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Entzweiung

Scott Nicholson
Entzweiung
Originaltitel: Disintegration
Thriller, Paperback, Haunted Computer Books, Juni 2013, 360 Seiten, 10,65 Euro, ISBN: 9781626470361, aus dem Amerikanischen von Sylva-Michèle Sternkopf
www.hauntedcomputer.com

»Jetzt, wo der erste Schock vorüber war, entdeckte Jacob die kleinen Unterschiede zwischen ihm und Joshua. Nur wenige Leute würden die winzigen Spuren erkennen, die die Zeit und das Leben hinterlassen hatten. Joshua hatte eine kaum sichtbare Narbe über der rechten Braue. Joshua hatte nie versucht, seinen Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen. […] Auch seine Zähne waren gelber und schiefer als die von Jacob, die Folge anderer Essgewohnheiten und mangelhafter Pflege.«

Bei einem nächtlichen Brand in ihrem Haus verlieren der Immobilienunternehmer Jacob Wells und seine Frau Renee ihre gemeinsame Tochter Mattie. Ein weiterer Schicksalsschlag für das Ehepaar, nachdem bereits die jüngere Tochter Christine Jahre zuvor im Kindbett gestorben war. Jacob zerbricht daran, dass es ihm nicht möglich war, Mattie zu retten. Er kehrt nach dem Krankenhausaufenthalt gar nicht wieder in eine gemeinsame Wohnung mit Renee zurück. Die Scheidung scheint nur noch eine Formsache. Da tritt plötzlich Jacobs Zwillingsbruder Joshua wieder in sein Leben, der ihm ihre gemeinsame Kindheit mit Psychospielen zur Hölle gemacht hat.

»Ich habe von ihm gehört. Ich bin zwar woanders zur Schule gegangen, aber die Wells-Zwillinge waren überall bekannt, wegen ihres reichen Vaters und so. Komisch. Jacob war doch immer derjenige, der Ärger gemacht hat. Sein Name stand immer in der Zeitung. Nicht der andere.«

Mit Entzweiung hat Scott Nicholson einen ungewöhnlichen Thriller abgeliefert, in dem ein ermittelnder Part – sei es Polizist, Detektiv, Reporter o.ä. – der als integere Identifikationsfigur für den Leser dient, außen vor bleibt. Dem am nächsten kommt Jacob Wells Ehefrau, die beginnt, Nachforschungen über ihren unbekannten Schwager Joshua anzustellen, auch wenn das Ganze innerhalb der Geschichte recht unmotiviert eingeschoben wird.

Ein Ehepaar zerbricht am Tod eines Kindes, doch unvermittelt taucht ein weiterer Spieler auf dem Spielbrett auf, die Vergangenheit greift nach den Protagonisten und Jacob Wells Ehefrau findet heraus, dass im Vorleben ihres Mannes nicht alles so ist, wie er es immer dargestellt hat. Eine solche Zwillingskonstellation lässt im Psychothriller eigentlich nur zwei Wege zu: Eine Person leidet unter Identitätsspaltung und beherbergt zwei Persönlichkeiten oder es existiert tatsächlich ein böser Zwilling, der seinem verhassten »guten« Pendant das Leben zu ruinieren sucht. Bevor das Rätsel gelöst wird, finden sich hier Hinweise auf beide Möglichkeiten. Mit jedem Kapitel werden weitere Ereignisse aus der Vergangenheit enthüllt, die mal in die eine, mal in die andere Richtung deuten. Scott Nicholson folgt letztendlich einem dieser Wege, den er jedoch auf den letzten Seiten noch mit einem fiesen Twist versieht. Der Weg dorthin ist hinreichend kurzweilig und hält über die gesamte Länge eine bedrohliche Grundstimmung aufrecht. Allerdings ist der Roman auch nahezu vollständig plotgetrieben gestaltet. Damit legt der Thriller von Beginn an ein ordentliches Tempo vor, das er bis zum überraschenden Ende durchhält. Die Protagonisten dagegen lassen überwiegend kalt, was dem Roman die Möglichkeit nimmt, den Leser emotional mitzunehmen.

Scott Nicholson geht den für einen US-Autor ungewöhnlichen Weg, seine verlegerischen und Marketingtätigkeiten im Ausland selbst in die Hand zu nehmen. Er arbeitet mit freien Übersetzern zusammen und vermarktet seine Bücher im Eigenverlag Haunted Computer Books direkt über Amazon als Kindle-Ausgaben bzw. lässt einige seiner Romane als Druckbücher über Amazons Druckdienstleister CreateSpace drucken. So »spart« er sich einen Verlag als Zwischenstation, der für seine Dienste kräftig die Hand aufhalten würde. Laut eigenen Angaben ist Deutschland für den US-Autor inzwischen nach seinem Heimatland USA der zweitgrößte Absatzmarkt. Das ist zwar nachvollziehbar – viele deutsche Independentautoren wählen inzwischen erfolgreich diesen Weg -, doch sollte bitteschön auch die Qualität stimmen. Schon beim Aufschlagen des Buches fällt auf, dass der Druck des Innentitels nicht ganz mittig ausgefallen ist. Im Satz sind die Außenstege zu schmal (der linke sogar schmaler als der rechte) und die Bundstege zu breit, das erste Hurenkind findet sich auf Seite 4; leider nicht als Ausnahme. Als Papier wurde außerdem eine unangenehm klinisch wirkende, reinweiße Variante verwendet.

Auch die Übersetzung wirkt – gelinde gesagt – stellenweise schludrig. Offenbar fehlte nach dem Übertrag ins Deutsche eine weitere korrigierende/lektorierende Instanz.

Das Covermotiv ist ein überzeugend gestalteter Blickfang und visualisiert sehr gut das Thema des Romans, auch wenn kein Bezug zum Inhalt besteht (bezieht sich auf die Druckbuchversion). Vollkommen ungewöhlich wurden für Kindle- und Druckbuchversion verschiedene Covermotive verwendet.

Fazit:
Insgesamt ist Scott Nicholson mit Entzweiung ein Thriller gelungen, der seine Leser vor allem durch sein Tempo und die häppchenweise Enthüllung des Gesamtbildes bei der Stange hält. Von daher bräuchte sich der Roman auch im Programm eines großen Verlages – professionelles Lektorat vorausgesetzt – nicht zu verstecken.

(eh)