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Der Teufel auf Reisen 10

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 8
Faust und Gretchen

Klothilde aber stand aufrecht im Zimmer und lächelte mit der ihr eigenen Entschlossenheit.

»Ich tue diesen Schritt mit vollem Bewusstsein«, sagte sie, »ich gehöre nicht zu den energielosen Wesen, die an ihrer eigenen Schwäche zugrunde gehen! Was ein Mann kann, vermag eine Frau auch, wenn sie will! Hat man mich in schmutziger Weise verschachern wollen, so mögen diejenigen, welche den Handel anfingen, nun auch die Folgen tragen, wenn dieser fehlschlägt. Jeder ist sich selbst der Nächste und ich habe keine Lust, mich einem alten widerwärtigen Mann mit gebundenen Händen überliefern zu lassen.«

Sie öffnete das Fenster und spielte einen Strauß-Walzer. Dann ließ sie ihre Stimme erklingen und sang in hellen Tönen ein heiteres Lied, als käme es ihr so recht aus dem Herzen. Unten saß Papa Pilz, lauschte, rieb sich die Hände und machte ein höchst behagliches Gesicht.

»Ah ha«, murmelte er, »das Vöglein schlägt bereits wieder mit den Flügeln, die es noch vor einer Stunde hängen ließ! Oh, es geht doch nichts über Verstand und Weisheit! … Ja, ja, ich kenne die Frauen, ich habe ihre Natur studiert, die eine gleicht auf ein Haar der anderen!«

»Guten Abend, verehrter Freund«, schallte es von der Straße her zu ihm herüber.

Herr Pilz fuhr ordentlich zusammen. »Wie, Sie sind es, mein werter Herr Berthold? Wollen Sie nicht einen Augenblick näher treten?«

»Ja, ich bin es«, grinste dieser, »hoffentlich doch recht wohl? Gut gelaunt?«

»Vorzüglich! Ich glaube, ich könnte selbst mit dem Teufel anbinden.«

Berthold lachte hell auf. »Der Witz ist nicht übel! Wohl bekomm’s!« Und damit lüftete er seinen Hut und schritt weiter.

»Wohl bekomm’s?«, brummte Pilz, »was soll mir denn wohl bekommen? Der ist gewiss eben vom Diner aufgestanden!«

Der falsche Berthold aber lachte noch immer gemütlich in sich hinein.

»Er denkt Wunder, was er für einen klugen Streich ausgeführt hat«, murmelte er, »während ich ihn doch bereits am Kragen halte. Nun, spiele nur immer deine besten Trümpfe aus, alter Narr. Die Karten sind von mir gemischt und du sollst nicht umsonst den Teufel herausgefordert haben!«

Er bog um die nächste Ecke, während der Geldmensch sich sehr zufrieden erhob und sich in seiner Aufgeblasenheit nun wirklich einbildete, dass er ein Recht dazu habe, auf andere ehrliche Leute mit souveräner Betrachtung herabzublicken. Armer Pilz! Trotz deiner goldenen Umkleidung bist du inwendig ja doch nur mit Stroh ausgefüllt!

Zwei Tage später konnte man schon in ziemlich vorgerückter Abendstunde eine junge Dame, deren Gesicht sorgfältig durch eine Kapuze verhüllt war, bemerken, welche in auffallender Hast und nicht ohne Scheu die Straße entlang eilte. An der Ecke derselben hielt sie einen Fiaker an und befahl dem Kutscher zum Bahnhof zu fahren. Tief in den Fond des Wagens gedrückt, fuhr sie mehrere Male wie fröstelnd zusammen und zweimal erhob sie sich, um das Fuhrwerk wieder zu verlassen, kämpfte diesen Entschluss aber schließlich durch eine energische Anstrengung immer wieder nieder.

»Ich habe mir doch fast mehr zugetraut, als ich zu leisten vermag«, murmelte sie, »es übersteigt beinahe meine Kräfte, aber …« Sie machte eine Gebärde des Abscheus. »Oh, lieber in den Tod als an der Seite dieses widerlichen abgelebten Greises durchs Leben gehen!«

Indem hielt der Wagen und die Glocke gab auf dem Bahnhof das erste Zeichen zur Abfahrt. Rasch öffnete sie den Schlag, bezahlte den Kutscher und eilte zum Perron, auf welchem die Reisenden bereits hin und her wogten.

Einen Augenblick stand sie still und blickte verwirrt und ängstlich um sich, dann atmete sie erleichtert auf, als ein Herr auf sie zueilte und sich höflich vor ihr verbeugte.

»Gott sei Dank, dass Sie da sind, ich suchte Sie schon allenthalben!«

»Ein solches Rendezvous versäumt man nicht, besonders wenn es gilt, eine der reichsten Erbin zu entführen«, sagte Biland mit einem halb leichtsinnigen, halb dreisten Lächeln.

Klothilde errötete. »Ich weiß wohl, ich habe mich gewissermaßen in ihre Gewalt begeben«, bemerkte sie mit kaltem Stolz, »aber wenn Sie die Bedingungen brechen, unter welchen dies geschah, so ist es für mich noch immer Zeit, umzukehren.«

»Nu, nu«, murmelte Biland, »wenn Sie sich wirklich nicht von mir entführen lassen wollen, so ist es mir auch recht. Papa Pilz soll dann die Rechnung schon bezahlen.«

»Das kümmert mich nicht. Jetzt merken Sie wohl auf.«

»Wir spielen also wirklich nur Komödie?«

»Das wissen Sie ja. Ihre Rolle besteht darin, in den Augen meines Vaters so zu tun, als ob Sie mich wirklich entführt hätten. Im Übrigen werden Sie sich streng von mir entfernt halten, sodass ich Ihnen sogar untersage, mit mir in einem Coupé zu fahren.«

»Das ist aber doch eigentlich mehr, wie Sie in Ihrer Lage beanspruchen können«, warf Biland ziemlich unverschämt hin.

»Und wie ist denn Ihre Lage?«, entgegnete ihm die junge Dame lachend kalt ins Gesicht. »Sie machen sich heimlich aus dem Staube und werden froh sein, sich auf der See zu befinden, ehe der von Ihren Gläubigern in Bewegung gesetzte Telegraf Sie einholt. Wüsste ich nicht, dass ich Sie auf diese Weise schon in den nächsten 24 Stunden für immer los sein würde, so hätte ich mich Ihnen nie anvertraut.«

»Das heiße ich doch wenigstens offen sprechen«, sagte Biland lachend. »Nun gut, wie Sie befehlen, dann setze ich die Reise nach Amerika ohne Frau fort.«

Inzwischen gab die Glocke zum zweiten Mal das Zeichen.

»Haben Sie die Billets?«, fragte Klothilde.

»Hier ist das Ihre. Leben Sie wohl, in Bremen stelle ich mich zur weiteren Disposition.«

Die junge Dame schlüpfte in ein Coupé, welches einer der Schaffner öffnete. Ihr Begleiter nahm in einem anderen Platz.

Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, als hinter einem der Pfeiler eine Gestalt hervortrat, welche sich bisher dort verborgen gehalten hatte. Monsieur Jean, der Diener des Börsenspekulanten, entpuppte sich als der große Unbekannte, als er ins Laternenlicht trat. Etwas verblüfft blickte er zwar dem dahinbrausenden Zuge nach, aber sein Spürvermögen schien ihn doch auf die richtige Fährte gebracht zu haben. Bedeutsam legte er den Finger an die Nase, während er gleichzeitig einen gedehnten pfeifenden Ton ausstieß.

»Geht mir da ein Licht auf …? Deshalb also: ›Mein lieber Johann, heute kannst du dir ausnahmsweise ein Vergnügen machen. Hier hast du drei Gulden. Geh und opfere dem Bacchus nach Herzenslust. Vor zehn Uhr bedarf ich deiner nicht …!‹ Ja, so sagte er, aber glücklicherweise sind wir auch nicht von gestern! … Wir haben Bildung und Erziehung genossen und verstehen es, gewisse junge Herren zu beurteilen, welche ihren Dienern den Lohn und die gemachten Auslagen zu bezahlen vergessen und die sich obendrein noch herausnehmen, Gentlemen, wie ich einer bin, auf plebejische Weise mit Fußtritten zu traktieren! … Also gut, ich hab mich auf die Lauer gelegt und weiß jetzt, woran ich bin! … Dampf hat er den Leuten schon längst in die Augen geblasen und mit Dampf hat er sich jetzt aus dem Staub gemacht! … Na, als ein echter Gentleman in kurzen Plüschhosen und gelben Gamaschen werde ich so handeln, wie es die Ehre mir gebietet. Morgen verkaufe ich den Goldfuchs und dann lege ich ihm die quittierte Rechnung auf den Tisch und gebe den Stubenschlüssel beim Portier ab. Und dann, Monsieur Johann, haben Sie die Gewogenheit, sich nach einer anderen Stelle umzusehen, wo das Lohnverhältnis ein besseres und das Fußtrittverhältnis ein weniger fortschrittliches ist.«

Der edle Johann hatte unter diesen Betrachtungen den Rückweg zur Stadt angetreten, blieb aber plötzlich stehen, legte abermals den Finger an die Nase und nahm sein Selbstgespräch wieder auf.

»Wie ist mir denn, das Dämchen muss ich ja kennen …?«

Wieder folgte ein langgedehnter Pfiff und dann fuhr er fort: »Bei Kavalierparole, wie des Grafen Kammerdiener, der durchtriebene Spitzbube, immer zu sagen pflegt, jetzt geht mir ein Licht auf! … Bei Gott, eine ganz hübsche Idee, so durchzubrennen und sich eine Reisegefährtin, die einmal eine halbe Million zu erwarten hat, mitzunehmen! … Na, der alte Pilz wird sich schon freuen, wenn er das hört. Ich aber freue mich noch mehr, dass ich ihm die Nachricht bringen kann. Denn unter die Leute darf die Sache doch nicht kommen und ergo, alter Herr, unter zweihundert Gulden lass ich mir mein Schweigen nicht erkaufen.«

Während der würdige Gentleman in den kurzen Plüschhosen direkt auf die palastähnliche Wohnung des Geldmannes zusteuerte, saß dieser behaglich in einem Sessel und studierte die eben eingetroffene Abendzeitung. Er war gerade bei dem Abschnitt »Vermischte Nachrichten« angelangt und überflog eine kleine tragische Geschichte, nach welcher ein junges Mädchen mit ihrem Liebhaber heimlich die Flucht ergriffen hatte, weil ihre Eltern die Heirat beider hartnäckig zu verhindern gesucht hatten.

Herr Pilz zog mit einer gewissen kalten, abwehrenden Erhabenheit die Augenbraunen in die Höhe. »Gott sei Dank«, murmelte er, »solchen Gefahren ist unser einer nicht ausgesetzt! Unvergleichliche Würde, die das Kapital verleiht! … Vornehme Abgeschlossenheit, die einen solchen Fall ganz undenkbar macht! … Erhabener Standpunkt, der eine derartige profane Verwirrung nicht zulässt!«

In diesem Augenblick ließ sich ein Geräusch vernehmen. Halbgott Pilz blickte auf und der lange Diener, welchen die Leser schon kennen, stand vor ihm.

»Was gibt es?«, fragte der zu Fleisch und Blut gewordene Geldsack mit der Miene eines Jupiters.

»Der Diener des Herrn Biland steht draußen. Er behauptet, der Überbringer einer wichtigen Nachricht zu sein.«

»Gewiss eine Depesche, die eben noch eingetroffen ist, und morgen gehen die Kurse vielleicht schon um ein Prozent zurück«, dachte der Krösus.

»Soll der Mensch eintreten?«, fragte der Lange.

»Lass ihn hereinkommen!« Und Herr Pilz erhob sich. »Nun?«, fragte er, als Monsieur Jean mit einer tiefen Verbeugung näher trat.

Der Gentleman in den Plüschen warf ihm heimlich einen höhnischen Blick zu.

»Es hat sich etwas ereignet, Euer Gnaden.«

»Auf der Börse?«

»Nein, auf dem Bahnhof.«

»Brennt es dort?«

»Ja, von Brennen ist allerdings dabei die Rede, das heißt von Durchbrennen.«

»Wie soll ich das verstehen?«, fragte der Halbgott mit einem strengen Blick.

»Um mich präziser auszudrücken«, fuhr Johann fort, »erlaube ich mir ganz gehorsamst zu melden, dass Herr Biland, ohne von seinen Gläubigern Abschied zu nehmen, plötzlich abgereist ist.«

Herr Pilz fuhr überrascht einen Schritt zurück. »Was, Schulden halber entflohen?«

»Zu dienen, Gnaden. Aber das Beste kommt noch.«

»Nun?«

»Eine junge Dame, die Ihrer Fräulein Tochter auf ein Haar ähnlich sieht, befand sich in seiner Gesellschaft.«

Der Geldmann riss die Augen weit auf, sein ganzer Körper zitterte, er musste sich auf eine Stuhllehne stützen.

Jean betrachtete diese Szene mit der Ruhe eines Philosophen.

»So etwas kommt wohl mitunter vor«, bemerkte er trocken.

»Was kommt vor?« Der stolze Mann wollte auffahren, aber das Selbstvertrauen hatte ihn bereits verlassen und die Klugheit mahnte zur Vorsicht.

Er trat an den Klingelzug. »Ich lasse meine Tochter ersuchen, auf einen Augenblick zu mir herunter zu kommen«, sagte er zu dem Diener.

Inzwischen schritt er unruhig im Zimmer auf und ab, der Schweiß stand ihm auf der Stirn.

»Das gnädige Fräulein hat bereits seit einer Stunde das Haus verlassen«, meldete der zurückkehrende Lakai, »aber auf ihrem Tisch lag dieser Brief.«

Die Hand des Halbgottes bebte, als er diesen ergriff, ein einziger Blick in diesen sagte ihm, dass Johann die Wahrheit berichtet hatte.

Seine Knie zitterten, sein Gesicht war erdfahl, aber sein Stolz gab ihm doch die Kraft, sich einem solchen Burschen gegenüber zu beherrschen.

»Es ist gut, Ihr könnt gehen«, sagte er trocken, »meine Tochter hat allerdings eine kleine Reise angetreten, wie sie mir eben berichtet.«

Der edle Johann blieb wie angewurzelt stehen.

»Nun, auf was wartet Ihr noch?«

»Auf die zweihundert Gulden, Gnaden.«

»Auf was für zweihundert Gulden?«

»Ei, ich denke, damit werden Sie mein Schweigen nicht zu hoch erkaufen. Dünkt es Ihnen aber zu viel, so gehe ich zur Redaktion des ›Tageblatts‹ und dann ist die Geschichte morgen in der ganzen Stadt bekannt.«

Zum ersten Mal fühlte der Krösus, dass er trotz seines Mammons in diesem Augenblick eigentlich doch ein recht armer Mann sei.

»Nun, Euer Gnaden, wie steht’s? Meine Zeit ist gezählt.«

Pilz holte zwei Banknoten hervor. »Da, nehmt, ich schenke Euch dies, weil Ihr wahrscheinlich durch Herrn Biland Verluste erlitten habt. Aber merkt es Euch wohl: Meine Tochter ist mit meinem Wissen und meinem Willen verreist. Und wenn Ihr Euch erdreistet, Verleumdungen auszusprechen …«

Herr Jean fühlte sich plötzlich durch die Banknoten, welche er in der Hand hielt, in eine höchst noble Stimmung versetzt.

»Unter Gentlemans genügt das Wort«, sagte er, indem er sich sehr zuvorkommend verbeugte, »und wie mein früherer Herr, der Baron von Kaltenbach, zu sagen tun pflegte: Uf Kavalierparole!«

»Schon gut«, rief Pilz, und schob den vorlauten Burschen zur Tür hinaus.