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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 15

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 15

Der Erzähler schwieg, völlig erschöpft. Sein Atem ging keuchend. Dann fuhr er leiser fort: »Ich glaube nicht, dass Cevallos noch viel zu leiden hat. Er wird wohl bald gestorben sein. Die Indianer, die ihn beraubten und sein Pferd an sich nahmen, haben wohl nur noch seine Leiche gefunden. Das«, schloss Piedrahita flüsternd, »das ist die Wahrheit über den Tod des Leutnants Cevallos.«

Das Haupt des Reiters sank zurück, aber seine Augen waren noch weit geöffnet.

Atemlose Stille herrschte ringsum. Pater Severius kniete an der Bahre des Sterbenden. Man hörte, wie er ihm mit bebender Stimme die Absolution erteilte. Nach einer kleinen Weile erhob sich der Priester. »Er ist tot«, sagte er.

Hohermut gab ein Zeichen, die Leiche fortzutragen. Dann wandte er sich an Velasco: »Hauptmann Velasco, Euren Degen!«

Velasco erhob sich schwankend und reichte, bleich wie ein Toter, dem Führer sein Rapier.

»Man wird Euch nach Coro schaffen, Velasco«, fuhr Hohermut fort, »und vor das Königliche Gericht stellen. Es mag Euch richten nach dem Maß Eurer Schuld! Kornett Hauser, führt den ehemaligen Hauptmann Velasco ab!«

Hans Hauser trat vor seinen zerschmetterten Widersacher. In einem plötzlich aufquellenden Gefühl des Mitleids erwies er ihm die Ehrenbezeigung, bevor er ihm die Hand auf die Schulter legte. Ohne Widerstand ließ sich Velasco abführen.

Mitte April stand die Expedition am Ufer des Upia. Sehr frühzeitig hatte mit gewaltigen Güssen die Regenzeit eingesetzt. Längst war der Strom über die Ufer getreten und wälzte seine braunen Fluten durch das Land. Im fahlen Licht des trüben Tages war kaum eine Scheidelinie zu erkennen zwischen dem morastigen Land und den dunklen Wassern. Zur allgemeinen Verwunderung befahl Hohermut den sofortigen Übergang über das gefährliche Gewässer.

»Es ist unmöglich, Euer Gnaden«, warnte Estéban Martin. Ihr setzt alles aufs Spiel. Man muss besseres Wetter abwarten.«

»Ich will, dass der Fluss sofort überschritten wird«, erwiderte Hohermut.

Gekränkt zog sich der Pfadfinder zurück. Die Soldaten gingen missmutig an die Arbeit. Im strömenden Regen wurde ein großes Floß gebaut. Es musste dieses Mal Mann und Ross tragen. Unmöglich konnten die Pferde den Fluss durchschwimmen. In drei Tagen Arbeit war das Fahrzeug vollendet. Inzwischen hatte aber der Regen kaum eine Stunde ausgesetzt. Die Wasserfläche war noch breiter, der Strom noch reißender geworden.

»Es geht nicht. Das heißt Gott versuchen«, wandte sich Kressel an Fabricius. »Willst du es ihm nicht sagen?«

Doch auch Fabricius fand kein Gehör, Hohermut wies ihn schroff zurück.

Mit Mühe wurde das Floß zu Wasser gebracht und vertäut, der aus der Flut ragte.

»Wer führt das erste Floß? Wer meldet sich freiwillig?«, fragte Hohermut.

Schweigend, ja trotzig sahen die Landsknechte zu Boden. Noch einmal fragte Hohermut mit kaum verhehlter Ungeduld. Sein Blick schweifte über die Reihen und blieb an Hans Hauser hängen. Der junge Konstanzer, am Wasser groß geworden, pflegte sonst immer der Erste zu sein, wenn es einen reißenden Strom zu durchschiffen galt. Doch dieses Mal schwieg er. Er fühlte den Blick des Führers … zauderte …

Hohermut wandte sich ab. »Ich führe selbst das Floß.«

Nun meldeten sich ein Deutscher, ein Spanier und außerdem Fabricius, Hans Hauser und – mit toternstem Gesicht – Martin Kressel. Doch da war auch ein Indianer, Zischende Viper, der Xidehara. Sein Platz war an der Seite seines Herrn. Die sieben wateten zum Floß und schwangen sich hinauf. Mit einem Stoßgebet warf Hans Hauser das Tau los.

Die Schiffer griffen nach den langen Bambusstangen und stießen das Boot tiefer ins Wasser. Hohermut legte kräftig Hand an. Es ging alles gut, wenn auch das Fahrzeug schwankte und manchmal eine Welle hinwegging. Der Wasserstreifen verbreiterte sich rasch, der die Floßfahrer vom Ufer trennte, wo die Kameraden gespannt die Fahrt der Tollkühnen verfolgten. Immer näher kam das Floß der Strömung. Sie führte Baumstämme mit sich, deren riesige Wurzeln drohend und gefährlich aus dem Wasser ragten. Man musste ihnen ausweichen. Ein Zusammenstoß konnte verhängnisvoll werden. Indessen, es ging gut, aber es war nur ein Anfang.

Plötzlich nahm die Wassertiefe so rasch zu, dass die Schiffer mit den Bambusstangen, so lang sie waren, keinen Grund mehr fanden.

»Wir müssen zurück«, schrie Hans Hauser.

Doch es war zu spät, schon trieb das Floß steuerlos in der Strömung. Die rasende Fahrt ging gerade auf einen gewaltigen Baumstamm los. Alle Bemühungen, den Zusammenstoß zu vermeiden, waren vergeblich. Mitten in das Wurzelwerk des Stammes wurde das Floß von den Wellen geschleudert. Der Anprall war furchtbar. Der deutsche Landsknecht versank plötzlich lautlos in die Tiefe. Die anderen zogen sich im letzten Augenblick mit der gewaltigen Körper- und Willenskraft, die äußerste Lebensgefahr verleiht, auf den Stamm hinauf und hingen nun im riesigen Wurzelwerk wie winzige Käfer.

Soweit das Auge reichte, erblickten die Schiffbrüchigen nichts als Wasser. Sie sprachen nichts. Sie sahen den Tod vor Augen. Mühsam klammerten sich ihre froststarren Hände an die Wurzeln. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie ermatteten, wann sich die verkrampften Hände lösten und einer nach dem anderen im Wasser des Upia versinken würde.

Hans Hauser zog im Angesicht des Todes die Bilanz seines Lebens. Er war zufrieden. Sein Leben war nicht leicht, aber tapfer und tüchtig. Nur war es zu kurz. Er hätte gern noch weitergelebt. Auch passte es ihm nicht, dass er ertrinken sollte. Da wäre doch ein Indianerpfeil besser gewesen, einer von denen, die gleich ins Herz gehen …

Krachend stieß der treibende Stamm mit einem anderen zusammen. Die Fahrt verlangsamte sich. Der Stamm geriet ins Kreisen, dann erfasste ihn die Strömung wider, aber ein Wirbel schob ihn näher an das Ufer; glücklicherweise an das linke. Dort blieb er endlich, immer noch weit genug vom festen Land, im seichteren Wasser hängen.

Die Schiffbrüchigen hätten nicht zu winken und zu schreien brauchen. In fieberhafter Eile ließ Philipp von Hutten ein Notfloß bauen. Schon am nächsten Morgen war das gebrechliche Fahrzeug fahrbereit. Hutten selbst führte es unter Lebensgefahr an den Baumstamm heran, auf dem die Schiffbrüchigen eine fürchterliche Nacht verbracht hatten. Die Rettung gelang, aber als die Geretteten wieder festen Boden unter den Füßen hatten, waren sie so erschöpft, dass sie kein Wort sprechen konnten und, nachdem man sie erwärmt und ihnen ein wenig heiße Brühe eingeflößt hatte, in einen langen, todähnlichen Schlaf sanken.

Als Hohermut sich soweit erholt hatte, dass er die Führung wieder übernehmen konnte, schien er noch ernster geworden zu sein. Selten sah ihn einer mehr lächeln seit der fürchterlichen Floßfahrt auf dem Upia. Einen zweiten Versuch, den Fluss zu überschreiten, unternahm er nicht. Zwei spanische Meilen vom Ufer entfernt, wo eine leichte Erdwelle sich ein wenig aus der Ebene hob, ließ er das Lager aufschlagen, um dort eine bessere Gelegenheit für den Flussübergang abzuwarten.

Er rechnete mit einem Aufenthalt von Tagen, vielleicht von Wochen. Es wurden Monate daraus. Immer weiter breitete sich die Überschwemmung aus. Bad war das Häuflein Christen auf dem Hügel ringsum vom Wasser umgeben wie Noah in seiner Arche, und immer noch schien die Flut zu steigen. Die durchnässten Soldaten froren nachts entsetzlich, mochte es auch warm sein wie daheim in Deutschland im Hochsommer. Es war der ungeheure Unterschied zwischen den drückend schwülen Tagen und den kühleren Nächten, der sich so empfindlich fühlbar machte. Viele wurden von Zahnweh und Rheumatismus geplagt, und Jakob Schmitz musste eifrig quacksalbern, wobei Kröten eine Hauptrolle spielten, die er in seinem Mörser zerstampfte.

Das Schlimmste war, dass die Überschwemmung das Wild vertrieb, namentlich die Spießhirsche, die die Fleischnahrung für die Expedition zu liefern pflegten. Viele ertranken in der schrecklichen Flut. Dafür schlichen sich nun oft halb verhungerte Pumas in der Nacht mitten ins Lager und konnten nur mit Mühe vertrieben werden. Sie waren eine wahre Landplage.

Sehr bald herrschte im Lager Hungersnot. Längst hatten sich die Soldaten an Eidechsen, Kröten und Schlangen als Nahrung gewöhnt. Schließlich schlachtete man ein Pferd, das nicht mehr marschfähig war, und notgedrungen einige Bluthunde. Doch gegen Anfang August wurde es klar, dass man nicht länger im Lager bleiben konnte.

Es war nicht möglich, vorwärtszukommen. Der Weg nach Süden war versperrt. So entschloss sich der Gubernator schweren Herzens, zurückzugehen.

Man fand aber wenigstens Kaktusfeigen, um den schlimmsten Hunger zu stillen, und dann – gegen Ende des Jahres – war die Macht der Regenzeit endlich gebrochen. Die Sonne schien wieder vom blauen Himmel, den monatelang Regenwolken bedeckt hatten. Mit der Sonne kehrte der alte Wagemut zurück. Die Landsknechte, die schon wieder vom Rückmarsch zur Küste gesprochen hatten, schickten nun eine Abordnung zu Hohermut und baten ihn, den Marsch nach Süden, zum Meta, wieder aufzunehmen. Der Goldene lockte.

Hohermut willigte freudig ein. Ende November stand die Expedition wieder am Upia, und am 1. Dezember wurde der Übergang glücklich bewerkstelligt.

Neun Tage später wurde der Hauptquellfluss des Meta, der Humadea, erreicht. Ein schöner, klarer Fluss, lag er mitten im dichten, strotzenden Urwald in unendlicher Einsamkeit. Nirgends zeigten sich menschliche Spuren, nirgends eine Fährte oder der Rauch einer Hütte. Hier waren, ungestört von der Mordlust der Menschen, die Tiere des Urwaldes noch die unumschränkten unten Vögel, Papageien, Araras, winzige Kolibris, die Affen, die sich lustig von Ast zu Ast schwangen, die stolzen rosafarbenen Reiher, der träge Kaiman, die Hirsche, bunt gefleckt, kaum größer als Rehe, die in der Morgenfrühe aus dem Wald traten, um im Fluss zu trinken.

Aber der Sonnentempel? Die Casa del Meta? Wo war es, das Schloss des Goldenen? Ging nicht die Sage um, dass hier am Ufer des großen, geheimnisvollen Llanosflusses das Land Dorado liege?