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Der Teufel auf Reisen 20

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 4
Abenteuer auf dem Lande

Inzwischen waren die beiden Reisenden an dem Gasthof angelangt, der von dem überall Bescheid wissenden Schwefelkorn als Absteigequartier ausgewählt worden war. Mit einer höchst würdigen Miene, hinter welcher er auf das Geschickteste seine eigentliche Natur zu verbergen verstand, stieg er aus und unser Philosoph folgte ihm mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, denn leider müssen wir nochmals bemerken, dass der Letztere in dieser zweideutigen Gesellschaft bereits so weit alle Scham abgelegt hatte, dass er an den Teufeleien seines Gefährten offenen Gefallen fand.

»Mein lieber Doktor«, begann der falsche Baron, als sich jetzt beide in einem hübschen Salon bei einer Flasche Wein allein befanden. »Einige kleine Umwandlungen werde ich mit Ihnen allerdings noch vornehmen müssen, um Sie mit Erfolg als meinen Neffen bei Herrn von Bergheim einzuführen. Zunächst halte ich es für angemessen, dass Sie mindestens um zehn Jahre jünger aussehen, denn, nichts für ungut, aber Sie beginnen bereits ein ziemlich alter Bursche zu werden. Bereits zeigen sich verschiedene kahle Stellen auf Ihrem mit Weisheit ausgefütterten Haupt und die Kupferflecke in Ihrem Gesicht geben Ihnen ein gewisses unsolides, an den zu starken Genuss von Rotwein erinnerndes Aussehen.«

»Na wahrhaftig«, rief Schwalbe etwas gereizt, »am Ende werden Sie mir noch eine Fastenpredigt halten. Von Ihnen hätte ich doch am wenigsten erwartet, dass Sie mir das Beste, was der Mensch hat, das Essen und Trinken, zum Vorwurf machen würden.«

»Fällt mir gar nicht ein«, bemerkte Schwefelkorn, »niemand hasst mehr als ich diese nüchternen Naturen, welche es aus Furcht vor der Sünde stets streng vermeiden, die Lippen auch einmal an den Becher der Freude zu setzen, und die vor lauter Moral zuletzt wie altes Leder zusammenschrumpfen. Nein, mein Lieber, nur verjüngen will ich Sie in Ihrem eigenen Interesse. Und zu diesem Zweck werde ich mir erlauben, Sie vor dem Schlafengehen mit einer Salbe einzureiben, die ich selbst in manchen Fällen anwende.«

Während der Baron so sprach, horchte unser Philosoph schon seit einer Minute nach dem Kamin hin, in dessen Nähe beide saßen.

»Hören Sie denn nichts?«, fragte Schwalbe, und spitzte von Neuem die Ohren.

»Was gibt’s denn?«

»Ich glaube, hier im Kamin befindet sich ein Nest junger Katzen. Da, jetzt quietscht es abermals!«

»Hm, hm«, brummte der Teufel und zog plötzlich ein langes Gesicht. »Dass ich auch so ein Esel war, mich als Gaul in den Ehestandskarren spannen zu lassen!«

Nun lachte der Doktor hell auf. »Ich glaube, Sie phantasieren?«

»Durchaus nicht, lieber Freund, ich werde Ihnen das später erklären. Jetzt wollen wir zunächst den kleinen Burschen, der hier im Rauchfang ein solches Spektakel macht, herauslassen.«

»Was für einen kleinen Burschen ?«

»Nun, meinen Ältesten, Sie sollen gleich seine Bekanntschaft machen.« Herr von Schwefelkorn trat mit diesen Worten an den Kamin, schob die Wand, welche die Öffnung desselben verschloss, hinweg und rief mit zärtlicher Stimme:

 

»Komm heraus, Samielchen, du Wetterjunge!«

Sogleich erschien ein kleiner Teufel mit Schweif und Hörnern, welcher sehr vergnügt um sich blickte.

»Ei, Samielchen, was trägst du denn da in den Armen?«, fragte der Papa.

»Das ist ein alter Kater, den ich unterwegs eingefangen und das Genick umgedreht habe«, antwortete der junge hoffnungsvolle Beelzebub grinsend.

»Zum Totlachen!«, rief Schwefelkorn, »was der Schelm doch für Streiche im Kopf hat. Und wie bist du hierhergekommen, mein Söhnchen?«

»Auf Großmutters Besen. Es hatte ja Eile.«

»Dachte ich es doch«, brummte der falsche Baron, »sie hat es mit meinem Vater nicht besser gemacht.«

»Nun, was bringst du?«, fragte er laut.

»Du sollst gleich nach Hause kommen, Papa.«

Der Teufel zog eine boshafte Grimasse. »Samielchen«, flüsterte er, »ich bringe dir auch ein hübsches Spielzeug mit, wenn du schön folgsam bist.«

»Ja, Papa.«

»So setze dich flugs wieder auf den Besenstiel und kehre zu Mama zurück. Sage, ich könnte nicht kommen. So ein Schelm hätte mich eben hinterlistig bei den Hörnern gefasst und hielt mich fest.«

»Hi, hi!« Der Kleine lachte. »Ich weiß schon, es ist dir am wohlsten, wenn du von Mama so weit wie möglich fort bist. Na, ich werde es bestellen, aber vergiss das Spielzeug nicht.«

»Wie gefällt Ihnen der Junge?«, fragte Schwefelkorn, nachdem er die Öffnung des Kamins, durch welche Samiel geschlüpft war, wieder verschlossen hatte.

»Hm, nicht übel, man muss sich nur erst an seinen Anblick etwas gewöhnen.«

»Nicht wahr, er hat ein allerliebstes Pferdefüßchen und die Hörner … Ich bin ganz stolz auf den kleinen schwarz angelaufenen Racker! Verliebte Gedanken kommen ihm auch schon, und jetzt eben schleicht er um das Gretchen herum, welches der leichtsinnige Faust verführte.«

»Aber was wollte er denn eigentlich?«

»Die Sache ist die, dass meine Frau sehr eifersüchtig ist und sich einbildet, dass ich mir mit Fräulein Judith, der Tochter des Herrn Holofernes, die gerade jetzt auch auf einer Reise begriffen ist, ein Rendezvous auf dem Blocksberg geben will. Sie sehen also, die Frauen sind überall dieselben, sie quälen uns arme Männer wie sie können und jetzt, wo sie der Emanzipation mit vollen Segeln zusteuern, ist es vollends nicht mehr zum Aushalten. Ich kann kaum mehr die Kosten für die Garderobe meiner Ehehälfte erschwingen. Dabei muss man noch ein freundliches Gesicht machen, sonst hält man es gar nicht aus. Erst vor Kurzem hat sie mir so lange zugesetzt, bis ich ihr bei unserem Hofschneider ein Kleid mit kostbarem Basiliskenbesatz bestellte und ihr einen Schmuck aus Drachenzähnen kaufte. I, das ist ja gar nicht zum Aushalten, wo soll denn schließlich alles herkommen!«

»Geschieht Ihnen schon recht. Weshalb haben Sie es nicht so wie ich gemacht und sind ledig geblieben«, warf Schwalbe lachend ein.

»Das sagen Sie so. Man hat ebenfalls seine schwachen Stunden und nachher muss man wohl des Anstandes halber gute Miene zum bösen Spiel machen. Denken Sie sich nur, Sie erinnern sich doch, dass sich jedermann erst vor Kurzem hier auf Erden einbildete, es sei eine Sonnenfinsternis eingetreten.«

 

»Allerdings. Man hat dieselbe ja an verschiedenen Punkten wissenschaftlich beobachtet.«

»Nun, da will ich Euch gleich den Beweis liefern, wie kurzsichtig Ihr Leutchen seid. Das war eben die Zeit, wo auch bei uns bei den Damen die breiten Schärpen mit den Riesenrosetten aufkamen. Meine Frau hatte nun den Einfall, sich in diesem Kostüm gerade vor die Sonne zu stellen und verdunkelte dieselbe dadurch dermaßen, dass eine totale Finsternis eintrat.«

Schwalbe lachte. »Von wem ist denn aber dieser unerhörte Luxus bei Ihnen in Schwung gebracht worden?«, fragte er.

»Na, ich will es Ihnen nur sagen«, flüsterte Schwefelkorn, »Ihre Majestät die Kaiserin Luzifer ist an allem schuld.«

»Partout comme chèz nous!«, meinte der Doktor. »Im Übrigen, werter Freund, versuchen Sie nur nicht, sich zu rein zu waschen. Wenn man Ihre Frau Gemahlin hörte, so würde dieselbe wohl auch gegen Sie so manches vorzubringen haben.«

»Schon gut, schon gut«, rief Schwefelkorn plötzlich sehr kleinlaut, »es wird wohl am besten sein, wenn wir das Thema abbrechen. Man hat freilich mitunter auch so seine kleinen Passionen, doch wie gesagt … na, ein bisschen brummen muss man, sonst wäre es gar nicht zum Aushalten.«

»Erlauben Sie, dass ich auf das Wohl Ihrer Gattin mit Ihnen anstoße«, sagte Schwalbe galant.

»Sie sind sehr liebenswürdig, ich danke Ihnen bestens. Oh, sie ist noch immer eine höchst interessante Frau und bei der letzten Versammlung auf dem Blockberg wurde ihr von allen Seiten der Hof gemacht.«

»Wenn es Ihnen nun recht wäre, mich einzureiben? Ich fühle mich doch etwas ermüdet.«

»Ich stehe sofort zu Diensten. So! Jetzt legen Sie sich nur ruhig zu Bett, morgen sind Sie um zehn Jahre jünger.«

»Gute Nacht also, mein Bester.«

»Schlafen Sie recht wohl.«

Zehn Minuten darauf lag unser Philosoph in seinem Bett. Schwefelkorn trat an den Kamin und verrammelte denselben sorgfältig.

»In ihrer Eifersucht wäre sie imstande, selbst zu kommen«, murmelte er, »und da will ich ihr doch einen Riegel vorschieben.«

Hierauf suchte er ebenfalls sein Lager und schnarchte bald mit Schwalbe um die Wette.

 

Am anderen Morgen machten sich die beiden Herren schon früh auf den Weg zum Schloss. Schwefelkorn hatte ein elegantes Reisekostüm angelegt. Ein breiter Panamahut, sehr feine weiße Wäsche, Schuhe mit Gamaschen und eine Brille mit Goldgestell verliehen ihm ein wahrhaft nobles Ansehen. Schwalbe dagegen erschien schon mehr salonmäßiger und sah ebenfalls ganz gut aus.

»Sie wissen nun«, sagte sein Begleiter, »dass ich als Herr von Florheim auftrete und ich Sie als Herr von Brendel einführe. In meiner Eigenschaft als Naturforscher und Botaniker wird mein Kostüm einen guten Eindruck machen und die beabsichtigte Täuschung noch erhöhen. Ihnen gebe ich den Rat, sich möglichst passiv und beobachtend zu halten, denn die beiden Töchter des Freiherrn sind bereits so gut wie verlobt. Überdies wird Ihnen der einfältige Bruder des Barons Stoff genug zu aufheiternder Unterhaltung liefern.«

Unter diesen, der Lage angemessenen Bemerkungen fuhren unsere Bekannten in den Schlosshof und hielten bald vor der breiten Rampe des Hauses. Der Freiherr mochte sie wohl schon am Fenster erwartet haben, denn er eilte sogleich herbei und streckte schon von Weitem dem vermeinten Freund seine Hände entgegen.

»Seien Sie mir herzlich willkommen, nach einer Trennung von fünfundzwanzig Jahren«, rief er. »Mein Gott, was doch die Zeit die Menschen verändert! … Es bedarf wirklich aller meiner Jugenderinnerungen, um Sie wiederzuerkennen! … Doch nein, je mehr ich Sie anblicke, desto mehr finde ich mich auch wieder zurecht, – hier diese Schmarre über dem Auge, welche Sie sich einst auf der Mensur holten, dieser Zug um Ihren Mund, das Aufblitzen Ihres Auges. In Wahrheit, es ist noch alles dasselbe, der Grundton wenigstens, wenn auch in den Einzelheiten Umgestaltungen vorgegangen sind!« Mit diesen Worten zog er nochmals Schwefelkorn an die Brust, welcher, über seine Schulter gebeugt, zwar etwas grinste, sonst aber doch seine Rolle vortrefflich spielte.

»Die Sonne der Tropen«, antwortete er, »hat auch etwas dazu beigetragen, mich unkenntlich zu machen. Aber mein Herz ist unverändert geblieben und ich preise mich glücklich, dass ich den geliebten Freund nach so langer Trennung wieder ans Herz drücken kann.«

Nun reichte der Freiherr auch Schwalbe die Hand. »Sie würden mir ohnedem willkommen gewesen sein«, sagte er mit gewinnender Herzlichkeit, »aber als der Neffe meines Jugendgenossen sind Sie es selbstverständlich doppelt. Und nun kommen Sie, meine Herren, damit ich Sie meiner Familie vorstelle, welche ebenfalls danach verlangt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Die Herren traten in den Salon, wo man sie bereits erwartete.

»Leutnant von Reingold – Leutnant von Felsen, beide von den Husaren«, sagte Herr von Bergheim vorstellend, »meine Tochter Clementine- meine Tochter Marianne – mein Bruder Gottfried – Herr von Sonnenberg – Fräulein Jenny Hofrichter.«

»Direktor der Gesellschaft zum Anbau inländischer Tabake«, fügte Onkel Gottfried mit einer steifen Verbeugung hinzu, indem er sich dabei in die Brust warf.

»Ach ja«, lächelte der Freiherr ironisch, »bald hätte ich die Hauptsache vergessen.«

»Ich habe von diesem großartigen Unternehmen bereits in Südamerika durch die Zeitungen Nachricht erhalten«, bemerkte Schwefelkorn mit dem ernstesten Gesicht, »kann man sich vielleicht noch an der Aktienzeichnung beteiligen?«

»Bedaure sehr, ist bereits alles vergriffen«, erwiderte der Tabaksdirektor, indem er den Kopf stolz zurückwarf, während ein spöttisches Lächeln auf den Lippen der Anwesenden schwebte, was aber Onkel Gottfried nicht im Entferntesten zu bemerken schien.

Wir haben dieselben den Lesern zwar bereits flüchtig vorgeführt, eine solche Vorstellung würde aber eine nur sehr unvollkommene sein. Zum näheren Verständnis der folgenden Ereignisse möge man uns daher gestatten, auf die Details etwas näher einzugehen. Der Freiherr hatte, wie gesagt, ein einnehmendes edles Gesicht, und trotz seiner sechzig Jahre verriet seine Haltung noch Kraft und Gesundheit. In seinem Wesen lag die höchste Einfachheit, aber diese fesselte um so mehr, da sich damit die feinsten Manieren, die liebenswürdigste Offenheit, die zuvorkommende Gastfreundschaft verbanden. Seine älteste Tochter Clementine war eine Schönheit, wie sie nur unter dem Himmel Deutschlands oder tief im Norden heranreift. Ein edelgeformter Körper, dem es an Fülle und Weiche nicht mangelte, machten sie zu einer außergewöhnlich anziehenden Erscheinung. Ein paar große, mildblickende tiefblaue Augen, in welchen sich Herzensgüte, Verstand und doch wieder Charakterfestigkeit abspiegelten, verliehen dem Ausdruck ihres Gesichts einen Zauber, der durch den keuschen Schimmer der Weiblichkeit, welcher sich darüber ausbreitete, nur noch erhöht wurden dichtes blondes Haar von der untadelhaftesten Farbe, fiel zu beiden Seiten an ihren Schläfen in Scheiteln herab und diente einer Stirn als Einfassung, deren feine Wölbung Geist und Würde verriet. Marianne war kleiner als Clementine, und wenn man füglich die Letztere mit einer Diana oder Juno vergleichen konnte, so durfte die Erstere auf den Namen einer Psyche Anspruch machen. Eine ätherische Gestalt, in allen Teilen fein und subtil, fehlte es ihr doch nicht an zarter Rundung und graziöser Biegsamkeit. Jede ihrer Bewegungen war sanft, leicht und von einer Anmut begleitet, die einen unendlichen Liebesreiz über sie verbreitete. In ihren schönen schwarzen Augen sprach sich eine Güte aus, die eine tiefergreifende Wirkung ausübte, wenn sich ihre langen Wimpern öffneten und diese seelenvollen Augen in ihrer ganzen Größe als zwei sanft strahlende Sterne hervortraten. Mit einem Wort, ein einziger Blick genügte, um das Herz, welches diesem Körper Leben gab, in seiner ganzen Milde, in seiner keuschen Empfänglichkeit, in seiner reichen Gefühlsfülle zu erkennen.

Fräulein Jenny, wie die dritte Dame genannt wurde, stand zu der Familie in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis, sondern war eigentlich nur ein Vermächtnis, welches der Freiherr von seiner dahingeschiedenen Gattin übernommen hatte. Die Mutter Jennys war eine Jugendfreundin derselben gewesen. Als sie starb, hatte sie der Baronin das Versprechen abgenommen, sich ihres kaum erst fünfjährigen Kindes als eine zweite Mutter annehmen zu wollen. So war sie als ein junges Mädchen in das Schloss gekommen und dort erzogen worden. Jenny schien aber ihre Stellung gänzlich zu verkennen, sie wollte die Erste sein, wo sie sich hätte damit begnügen sollen, in der Familie den letzten Platz einzunehmen. Sie war hochmütig, rücksichtslos, herrschsüchtig und entwickelte schon frühzeitig ein Talent zur Intrige, zur Gewissenlosigkeit und Gefallsucht. Oft musste sie von der ernsten Clementine zurechtgewiesen werden, und die sanfte Marianne weinte manche Träne im Stillen um sie. Schon mehrere Mal hatte der Freiherr den Versuch gemacht, sie als Erzieherin unterzubringen, aber Jenny barg in ihrem Herzen ganz andere Pläne. Sie wollte ihre Zeit abwarten, um dieselben zu verwirklichen. Deshalb strengte sie jedes Mal, wenn sich ein solches Gewitter über ihrem Haupt zusammenzog, ihre ganze Verstellungskunst an, um teils durch erkünstelte Tränen, teils durch die Berufung auf ihre schutzlose Lage, den Entschluss des Freiherrn wieder rückgängig zu machen. Jenny war ebenfalls schön, sie hatte einen schlanken üppigen Wuchs, eine verführerische Stimme, ein paar dunkle braune Augen, die kokett umherstreiften, einen kleinen üppigen Mund, endlich volles schwarzes Haar, das sie á la Valois aufgekämmt trug, weil sie wusste, dass sie hierdurch noch verlockender erschien. Das Schlimmste war aber, dass Jenny gar kein Hehl daraus machte, dass sie eine Kokette war und sie nur auf eine Gelegenheit wartete, dies auch praktisch zu zeigen. Diese Gelegenheit fand sich, als der Bruder des Freiherrn, welcher bisher ein herumschweifendes Leben in der Residenz und in den Bädern geführt hatte, nun den größten Teil des Jahres auf dem Gut zubrachte. In der Residenz galt er unter seinen Bekannten allgemein für einen sehr beschränkten Kopf, doch fehlte es ihm nicht an ehrgeizigen Neigungen, an Eitelkeit und einer tüchtigen Portion Eigenliebe, dem gewöhnlichen Zeichen der Schwachköpfigkeit. Jenny begann den alten Junggesellen zu studieren und nach Verlauf einiger Wochen war sie mit ihrem Plan im Reinen. Sie erblickte plötzlich ein Mittel, aus dieser ihr so verhassten untergeordneten Stellung herauszukommen. Ihr Herz klopfte vor wilder Lust, wenn sie sich aus dieser Einsamkeit fort dachte und ihre Phantasie sie mitten in das Geräusch der großen Welt führte, schwelgend in allen Genüssen des Luxus , umgeben von jedem Komfort, unabhängig und in nichts gezügelt in ihren Neigungen und Handlungen. Um dies zu erreichen, bedurfte sie gerade eines Dummkopfes, der zugleich auch im Besitz genügender Mittel war, und hierzu hatte sie den Bruder des Freiherrn ausersehen. Mit einer Geschicklichkeit, die einen tief durchdachten Plan verriet, ging sie dabei zu Werke, aber mit inniger Freude sah sie auch die Fortschritte, welche sie machte. Ehe sechs Monate verflossen waren, hatte sie Onkel Gottfried so umstrickt, dass sie sich ihrer unbedingten Herrschaft über ihn bewusst war. Nun warf sie die nur mühsam getragene Maske ab und trat stolz und hochmütig den Töchtern des Freiherrn entgegen. Sie wusste nunmehr, wo sie Schutz fand. So war von nun an die Fackel der Zwietracht plötzlich in eine Familie geschleudert, die unter anderen Umständen in harmonischer Eintracht gelebt haben würde. Es war eine Schwäche des Herrn von Bergheim, vor den Angriffen einer Person zurückzuweichen, die ihm so vieles verdankte, aber sein weiches gefühlvolles Herz wollte es nicht bis zum gänzlichen Bruch mit dem Bruder kommen lassen. So begnügte er sich damit, eine strenge Zurückhaltung zu beobachten, sich in nichts einzumischen, was ihn nicht unmittelbar selbst berührte, und sich dagegen desto inniger an seine beiden Töchter anzuschließen.

Fräulein Jenny hatte inzwischen die vorteilhafte Stellung, zu der sie sich emporgeschwungen, auch nach einer anderen Seite hin nicht unbenutzt gelassen. Sie war es müde, ihr Leben auf einem Dorf zu verbringen. Sie fand kein Behagen daran, sich in solche Einsamkeit zu begraben. Sie wollte ihr Lebensglück nicht länger »den Launen anderer« opfern. Das fand Onkel Gottfried sehr natürlich. Von nun an verging keine Woche, wo er nicht mit dem jungen Mädchen einige Tage in der Residenz zubrachte. Auch dies ignorierte Herr von Bergheim, weil er sich nun einmal vorgenommen hatte, sich nicht in die Angelegenheiten seines Bruders einzumischen und also den Sachen ihren Lauf zu lassen. Auf das Unangenehmste wurde er aber berührt, dass der Letztere eines Tages einen Gast mit zum Schloss brachte, den er als seinen speziellen Freund vorstellte und der sich zugleich als ein entfernter Verwandter der Familie zu erkennen gab. Mit dieser Verwandtschaft hatte es allerdings seine Richtigkeit. Allein bei näherer Nachforschung seitens des Freiherrn ergab sich aber auch, dass Herr von Sonnenberg nichts anderes als ein zweideutiger Abenteurer war, denn leichtsinnige Streiche hatten ihn schon früh aus der Heimat vertrieben. Die nachteiligsten Gerüchte waren über ihn verbreitet worden und zuletzt hatte man ihn nur in zweideutiger Gesellschaft gesehen. Nachdem er indessen einige Jahre umhergeschweift war, trat er plötzlich in der Residenz wieder auf und fing dort an, äußerlich einen gewissen Luxus zu entwickeln welcher bei Herrn von Bergheim um so größere Bedenken erregte, da er wusste, dass er sein kleines Vermögen schon früher bis auf den letzten Heller vergeudet hatte. Der Freiherr wachte mit Sorgfalt über der unbefleckten Ehre seines Namens und erzitterte bei dem Gedanken, dass er vielleicht früher oder später durch einen Menschen von so zweideutigem Ruf kompromittiert werden könnte, denn Erkundigungen, die er im Geheimen eingezogen hatte, brachten ihm längst die Gewissheit, dass dieser Sonnenberg ein Spieler von Profession war, dass er sich auf diesem Wege die Mittel verschaffte, ein scheinbar glänzendes Leben zu führen und dass er in enger Verbindung mit einigen sehr übelberüchtigten Leuten stand, die mit jungen Wüstlingen und Verschwendern unredliche Wechselgeschäfte machten und sich mit industriellen Unternehmungen befassten, welche sie schon mehr als einmal mit dem Kriminalgericht in nähere Berührung gebracht hatten.

Herr von Sonnenberg verstand es indessen, wie gesagt, äußerlich durch sein Auftreten zu imponieren. Wo dies nicht wirken wollte, suchte er sich durch Dreistigkeit und Unverschämtheit fortzuhelfen. Eines Abends hatte er die schöne Jenny mit Onkel Gottfried im Theater bemerkt. Er betrachtete ihr reizendes Lächeln und dann wieder ihre strenge, stolze Zurückhaltung. Er ließ endlich auch Onkel Gottfried die Revue passieren, welcher sich nach Kräften bemühte, den galanten Ritter zu spielen, der sich aber im Grunde höchst beklagenswert mit seiner kurzen, fast an Wohlbeleibtheit grenzenden Gestalt, mit seinem nichtssagenden Gesicht, mit seinem grauen Kopf neben dieser in aller Frische der Jugend prangenden Hebe ausnahm.

Herr von Sonnenberg ging sehr nachdenklich nach Hause und allerhand Pläne schienen sich in seinem Kopfe zu kreuzen. »Damit könnte man sich wieder auf die Beine helfen«, murmelte er, als er sich langsam entkleidete und in den seidenen Schlafrock schlüpfte. »Das wäre ein Kapital, welches seine reichlichen Interessen abwerfen würde, wenn man es gehörig zu benutzen verstände. Und vielleicht lässt sich dabei auch noch ein anderes einträgliches Geschäft machen! … Meine Einnahmen gehen zu Ende, der Landsknecht wirft seit einiger Zeit fast nichts mehr ab, und wenn ich nicht bald auf neue, außergewöhnliche Hilfsmittel denke, so wird mir nichts anderes übrig bleiben, als diese schöne behagliche Existenz aufzugeben und wieder zu dem früheren Leben eines armen Schluckers zurückzukehren.«