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Die nächtliche Erscheinung

Die-Geister-Erstes-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Erster Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2015

Die nächtliche Erscheinung

Prinz von A. liebte gesellschaftliche Scherze und Späßchen und brachte mit einigen seiner Kavaliere, unter denen sich vorzüglich der Kammerjunker von Helm auszeichnete, einen großen Teil des Jahres auf einem alten, entlegenen Schloss zu. Man lebte hier lustig und vergnügt, machte Schwänke und erzählte sich allerhand unterhaltende, auch öfters gar schauerliche Begebenheiten. Helm, ein unerschrockener, furchtloser Mann, war durch kein Gespenst bange zu machen, und alle Versuche, ihn zu erschrecken, waren immer fruchtlos geblieben.

Auf dem einen Hügel des Schlosses sollte der Sage nach ein geistiges Ungetüm sein Wesen treiben. Eine weiße Frau, hieß es, lasse sich alle Nächte sehen und niemand daselbst ruhen. Der Kammerjunker lachte laut auf, als man eines Abends lebhafter als je zuvor über diesen Gegenstand sprach und einige unter der Gesellschaft steif und fest für die Wahrheit stritten. Man forderte ihn daher auf, sein Lager daselbst aufzuschlagen, wo die weiße Frau zu hausen pflege. Er war sogleich bereitwillig, das Abenteuer zu bestehen und bezog gegen Mitternacht, als sich alles zu Bett begab, sein neues Schlafzimmer.

Eine Grabesstille herrschte im ganzen Schloss. Man hätte den schwächsten Laut vernehmen können.

Helm allein war noch wach und wurde genötigt, das kleine Nebenzimmer zu besuchen. Er nahm das noch brennende Licht und verfügte sich, schon halb schlummernd, dahin.

Aber welch ein grauser Anblick bot sich hier seinen Augen dar, als er die Tür öffnete!

Eine weiße Frau saß mit hängendem Kopf auf einem Stuhl und starrte vor sich hin.

Der Kammerjunker war zwar anfangs etwas stutzig sammelte aber bald die Gegenwart seines Geistes wieder und fragte in einem rauen Ton: »Bist du lebendig oder tot?«

Er erhielt keine Antwort, und dies machte ihn beherzter. Er ging näher auf die Gestalt zu, umfasste sie, und da alles Rütteln und Schütteln vergeblich war, ein Zeichen des Lebens zu entlocken, so begab er sich zur Ruhe.

Man hatte ihn von fern beobachtet und erkannte und bewunderte ihn nun allgemein als einen unerschrockenen, furchtlosen Mann. Als er am folgenden Morgen in das Zimmer des Prinzen kam, wo er die gestrige Gesellschaft schon gegenwärtig fand, fragte ihn dieser, ob ihm die weiße Frau erschienen sei.

»Eine weiße Frau«, antwortete er, »habe ich zwar gesehen, allein das Mütterchen war tot und nicht lebendig. Wie sie aber dahin gekommen ist, weiß ich nicht. Eigentlich gehört sie auf den Kirchhof.«

Und er hatte recht. Es war eine an diesem Tag verstorbene alte Frau, welche der Prinz an diesen Ort hatte bringen lassen, um die Herzhaftigkeit des Kammerjunkers zu prüfen. Glücklich genug ging dieser Mutwille ohne schädliche Folgen ab, da Helm durch nichts in Furcht gesetzt werden konnte.

Ganz anders verhielt es sich aber mit dem Prinzen.

Von Jugend auf hatte er viel von Gespenstern gehört, war in diesem Glauben erzogen worden. So wenig er jetzt auch davon hielt, so war er doch nicht ohne Furcht, welche ihm immer noch von seinen Kinderjahren anhing. Seine Fantasie war sehr leicht in Tätigkeit zu setzen, und dennoch hörte er gern Märchen von Geistern, wie sie, bald als Riesen, bald als Zwerge gestaltet, bei nächtlicher Weile erscheinen sollten, schauderte aber nicht selten bei dergleichen Erzählungen. Er spaßte mit Gespenstern und war bisweilen hinterher besorgt, sie möchten zur Strafe sich ihm wirklich zeigen.

Der Scherz mit dem alten Mütterchen, der freilich etwas zu weit getrieben war, veranlasste am Abend eine Menge Geschichten von Erscheinungen der Gespenster. Was sich über diesen Gegenstand nur immer auftreiben ließ, wurde zum Besten gegeben.

Der eine erzählte von der Geschwindigkeit solcher geistiger Wesen; ein anderer von ihrer Geschicklichkeit, durch die feinste Spalte zu schlüpfen; ein Dritter von ganzen Familien derselben, wie sie, groß und klein, untereinander erschienen; ein Vierter von einigen, welche den Kopf bald aufgesetzt, bald unterm Arm getragen, wie sonderbar sich dieses ausgenommen und wie sehr es diesen oder jenen erschreckt habe. Man begab sich endlich zur Ruhe. Allein die Fantasie des Prinzen, welche heute lebhafter als je zuvor mit den seltsamsten Bildern und Vorstellungen, gleich einem Raritärenkasten, angefüllt worden, war noch zu tätig.

Zwar schlief er endlich ein, allein sein Schlaf glich mehr jenem Mittelzustand zwischen Schlafen und Wachen, wo die Einbildungskraft am stärksten zu wirken pflegt und nicht selten ihren Unfug am meisten treibt.

Bald glaubte er, um sich her zu sehen, was durch sie ihm vorgegaukelt wurde. Im Kurzen reihte sich Bild an Bild, Handlung an Handlung, und ein ganzes Schauspiel kam zustande.

Ein Blitzstrahl fuhr plötzlich durch das Zimmer und zündete mit einem Male die Wandleuchter an. Eine Menge dienstbarer Geister erschien, welche Tische und Stühle zurechtsetzten, als ob sie eine große Gesellschaft erwarteten. Sie verschwanden hierauf wieder, und eine Todesstille folgte auf das vorige Geräusch, welche die Erwartung des Prinzen aufs Höchste spannte.

Nach Verlauf einer Minuten öffnete sich langsam die Tür des Gemachs und ein kleines Männchen erschien, nicht größer als ein Zwerg von einigen Spannen, aber von dem schönsten Ebenmaß aller Glieder, kurz, so proportioniert, wie es die Zwerge nur selten sind. Seine Kleidung bestand aus einem rotsamtenen Rock, der von Gold und Silber starrte. Beim hellen Schein der Lichter funkelte das Duodez-Männchen von oben bis unten. Es besah sich im Spiegel, blickte im Zimmer umher, entdeckte endlich das Bett des Prinzen, ergriff einen Leuchter und näherte sich diesem.

Der Prinz, halb außer sich vor Schreck, wollte sich unter der Bettdecke verstecken, aber wie angezaubert lag er da, ohne die geringste Bewegung machen zu können.

Der Zwerg sah ihm starr ins Gesicht, und … er konnte nicht einmal das Augenlid schließen, um den Anblick zu entgehen. Sein Puls jagte vor Schreck in mächtigen Schlägen. Er bemühte sich zu sprechen, aber … seine Zunge war wie gelähmt. Er versuchte die Hände zu bewegen, aber … sie waren wie gefesselt.

»Steh auf«, sagte das Männchen zu ihm, »und setze die hierher!«

So schnell wie ein Pfeil war der Prinz aus dem Bett und saß neben dem Tisch.

»Nimm diesen Leuchter«, fuhr das Männchen mit etwas gebieterischer Stimme fort, »und halte ihn fest. Oder es ist dein Unglück!«

Der Prinz ergriff mit zitternden Händen den Leuchter. Ein Todesschauer durchbebte seine Glieder, als er ihn fasste. Sein Zustand war schrecklich, übertraf alle Beschreibungen. Er glaubte sich vor der Zeit schon in das Reich der Geister versetzt und die Rolle eines Dieners spielen zu müssen. Aber noch schrecklicher, noch entsetzter war der Auftritt, welcher sich nun ereignete.

Es geschah ein heftiger Knall, eine verborgene Tür sprang auf. Ein schön gekleideter Mann trat herein und wanderte mit gravitätischer Miene und abgemessenen Schritten im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor dem Prinzen stehen und setzte sich neben ihn.

»Leuchte ja ordentlich!«, sprach nun der Zwerg zum Prinzen und zeigte ihm, wie er den Leuchter halten solle, um das Gesicht des Fremden recht zu erhellen.

Ohne sich rühren zu können, saß der Prinz da, in voller Erwartung aller der schrecklichen Dinge. Die noch kommen würden. Neben ihm der Fremde, das Gesicht völlig erleuchtet.

Der Zwerg öffnete seine Taschen, zog aus der einen eine Flasche nebst einem Tuch; aus der anderen ein Besteck, Barbiermesser und ein Stück Seife, steckte jener Gestalt das Tuch vor, wetzte das Messer, schlug die Seife zu Schaum, seifte die Figur ein, auf deren Gesicht nun alle Farben des schönsten Regenbogens spielten, und nahm ihr so säuberlich den Bart ab, dass sie keine Miene verzog.

Den Prinzen peinigte der schreckliche Gedanke, dass nun die Reihe auch an ihn kommen werde. Er strengte alle Kräfte an, seinen Kammerdiener zu rufen. Aber … die Zunge schien ihm erstarrt und der Atem verschwunden.

Nun hatte der Zwerg sein Geschäft vollendet und dem Geist das Gesicht getrocknet. Kaum aber war das geschehen, so ergriff er von Neuem ein Messer und mähte mit einem einzigen Hieb den Kopf ab, dass das Blut stromweise hervorschoss und den Prinzen sowie den Leuchter ganz bedeckte. Aber das Licht erlosch nicht.

Der Prinz war mehr tot als lebendig.

Nun ergriff der Zwerg den Kopf, legte ihm den Prinzen in den Schoß und verschwand – mit ihm die ganze Erscheinung.

Der Kammerdiener trat am anderen Morgen herein, um den Prinzen zu wecken, und entsetzte sich nicht wenig, da er einen Leichnam zu erblicken glaubte; so war der Prinz entstellt.

In dicken Tropfen stand der Angstschweiß noch in seinem Gesicht. Kaum war vermögend, einige zusammenhängende Worte hervorzubringen. Alles eilte herbei. Als er wieder zu sich selbst kam, erzählte er die fürchterliche Mordgeschichte so lebhaft und bestimmt, als wäre sie wirklich geschehen. Sein Glaube an Gespenster war stärker als je zuvor.

Aber Helm belehrte den Prinzen. »Sie wissen ja, gnädiger Herr!«, sprach er, »dass es solche kleinen Menschen nicht gibt, die Sie gesehen haben. Es war ein bloßes Traumbild, das Sie ängstigte, ein Spiel Ihrer Fantasie!«

Der Prinz gab ihm zwar Recht, mied aber in Zukunft nicht nur dieses Schloss, sondern auch alle Erzählungen von Gespenstern.