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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 4

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 4

Am 28. November 1534, als gerade der Morgen dämmerte, rief die Stimme des wachhabenden Matrosen, der im Mastkorb saß, schallend über Deck: »Land in Sicht!«

Die Fahrgäste, die zum Teil noch unter Deck gewesen waren, drängten zum Vorderschiff. Hans Hauser stand mit klopfendem Herzen ganz vorn am Bugspriet. Wirklich, da hoben sich aus der Flut, die im Morgenlicht wie flüssiges Blei schimmerte, ein paar zerrissene schwarze Felsen, an denen die Brandung emporschäumte. Der äußerste Vorposten der Neuen Welt begrüßte den jungen deutschen Kaufmann finster, ja drohend. Aber das Eiland, das sich ein wenig später aus dem Wasser hob, die Insel Tobago, eine der Kleinen Antillen, bot einen lieblichen Anblick. Das blendende Weiß des Gesteins hob sich scharf gegen das Grün der zerstreuten Palmengruppen ab. Riesige Fackeldisteln krönten den Kamm der ansehnlichen Berge. Ganz anders sah diese Landschaft aus als eine europäische. Das Geschwader lief um das gebirgige Nordkap der Insel herum in das Karibische Meer.

Gegen Abend – man hatte Tobago längst im Rücken – wurde es plötzlich diesig und sehr heiß. Die untergehende Sonne färbte den Horizont in den seltsamsten Farben. Ein schwefliges Gelb herrschte vor, das an den Rändern in ein dunkles Violett überging. Der Wind war ganz eingeschlafen. Trotzdem schaukelte das Schiff in starker Dünung. Die Luft war so voll Feuchtigkeit, dass man kaum atmen konnte.

Hinnerk Klövekorn deutete mit dem Daumen zum Horizont, wo die Sonne, ein riesiger roter Ball, aus dem Nebel glühte.

»Da kriegen die Landratten wieder ihre abergläubische Angst«, sagte er zu Hans, »und meinen, die Reise ginge schnurstracks ins Fegefeuer, wo ja die meisten von ihnen auch hingehören. Was sie sich nicht alles einbilden! Vom Magnetberg faseln sie, der alles Essen aus den Schiffen zieht, vom großen Strudel im Ozean, in dessen Sog das Schiff stürzt, das ihm zu nahe kommt. Ja, so ist das, Kamerad, ersaufen kannst du allemal auf See, auch ohne Magnetberg, Strudel und solche Dinge.«

»Hast du schon einmal einen schweren Sturm erlebt?«, fragte Hans.

Klövekorn spuckte über die Reling. »Frag nicht so dumm«!

Der Kapitän erschien auf dem Hüttendeck. Einen Augenblick sah er zum Himmel und zu den Segeln, die schlaff an den Rahen hingen. Dann gebot er ruhig: »Alle Mann an Bord, alle Fahrgäste unter Deck!«

Widerwillig gehorchten die Reisenden. Man sah Hohermut mit dem Kapitän sprechen. Dann zog auch er sich in die Kajüte zurück.

In den von schwitzenden Menschen überfüllten unteren Räumen herrschte eine unbeschreibliche Luft. Dazu war es vollkommen dunkel, denn die Matrosen hatten alle Luken dichtgemacht.

»Ich bleibe an Deck«, sagte Hans und versteckte sich hinter dem riesigen Klövekorn.

Der Hamburger, merkwürdig ernst, zuckte nur die Achseln.

Die Matrosen kehrten gerade vom Dichten der Luken an Deck zurück, als mit unglaublicher Geschwindigkeit von Nordwesten pechschwarze Wolken am Horizont aufstiegen. Im Nu war der ganze Himmel bedeckt. Ein erster greller Blitz zuckte auf, dem ein furchtbarer Donnerschlag folgte. Dann prasselte der Regen nieder, ein richtiger tropischer Regen. Es goss wie aus Eimern. Rasch brach die Dunkelheit herein.

»Junge, wir bekommen schlechtes Wetter«, sagte Klövekorn zu Hans. Sie standen im Winkel der Treppe, die zum Hüttendeck hinaufführte. Dort waren sie ein wenig geschützt.

Klövekorn sah nach den Segeln, die immer noch schlaff herabhingen. Doch da kam auch schon, von einem entfernten Brausen sekundenschnell zum wilden Geheul anschwellend, aus Nord-Nord-West die erste Bö. Tief sank das Vorderschiff ins Meer wie in einen Abgrund, und eine gewaltige Sturzsee ergoss sich über Deck.

»Halte dich fest!«, warnte Klövekorn, während das wackere Schiff sich langsam wieder aufrichtete. Besorgt sah er nach den Segeln.

Die Blitze folgten einander so schnell, dass die Luft von ununterbrochenem Donner dröhnte. Mitten in den Lärm gellte die Bootspfeife. »Segel einholen!« Die Matrosen riefen einander den Befehl zu. Es war höchste Zeit, die Masten ächzten unter dem ungeheueren Druck. Mit Mühe arbeiteten sich die Matrosen an die Masten heran. Sie mussten auf dem glitschigen Deck jederzeit gewärtig sein, von einer neuen Sturzsee über Bord gespült zu werden.

Hans Hauser folgte Klövekorn, der zur Segelbedienung des Großmastes eingeteilt war.

Das Lateinsegel am hinteren Mast fiel rasch, aber die Segel an Fock- und Großmast konnten nur eingeholt werden, indem man in die Wanten stieg. Das war bei solchem Wetter ein Unternehmen auf Leben und Tod.

Gerade als Klövekorn und Hans Hauser den Großmast erreicht hatten, übergoss sekundenlang ein Blitz das Deck mit fahlem bläulichem Licht, ein Donnerschlag ließ das Schiff bis zum Kiel erzittern, und dann kam eine Bö voll furchtbarer Gewalt. Hans wurde zu Boden geschleudert. Er klammerte sich an das mittschiffs liegende Rettungsboot. Die Sturzwelle ging über ihn weg und durchnässte ihn bis auf die Haut. Es war nun stockfinster.

Plötzlich knallte es wie ein Kanonenschuss. Die vom Wind prall gefüllten Segel des Großmastes waren geplatzt. Doch dem dumpfen Schlag folgte ein Krachen, als wenn ein Baum im Sturm splittert. Der Großmast war in der oberen Hälfte gebrochen. Das Bruchstück hing, am Tauwerk gehalten, über Backbord. Sofort bekam das Schiff Schlagseite.

»Äxte!«, schrie Klövekorn. »Äxte! Jetzt geht’s ums Leben!« Er stürzte, von Hans gefolgt, die Treppe hinunter zum Steuerraum. Auch dieser war – ganz vorschriftswidrig – angefüllt mit Fahrgästen. Sie lagen in tödlicher Angst, Gebete lallend oder fluchend, seekrank auf den Planken.

»Äxte!«, brüllte Klövekorn in die Finsternis. Doch der Ruf verhallte, als hätte niemand ihn gehört. Er bahnte sich rücksichtslos seinen Weg durch die verknäulten Menschen. Es war ihm gleichgültig, ob er mit seinen schweren Seemannsstiefeln einem ins Gesicht trat oder auf Brust oder Bauch. In der hinteren Ecke des Raums war eine Kiste mit Werkzeug für den Schiffszimmermann. Klövekorn riss eine Axt heraus und gab eine andere Hans Hauser. Dann suchten sich die beiden ihren Weg zurück über die Menschenleiber. Deutlich war selbst hier unter Deck zu spüren, dass das Schiff starke Schlagseite hatte. Einen Augenblick später standen sie wieder an Deck. Vom Vorderschiff rannten ein paar Matrosen an ihnen vorbei.

»Wir kentern!«, schrien sie. »Macht das Rettungsboot klar!«

Klövekorn spuckte hinter ihnen her. »Wenn ihr man bloß heil bleibt!«

Man konnte den gebrochenen Großmast unmittelbar über den Deckplanken kappen – das kostete bei dem starken Mast viel Zeit – oder oben an der Bruchstelle.

Das ging sicher schneller, vorausgesetzt, dass man über das zerrissene Tauwerk der Wanten überhaupt noch hinaufkam. Überdies mochte Gott dem gnädig sein, der jetzt da oben in den Wanten hing bei solchem Sturm auf einem Schiff, das jeden Augenblick kentern konnte!

Das Gesicht des Kapitäns tauchte einen Augenblick aus der Dunkelheit auf. »Gut, dass ihr kommt! Sie haben sich alle verkrochen, die Lumpen.«

»Hinauf!«, schrie Klövekorn.

Wunderbarerweise stürzten die beiden nicht ins Leere. Sie kamen hinauf bis an die Bruchstelle. Dicht unterhalb der Rahe, die das Großsegel trug, war der Mast gebrochen. Das Bruchstück hing noch mit dem Stumpf zusammen, wie bei einem Baum, dem der Wind die Krone geknickt hat.

Wieder kam eine Bö. Mit Armen und Beinen krallten sie sich ins Tauwerk. Das Schiff neigte sich unter dem Druck noch mehr nach Backbord. Hans beobachtete es – seltsam zu sagen – mit einer Art Neugier. Entweder kentern wir jetzt, dachte er ganz ruhig, oder …

Das Schiff richtete sich wieder auf. Die wuchtigen Axtschläge dröhnten. Mit voller Kraft schlugen die beiden auf das weißlich schimmernde Holz der Bruchstelle. Dann fiel krachend und splitternd das Bruchstück mit der Großsegelrahe, den Segelfetzen und zerrissenem Tauwerk auf Deck. Blitzschnell waren Klövekorn und Hauser wieder unten.

»Gott lohn euch!«, schrie der Kapitän durch den heulenden Sturm.

Mit ein paar Axtschlägen kappten sie die Taue. Der Kapitän half dabei. Auch der Steuermann hatte sich eingefunden.

»Kommt her, Kanaillen!«, brüllte Klövekorn einigen Matrosen zu, die sich am Rettungsboot zu schaffen machten.

Zögernd kamen sie näher.

»Anfassen!«

Mit vereinten Kräften warfen sie das Bruchstück des Mastes über Bord.

Die Sturzsee, die einen Augenblick später über das Schiff ging, spülte einen jungen Matrosen, einen Schotten, über Bord.

»Mother«, schrie er, »mother dear!«

Man konnte ihm nicht helfen. Hans wurde von der gleichen Welle heftig an die Verschanzung geworfen. Er fühlte, wie warmes Blut ihm über das Gesicht rann.

Doch das Schiff lag wieder ohne Schlagseite im Wasser.

»Geh, mein Jung«, sagte Klövekorn, »geh man unter Deck! Hier ist nun doch einstweilen nichts mehr zu tun.«

Hans tappte zur Treppe. In stockfinsterer Dunkelheit tastete er zu Kressels Verschlag. Er fand zu seinem Erstaunen den Studenten bei Kressel.

»Wie steht’s?«, fragte Fabricius. Seine Stimme war merkwürdig rau.

»Ich glaube, das Schlimmste ist überstanden«, sagte Hans Hauser und ließ sich wie tot auf das Stroh fallen.

Der Sturm flaute so rasch ab, wie er gekommen war. Als am Morgen die Sonne strahlend aufging, erinnerte nur das immer noch wild bewegte Meer an die Schrecken der Nacht. Der Kapitän hatte wieder Segel setzen lassen, auch an dem Stumpf des Großmastes. Bald zeigte sich aber, dass Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit der »Trinidad« stark beeinträchtigt waren.

Hohermut stand mit Hutten und dem Kapitän auf dem Hüttendeck und schaute besorgt nach den beiden anderen Schiffen des Geschwaders aus. Alle atmeten auf, als nach einigen Stunden ungeduldigen Harrens die »Nuestra Señora« am Horizont auftauchte und wenig später auch die »Santa Marta«. Der Kapitän ließ kreuzen, um die beiden Schiffe an die »Trinidad« herankommen zu lassen. Die »Nuestra Señora« holte rasch auf. Sie fuhr mit vollen Segeln und schien den Sturm ohne Schaden überstanden zu haben. Auch der kleinen »Santa Marta« war nichts Ernstliches geschehen.

Gemeinsam nahmen die drei Schiffe Kurs auf das Festland. Bald kamen die vorgelagerten Inseln und die Küste der Tierra firme, das venezolanische Land, in Sicht. Die Kolonisten, die gespannt zur Küste hinüber sahen, fühlten eine leise Enttäuschung. Nirgends war eine menschliche Wohnstätte zu erkennen, völlig menschenleer schien dieses Land zu sein, nirgends sah man eine saftige grüne Wiese oder gar ein angebautes Feld. Wo war auch nur der strotzende Urwald, von dem die Altgedienten wahre Wunderdinge erzählt hatten? Zwar wiegten sich am Strand ein paar schlanke Kokospalmen im Wind, aber die Berghänge dahinter bedeckte kein grüner Wald, sondern lichter Busch, aus dem riesige Säulenkakteen aufragten. Da und dort leuchteten zwar lebhaft gefärbte Blüten hervor, aber das erhöhte nur den Gegensatz zu dem staubigen, stumpfen Grün des blattarmen Buschs.

Der Kapitän – er war seit dem Missgeschick in der Sturmnacht noch finsterer und verschlossener als vorher – erwies sich als erfahrener Pilot, der das Geschwader sicher durch die Klippen der Küste hindurchsteuerte. Zwischen der Insel Aruba und der Halbinsel Paraguana gelangten die Schiffe wohlbehalten in den Golf von Maracaibo und seine östlichste Ausbuchtung, den Golf von Coro.

Rasselnd gingen die Anker nieder. Das Ziel – das erste – war erreicht. Die Schiffe lagen auf der Reede von Coro.

Vor den Augen der Kolonisten erhoben sich, um ein steinernes Kirchlein gedrängt, ein paar armselige Hütten aus braunrotem Sand. Das Mangrovengebüsch, das sich vom Strand weit ins Meer erstreckte, ließ gerade nur den Sandfleck frei, auf dem das Städtchen stand. Hinter den Häusern erhob sich ein mit lichtem Dorngestrüpp bedeckter niedriger Hügelzug. Erst dahinter, in ansehnlicher Entfernung vom Strand, stieg das Gebirge zu größerer Höhe auf. Es war indianischer Sommer, Trockenzeit. Die Sonne brannte erbarmungslos. Das Land machte einen versengten, trostlos dürren Eindruck. Wo war der paradiesische Boden, von dem die Werber der Welser erzählt hatten, der fette, fruchtbare, der drei Ernten im Jahre bringt?

»Wehe euch«, sagte Kressel zu Hans Hauser, »wehe den Welsern, wenn ihr gelogen habt!«

Der junge Vertreter des deutschen Welthandelshauses schwieg ein wenig betreten.

Das Ausbooten begann. Kanu auf Kanu legte an den Schiffen an und brachte die Kolonisten und ihre Habe an Land. Die meisten Boote wurden von Indianern gerudert, zierlichen braunen Männern, denen das glatte schwarze Haar auf die Schultern fiel. Es waren »christliche« Caquetios und sie trugen als Zeichen der Gesittung kurze europäische Barchenthosen, die vielleicht einmal weiß waren. Auch ein paar tiefschwarze Guineasklaven tauchten auf. Sie schienen viel kräftiger zu sein als die Indianer. Mit starken Stößen trieben sie ihre Kanus durch die tiefblaue Flut. Unsäglich traurig blickten ihre großen Tieraugen. Alle trugen eingebrannt das Sklavenzeichen auf dem schweißnassen Rücken.

Martin Kressel und Hans Hauser brachten die drei Pferde, Jakob und Esau und Kressels Stute Suse, an Deck. Die Tiere blähten die Nüstern und begrüßten Licht und Sonne nach dem langen Eingesperrtsein mit lautem Wiehern. Es war nicht schwer, sie an Land zu bringen. Man drängte sie einfach vom Tiefdeck ins Wasser, und vom Instinkt sicher geleitet, schwammen sie schnaubend der Küste zu. Sie hatten rascher festen indianischen Boden unter den Füßen als Martin und Hans, die ihnen mit Fabricius im Kanu folgten.

Der Gubernator, Hutten und Federmann fuhren als Letzte an Land. Am Strand hatten alle Kolonisten geordnet in ihren drei Fähnlein Aufstellung genommen, die drei jungen Deutschen, der Kaufmann, der Student, der Bauer nebeneinander. Das Gefühl, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, beglückte sie. Voll Mut und Zuversicht sahen sie in die Zukunft.

Gerade als das Kanu mit den Führern den Strand berührte, nahte sich von der Stadt her ein kleiner Zug. Bischof Bastidas, der Seelenhirt der Diözese Coro, schritt im priesterlichen Ornat an der Spitze. Es folgten einige spanische Kolonialbeamte, darunter der würdige, stockblinde Schatzmeister, dann der Häuptling oder – »Kazike«, wie die Spanier zu sagen pflegten – der christlichen Caquetios, merkwürdig genug anzusehen in seiner halb europäischen, halb indianischen Kleidung, endlich der Leiter der Welserischen Faktorei in Coro, Melchior Grubel.

Bischof Bastidas schritt auf Hohermut zu und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn. »Gesegnet seist du, der da kommt im Namen des Herrn!«, rief er laut.

Gewaltiger Jubel brach los. »Vivat Hohermut! Vivat Hutten!«, schrien die Kolonisten. Dünn riefen ein paar Stimmen dazwischen: »Vivat Federmann!«

Dann zelebrierte Bischof Bastidas an einem rasch errichteten Feldaltar – die Kirche hätte die Menge nicht gefasst – ein feierliches Hochamt.

Coro, die vor sieben Jahren gegründete Hauptstadt Venezuelas, des Welserlandes, war nach dem Muster der spanischen Kolonialstädte angelegt. Um die »Plaza«, wo die steinerne Kirche stand – das erste Bauwerk, das errichtet worden war – lagen die öffentlichen Gebäude: das Stadthaus, die Häuser des Gouverneurs, des »Adelantado«, und des Bischofs, alle drei schlichte, einstöckige Steinhäuser. Strahlenförmig gingen von der »Plaza« die Straßen aus, an denen die dürftigen Hütten standen, die gleichsam in Eile und nicht für die Dauer gebaut schienen. In den Straßen versank man knöcheltief im Sand.

An den Abhängen der Hügel, die die Stadt begrenzten, waren ein paar Felder angelegt, wo »Indianerkorn« (Mais) gezogen wurde, auch Maniok, das nützliche Gewächs, aus dessen Wurzeln die Ansiedler bald nach Indianerart ein recht schmackhaftes Mehl zu gewinnen gelernt hatten – man buk ein haltbares Brot daraus, das sogenannte Cassavebrot sowie Bataten, die süßen Kartoffeln. Ein Versuch, Baumwolle zu ziehen und Zucker anzupflanzen, war über die ersten Anfänge noch nicht hinausgekommen.

Jetzt quoll das Städtchen über von Menschen. Kressel ging sofort daran, mit Hans Hausers und Fabricius’ Hilfe eine Hütte zu bauen, groß genug, sie alle drei aufzunehmen, und einen Verschlag für die Pferde. Auch Hinnerk Klövekorn half beim Bau, nicht viel allerdings, »denn das ist keine Seemannsarbeit«, meinte er. Die Arbeit war schwierig genug. Es mangelte an Arbeitsgerät und an Baustoffen. Die wenigen Kokospalmen, die am Strand standen, waren bald den Äxten zum Opfer gefallen. Der Busch mit seinen Kakteen, Agaven, Lorbeer- und Mimosenbäumen lieferte höchstens Material, um das Dach zu decken. So mussten die drei von weither Steine zusammentragen. Zum Glück war Trockenzeit, doch kündigte sich die Regenzeit bereits durch gelegentliche Gewitter an.

Eines Tages gesellte sich zu den vieren ein alter Indianer, ein Caquetio, der auch ein wenig Hand anlegte, nachdem ihm Hans Hauser drei Messingknöpfe geschenkt hatte, die den Alten in einen wahren Taumel des Entzückens versetzt hatten. Er trug sie seitdem an seinem Lendenschurz, stolz wie daheim die vornehmen Herrn ihre Ordenssterne.

»Der war gewiss schon ein erwachsener Mann«, meinte Fabricius, den Alten musternd, »als Christoph Kolumbus anno 1492 die Neue Welt entdeckte.«

Sicherlich war der alte Nepomuk einer der Ersten, die in der Kirche der neugegründeten Siedlung Coro getauft worden waren. Seinen alten indianischen Namen hatte er vergessen. Wenn man ihn fragte, wie er heiße, antwortete er mit Würde: »Don Juan Nepomuceno.« Niemals vergaß er den »Don«. Seit er getauft war, sah man ihn immer in der Kirche, wenn Bischof Bastidas die Messe las, aber auch viel in der Schenke »Zu den drei Meermädchen«, die ein auf abenteuerliche Weise nach Coro verschlagener Engländer führte. Fiel auch die Hilfe des Indianers kaum ins Gewicht, so hatte die gemeinsame Arbeit doch das Gute, dass Hans Hauser und Fabricius rasch und recht gut das Aruak erlernten, die Sprache, die die Indianerstämme Venezuelas bis weit in die Llanos hinein sprechen.

Höchst drollig war die Scheu des Alten vor den Gäulen. Er nannte sie »Hirschungeheuer« und ging immer in großem Bogen um sie herum. Hatte er in den sieben Jahren seit der Besiedlung Coros auch schon manches Pferd gesehen, die alte Indianerangst vor den riesigen Vierbeinern steckte ihm doch noch tief im Blut, und noch niemals hatte er eines der schrecklichen Tiere berührt. Einmal überredete ihn Hans mit Mühe, dass er Kressels Stute ein paar Maiskörner auf der flachen Hand reichte. Doch als der Rappe vor Freude und Fressgier wieherte, erschrak der Indianer so entsetzlich, dass er buchstäblich auf den Rücken fiel.

Hans Hauser und Klövekorn lachten unbändig.

Fabricius aber blieb nachdenklich. »Ihr solltet nicht lachen«, meinte er. »Was würde wohl aus uns weißen Männern werden hier in der Neuen Welt, wenn wir nicht zwei Dinge besäßen, die die Indianer nicht haben: Feuerwaffen und Pferde? Nimmermehr hätten Cortez und seine kleine Schar Mexiko erobert und das Reich des Kaisers Montezuma mit seinen Festungen, seinen riesigen Städten und gewaltigen Tempeln zerstört, wenn die Spanier nicht ein paar Arkebusen und sogar zwei kleine Kanonen mitgeführt hätten und dann diese schrecklichen ›Hirschungeheuer‹, vor denen sich die Indianer so maßlos entsetzten.«

»Und dann die Hunde«, versetzte Hans Hauser, »die weißen Pumas, wie die Indianer sagen. Eigentlich scheußlich, dass wir die Indios mit Pferden und Hunden hetzen wie daheim in Deutschland die Fürsten und großen Herren das Wild.«

Der alte Indianer hatte sich inzwischen einigermaßen von seinem Schrecken erholt. Hans Hauser schenkte ihm zum Trost noch einen Knopf. Doch der Indianer war nicht zu bewegen, sich noch einmal dem schnaubenden Ungeheuer zu nähern.

Eines Tages verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, dass an der Ostküste der Halbinsel Paraguana, nicht weit von der Siedlung, an einer bis dahin noch nicht bekannten Stelle, Perlen gefunden worden seien. Die Ansiedler wurden wie vom Fieber ergriffen bei dieser Nachricht. Schon am nächsten Tag zogen sie in Scharen aus, um Perlen zu suchen. Auch Hans Hauser schloss sich ihnen an. Bei glühender Hitze zog er stundenweit mit den Perlenfischern über die sandige Halbinsel, um die perlengesegnete Ostküste zu erreichen. Das Perlenfischen war ein mühsames und der vielen Haie wegen höchst gefährliches Geschäft. Hans kamen dabei seine im Bodensee erworbenen Schwimm- und Tauchkünste sehr zustatten. Unverdrossen warf er sich ins Wasser und brachte die grauen, unscheinbaren Muscheln an die Oberfläche, die sich allmählich zu Bergen häuften. Die Ausbeute war nicht groß. Aus vielen Hundert Muscheln, die er mit Mühe öffnete, erbeutete Hans fünfundzwanzig kleine und ein Dutzend größere, fast erbsengroße Perlen. Als er am Abend wieder heimwärts zog, sausten ihm die Ohren. Die Perlen aber nähte er in sein Hemd. Damals ahnte er noch nicht, dass sie, in ein Kettlein gefasst, einmal den Hals eines Konstanzer Mädchens schmücken würden, das er zum Altar in das Münster führte.

In der übervölkerten Stadt wurden die Lebensmittel knapp. Solange die Schiffe noch auf der Reede lagen, konnte man von den Vorräten zehren. Aber dann sperrten die Proviantmeister rücksichtslos ihre Räume, und eines Tages rüsteten die Schiffe zur Heimfahrt.

Am Abend vor der Ausfahrt erschien Hinnerk Klövekorn in der Hütte bei Hans Hauser, Fabricius und Kressel. »Ich möchte Abschied nehmen«, sagte er und reichte ihnen die Hand.

»Leb wohl, Hinnerk Klövekorn!«

Sie begleiteten ihn zum Strand und er ließ sich von einem Indianer zum Schiff rudern.

»Grüß mir Blankenese!«, rief Hans Hauser ihm nach.

»Viel Glück im indianischen Land!«, rief Klövekorn zurück.

Die Schiffe lichteten die Anker und waren bald am Horizont verschwunden. Zwischen den drei jungen Deutschen und der Heimat war das letzte Band zerrissen. Hinnerk Klövekorn aber sahen sie niemals wieder.

Allmählich wurde der Lebensmittelmangel zur Hungersnot. Zwar wuchsen im Busch Früchte aller Art, darunter herrliche und ganz unbekannte, die den dreien prächtig schmeckten, wie die Ananas, die Melone, der Breiapfel. Man fand auch da und dort den merkwürdigen Kuhbaum, dessen Saft wie Milch schmeckt. Doch das alles reichte nicht aus. Der Mangel an Mehl und Fleisch wurde immer fühlbarer. Gab es doch kaum jagdbares Wild in der Nähe der Siedlung.

Hohermut konnte nicht verhindern, dass die hungernden Ansiedler Raubzüge in das Innere des Landes unternahmen. Die Räuber pflegten in der Dunkelheit ein Indianerdorf – »Pueblo« sagten die Spanier – zu umstellen und bei Tagesanbruch über die ahnungslosen Eingeborenen herzufallen. Beladen mit Maniokmehl, Mais und Fleisch kehrten sie an die Küste zurück.

Oft aber brachten sie nicht nur Lebensmittel heim, sondern auch Indios, grausam gefesselt, Männer und Frauen. Wohl galt das Gesetz, dass nur solche Indianer zu Sklaven gemacht werden durften, die sich der Bekehrung zum rechten Glauben hartnäckig widersetzten oder die Waffen gegen ihre weißen Gebieter erhoben. Hohermut hatte es von Neuem unter Trompetenschall verkünden lassen. Wer aber konnte sagen, wie es bei diesen nächtlichen Überfällen zuging? Und sollten sich die armen Indios etwa nicht wehren, wenn die Weißen über sie herfielen wie die Wölfe. So traf die Gefangenen fast immer das Los der Sklaverei. Es war ein gräuliches Schauspiel, wenn der Profos auf der Plaza die Unglücklichen brandmarkte, dass das Geschrei der Gemarterten die Luft erfüllte.