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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 18

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Achtzehntes Kapitel

Vier Tage nach meiner Heimkehr vom Red River machten wir uns auf, um in die Wälder zu ziehen. Unsere Gesellschaft bestand aus Wa-me-gon-a-biew mit seinen beiden Frauen, Waw-be-be-nais-sa, einer Frau mit mehreren Kindern, mir nebst meiner Frau, endlich Net-no-kwa und ihrer Familie. Wir nahmen unseren Weg zum Pembina River, an dessen Ufern wir eine Stelle auswählen wollten, wo wir Frauen und Kinder zurücklassen konnten, während wir an einem Kriegszug gegen die Sioux, der eben vorbereitet wurde, teilzunehmen gedachten. Als wir einen passenden Platz gefunden hatten, beschäftigten wir uns ausschließlich mit der Jagd, damit unsere Familien während unserer Abwesenheit hinlängliche Lebensmittel haben möchten. Eines Morgens war ich mit nur drei Kugeln ausgegangen und schoss zweimal fehl auf ein großes und fettes Moosetier, weil ich zu früh abdrückte. Beim dritten Mal traf ich seine Schulter und kam ihm bald ziemlich nahe. Da ich aber keine Kugeln mehr hatte, so lud ich dreimal hintereinander Schrauben ein. Dann erst stürzte das Tier.

Wir hatten viel Wild geschossen. Während die Frauen damit beschäftigt waren, es zu dörren und zu räuchern, stiegen mein Bruder und ich zu Pferde, denn wir wollten wissen, wie es mit den zu Pembina versammelten Kriegern stände und ob sie sich bald in Bewegung setzen würden. Waw-be-be-nais-sa blieb bei unseren Familien zurück. Wir trafen auf vierzig Muskegoes, die bereit waren, am anderen Morgen sich in Bewegung zu setzen. Auch viele Cree und Chippeway hatten sich versammelt, schienen aber nur wenig Lust zu haben, die Muskegoes zu begleiten, welche bei ihnen in keinem guten Ruf stehen.

Wir beide, mein Bruder und ich, hatten keine Mokassins oder etwas, das man statt derselben unter den obwaltenden Umständen zu tragen pflegt. Wa-me-gon-a-biew drang darauf, wir sollten zu den unseren zurückkehren, und meinte, wir könnten zur Zeit des Blätterabfalles mit den Chippeway einen anderen Kriegszug mitmachen. Ich sagte ihm aber, dass nichts in der Welt mich abhalten sollte, die schöne Gelegenheit, die sich mir darböte, zu nutzen, und da wir ja an beiden Zügen teilnehmen könnten. Am anderen Morgen gingen wir mit den Muskegoes ab.

Schon am Abend des zweiten Tages nach unserem Aufbruch waren uns die Lebensmittel ausgegangen, und der Hunger machte sich bemerkbar. Als wir uns nachts auf unserer Lagerstätte zum Schlafen niederlegten und die Ohren dicht an die Erde hielten, hörten wir ein dumpfes Geräusch, das unserer Meinung nach von einer Bisonherde herrührte. Wenn man aufstand, hörte man aber nichts mehr. Am anderen Morgen war kein Bison zu sehen, obwohl wir von unserem Lagerplatz aus weit und breit die Prärie überblicken konnten. Wenn wir aber die Ohren wieder dicht auf die Erde legten, hörten wir immer noch dasselbe Getöse, und in gleicher Entfernung wie am Abend. Nun wurden acht Mann, unter denen ich mich befand, zu der Gegend, in welcher wir Bisons vermuteten, abgeschickt und ein Treffpunkt benannt, wo wir am Abend wieder zusammentreffen und wohin wir das Fleisch der erlegten Tiere schaffen sollten. Also machten wir uns früh Morgens auf den Weg und gingen mehrere Stunden vorwärts, ohne etwas Auffallendes zu bemerken. Endlich aber sahen wir einen langen schwarzen Streif, der am Horizont sich lang hinstreckte, etwa wie ein niedriges Ufer eines Sees, das man aus weiter Ferne erblickt. Es war eine Herde Bisons, die noch etwa eine Strecke von zehn Meilen weit weg sein mochte.

Eben damals hatte die Zeit der Begattung angefangen. Die ganze Herde trieb sich wirr durcheinander herum, und die Männchen kämpften miteinander auf Leben und Tod. Sie stampften mit aller Gewalt auf die Erde, brüllten in ihrer Wut ununterbrochen und so laut, dass wir es meilenweit hören konnten, und rannten mit unbeschreiblicher Heftigkeit gegeneinander ein. Wir wussten recht gut, dass unter diesen Umständen unser Näherkommen die Tiere weit weniger bekümmern würde, als zu jeder anderen Zeit. Wir gingen daher geraden Wegs auf die Herde zu und schossen zuerst einen verwundeten Bullen, der gar keine Anstalten machte, uns zu entrinnen. Er hatte aber auch in den Seiten so tiefe Wunden, dass ich bequem die ganze Faust hineinlegen konnte.

Da wir wussten, dass in dieser Jahreszeit das Fleisch der Männchen sehr schlecht schmeckt, so wollten wir dergleichen nicht schießen, obwohl wir mit leichter Mühe eine große Menge hätten erlegen können. Nun stiegen wir von unseren Pferden, bei denen ein Paar Mann zur Bewachung blieben, während die Übrigen sich mitten in die Herde schlichen, um den Weibchen nahe zu kommen. Ich hatte mich von meinen Gefährten getrennt, dabei aber etwas zu weit vorgewagt und sah mich jetzt auf einmal rings von Bisons umgeben. Noch immer war mir kein Weibchen in den Schuss gekommen, als auf einmal mehrere Männchen wütend miteinander kämpften und bis dicht in meine Nähe kamen. In ihrer Hitze achteten sie entweder gar nicht auf meine Gegenwart oder bemerkten sie nicht. Kurz, sie wirtschafteten in meiner Nähe dermaßen herum, dass ich meine Sicherheit gefährdet sah, und in einem der tief ausgehöhlten Löcher Schutz suchte, die man überall in Gegenden findet, wo die Bisons sich häufig aufhalten, und die sie selbst auswühlen, um sich in denselben herumzuwälzen. Aber auch da war ich noch nicht sicher und musste Feuer geben, um sie von mir fernzuhalten. Selbst das gelang mir indessen erst, als ich vier Stück niedergeschossen hatte. Der wiederholte Knall versetzte die Weibchen in großen Schrecken, und ich kam zu der Überzeugung, dass ich von meinem Standpunkt aus auch nicht eins würde erlegen können. Deshalb eilte ich zu der Stelle, wo mein Pferd stand, um zu den Indianern zu kommen, die ziemlich weit entfernt waren und glücklicher Weise ein Weibchen erlegt hatten, das recht hübsch fett war. Aber auch dieses Mal war, wie es gewöhnlich bei Jagden dieser Art der Fall zu sein scheint, die ganze übrige Herde davongerannt. Nur ein Männchen hatte den Indianern gegenüber Stand gehalten, und tat es noch, als ich ankam.

»Ihr seid Krieger«, sagte ich zu ihnen, »ihr geht in weite Ferne, um einen Feind aufzusuchen, und könnt diesem alten Bison da, der nichts in den Händen hat, nicht einmal sein Weibchen abnehmen.« Darauf ging ich geradezu auf den Bullen los, der sein totes Weibchen bewachte und von uns etwa zweihundert Yards entfernt sein mochte. Kaum hatte er bemerkt, dass ich mich ihm näherte, da rannte er auch schon auf mich zu, und zwar so furchtbar stürmisch, dass ich für meine und meines Pferdes Sicherheit fürchtete und in schleuniger Hast umdrehte. Nun lachten die Indianer herzhaft über mein Missgeschick, gaben aber ihre Hoffnung noch nicht auf, das Weibchen in ihre Hände zu bekommen. Endlich lenkten sie die Aufmerksamkeit des Bullen bald hierhin und bald dorthin, kamen ihm nahe und erschossen ihn.

Während wir das Weibchen in Stücken schnitten, bemerkten wir, dass die Herde nicht weit entfernt war, und ein anderes älteres Weibchen, welches die Indianer für des erlegten Tieres Mutter hielten, den Blutspuren folgte und wütend gegen uns einrannte. Die Indianer flohen vor Schreck weit weg, weil die wenigsten ihre Waffen zur Hand hatten, während ich mich schnell zusammennahm, mein Gewehr in aller Eile lud und bereit war zu seinem Empfang. Vorsichtig legte ich mich hinter die Reste des zerschnittenen Weibchens, ließ die Alte nahe kommen und drückte ab. Sie stutzte, schlug ein paar Mal über und sank tot zu Boden. Nun hatten wir also das Fleisch von zwei fetten Weibchen. Mehr brauchten wir nicht und eilten daher möglichst schnell zu dem verabredeten Sammelplatz, wo wir unsere Gefährten trafen. Sie hatten unterwegs einen Damhirsch erlegt und sich also satt essen können.

Damals nahm ich zuerst an den Feierlichkeiten teil, welche man die Einweihung eines Kriegers nennen könnte. Die drei ersten Male, wenn ein junger Mann in den Krieg zieht, muss er dem indianischen Brauch zufolge mancherlei Vorschriften und Gebote befolgen, von denen die älteren Krieger befreit sind. Der junge Krieger nämlich muss sich stets sein Gesicht schwarz anmalen, einen Hut oder sonst einen Kopfputz tragen und den alten Kriegern auf dem Fuße folgen. Nie darf er vor ihnen hergehen. Auch ist ihm verboten, sich mit den Fingern den Kopf oder irgendeinen anderen Teil des Körpers zu kratzen. Hält er das für nötig, so muss er es mit einem Stückchen Holz tun. Das Gefäß, woraus er isst oder trinkt, das Messer, dessen er sich bedient, darf außer ihm selbst niemand anrühren. Bei einigen Stämmen sind auch die Frauen in der ersten Zeit ihrer monatlichen Reinigung den beiden letzteren Geboten ebenfalls unterworfen wie die jungen Krieger. Diese Letzteren dürfen ferner, wie lang und ermüdend auch der Zug ist, am Tag weder essen noch trinken, noch sich setzen. Macht einer von ihnen einen Augenblick Halt, so wendet er sein Antlitz seinem Geburtsland zu, damit der Große Geist sehen kann, dass es sein Wunsch ist, wieder in seine Hütte zurückzukehren. Auch beim Nachtlagern wird eine bestimmte Ordnung beobachtet. Sind an der Stelle, welche ausgewählt wird, Baumzweige genug vorhanden, so steckt man sie in die Erde und umgibt mit denselben den Lagerplatz, der in der Regel viereckig oder länglich viereckig ist, und auf der Seite, welche dem feindlichen Land zu liegt, eine Öffnung oder eine Art von Tor hat. Sind aber keine Baumzweige vorhanden, so nimmt man kleine Stäbe oder Stängel von Kräutern, die auf der Prärie wachsen, und stellt diese ganz so wie die Zweige um den Lagerplatz herum. Unweit vom Eingang hat der oberste Häuptling seinen Platz, und die alten Krieger halten sich dicht in seiner Nähe. Auf diese folgen die übrigen Krieger nach ihrem Rang und Ansehen. Endlich liegen im Hintergrund des Lagers die Männer mit geschwärzten Gesichtern, welche ihren ersten Kriegszug machen.

Alle Krieger ohne Ausnahme, sowohl junge als auch alte, schlafen in einer solchen Lage, dass ihr Gesicht der Heimat zugewandt ist. Wie unbequem das auch sein mag und wie viel Anstrengungen sie auch schon ertragen haben mögen, so dürfen sie doch unter keinerlei Umständen oder Verhältnissen eine andere Lage wählen, auch niemals zu zweien beisammen auf oder unter derselben Decke liegen. Unterwegs setzen die Krieger sich niemals auf die bloße nackte Erde. Sie müssen wenigsten s ein Stück Rasen oder einige Zweige unterlegen, auch soviel wie möglich darauf achten, dass ihnen die Füße nie nass werden. Können sie nicht umhin, durch einen Morast zu waten oder über ein fließendes Wasser zu setzen, so ist es notwendig, dass die Kleider wenigstens so trocken wie möglich bleiben, und sie umwickeln die Beine mit Blättern oder Gras, sobald sie aus dem Wasser kommen. Nie gehen sie auf einem schon betretenen Pfad, wenn sie es auf irgendeine Art vermeiden können. Geht dieses nicht an, so reiben sie Füße und Beine mit einer Masse ein, welche sie zu diesem Zweck bei sich tragen. Niemand darf über irgendeinen Gegenstand hinweg schreiten, der einem Krieger zugehört, zum Beispiel über ein Gewehr, seine Decke, eine Streitaxt, ein Messer oder eine Kriegsbeute. Auch nicht über die Beine, Hände oder den Körper eines Mannes, der sitzt oder liegt. Wird dieses Gebot unvorsichtigerweise übertreten, so muss der, dessen Glieder, Waffen oder Gerätschaften entweiht worden sind, den Mann, welcher sich ein solches Vergehen hat zuschulden kommen lassen, anpacken und zu Boden werfen. Dieser lässt sich das immer gefallen, wenn er auch der Stärkere sein sollte. Die Gefäße, aus denen sie essen und trinken, sind gewöhnlich eine kleine Art Tassen, aus Holz oder Birkenrinde gefertigt, und in der Mitte des Randes mit einem Zeichen versehen. Die Indianer achten genau auf beide Seiten. Auf dem Hinzug trinken sie stets so, dass sie immer nur die eine Seite an den Mund setzen, und auf dem Heimzug geschieht dasselbe mit der anderen. Wenn sie nur noch eine Tagesreise von ihrem Dorf entfernt sind, dann hängen sie alle diese Gefäße entweder an Bäumen auf oder werfen sie in die Prärie weg.

Ich hätte anführen sollen, dass von ihren Biwaks aus der Anführer zuweilen einige junge Krieger voraussendet, damit sie das Puschkwawgumme-genahgun bereiten, d. h. einen Fleck Land von Gestrüpp oder Gras freimachen, auf welchem das Ko-zau-bun-zichegun vollzogen wird, da man dort die Zauberzeremonien vornimmt, vermittelst deren man die Stellung und den Ort, wo der Feind sich befindet, ermitteln zu können glaubt. Auf jener Stelle wird nämlich auf einer beträchtlichen Strecke der Rasen abgestochen und die Erde mit den Händen durchgewühlt, damit sie feiner wird. Darauf umgibt man sie mit Ruten oder kleinen Stangen und niemand darf hineingehen.

Wenn der Häuptling oder Anführer benachrichtigt wird, dass alles in Bereitschaft ist, dann setzt er sich an das Ende, welches dem Land des Feindes gegenüberliegt. Nachdem er gesungen und gebetet hat, legt er vor sich an den Rand des Fleckes Erde, welchen man mit einem Gartenbeet vergleichen kann, zwei kleine, runde Steine. Wenn er eine Weile allein geblieben ist, um den Großen Geist anzuflehen, dass er ihm den Pfad zeigen möge, auf welchem er seine jungen Leute führen solle, kommt ein Ausrufer aus dem Lager auf ihn zu, kehrt auf halbem Wege wieder um, ruft die bedeutendsten Krieger beim Namen und sagt: »Kommt und raucht.« Nun können außer diesem auch noch andere dem Häuptlinge nahe kommen, und das Ergebnis des Ko-zau-bun-zichegun sich in der Nähe betrachten. Die beiden Steine, welche der Häuptling oben auf das Beet gelegt hat, sind nun von demselben herabgefallen, und von der Beschaffenheit des Eindruckes, welchen sie in der weichen Erde zurückgelassen haben, hängt es ab, welche Richtung ungeschlagen werden soll.

Auf dieser geweihten Stätte werden die Opfer an Kleidern, Getreide oder worin sie sonst bestehen mögen, allnächtlich an einem Pfahl aufgehängt, zusammen mit den Jebi-ugs oder den Andenken, welche man von verstorbenen Freunden hat. Diese Letzteren müssen auf das Schlachtfeld geworfen oder wenn irgendwie möglich in den zerrissenen Eingeweiden der im Kampf erschlagenen Feinde verborgen werden. Wenn einem Krieger ein Kind gestorben ist, das er sehr lieb hatte, dann trägt er, wenn es irgend angeht, ein Kleidungsstück oder ein Spielzeug, dessen es sich bediente, am häufigsten aber eine Haarlocke bei sich, und wirft sie hin aufs Schlachtfeld.

Die Späher, welche in Feindesland stets dem Zug vorausgeschickt werden, ermangeln nie, die verlassenen Hütten zu durchsuchen und sorgfältig alles Kinderspielzeug, dessen sie habhaft werden, mitzunehmen; zum Beispiel kleine Bogen oder ein Stück von einem zerbrochenen Pfeil. Kennen sie einen Mann, dessen Kind gestorben ist, so zeigen sie ihm dasselbe und sagen dabei: »Dein kleiner Knabe ist da und da. Wir sahen ihn mit den Kindern unserer Feinde spielen.« Der betrübte Vater nimmt fast immer jenes Spielzeug, sieht es einige Zeit lang an, fängt an zu schreie, und will ins Gefecht stürzen. Ein Indianerhäuptling hat auf einem solchen Kriegszug keine andere Gewalt, als solche, die sein persönlicher Einfluss ihm verschafft. Er muss daher zu Mitteln aller Art seine Zuflucht nehmen, um die Hitze und den Eifer seiner Krieger rege zu erhalten.