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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl – Rübezahl und der Glashändler

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Rübezahl und der Glashändler

Eines Tages sonnte sich Rübezahl an der Hecke seines Gartens, als ein Weiblein daherkam, das seine Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte ein Kind auf dem Arm, eins trug sie auf dem Rücken, eins führte sie an der Hand, und ein etwas größerer Knabe ging nebenher und trug einen leeren Korb nebst einem Rechen. Also wollte sie wohl eine Ladung Laub und Gras für ihr Vieh holen.

Eine Mutter, dachte Rübezahl, ist doch ein gutes Geschöpf. Sie belädt sich mit vier Kindern und waltet dabei noch ihres Berufes, und bald wird sie den Korb voll Laub heimschleppen müssen.

Diese Betrachtung versetzte den Geist in gute Stimmung und machte ihn geneigt, sich mit der Frau in ein Gespräch einzulassen. Die Frau setzte nun die Kinder auf den Rasen und fing an, das Laub von den Büschen abzustreifen. Indessen wurde den Kleinsten die Zeit lang, und sie fingen heftig zu schreien an. Sogleich verließ die Mutter ihr Geschäft, spielte und tändelte mit den Kindern, nahm sie auf, hüpfte mit ihnen singend und scherzend einher, beruhigte sie und ging wieder an ihre Arbeit. Bald darauf stachen die Mücken die Kleinen, und das Geschrei fing von Neuem an. Die Mutter ließ sich die Mühe nicht verdrießen, abermals die Kleinen zu beruhigen. Sie lief in den Wald hinein, suchte Erdbeeren und Himbeeren und stopfte damit die kleinen Mäuler. Mit Erfolg. Nur der kleinste Bub, der vorher auf dem Rücken der Mutter geritten war, gab sich auf keine Weise zufrieden, schrie eigensinnig und störrisch weiter, warf die Erdbeeren trotzig weg und schlug um sich.

Da riss der Mutter endlich die Geduld, und sie rief ärgerlich: »Rübezahl, komm und friss mir den Schreihals!«

Augenblicklich trat der Berggeist zu dem Weib und sagte: »Hier bin ich. Was steht zu Diensten?«

Er war wie ein Köhler gestaltet, groß, schwarz und trug einen mächtigen Bart. Die Frau geriet über die Erscheinung in großen Schrecken. Da sie aber ein kluges und herzhaftes Weib war, fasste sie sich bald und erwiderte: »Ich rief dich nur, um die Kinder zum Schweigen zu bringen. Sie sind jetzt ruhig, und da brauche ich dich nicht mehr. Sei bedankt für deinen guten Willen!«

»Weißt du auch, dass man mich nicht ungestraft ruft? Ich nehme dich beim Wort. Her mit dem Schreier, dass ich ihn fresse. Junges Menschenfleisch schmeckt gut.«

Mit diesen Worten streckte er die rußige Hand aus, um den kleinen Bösewicht zu fassen. Als die Frau sah, dass es dem Riesen Ernst war mit seiner Rede, fasste sie sich, sprang auf ihn zu und fuhr ihm laut schreiend in den Bart.

»Ungetüm«, rief sie, »das Mutterherz musst du mir erst aus dem Leibe reißen, ehe du mir mein Kind raubst.«

Eines so mutvollen Angriffs hatte sich Rübezahl nicht versehen, er wich gleichsam eingeschüchtert zurück und freute sich über die Beherztheit des Weibes. Er lächelte sie freundlich an und sagte: »Beruhige dich nur, ich bin kein Menschenfresser, will dir und deinen Kindern auch kein Leid antun, aber lass mir den Jungen. Ich will ihn halten wie einen Junker, will ihn in Samt und Seide kleiden und einen tüchtigen Kerl aus ihm machen, auf den ihr alle stolz sein sollt. Ich will dir bare hundert Taler dafür geben.«

»Ich glaube wohl, dass Euch der Junge gefällt, doch der ist für Geld nicht zu haben.«

»Nicht für zweihundert Taler?«

»Nicht für alle Schätze der Welt.«

»Törichtes Weib! Hast du denn nicht noch drei andere Kinder, die dir Qual und Sorge genug machen? Für die du dich plagen musst Tag und Nacht?«

»Dafür machen sie mir auch viel Freude.«

»Schöne Freude! Vor dem Geschrei Tag und Nacht keine Ruhe zu haben. Die Bälger zu reinigen, zu kleiden, zu betten und dabei noch für den Unterhalt zu schaffen.«

»Ja freilich, hundert Hände könnte man haben.«

»Hat denn dein Mann keine Hände, die sich für dich und deine kleine Gesellschaft rühren?«

»Ach ja, der arme Steffen plagt sich wohl genug. Er ist ein Glashändler, der jahrein, jahraus seinen schweren Korb aus Böhmen über das Gebirge trägt. Besonders im Winter ist das ein hartes Stück Arbeit.«

»Dann wird er wohl so viel verdienen, dass du dich nicht so sehr zu mühen brauchst, wo du doch die Schar Kinder auf dem Halse hast.«

»Ach nein, Herr Berggeist, für mich und die Kinder muss ich schon selbst sorgen. Er würde sehr böse werden, wenn ich von ihm etwas verlangen wollte. Wir müssen es schon entgelten, wenn ihm unterwegs ein Glas entzweigegangen ist, dann ist seine gute Laune dahin.«

»Scheint ein rechter Taugenichts zu sein.«

»O nein, er ist ein herzensguter Mann, wenn er mit gegenüber auch manchmal rau und geizig ist.«

»Also mein Angebot mit dem Buben schlägst du endgültig in den Wind?«

Hierauf antwortete die Frau nichts mehr, sondern packte ihren Korb voll, band den Schreihals oben darauf fest und schickte sich an, heimwärts zu gehen. Auch Rübezahl ging, wie es schien, sehr unzufrieden. Aber sie rief ihn noch einmal zurück.

»Ich habe Euch einmal gerufen«, sagte sie, »seid doch so gut und helft mir den Korb aufladen. Wenn Ihr ein Übriges tun wollt, so schenkt doch dem Buben, der Euch gefallen hat, einen Sonntagsgroschen! Morgen kommt der Vater aus Böhmen, der wird ihm Weißbrot mitbringen.«

»Aufhelfen will ich dir wohl«, antwortete er, »aber, gibst du mir den Schlingel nicht, so soll er auch keinen Sonntagsgroschen haben.«

»Auch gut«, sagte sie und ging davon.

Je weiter sie ging, desto schwerer wurde der Korb, sodass sie alle zehn Schritte verschnaufen musste. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Bisher war ihr doch keine noch so hochgetürmte Graslast so schwer vorgekommen.

Da kam ihr der Verdacht, dass Rübezahl ihr wohl einen Streich gespielt und eine Last Steine unter das Laub geschmuggelt haben könne. Sogleich prüfte sie ihre Last und stülpte den Korb um. Da fiel nur Laub heraus und keine Steine waren darunter.

Da füllte sie den Korb wieder halb voll, setzte Rübezahls jungen Freund hinein und nahm noch so viel Laub in die Schürze, wie diese halten wollte. Dennoch kam sie todmüde daheim an.

Hier besorgte sie ihren Haushalt, warf den Ziegen das Laub vor, richtete den Kindern ihr Abendbrot, brachte sie zu Bett und schlief selbst den gesunden Schlaf fleißiger Arbeitsleute.

Die frühe Morgenröte und die kleinsten Kinder, die laut ihr Frühstück heischten, weckten das geschäftige Weib zu ihrem Tagwerk. Sie ging zuerst nach ihrer Gewohnheit mit dem Melkeimer in den Ziegenstall. Da bot sich ein schrecklicher Anblick. Das gute, Milch spendende Haustier, die alte Ziege, lag da, stocksteif, und hatte alle viere von sich gestreckt. Ebenso lagen die Zicklein in ihrem Verschlag. Alle tot! Solch ein Unglücksfall war der braven Frau noch nicht begegnet, solange sie wirtschaftete. Ganz betäubt von dem Schrecken sank sie auf ein Bündel Stroh, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer nicht ansehen, und seufzte tief: »Ich unglückliches Weib, was fange ich nun an? Was wird mein Mann sagen, wenn er heimkommt! Ach, nun ist alles Glück auf Erden für immer dahin!«

Nicht lange dauerte indes diese Anwandlung von Verzweiflung im Herzen der rechtschaffenen Frau, und bald strafte sie sich selbst für das Übermaß des Schmerzes.

»Wenn das bisschen Vieh dein ganzes Glück wäre, was ist dann Steffen, dein Mann? Und was sind dir deine Kinder? Bist du denn etwa an dem Unheil schuld? Kommt der Steffen heim, so wird er wohl ärgerlich werden, und das gibt dann einen verdrießlichen Tag. Aber das ist auch alles. Kommt jetzt die Ernte, so kann ich auf Taglohn gehen und Geld verdienen. Und wird es Winter, so kann ich spinnen bis Mitternacht. Eine Ziege wird sich ja wohl wieder erwerben lassen.«

Während sie das bedachte, wurde sie wieder frohen Mutes, trocknete ihre Tränen. Als sie sich recht umsah, erblickte sie vor ihren Füßen ein Blättchen, das glänzte wie gediegenes Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer Nachbarin, der Handelsfrau, und zeigte ihr den Fund mit großer Freude. Die Nachbarin besah ihn genau und hielt das Blättchen gleichfalls für reines Gold, schacherte es ihr ab und legte ihr dafür zwei blanke Taler auf den Tisch.

Vergessen war nun alles Leid, denn einen so großen Betrag hatte das arme Weib noch nie im Besitz gehabt. Schnell lief sie zum Bäcker, um Weißbrot für die Kinder zu kaufen. Milch besorgte sie anderwärts und kehrte mit diesen Schätzen zu den Kindern zurück. Wie freute sie sich, dass die Kinder so munter zugriffen! Dann aber ging sie in den Stall, um das gefallene Vieh auf die Seite zu bringen. Sie wollte ihrem Mann das Unheil, solange es ging, verheimlichen und ihm zum Abend sein Lieblingsgericht kochen, um ihn zu besänftigen.

Sprachlos vor Erstaunen wurde sie, als sie in den Futtertrog sah und dort einen ganzen Haufen solch goldener Blätter erblickte. Nun kam ihr auch die Erklärung, wovon ihr Vieh gestorben sei. Darum schärfte sie geschwind ihr Küchenmesser, schnitt den Ziegenleib auf und fand im Magen einen Klumpen Gold von der Größe eines Apfels, und auch im Leib der Zicklein fanden sich entsprechend kleinere Goldklumpen.

Schier unerschöpflich dünkte sie ihr Reichtum. Doch wurde sie zugleich auch von drückenden Sorgen erfüllt. Sie wurde unruhig, ängstlich und für den Augenblick ganz ratlos. Sollte sie den Schatz in der Lade verschließen? Oder im Keller vergraben? Und wie sollte sie es beginnen, dass er ihr wirklich nützte? Das Einfachste wäre es wohl gewesen, wenn sie ihrem Mann das Geheimnis anvertraut hätte. Aber sie verwarf diesen Plan bald wieder, denn Steffen neigte zum Geiz, und es war zu fürchten, dass er den Schatz wie der Drache im Märchen verwahren und Frau und Kinder nach wie vor hungern lassen würde.

Sie sann lange hin und her und kam endlich auf den Einfall, den freundlichen Pfarrer des Ortes um Rat zu fragen. Sie eilte zu ihm und berichtete ihm voll Offenheit das Abenteuer mit Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichtum verholfen und was sie dabei für ein Anliegen habe, und belegte auch die Wahrheit der Sache mit dem ganzen Schatz, den sie bei sich trug.

Der Seelsorger wunderte sich sehr über den Bericht der Frau, den er nicht zu glauben geneigt gewesen wäre, wenn er den Schatz nicht vor sich gesehen hätte. Dann überlegte er hin und her, wie er es anfangen müsse, um der Frau, ohne Aufsehen zu erregen, ihren Reichtum zu erhalten, und auch ein Mittel zu finden, dass Steffen sich des Schatzes nicht bemächtigen könne.

Nachdem er lange gegrübelt hatte, rückte er mit folgendem Plan heraus.

»Ich will das Gold in Verwahrung nehmen und treulich verwalten. Dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache, der folgendermaßen lauten soll.

Du hattest ja einen Bruder, der in der Venediger Dienst nach Indien gesegelt ist und dort große Reichtümer erworben hat. Er ist nun gestorben und hat dir im Testament all sein Gut vermacht unter der Bedingung, dass es der jeweilige Pfarrer des Kirchspiels zu deinem Vorteil verwaltet. Ich begehre weder Lohn noch Dank von dir, aber denke im Reichtum daran, dass es Arme genug gibt, die ein Recht auf deine Hilfe in der Not haben.«

Dieser Rat gefiel der Frau sehr und sie gab gern dem menschenfreundlichen Mann Vollmacht, zu tun, was er für Recht fände. Darauf holte der Pfarrer die Goldwaage, wog alles gewissenhaft ab und legte es in den Kirchenschatz. Die Frau aber ging dankbar und leichten Herzens heim.

Inzwischen bekam Rübezahl Lust, dem geizigen und bärbeißigen Gatten des Weibes einen Streich zu spielen. Er sattelte sein Pferd, den raschen Morgenwind, saß auf und galoppierte über Berg und Tal, wobei er auf alle Wanderer scharf achtgab, die von Böhmen her über das Gebirge wollten. Fand er einen, der eine Bürde trug, so forschte er genau nach der Ladung. Es war dessen Glück, wenn er keine Glasware trug, sonst hätte er für Schaden und Spott nicht zu sorgen brauchen, auch wenn er der Mann nicht gewesen wäre, den Rübezahl suchte.

Bei solcher Aufmerksamkeit konnte ihm der schwer beladene Steffen allerdings nicht entgehen.

Zur Vesperzeit kam ein rüstiger Mann mit einer großen Bürde auf dem Rücken des Wegs daher. Unter seinem festen, sicheren Tritt ertönte klirrend allemal die Last, die er trug. Rübezahl freute sich, sobald er ihn in der Ferne erblickte, dass ihm nun seine Beute gewiss war, und rüstete sich, seinen Meisterstreich auszuführen.

Der keuchende Steffen hatte beinahe das Gebirge erstiegen, nur die letzte Anhöhe war noch zu gewinnen. Hatte er diese Leistung hinter sich, dann war das Schwerste des Weges überstanden, und mit geringerer Anstrengung ging es dann der Heimat zu. Allein der Berg war steil und die Last schwer. Mehr als einmal musste er anhalten und den Knotenstock unter seinen Korb stemmen, denn Glas wiegt schwer.

Nun war die Höhe erreicht, und ein schöner, glatter Pfad führte langsam abwärts. In der Mitte dieses Weges war eine mächtige Fichte abgesägt worden. Der Baum lag noch neben dem Stumpf, der so glatt abgeschnitten war, dass er als Tisch dienen konnte. Ringsumher wuchs schönes Gras, und der Platz war so einladend und lieblich, dass der ermüdete Mann es sich nicht versagen konnte, hier ein wenig zu rasten. Er setzte darum den schweren Korb mit aller Vorsicht auf den Stumpf und warf sich in das weiche Gras daneben.

Hier fing er an zu rechnen, wie viel Reingewinn ihm die Ware bringen würde, und fand nach genauem Überschlag, dass er gerade so viel herausschlagen würde, um in Schmiedeberg einen Esel kaufen zu können. Freilich dürfte er dann keinen Pfennig für den Haushalt verwenden. Für Nahrung und Kleidung müsste Ilse, sein Weib, nach wie vor aufkommen. Mit einem Esel, rechnete er, ist das eine andere Sache. Das Geschäft geht leichter vonstatten und ist nicht so mühsam. Der Plan kam ihm so gescheit vor, dass er ihm weiter nachhing und immer neue Luftschlösser baute.

Habe ich erst einen Esel, dann wird bald ein Pferd daraus, und ein Acker findet sich auch, worauf sein Futter wächst. Aus einem Pferd werden dann wohl zwei, und dann ist die Zeit nicht mehr fern, dass ich mir ein Bauerngut kaufen kann. Ilse wird bis dahin wohl so viel gespart haben, dass ein neuer Rock für sie herausspringt und ein Wams für die Buben.

Er wäre in seinen Träumen sicher zu einem Rittergut gekommen, wenn Rübezahl ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Der Berggeist tummelte nämlich seinen »Morgenwind« um den Fichtenstumpf herum und stürzte die ganze Bescherung um. Der ganze Korb mit seiner zerbrechlichen Ware sauste im hohen Bogen herab und die Gläser zerschellten in tausend Stücke. Zugleich hörte Steffen in der Ferne ein lautes Gelächter. Doch konnte das auch das Echo von dem Schall der zerbrechenden Gläser sein. Steffen sah starr das Unglück an, und da er sah, dass Baum und Stumpf verschwunden waren, so erriet er leicht den Schadenstifter.

»Rübezahl, du Schadenfroh«, rief er, »was habe ich dir getan, dass du mir mein sauer verdientes Brot nimmst? Ach, ich geschlagener Mann, was soll ich nun anfangen?«

Hierauf geriet er ordentlich in Wut und stieß allerlei Schmährufe gegen den Berggeist aus, um ihn zum Zorn zu reizen.

»Dummer Rübenzähler, komm her und drehe mir auch noch den Hals um, nachdem du mir alles genommen hast!«

In der Tat war ihm das Leben in diesem Augenblick nicht mehr wert als ein zerbrochenes Glas. Aber Rübezahl ließ nichts von sich hören noch sehen.

Der arme Steffen beruhigte sich schließlich einigermaßen und entschloss sich, die Bruchstücke zusammenzulesen, um in der Glashütte dafür wenigstens ein paar Spitzgläser einzutauschen, die den Anfang eines neuen Geschäftes bilden konnten. Tiefsinnig wie ein Reeder, dessen Schiff der gefräßige Ozean verschlungen hat, ging er mit seinem Korb hinab, trug sich aber dennoch mit tausend Gedanken, wie er den Schaden ersetzen und seinem Handel wieder aufhelfen wolle. Da fielen ihm die Ziegen ein, die seine Frau im Stall hatte. Wenn er die veräußerte, konnte er doch ein Stück Geld dafür bekommen, um wieder Glas kaufen zu können. Aber er wusste auch, dass Ilse die Ziegen nicht gutwillig hergeben würde, denn sie liebte sie ja fast wie ihre Kinder. So erdachte er sich eine List. Er wollte von seinem Verlust daheim gar nicht reden, auch nicht wie sonst bei Tage heimkehren, sondern um Mitternacht in sein Gehöft einbrechen, die Ziegen stehlen und nach Schmiedeberg auf den Markt treiben. Für den Erlös hoffte er neues Glas erstehen zu können. Wenn er dann wieder heimkehrte, wollte er mit seinem Weib hadern und sich bärbeißig stellen, als habe sie durch Unachtsamkeit das Vieh in seiner Abwesenheit stehlen lassen.

Mit diesem heimtückisch ausgeklügelten Vorhaben versteckte er sich nahe beim Dorf in einem Busch und erwartete da mit sehnsüchtigem Verlangen die Nacht, um sich selbst zu bestehlen.

Als es dunkel geworden war, machte er sich auf den Diebesweg, kletterte über die niedrige Hoftür, öffnete sie von innen und schlich mit Herzklopfen zum Ziegenstall, denn er hatte doch Scheu und Furcht vor seinem Weib, sich auf einer solchen Tat ertappen zu lassen.

Gegen alle Regel fand er den Stall unverschlossen, worüber er sich wunderte. Andererseits freute er sich auch darüber, denn er fand in dieser Fahrlässigkeit einen Schein des Rechts, sein Vorhaben zu beschönigen. Aber im Stall fand er alles leer, fand weder Ziege noch Böcklein, und erklärte sich das im ersten Schrecken so, dass wohl ein anderer Dieb ihm zuvorgekommen sein müsse, dem das Stehlen geläufiger war als ihm.

Nun war er überzeugt, dass das Schicksal ihn verfolge, da ihm die letzte Möglichkeit genommen war, seinen Handel wieder in Gang zu bringen. Bestürzt ließ er sich auf die Streu nieder und lag da bis zum Morgen in tiefer Traurigkeit.

Als Ilse vom Pfarrer zurückgekehrt war, hatte sie sich große Mühe gegeben, um für ihren Gatten ein schönes Abendessen herzustellen, wie er es wohl noch nie gehabt hatte. Sie richtete es so ein, dass er alles schmackhaft und warm antreffen konnte, denn nach langer Gewohnheit wusste sie wohl, um welche Zeit er etwa zu erwarten war.

Sie sah gegen Abend fleißig zum Fenster hinaus, ob Steffen wohl käme, lief vor Ungeduld hinaus vors Dorf, blickte die Straße entlang, woher er kommen musste, war bekümmert über sein langes Ausbleiben, machte sich darüber allerhand Sorgen und Gedanken, und ging schließlich zur Ruhe, ohne an das Abendessen zu denken.

Den armen Steffen quälten indes Verdruss und Langeweile im Ziegenstall. Am Morgen war er so niedergedrückt und kleinlaut, dass er sich nicht getraute, an die Tür zu klopfen. Endlich kam er doch hervor, pochte ganz verzagt an und rief mit kläglicher Stimme: »Liebes Weib, steh auf! Lass deinen Mann ins Haus!«

Als Ilse seine Stimme vernahm, sprang sie auf wie ein munteres Reh, öffnete die Tür und umarmte ihren Mann mit Freuden.

Er aber erwiderte die Begrüßung gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich missmutig auf die Ofenbank. Als das fröhliche Weib das Jammerbild sah, krampfte sich ihr Herz. »Geht’s dir nicht gut, lieber Mann? Was hast du?«

Er antwortete nur durch Stöhnen und Seufzen. Dennoch erfuhr sie bald die Ursache seines Kummers. Weil ihm das Herz so voll war, konnte er sein Unglück nicht lange verhehlen. Als sie vernahm, dass Rübezahl den Schabernack verübt habe, merkte sie leicht die Absicht des Geistes. Er wollte den Knauser mürbe und zahm machen, und das war ihm wirklich gut gelungen.

Steffen war ganz mutlos, fragte aber dennoch mit einem verdächtigen Eifer nach dem Ziegenvieh. Da merkte sie, dass er schon überall herumspioniert hatte, und musste herzlich darüber lachen.

»Was kümmert dich mein Vieh? Hast du doch noch nicht einmal nach den Kindern gefragt. Lass dich den Streich Rübezahls nicht so sehr bedrücken und gräme dich nicht! Wer weiß, ob du dafür nicht anderswo reichen Ersatz findest.«

»Da kannst du lange warten«, brummte er noch voll Missmut. »Unverhofft kommt oft, Steffen. Hast du kein Glas und ich keine Ziegen mehr, so haben wir doch beide gesunde Arme und können uns damit Nahrung beschaffen. Das ist auch etwas wert.«

»Nun, dann sieh zu, wie du die Kinder ernährst. Ich kann es nicht.«

»Nun, dann kann ich’s«, sagte sie mit entschlossener Überlegenheit.

Bei diesen Worten trat der freundliche Pfarrer ins Zimmer, der den letzten Teil der Unterredung schon vor der Tür vernommen hatte. Er hielt dem über den unverhofften Besuch verblüfften Steffen erst eine Predigt über den Text, dass der Geiz die Wurzel allen Übels ist. Danach zog er den welschen Brief hervor und verdolmetschte daraus, was Steffen wissen sollte. Der stand mit wachsendem Erstaunen da wie ein stummer Ölgötze und tat nichts weiter, als dass er sich stumm verneigte, als der Pfarrer bei Erwähnung der durchlauchtigsten Republik Venedig ans Käpplein griff. Nachdem er aber die ganze frohe Nachricht innerlich erfasst hatte, wurde er fast närrisch vor Freude. Er fiel seinem klugen Weib um den Hals und lachte und weinte zugleich.

Der redliche Pfarrer verwandelte bald nachher Rübezahls Gold in klingende Münze und kaufte für die Familie ein hübsches Bauerngut. Steffen bewirtschaftete das Anwesen mit allem Eifer. Er wurde ein sparsamer und fleißiger Wirt, dabei aber ein guter Ehemann und seinen Kindern ein treuer und zärtlicher Vater.

Ilse erlebte auch viel Freude an ihren Kindern, namentlich an Rübezahls Liebling, der später ein tüchtiger Mensch und der Stolz und die Ehre der Familie wurde.