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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Ein herzhafter Entschluss

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 22

Ein herzhafter Entschluss

Für Herrn Vaughan – wenigstens für den Erfolg seiner Absichten in Bezug auf das Zustandekommen einer ehelichen Verbindung – wäre es sicher viel vorteilhafter gewesen, hätte er seinen Neffen in verständiger Weise behandelt und ihn ohne Weiteres ganz offen und ohne Scheu an seinem Mittagstisch bei seiner Tochter wie bei seinem aristokratischen Gast eingeführt.

Hätte er vor dem Mittagsessen gewusst, was er kurze Zeit nach diesem erfuhr, er würde wahrscheinlich ein solches Verfahren eingeschlagen haben. Dies hätte ihm dann den Verdruss erspart, den er empfand, als Herr Smythje ihm das Zusammentreffen am Bord des Schiffes erzählte, was dieser sogleich tat, nachdem Käthchen ohne Weiteres aus der Halle fortgeschickt worden war.

Smythje hatte nämlich auch die Mitteilung des Aufsehers halb gehört, wenigstens das Wort Neffe, und dies rief ihm nicht ohne eine unbequeme Rückerinnerung die von ihm ganz wohl begriffene Satire des Zwischendeckpassagiers zurück, der ihn am Bord der Seenymphe so keck behandelt hatte.

Der erbärmliche Anschlag war demnach gänzlich fehlgeschlagen und die Last einer lediglich durch leere Ausflüchte beschönigten Entschuldigung drückte den stolzen Pflanzer nicht wenig, in dessen Herz durch diese Enthüllung ein höchst bitterer Tropfen Galle geflößt wurde.

Da eine Verleugnung durchaus nicht länger möglich war, so musste die Verwandtschaft sofort anerkannt werden. Aber der hierbei erglimmende Zornesfunken bereitete dem unglücklichen Neffen einen noch unwillkommeneren Empfang.

Der Pflanzer suchte sich aus dieser Verlegenheit durch eine Lüge zu retten, indem er vorgab, dass sein Neffe nicht erwartet worden sei. Smythje wusste wohl, dass Vaughan log, sagte aber nichts, und so wurde das Gespräch über diesen für den Pflanzer so peinlichen Gegenstand nicht weiter geführt.

Loftus Vaughan war ein ganz gewöhnlicher Mensch und die hier von ihm befolgte einfältige und sich sogar selbst vernichtende Handlungsweise stellte leider sowohl seinen Verstand als auch seine Moral auf eben so niedriger Stufe dar.

Durch diese üble Behandlung seines Neffen bekleidete er ihn in Käthchens Augen mit einem romantischen Interesse, das vielleicht nie oder jedenfalls nicht so schnell empfunden worden wäre. Unglück, besonders wenn es von Verfolgung herrührt, erzeugt unfehlbar Mitgefühl bei allen unverdorbenen Herzen, und das Herz Käthchen Vaughans war unbezweifelt ein solches.

Außerdem war auch die heimliche verstohlene Weise, den Neffen zu behandeln und ihn ins Haus wie einen Ballen verbotener Waren einzuschmuggeln, an und für sich schon hinreichend, die Neugierde derer zu erregen, die dadurch getäuscht werden sollten.

Bei Käthchen wenigstens war dies vollkommen der Fall, denn als sie das Esszimmer verließ, dem entrinnen zu können sie in Wahrheit sich sehr glücklich fühlte, eilte sie sofort an das zum Garten hin liegende Fenster, teilte die Traljen des Gitters etwas mit ihren Fingern und sah neugierig durch.

In der leisen Unterhaltung zwischen ihrem Vater und dem Aufseher hatte sie sehr wohl den Befehl gehört: »Führt ihn zu dem Kiosk.« Und sie wusste, dass man in diesen von ihrem Kammerfenster aus sehen konnte. Sie war sehr neugierig, das zu sehen, was sie in ihrem ganzen Leben bisher noch nicht sah: einen Vetter. Und ihre Neugierde wurde auch nicht getäuscht. Ihr Vetter war deutlich vor ihren Augen und schritt in dem kleinen Gemach auf und ab.

Im blauen, über die Brust eng zugeknöpften Rock, mit glänzenden hessischen Stiefeln an den wohlgeformten Beinen und mit einem zierlichen dreieckigen, leicht auf seine braunen Locken gedrückten Hut, war er keineswegs eine Erscheinung, die ein junges Mädchen zu erschrecken vermochte und am wenigsten eine nahe Verwandte. Selbst der kühne, etwas wilde Gesichtsausdruck, worin sich seine ganze innere zornige Aufregung kundgab, tat der außerordentlichen Anmut seiner Erscheinung nicht den geringsten Abbruch.

Doch welchen Eindruck machte diese auf das junge Mädchen? Sicherlich nicht den des Schreckens und eben so wenig den des Widerwillens. Sie schien im Gegenteil darüber erfreut zu sein, denn warum fuhr sie sonst fort, dahin zu blicken und noch dazu mit der größten Aufmerksamkeit? Warum nahmen ihre Augen einen solchen feurigen Glanz an und starrten wie verzaubert? Warum hob und senkte sich ihr junger Busen, als entwickelte sich in ihm ein ganz neues, bisher noch nie geahntes Gefühl?

Einige Augenblicke verblieb sie in dieser Haltung, unverwandt und schweigend bleibend. Dann, ohne sich umzuwenden, entschlüpfte ihren Lippen, nur leise, gleichsam unfreiwillig herausgestoßen die Frage: »Yola, ist er nicht schön?«

»Schön, Missa«, wiederholte das Mädchen, die den Gegenstand, dem diese Bewunderung galt, noch nicht gesehen hatte. »Wer ist schön?«

»Wer? Mein Vetter, Yola.«

»Ihr Vetter? – was ist Vetter, liebe Missa?«

»Blicke hin und sieh! Das ist ein Vetter.«

»Ich sehe einen Mann.«

»Ja, und hast du je solch einen Mann gesehen?«

»Nein, Missa. Nie einen Mann gesehen mit solchen Blicken. Er ist gewiss zornig, Missa?«

»Zornig?«

»Sehr zornig. Er rückwärts und vorwärts gehen wie Hyäne im Käfig.«

»Er ist nur ungeduldig, weil er warten muss. Wirklich, ich meine, er sieht deshalb nur noch besser aus. Sieh mal, wie sein Auge flammt! O, Yola, wie schön er ist – wie verschieden von den jungen Männern hier auf der Insel! Ist er nicht ein wirklich schöner Mann?«

»Er hat lockiges Haar, wie Cubina!«

»Cubina! Ha, ha, ha! Dieser Cubina muss ein wahrer Proteus sein und auch ein rechter Adonis. Bemerkst du noch andere Ähnlichkeit als das Haar? Dann würde mein Vetter vielleicht mir ähnlich sehen?«

»Cubina viel dunklere Haut, Missa.«

»Ha, ha! Das kann wohl sein.«

»Cubina dieselbe Größe – derselbe Wuchs – ganz genau derselbe Wuchs.«

»Dann muss Cubina einen sehr schönen Wuchs haben. Denn wenn ich je einen gesehen habe, der ganz gewachsen war, wie ein Mann sein soll, so ist es wirklich mein Vetter da. Sieh mal die Arme an! Die sehen aus, als könnte er den großen Tamarindenbaum damit ausreißen! Wahrhaftig, er sieht aus, als wollte er es wirklich tun! Gewiss, er muss sehr ungeduldig sein. Und nun lässt Papa ihn, nachdem er so weit hergekommen ist, auch noch so lange warten! Ich meine wirklich, ich sollte zu ihm hinuntergehen. Was meinst du dazu, Yola? Würde es wohl angehen, dass ich zu ihm ginge und mit ihm spräche? Es ist ja mein Vetter.«

»Was ist Vetter, Missa?«

»Nun, Vetter! Vetter ist – beinahe wie ein Bruder – nicht ganz genau so – aber doch – es ist nicht ganz dasselbe.«

»Bruder! O, Missa! Wenn er Yolas Bruder, sie spricht mit ihm, sie sich nicht kümmert um irgendeinen Zorn.«

»Ganz recht, Yola, und wenn er mein Bruder wäre – ach, ich habe ja keinen – dann würde ich unweigerlich dasselbe tun. Aber bei einem Vetter ist es doch etwas anderes. Auch kann Papa den Vetter nicht recht leiden, ich weiß freilich nicht, warum. Ich möchte selbst wohl wissen, was er eigentlich gegen ihn hat. Ich sehe es nicht ein, und für mich kann das doch kein Grund sein, dass ich ihn nicht leiden sollte. Gewiss, dass er mein Vetter ist, ist Grund genug, hinunterzugehen und mit ihm zu sprechen.«

»Übrigens«, fuhr das Mädchen fort, indem sie mehr mit sich selbst, als mit ihrer Dienerin sprach, »scheint er wirklich sehr ungeduldig zu sein. Papa kann ihn noch lange warten lassen, da er so mit dem Herrn Montagu – ja, wie ist noch sein Name – beschäftigt ist. Nun, es mag nicht ganz recht sein. Vielleicht wird Papa auch etwas böse, vielleicht erfährt er auch gar nichts davon! Recht oder Unrecht, ich will gehen, ich muss jetzt gehen.«

So redend nahm die junge Kreolin ein Mäntelchen vom Stuhl, warf es über ihre Schultern, eilte aus der Kammer und schritt schweigend den Gang entlang zum Hinterhaus zu.