sohn Ihnen ausgestellt hat.«

Das junge Mädchen stutzte. »Was«, rief dasselbe, indem es einen misstrauischen Blick auf den dreisten Alten warf, »Sie muten mir zu, dass ich Ihnen so ohne Weiteres ein so wichtiges Dokument ausliefere?«

»Nun, Sie hören ja, dass ich Ihr Vorzugsrecht wahrnehmen will.«

»Das ist recht schön. Aber noch haben Sie sich mir gegenüber noch nicht einmal als derjenige legitimiert, als welchen Sie sich hier eingeführt haben.«

Der Freiherr vergaß seine Rolle und antwortete in einem sehr rücksichtslosen Ton:

»Nun, verlangen Sie etwa noch, dass ich Ihnen meinen Stammbaum vorlege? Entschließen Sie sich kurz: Wollen Sie mir das Papier anvertrauen?«

»Bevor ich mich nicht vorher anderwärts darüber befragt habe, nein!«

»Anderwärts! Mit Ihrem Eigensinn werden Sie sich noch um alles bringen.«

»Mag sein, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, vorsichtig zu sein.«

»Es ist der einzige Weg, wie Sie die Hand meines Sohnes erlangen können.«

»Ihres Sohnes? Nein, mein Herr, da dünke ich mich doch zu gut, um mich einem Spieler und Abenteurer von Profession in die Arme zu werfen. Was ich wünsche, ist, dass ich ihn neben meiner Verachtung auch meine Rache fühlen lassen kann.«

Daraufhin fiel der Freiherr ganz aus der Rolle, sein aristokratischer Stolz war erwacht.

»Nun, ich denke, es wäre Ehre genug für Sie, zur Freifrau von Hahnenfeder erhoben zu werden.«

»Ha, ha«, erwiderte das junge Mädchen höhnisch lachend, »für so einen bettelhaften Freiherrn danke ich bestens!«

»Mademoiselle, Sie werden unverschämt.«

»Mein Herr, in meinem Zimmer verbitte ich mir jede Beleidigung.«

»Sie zeigen sich meines Schutzes unwert.«

»Habe ich denselben denn schon verlangt? Aufrichtig gesagt, Sie fangen an, mir verdächtig zu werden.«

»Unverschämte Dirne!«, brummte Herr von Hahnenfeder.

»Wer ist Ihre Dirne?«, rief aber nun Agnes mit blitzenden Augen. »Hinaus aus meiner Stube und erlauben Sie sich nie wieder dieselbe zu betreten!«

Der Baron wollte einlenken. »Aber erlauben Sie«, begann er im begütigenden Ton, »es scheint, dass hier ein Missverständnis obwaltet.«

»Gehen Sie«, rief das Mädchen, »oder wollen Sie, dass ich die Nachbarn zu meinem Beistand herbeirufe?«

Dazu hatte der Freiherr doch keine Lust. Brummend trat er den Rückzug an und kehrte höchst verdrießlich in seinen Gasthof zurück.

»Was fange ich nun an«, murmelte er, »die Leibrente darf ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.«

Indem trat der Kellner ein. »Ein Mann hat vor einer halben Stunde nach dem Herrn Baron gefragt.«

»Ein Herr? Wie sah er denn aus?«

»Oh«, lautete die ziemlich spöttische Antwort, »jedes Kind kennt ihn. Es ist der alte Moses Hersch, welcher auf Pfänder und Wechsel leiht.«

Jetzt war es um die freiherrliche Würde plötzlich geschehen. Das Gesicht des Herrn von Hahnenfeder wurde sehr lang und ängstlich richteten sich seine Blicke zur Tür, als erwarte er dort jeden Augenblick eine ihm bekannte Persönlichkeit eintreten zu sehen.

»Es ist gut«, bemerkte er, »wenn Moses Hersch wieder kommt, so sagen Sie ihm, dass ich ausgegangen sei.«

Als er sich allein befand, murmelte er: »Der alte Spitzbube muss mich gesehen haben, als ich über die Straße ging. Er ist ein zweiter Shylock, er besteht unbarmherzig auf seinem Schein und ich wette, er hält bereits einen Gerichtsdiener in Bereitschaft, um mich morgen mit dem Frühsten ins Schuldgefängnis abführen zu lassen. Aber das Vergnügen will ich ihm doch nicht machen. Und wenn er wiederkommt, soll er das Nest leer finden.«

Zehn Minuten darauf schlich der edle Freiherr, sich behutsam umsehend, zum Gasthof hinaus, nachdem er vorher seine kleine Rechnung bezahlt hatte. Auf Umwegen gelangte er zur Post, sehr vorsichtig schlüpfte er in den alten Kasten, mit welchem er gekommen war, und erst dann fühlte er sich wieder beruhigt, als dieser rüttelnd und stoßend in der gewohnten Weise auf der Chaussee fortrollte.