Im Goldlande Kalifornien 9
Sophie Wörishöffer
Im Goldlande Kalifornien
Fahrten und Schicksale Gold suchender Auswanderer
Zeitgemäß gekürzt von A. Flügel um 1930
Kapitel 3 – Teil 3
Endlich eine Rast nach langer, beschwerlicher Wanderung. Nachdem man sich gestärkt hatte, begann Semen mancherlei von seinen Erlebnissen hier im Goldland zu erzählen. »Ich war dabei«, sagte er, »als man den ersten Goldklumpen fand. Ich habe mit angesehen, wie Knechte und Mägde aus dem Dienst liefen, des gelben Metalls wegen, wie die Kinder ihre Eltern verließen, um Gold zu graben, und ein Bruder den anderen erschlug, um dessen günstigen Platz zu erlangen. Ich war unter den Ersten, die in den Tälern hackten und gruben. Wie das Tier der Wildnis habe ich fast ein Jahr gelebt. Es mussten ja erst Schiffe in der Bucht von San Francisco landen und mussten die Kunde von den Schätzen dieses Landes in alle Welt tragen, ehe Menschen hierher kamen, ehe für Hunderte, ja Taufende an Wert auch nur eine Brotschnitte zu erlangen war. Bär und Wolf, Panther und Jaguar bewohnten mit uns ersten Ansiedlern zugleich dasselbe Gebiet. Wir schliefen mit dem Gewehr in der Hand unter freiem Himmel im Schnee, wir kannten weder Wäsche noch ein Lager, weder heile Kleider noch Stiefel, weder Gesetz noch Recht. Der Stärkere erschlug den Schwachen. Die meisten begnügten sich trotz aller verlockenden Aussichten schon mit dem ersten Gewinn. Sobald sie konnten, verließen sie die Wildnis und gingen zurück nach Europa oder Amerikas Osten, um das Erworbene in Frieden zu verzehren. Nur ich allein bin hier zurückgeblieben, weil ich sah, welche Früchte die mühevolle Arbeit trug. Ich wollte meine Brüder aus dem Joch der Sklaverei erlösen, und das ist mir gelungen. Ihr alle, auch die, die jetzt in Räuberstadt zurückgeblieben sind, solltet mein Los teilen, solltet reiche, glückliche Menschen werden. Die Mittel dazu habe ich unter tausendfachen Entbehrungen und Leiden herbeigeschafft. An zwei verschiedenen Stellen liegt der goldene Schatz, und mehr noch grabe ich aus dem Boden, alles für euch, für meine Jugendgenossen und ihre Kinder.«
Sein Blick streifte auch Felsing und den Schlangenjäger. »Dich rechne ich mit hinzu, mein alter Kumpan«, sagte er, Prüfers Hand ergreifend, »und auch Sie, Herr Felsing, wenn es Ihnen ernst ist, tüchtig zu arbeiten und in allen Widerwärtigkeiten mannhaft auszuharren.«
»Paul«, sagte Arsa zu ihm, »jetzt sprich!«
»Sie antworten mir nicht, Mister Felsing«, fuhr Semen fort.
»O Sir, Sir!«, stotterte dieser. »Ich bin von Ihrer Güte vollkommen überrascht, aber da ist leider ein Umstand, der …«
»Nun was denn?«
»Ich habe in meiner Heimat eine unerledigte Angelegenheit zurückgelassen … Folgen einer leichtsinnigen Handlung … aber nur leichtsinnig, nicht schlecht oder gemein …«
»Das können Sie mir später erzählen, Sir. Um frei zu atmen, brauchen Sie Geld, vielleicht nicht wenig sogar. Aber ich werde es Ihnen geben, wenn Sie mir versprechen, das Geld sogleich nach Europa zu schicken und dann mit Hacke und Pfanne zu arbeiten, wie ich es selber getan habe und wie Sie es von uns allen täglich sehen werden.«
Felsing schien etwas verwirrt. »Gewiss«, stammelte er verwirrt. »Gewiss.« Im tiefsten Herzen aber dachte er ganz anders.
Alle erhoben sich. Näher und näher kam die letzte Anhöhe heran. Ein Kranz von Klippen umgab den See des Schlangenkönigs, an dem nach der Überlieferung der Indianer der Kampf zwischen dem guten Geist Manabopho und seinem Feind Meschekenabock ausgefochten worden war.
Der Wind schwieg, eine schwarze Wolke berührte den Rand des Sonnenballs. Unten im See entstand wachsende Finsternis. Es grollte in den Lüften. Staub wirbelte auf und sank ebenso plötzlich wieder zu Boden.
»Ein Gewitter droht«, sagte Semen, und kaum dass er es ausgesprochen hatte, jagten dicke Wolken über den Himmelsplan, Blitze zuckten, Donner grollten, Tropfen, groß wie Haselnüsse, klatschten gegen die Felsen.
Man hatte kaum Zeit, sich in eine der tiefen, in den Felsen befindlichen Nischen zu flüchten, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen.
»Wie sich die Rothäute ängstigen mögen«, rief Semen lachend. »Meschekenabock fällt uns nach ihrer Meinung an wie ein wütender Jaguar. Das wird diese ehrliebenden Leute sehr kränken.«
Es regnete viele Stunden. Fast die ganze Nacht hindurch. Erst als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, konnte man an den Abstieg denken.
Von dem getöteten Büffel und den beiden Jaguaren war außer den Gerippen nichts mehr zu entdecken, aber Geierfedern lagen in Menge umher, und Blutstropfen färbten das Moos am Boden. Die geflügelten Räuber hatten, wie man sah, miteinander um den unerwarteten Überfluss heftig gekämpft.
Dann kamen die dichten Eichenwälder und endlich das Dorf der Rothäute. Alle Rüden bellten, laute Ausrufe mischten sich in die Stimmen der Tiere. Heute trugen die Dinge ein gänzlich verändertes Aussehen. Alle indianische Steifheit und Würde war abgelegt. Mit lebendiger Freude kamen die Krieger den Weißen entgegen.
Sie zählten, ehe sie sprachen. Von den Gästen fehlte kein einziger. Hugh! Welche Freude!
»Und das Wasser ist wieder da! Menschen und Tiere können trinken.«
»Hat euch Meschekenabock hart zugesetzt, weiße Männer?«
»Nicht so arg«, antwortete Semen. »Der Bach wird jetzt voraussichtlich nie wieder versiegen.«
Atafau neigte das graue Haupt. »Die Krieger meines Stammes danken euch mit mir«, sagte er. »Kommt zur Beratungshütte, wir haben euch eine Mitteilung zu machen!«
Von allen Seiten strömten die Männer herbei. Keine Frau, kein Kind kam zum Vorschein. An diesem Umstand allein ließ sich schon die Wichtigkeit der Verhandlung erkennen. Wo rote Krieger reden, da darf keine Squaw zuhören.
Atafau stand in der Mitte und die Weißen um ihn her.
»Meine Brüder«, begann der Alte, »ihr habt den roten Männern einen großen Dienst geleistet. Dafür wollen sie euch danken. Die Zauberberge mussten den eingefangenen Quell wieder herausgeben. Meschekenabock konnte seine Feindschaft gegen das Volk der Indianer nicht zur Tat machen. Dafür sind euch Atafau und die Krieger des Stammes einen Gegendienst schuldig geworden. Wir wollen die Streitaxt ausgraben und eure Feinde in Räuberstadt zerschmettern. Hugh! Atafau hat gesprochen.«
Alle Übrigen stimmten lebhaft zu. Ein Murmeln wie das Branden des Meeres ging durch die hundertköpfige Gesellschaft.
Semen reichte dem Häuptling die Hand. »Ich danke euch, Leute«, sagte er, »und ich nehme euer Geschenk mit Freuden an. Habt ihr schon beschlossen, wann wir nach Räuberstadt ziehen?«
»Wann du willst, Fremder.«
»Gut. Dann gehen wir morgen bei Tagesanbruch fort.«
Die notwendigen Vorbereitungen wurden bald getroffen, das Gift für die Pfeile bereitet, und nachdem bei einer ohrenbetäubenden, geradezu schaudervollen Musik der Schlachtentanz getanzt war, konnte der Abmarsch beginnen.
Von einer Hütte zur anderen gingen die Weißen und sagten den Zurückbleibenden Lebewohl. Die roten Krieger aber schienen sich um ihre Angehörigen nicht zu kümmern. Der Zug verließ das Dorf, ohne dass ein einziger rückwärts blickte.
Unhörbar glitten die bemalten Gestalten über das Moos. Von drei verschiedenen Seiten näherte sich die Schar dem künftigen Kriegsschauplatz. Während des ganzen Tages wurde nur zweimal haltgemacht und dann am Abend eine geschützte Stelle für das Nachtlager gesucht.
»Kein Feuer!«, warnten die Indianer.
Es war eine Felswand, unter der die Weißen ihre Wolldecken ausbreiteten. In den Rücken fallen konnte ihnen niemand. Sie lagen alle hart nebeneinander, und nur hier und da wurde ein wenig geflüstert. Man suchte bald den Schlaf, denn einige der Indianer hatten die Wache übernommen. Stunde um Stunde verging. Der Wind fuhr in die Laubkronen der Eichen und schüttelte sie so heftig, dass die reifen Früchte zu Tausenden in das Gras fielen.
Semen erwachte plötzlich. Er sah auf dem Weg zwischen den Baumstämmen fremde Gestalten. Hound mit Mac Cairn an der Spitze.
Sich halb aufrichtend, zog er die Pistole aus dem Gürtel, dann berührte er vorsichtig mit der linken Hand Prüfers Schulter.
»Wach auf, hörst du!«
Der Schlangenjäger fuhr empor. Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachteten beide, was sich drüben zutragen werde.
Der Schotte hatte das gesehen und rief: »König Semen!«
»Was sagst du, Mac Cairn?«
Die drei übrigen Hound waren herbeigeeilt. Einer riss die Pistole aus dem Gürtel, und es wäre vielleicht in diesem Augenblick um Semens Leben geschehen gewesen, wenn nicht Felsing, der dem Angreifer zunächst lag, blitzschnell auffahrend, diesen mit einem wahren Tigersprung zu Boden geworfen hätte.
»Atafau!«, schrie er aus voller Kehle, »Pataloc! Tasita! Hierher! Hierher!«
Mac Cairns Kugel streifte Semens linke Schulter so hart, dass ein Stück des roten Hemdes mit fortgerissen wurde. Zu einem zweiten Schuss aber blieb dem Burschen keine Zeit. Von hinten legten sich zwei Arme wie Eisenklammern um seinen Körper und hinderten ihn an jeder freien Bewegung. Er wandte nur mit Mühe den Kopf. Ein lauter Schrei des Entsetzens brach über seine Lippen.
»Indianer!«
»Verflucht sollt ihr sein! Verflucht! Lass mich los, roter Satan!«
Aber Pataloc blieb unerbittlich. Seine Eisenarme umklammerten den Besiegten, bis dessen Widerstand schwächer wurde. Krämpfe schüttelten den ganzen Körper Mac Cairns, sein Gesicht erhielt eine bläuliche Farbe, die Arme sanken steif herab. Und dann fuhr Patalocs geschärfte Muschel rings um den Schädel des Schotten. Ein Ruck, und das volle rote Haar wirbelte als Siegeszeichen hoch durch die Luft. Mac Cairn war tot.
Das alles geschah viel schneller, als es sich erzählen lässt.
Auch die beiden anderen Hound waren besiegt. Dem Vierten dagegen gelang es, sich loszureißen und für den Augenblick zu entkommen.
»Wenn der Verräter nach Räuberstadt käme!«, rief Semen.
Atafau hob die Hand. »Hörtest du den Falken, Fremder?«
»Lapagais Zeichen. Er hat ihn.«
Wenige Minuten später erschien der Indianer, und an seinem Gürtel hing ein frischer Skalp. Er lächelte nur, ohne zu sprechen.
»Du hast den Mann doch getötet, Lapagai?«
»Zwei Geier hacken jetzt dem Feind König Semens das Herz aus der Brust.«
Die Ruhe der Nacht wurde nun nicht weiter gestört.
Gegen Morgen, ehe die Schläfer erwachten, erschien am Lagerplatz ein Gast, den zwar alle mit Vergnügen, aber doch auch mit geheimer Sorge kommen sahen – der Schlangenjäger.
Semen wechselte die Farbe. »Hennecke!«, rief er. »Was gibt es Neues?«
»Nichts Gutes, König Semen. In Räuberstadt ist eine starke Anzahl von Irländern angekommen, und schon gleich in den ersten Stunden haben die Hound sie für sich gewonnen. Eine doppelte Steuer ist den Goldwäschern auferlegt worden. Die Hound halten Haussuchungen, und wo sie irgendeinen versteckten Vorrat finden, schlagen sie den Eigentümer zu Boden und hacken ihm den Kopf ab, der dann auf eine Stange gesteckt wird. Überall sieht man zwischen den Zelten diese grauenhaften Denkmäler.«
Kinski erbleichte. »Sind auch von den Ladrinern welche darunter?«, fragte er voll geheimer Unruhe.
»Einer! Der arme, alte Iwan. Er hatte einige größere Stücke Gold gefunden und diese törichterweise unter seiner Lagerstätte in die Erde vergraben.«
»Und dafür hat man ihn ermordet?«
Hennecke nickte.
Ein Laut des Bedauerns ging durch die ganze kleine Gesellschaft.
»Sie verhehlen uns doch nichts, Mister Hennecke?«
»Was die Ladriner betrifft, nicht. Aber es gibt allerdings noch eine böse Botschaft, von der ich sprechen muss. Die Hound müssen Verdacht geschöpft haben«, sagte er. »Möglicherweise ist auch unter denen, die ich in Ihrem Auftrag verständigen sollte, jemand, der Ihre Sache verraten hat, Mister Kinski! Die Hound setzen sich in Verteidigungszustand.«
Semen erschrak tödlich. »Barmherziger Gott!«, rief er. »Herr Hennecke, hegen Sie einen Verdacht, wer der ist, der mich den Hound verraten haben könnte?«
Der Schlangenjäger bewegte die Hand. »Es ist nur Will Parsen, dem ich eine solche Handlung zutrauen möchte«, versetzte er.
»An denselben Mann dachte auch ich. Wir alle müssen den ersten Überfall mitmachen – an der Spitze ich selbst. Vielleicht gelingt es, die Hound sogleich gänzlich zu schlagen, oder mindestens doch, sie aus ihren Verschanzungen zu treiben. Dann haben wir gewonnenes Spiel.«
»Aber das wird nicht leicht sein, Sir. Mit den neu hinzugekommenen Irländern sind die Hound eine sehr stattliche Macht.«
»Die wir doch auf jeden Fall besiegen müssen, Mister Hennecke. Lassen Sie uns nicht vor der Zeit schon den Mut verlieren.«
Es wurde an diesem Tage angestrengt marschiert, um noch in den Abendstunden die Verstecke zwischen den Felsen auffinden und besetzen zu können. Semen schritt allen Übrigen voran. Mit fieberhafter Eile gelangte er an einen Punkt, der oberhalb der Stadt liegend, den Blick auf diese freigab.
Aus den Wirtshäusern schimmerte helles Licht, Musik erklang, und auch in den Straßen zeigte sich reges Leben. Die Hound waren sämtlich bewaffnet, alle Arbeit schien zu ruhen, und ein großer Teil der Gebäude war niedergerissen.
Zahlreiche Köpfe steckten auf Stangen. An einem Galgen mitten in der Stadt hingen schaukelnd drei Gerichtete.
Atafau, Lapagai und Pataloc hatten sich in eine Felsspalte geduckt und übersahen das Gebiet der sogenannten Stadt, in der die wüsteste Unordnung in allen Straßen herrschte.
Nacheinander sahen alle Weißen und Indianer hinab auf die Stadt. Der Punkt, von dem aus der Angriff erfolgen sollte, ließ sich bei völliger Dunkelheit nicht feststellen. Dazu blieb am nächsten Tag Zeit genug, ebenso zu der langatmigen Beratung, ohne die die Rothäute nichts anfangen, am allerwenigsten aber einen Feldzug.
Es waren keine Wachtposten ausgestellt. Man hielt sich offenbar noch für ganz sicher. Nach und nach erloschen die Feuer, die Straßen wurden leer, und nur noch in den Spielhäusern schimmerten die Kerzen und erschallte misstönige Musik.
Unter dem Felsspalt, hart an der Wand, lagen die beiden großen Zelte der Ladriner. In dem einen wohnten die Männer, in dem anderen die Frauen. Überall waren die Wände und Zugänge fest verschlossen. Kinski erhob sich leise von der Seite seiner Genossen. Ihn trieb die rastlose Unruhe, die Sorge für Weib und Kind unaufhaltsam vorwärts. Er tastete an den Felswänden dahin, um den Weg in die Stadt zu finden.
Endlich hatte er diese erreicht und stand dicht vor seinem eigenen Haus. Er hob die Tür des Männerzeltes und betrat den inneren Raum. Das Knacken eines Hahnes schlug an sein Ohr.
»Wer ist da?«
»Still, Alexei, still! Kennst du mich nicht?«
»Nachbar Kinski, Ihr seid es?«
Und nun wachte auch schon der kleine Dubois auf. »Ah, mein Herr, welch ein Vergnügen, Sie wiederzusehen! Und wie steht es mit Ihrem Herrn Bruder?«
Kinski legte ihm die Hand auf den Mund. »Um Gottes willen, keinen Laut, Herr! Morgen Abend, wenn alles schläft, wird der Angriff unternommen, darauf wollte ich Sie vorbereiten.«
»König Semen ist also frei?«
»Er ist frei, und wir sind mit fünfhundert Rothäuten hierher gekommen, um die Hound zu schlagen.«
»Ach, das ist gut!«
Auch Nikola war erwacht und gesellte sich zu den Übrigen.
»Einer unter den Goldgräbern muss mich den Hound verraten haben, oder eigentlich meinen Bruder«, fuhr Kinski fort. »Die Hound wissen, dass ein Handstreich beabsichtigt wird.«
»Hm«, meinte der Franzose, »hm, ich mache über diesen Punkt so meine eigenen Gedanken. Ich glaube, es sind die beiden Davidoffs, Vater und Sohn.«
Kinski war im ersten Augenblick so bestürzt, dass er keine Worte fand. Erst nach Minuten gelang es ihm, den Eindruck zu bekämpfen.
»Weshalb glauben Sie so Unerhörtes, Herr Dubois?«
»Die beiden Leute umgeben sich mit Heimlichkeiten, sie versperren den Eingang des Zeltes mit starken Stricken und graben inwendig den Boden auf. Während einer schaufelt, hält der andere sorgfältig Wache.«
Kinski zuckte die Achseln. »Dann haben sie vielleicht besonders gute Funde gemacht und wollen ihre Beute verstecken. Vater und Sohn überbieten einander an maßlosem Geiz. Aber darin sehe ich keine Verräterei gegen meinen Bruder.«
Der Franzose blieb bei seiner Ansicht. »Beweise kann ich nicht bringen«, wiederholte er. »Aber die beiden Davidoffs gefallen mir nicht.«
Das Herz voll schwerer Sorgen begab Kinski sich zu den Gefährten zurück. Als er bei ihnen anlangte, schliefen noch alle, mit Ausnahme einiger Rothäute, die spähend bei den Zugängen des Felsengebietes wachten, mit ihren geschärften Sinnen jedes noch so leise Geräusch auffingen und auch trotz der Finsternis unausgesetzt die Stadt beobachteten. Die Weißen erwachten erst, als der Tag längst angebrochen war. Atafau, Hennecke und König Semen standen beieinander.
»Die Erdwälle sind Maulwurfshaufen«, flüsterte der Häuptling. »Jeder rote Mann springt hinüber wie der Schakal, wenn er verfolgt wird.«
Semen deutete mit der Rechten auf einen bestimmten Punkt hinab.
»Der Hound sind erschreckend viele geworden«, sagte er leise.
Man sammelte sich unten in den holprigen Straßen, in denen es von Menschen wimmelte, vor dem Klublokal der Hound.
»Hört, Leute!«, rief einer der Hound, »ich habe einen Plan!«
»Heraus damit!«
»Wenn König Semen hierher kommt, dann wollen wir ihn nicht etwa wieder gefangen setzen und gleich einem Prinzen verpflegen, um ihn mürbezumachen, sondern ihm die Faust an die Kehle legen. Will er leben, so muss er mit seinem Geheimnis herausrücken oder er stirbt. Was sagt ihr zu diesem Vorschlag?«
»Der Plan ist gut!«, bestätigte ein Irländer. »Überlasst mir euren König Semen, und in weniger als zwei Minuten soll er gestehen.«
»Lasst uns nur jetzt an unsere Verteidigung denken«, riet eine andere Stimme. »Es wäre doch wahrhaftig kein Spaß, wenn uns einige Hundert Rothäute mit ihren vergifteten Pfeilen überfallen sollten.«
»Lächerlich! Im Klubhaus liegen mehr als tausend Kugelbüchsen. Damit will ich eine Armee von Indianern in Schach halten.«
»Und es ist noch völlig zweifelhaft, ob überhaupt die Rothäute hierher kommen. Der Schlangenfänger hat nichts Bestimmtes gewusst.«
»Dieser Schleicher! Kommt er hierher, so kostet es ihm das Leben.«
»Erst haben, dann hängen«, warf jemand ein.
Diese ganze Unterredung hörten die Weißen Wort für Wort mit an. Sie wurde auch den Rothäuten zugänglich gemacht, die sich zur Beratung niedersetzten. Es blieb bei dem schon früher gefassten Beschluss. Sobald im Lager alles schlief, sollte der Überfall erfolgen, und zwar zuerst durch die Indianer allein. So geschah es. Am Himmel glänzten weder Mond noch Sterne. Ein kühler Wind fuhr über die Stadt und über die starken Gruppen von Hound, die hinter den Wällen schlafend lagen. Nur hier und da wachten in den Zelten die Goldgräber, bereit, beim ersten Alarmsignal aufzuspringen und in gemeinschaftlicher Sache mit den von draußen Angreifenden gegen die Bedränger vorzugehen. Manches Messer war zur Verteidigung haarscharf geschliffen, manche Pistole geladen und das Ziel, auf das die Kugel gerichtet werden sollte, schon ausersehen. Einer nach dem anderen kletterten die Rothäute in das Tal. Kein Hund im Lager hörte die geisterhaft leisen Schritte, kein Schatten verriet die dunklen, schlanken Gestalten. Lapagai erstieg hinter dem Klubhaus den Erdwall. Einer Schlange gleich glitt er vorwärts, in der Hand einen kleineren Gegenstand tragend, auf dem Rücken Pfeil und Bogen und im Gürtel den furchtbaren Wurfhammer. Der kühne Mann schien wie die Katze im Dunkeln zu sehen. Er schlich um das geräumige Haus herum und kam bis zur vorderen Eingangstür. Sie war nur angelehnt. Lapagai nahm den Hammer in die Rechte und drang vorwärts durch den ganzen Raum. Da lagen die Feuerwaffen, in der entgegengesetzten Ecke ein Haufen von Matten und Decken. Kisten mit Esswaren stapelten sich an den Wänden, Tische und Bänke standen in Menge umher. Lapagai trug geräuschlos die Möbel und die Decken zu den Gewehren, türmte alle diese Gegenstände aufeinander. Plötzlich zuckte in seiner Hand ein Flämmchen hell empor – hier eins und dort eins, an zehn Stellen zugleich.
Nun war ja wohl das Werk getan. Der Indianer schlich hinaus und ließ hinter sich die Tür halb offen stehen. In grauen Wolken zog aufsteigender Rauch ihm nach.
Dunkle Gestalten erhoben sich und schwarz befiederte Pfeile wurden auf Bogensehnen gelegt. Dann kam der Augenblick, in dem die Pfeile ihren todbringenden Flug antraten. Ein Zischen, ein kurzer, scharfer Laut – und nun der Schrei des Entsetzens von hüben und drüben zugleich.
»Indianer!«
»Gift! Gift!«
»Hound heraus! Heraus!«
Eine unheimliche Helle verbreitete sich vom Klubhaus her. Das Fenster mochte zersprungen sein, die Flamme schlug in roter Lohe heraus und verwehrte jedem den Zutritt in das Innere des Gebäudes.
Nach allen Seiten liefen im Lager die Hound durcheinander, vor Entsetzen kopflos, außer sich bei dem Gedanken an die vergifteten Pfeile. An Widerstand gegen die Indianer dachte im ersten Augenblick niemand. Wo waren sie überhaupt? Wo war ihr Kriegsgeheul, von dem man so bestimmt geglaubt hatte, dass es dem Angriff vorausgehen werde? Und dann kam auch schon die zweite Salve vergifteter Pfeile und brachte neues Entsetzen.
»Im Klubhaus liegen die Gewehre!«
Einige der Eifrigsten wandten sich zu der bezeichneten Richtung, aber vor Schreck versteinert blieben sie auch ebenso schnell wieder stehen. Die lodernden Flammen schlugen ihnen entgegen.
»Feuer! Feuer!«
»Die Kugelbüchsen verbrennen!«
»Und alles Pulver, alles Blei liegt in dem Haus!«
Ein Schrei des Entsetzens ging durch die Reihen.
Jetzt brach ein ohrenzerreißendes Kriegsgeheul von den Lippen der Rothäute, die unheimliche Trommel begann ihren Lärm, und gleich einer Sturmflut brausten die Söhne der Wildnis in das enge Tal hinein. Mit ihnen die Weißen. In den Hagel umherfliegender Pfeile mischten sich die todbringenden Kugeln. Es wurde nun Brust an Brust gekämpft.
Mit lautem Hurra kamen die Goldgräber aus ihren Zelten hervor. Wie sie flüchteten und überall Deckung suchten, wie sie sich in Todesangst krümmten, die feigen Räuber, denen es bisher so geläufig gewesen war, wehrlose Menschen zu töten und die Köpfe arglistig Überfallener auf Stangen zu stecken. Sie drängten alle gegen die Felswand hin, und kein Einziger fand den Mut, in das brennende Gebäude zu gehen und die Pulvertonnen herauszureißen.
Semen und die seinen standen in der vordersten Reihe. Ihnen folgten die Schlangenfänger, Felsing und die übrigen Ladriner. Auch Dubois hatte sich eingefunden, nur Davidoff und Nikita fehlten. Niemand sah sie, niemand wusste, wo sie sich aufhielten. Semen riss den Vorhang ihres Zeltes auseinander – es war leer.
Aber jetzt blieb keine Zeit, Rätsel zu lösen. Über Tote und Sterbende hinweg drangen die Angreifer in das Innere der Stadt, auf allen Punkten wurden die Hound geschlagen.
Und dann geschah drüben das Unausbleibliche. Die Flammen hatten den Pulvervorrat ergriffen, ein Donnern und Krachen, als sollte die Welt in Trümmer gehen, erfüllte rings die Luft. Weithin flogen Splitter und Funken umher.
»Vorwärts! Vorwärts!«
Furchtbare Ernte hielt der Tod. Mit geballten Fäusten, von Krämpfen zusammengeschnürt, blau oder fast schwarz im Gesicht, lagen die von den vergifteten Pfeilen der Indianer Getroffenen, sämtlich tot, unter den furchtbarsten Qualen gestorben, ihnen zur Seite die Rothäute.
Wo waren die beiden Davidoff? Arsa und seine Freunde hatten sie gesucht. Es fehlte jede Spur.
Der mörderische Kampf dauerte schon über drei Stunden, und noch war der Sieg unentschieden. Je länger, desto hartnäckiger fochten die Hound. Die Giftpfeile der Indianer lagen zersplittert am Boden. Kein einziger steckte mehr in den Köchern. Auch keine Munition fand sich vor. Mit den verbrannten Kugelbüchsen war ja das Pulver in die Luft geflogen. Man kehrte also die Feuerwaffen um und schlug mit dem Kolben drein. Die Indianer pflegten ihre Gegner rücklings auf den Boden zu werfen, wobei dann der Schädel zerbrach wie Glas.
Nach und nach wurden die Hound in eine Ecke gedrängt. Wer so weit gekommen war, dem fehlte jede Möglichkeit des Entrinnens, der musste sich ergeben oder unter den Wurfhämmern der Rothäute sterben.
Nur noch kurze Zeit dauerte der Kampf, dann lösten sich die Reihen der Hound, zum Tode ermattet, auf, fielen zu Boden und riefen um Gnade oder ließen stumpfsinnig über sich ergehen, was die Sieger beschließen würden.
Semen stand mit erhobener Hand neben dem schmalen Ausgang zwischen den Erdwällen.
»Hinaus!«, gebot er. »In der Stadt oder im Umkreis derselben darf kein Einziger von euch bleiben.«
»Gnade! Gnade! Wir haben dir kein Haar gekrümmt, König Semen, das solltest du nicht vergessen!«
»Hinaus!«
Und sie gingen wankenden Schrittes im Morgengrauen davon, vielfach verwundet, mit zerfetzten Kleidern, ohne einen Pfennig Besitz, und wohl wissend, dass sie in die Wildnis hineinflüchten mussten, da kein anderes Lager die berüchtigten Hound von Räuberstadt dulden würde.
»Leider ist in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen worden«, sagte einer der Goldgräber. »Zu viele der Elenden leben noch, und auch O’Flannaga, der Schotte. Er war die Seele des Ganzen.«
»Du weißt, dass er noch lebt?«, fragte Semen.
»Ja, ich sah ihn, er ging hart an mir vorüber, sein wutverzerrtes Gesicht glich einer wahren Teufelsfratze.«
Semen antwortete nicht. Nach einer Weile sagte er: »Lasst uns nach den Verwundeten sehen.«
»Und einige von uns nehmen die Köpfe herunter«, setzte ein anderer hinzu.
Es geschah. Die Köpfe der Gerichteten verschwanden von den Stangen, die Körper der Gerichteten von den Galgen. Auch die Tanzhäuser wurden geleert, um Verbandplätze und Pflegestätten zu schaffen.
Hinter einer Baumgruppe hervor rief eine matte Stimme seinen Namen. »Mister Kinski! Bitte!«
Semen blickte um sich. »Sie, Herr Hennecke? Sind Sie verwundet, mein armer Freund?«, fragte er seufzend. »In der Brust?«
»Ja. Sehr schwer, fürchte ich.«
Prüfer war davongeeilt und brachte eine Flasche mit Wasser, die er dem Gefährten an die Lippen hielt. »Verliere den Mut nicht, Hennecke«, sagte er mit gepresstem Ton.
»Oh – es ist gut so, alter Freund! Alles gut. Wir haben ja gesiegt, nicht wahr? Die Hound sind vertrieben.«
»Ach! Um teuren Preis.«
Semen hatte die Wunde untersucht. Er erhob sich, und ein verstohlener Blick sagte den Umstehenden genug, um ihre Herzen mit tiefer Trauer zu erfüllen. Hennecke konnte nicht gerettet werden.
Sie trugen ihn in eins der Wirtshäuser und betteten ihn so bequem, wie es die Umstände erlaubten. Vielleicht noch einige Tage würde sich dies kostbare Leben erhalten lassen, länger nicht.
Prüfer und Alexei blieben bei dem aus Erschöpfung Schlummernden, die anderen gingen wieder hinaus, ihrem traurigen Berufe nach.
»Ich glaube, dass von dem Gesindel doch noch einige ganz in der Nähe ihr Unwesen treiben«, meinte ein Goldgräber, der von auswärts kam und die Stadt betrat.
»Sahen Sie Flüchtlinge, vielleicht Verwundete?«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Zwei Leute waren es nur«, berichtete er, »aber sie kamen mir sehr verdächtig vor, denn sie wollten sich offenbar versteckt halten. Erst ein zufälliges Geräusch verriet ihre Gegenwart. Als ich nachsah, versuchten sich die beiden Männer zwischen den Felsen zu verbergen.«
»Wie sahen die Leute aus?«, fragte Kinski.
»Es war ein Alter und ein Junger, sie …«
»Dachte ich es nicht? Ohne Zweifel die beiden Davidoffs! Würden Sie die Stelle wiederfinden?«
»Oh, sehr leicht! Ich habe bis dahin keine zweihundert Schritte zu gehen.«
»Dann möchte ich mich doch, ehe die Vögel ausfliegen, von der Sache überzeugen«, meinte Kinski.
Es waren die Brüder Kinski, Boris und die drei jungen Leute, die sich auf den Weg machten. Der Fremde führte sie zu einem Punkt, an dem früher einmal eines der häufigen Erdbeben große Verwüstungen angerichtet hatte. Tiefe Spalten zerrissen den Boden, neben- und übereinander häuften sich Massen von einzelnen Blöcken. Ein ziemlich lichtloser Gang schien in das Innere einer Höhle zu führen.
»Hier in dieser Schlucht waren die beiden Männer«, sagte der Fremde.
Semen ging voraus. »Davidoff!«, rief er mit lauter Stimme. Aber alles blieb still.
»Sie sind fort!«, seufzte Kinski. »Da ihr verbrecherischer Plan misslungen ist, so suchen sie sich wenigstens persönlich in Sicherheit zu bringen.«
»Erst wollen wir doch jeden Winkel durchforschen«, versetzte Semen, und, um eine Ecke biegend, sah er in einen spitzen, engen Winkel hinein.
»Habe ich euch endlich!«, rief er plötzlich.
An der Wand des engen Raumes standen nebeneinander zwei Männer, beide schweigend und totenblass. Weit geöffnete Augen sahen dem Eintretenden entgegen. Eine Welt von Furcht, Hass und wilder Leidenschaft lag in diesen Blicken.
»Weshalb versteckt ihr euch denn hier zwischen den Felsen?«, fuhr Semen fort. »Weshalb habt ihr an dem Befreiungskampf dieser Nacht nicht teilgenommen?«
Davidoff zuckte die Achseln. »Wir sind im Begriff nach Europa zurückzukehren«, antwortete er, »und daher ging uns die Sache nichts mehr an.«
Semen schüttelte den Kopf. »Es ging euch nichts an?«, wiederholte er im scharfen Ton. »Ihr fandet es nicht notwendig, mir beizustehen, ja, ihr hättet das Land verlassen können, ohne mich überhaupt gesehen zu haben? Ich muss euch deshalb bitten, eure Reise aufzuschieben. Ihr werdet mir auf der Stelle folgen.«
Der Alte erschrak. »Das kannst du nicht befehlen, Semen!«, rief er.
»Ihr habt uns zu folgen. Rasch!«
Er deutete zum Ausgang und verhinderte, dass Vater und Sohn heimlich miteinander sprechen konnten. Als Davidoff die übrigen sah, ergab er sich in sein Schicksal und begleitete ohne ein Wort oder einen Gruß seine Richter zur Stadt hinab. Wo er die gefundenen Schätze verwahrte, blieb vor der Hand ein Rätsel – hier oben wohl auf keinen Fall.
Im tiefsten Schweigen kamen alle wieder zu den Ruinen der Stadt zurück.
Nur eine Frage stellte Davidoff: »Wie lange willst du mich gefangen halten, Semen?«
»Das kommt ganz darauf an. Es sind mehrere Hound verwundet hier geblieben. Diese muss ich zuerst verhören.«
Und dann deutete Semen auf ein Zelt, das noch fast ganz erhalten war. »Das ist vorläufig eure Wohnung.«
»Als wären wir Verbrecher!«, grollte Davidoff. »Wer gibt dir das Recht, uns so zu behandeln?«
Semen hob die Pistole. Er sprach kein Wort, aber der Blick und die Bewegung sagten alles.
Die Nacht verging ohne Störung, und am frühen Morgen begannen die Begräbnisfeierlichkeiten.
»Dass wir auch keine Glocke besitzen«, seufzte Semen. »Mehr als zehn Wirtshäuser, aber keine Kirche!«
»Wir werden eine bauen und einen Pfarrer anstellen. Da ist Salomon Marks, der hat Theologie studiert.«
»Und weshalb befindet er sich hier unter den Goldgräbern?«
Die Leute zuckten die Achseln. »Es wollte ihm eine Prüfung nicht gelingen«, sagte einer, »aber ein guter Kerl ist er.«
»Dann fragt ihn, ob er nicht am Grab der Gefallenen ein wenig aus dem Stegreif sprechen könnte. Mir selbst ist’s immer noch, als werde meine Kehle von einer unsichtbaren Faust zusammengeschnürt.«
Die Botschaft gelangte zu ihm, und Salomon Marks wusch und kämmte sich, als sei er nie ein Goldgräber gewesen. Dann zog er über das Wollhemd einen schwarzen Rock und lieh sich von jemandem einen Hut, da seiner nur aus einem Stück zusammengebogener Fußmatte bestand. So ausgerüstet hielt er die Leichenrede. Eine seltsame Schar, diese Trauergäste am Rande des Massengrabes. Entwurzelte Existenzen jeden Standes und jeden Volkes. Neben ihnen auch zahlreiche Rothäute. Sie waren traurig gestimmt, denn ihre Toten entbehrten die üblichen Begräbniszeremonien. Sie erhielten weder Speise noch Trank, noch das schwebende, schaukelnde Geflecht über der letzten Ruhestätte.
Als der Choral verklungen war, begann Salomon Marks zu sprechen. Er fand manches scharf verurteilende Wort für die hier herrschenden Zustände. Seine Rede wirkte gewaltiger als manche schwungvolle Predigt. Viele der Zuhörer schluchzten laut, mancher tat in seinem Herzen das Gelübde, von dieser Stunde an ein anderer Mensch zu werden.
Nach dem Segen fielen weiße Blumen hinab in die Gruft, und alles war vorüber.
Etwas später versammelten sich die Indianer, um den Rückmarsch in ihre Heimat anzutreten. Der Abschied wurde beiden Teilen gleich schwer.
»Wir besuchen euch!«, tröstete Semen. »In nicht langer Zeit kommen wir, um bei euch Pferde zu kaufen.«
Atafau neigte das würdevolle Haupt. »Du sollst so viele Pferde erhalten, wie du nur wünschest, weißer Mann.«
Auch die übrigen sagten den Rothäuten ein herzliches Lebewohl. Jeder bedauerte ihr Scheiden.
Kaum dass sie von dannen gezogen waren, erschien Prüfer. »Folgt mir bitte«, sagte er flüchtig grüßend, »mein armer Hennecke möchte gern noch einmal alle Freunde um sich versammelt sehen.«
Sie gingen zu dem provisorischen Lazarett, in dem Hennecke eine kleine Kammer erhalten hatte.
Hennecke hielt die Augen offen. Sein Antlitz war ruhig, aber doch schon umschleiert von den Schatten des nahen Todes.
Die Brüder Kinski, Dubois und Jegor umstanden das Lager des Gefährten. Ein freundlicher Blick des Kranken begrüßte die Eintretenden.
»Ich danke euch, dass ihr gekommen seid. Es gibt, ehe ich scheide, noch etwas zu ordnen. Der Schotte O’Flannagan schrie mir, als er mir das Messer in die Brust stieß, zu, er werde die Stadt züchtigen.«
»Der Elende«, rief Semen, »wir werden ihm den rechten Empfang bereiten, falls er zu kommen wagt.«
Ein mattes Lächeln glitt über Henneckes Züge. »Sie sind gewarnt. Ich habe für euch getan, was mir noch möglich war.«
Semen trat an das Bett und drückte freundlich und dankbar die Hand des Kranken. »Sie sollen nun nicht mehr sprechen, Hennecke. Ruhen Sie aus in der Gewissheit, dass Sie uns große Dienste im Leben erwiesen haben.« Der Kranke nickte mit geschlossenen Augen.
Semen glättete ihm das Kopfkissen. »Es ist Abend geworden«, sagte er. »Schlafen Sie, Hennecke. Prüfer bleibt bei Ihnen.«
»Gewiss, gewiss«, versicherte der Schlangenjäger.
Wenige Stunden später schloss der wackere Mann seine Augen für immer. Auf dem bleichen Antlitz lag der Ausdruck des Friedens.