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Der Welt-Detektiv Band 6

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Edda-Sagen – Teil 1

Edda-Sagen
Erzählt von Dr. Gustav Schöne im Jahr 1858

Vorrede

Das vorliegende Buch hat keinen wissenschaftlichen Zweck und bietet durchaus nichts Neues. Seine Bestimmung ist einzig die, die Sagen der Edda besonders der Jugend zugänglich zu machen. Die Edda beruft sich selbst auf deutsche Quellen, es ist mit Fug anzunehmen, dass der größte Teil unserer Göttersagen nach dem Norden gewandert, und dort für uns erhalten worden ist. Da wir deshalb die Sagen der Edda zu einem guten Teil für unser Eigentum ansehen müssen, ist es sehr zu bedauern, dass sie verhältnismäßig wenig bekannt sind. Ein Grund davon scheint mir neben andern auch der zu sein, dass es an einem entsprechenden Buch fehlt, das sich für Jung und Alt eignete, denn obwohl Simrocks Übersetzung schon für einen weiteren Kreis berechnet ist, eignet sie sich doch nicht zum Lesebuche auch für untere Klassen. Ich weiß aber nicht, wie die Kenntnis dieser Sagen eine allgemeine werden soll, wenn sie der Jugend nicht gelehrt werden. Ich habe zu den folgenden Erzählungen nur einen Teil der Edda selbst übersetzt und verglichen, und im Übrigen, wie jeder Kundige selbst sehen wird, Simrocks Übersetzung benutzt, da es bei dem ausgesprochenen Zwecke des Buches eben gar nicht darauf ankommt, den Inhalt der Edda mit kritischer Genauigkeit wiederzugeben, und eine nichts willkürlich ändernde, die Hauptsachen festhaltende Darstellung schon genügt. Aufgenommen ist aus der Edda fast alles, mit Ausnahme der bloß lehrenden Abschnitte, von denen aber wieder Teile, wenn es anging, in die Erzählungen eingeschoben sind. Nicht aufgenommen habe ich den Inhalt von Grogaldr, als offenbar jüngere Nachahmung, und Hrólf Kraki aus Skáldskaparmál, weil diese Erzählung keine Anknüpfung an deutsche Verhältnisse und außerdem keinen besonders wertvollen Inhalt bietet.

Noch habe ich eine Bemerkung zu machen über die Namen, deren ungleichmäßige Behandlung auffällig erscheinen kann. Es ist für uns unstatthaft, Odhin und Thorr zu sagen, da wir geläufige deutsche Namen dafür haben und außerdem die Laute dh und th von d und t nicht unterscheiden. Ich habe deshalb den Versuch gemacht, sämtliche Namen in deutsche Formen umzusetzen, habe aber wieder davon abgesehen. Es kommen nämlich ja viele Namen vor, die in den deutschen Erzählungen nicht gefunden werden, weshalb sollen diese in einer neuen Form eingeführt werden, welche sie, wenn sie dann wieder anderswo in der nordischen gefunden würden, als davon ganz verschieden erscheinen lassen könnte; weiter haben viele der nur im Norden genannten Namen eine sehr zweifelhafte Bedeutung, und es bliebe bei diesen nur übrig, sie nach allgemeinen Lautgesetzen ins Deutsche zu übertragen. Wenn aber ein Name bei uns einmal nicht vorkommt, und in feiner Bedeutung unverständlich ist, scheint es mir nicht notwendig, dass statt der nordischen die deutsche Form gebraucht wird, da diese nur wieder die Vergleichung erschweren würde. Es kommt noch eine andere Schwierigkeit hinzu: Wenn ein Name eine augenscheinliche Bedeutung hat, behalte ich dann die Worte, aus denen er besteht, in der deutschen Form bei, auch wenn durch Verschiebung der Wortbedeutungen auf diese Weife ein ganz anderer Sinn entsteht, oder gebrauche ich die in der Bedeutung entsprechenden Worte, sodass eine ganz andere Namensform entsteht? Zum Beispiel sage ich statt Baugi Pouk oder Spange? Statt Griottunagardr Grießzaungarten oder Erdgrenzland? Statt Reidatyr Reitzie oder Wagengott?

Eben infolge dieser Erwägungen habe ich die Namen in folgender Weise ungleichmäßig behandelt. Wenn bei uns der Person oder Sache entsprechende und geläufige Namen vorhanden sind, habe ich diese gebraucht: Donner = Thorr, Sigfrid = Sigurd, Hagen = Högni usw. Nordische Kamen, die bei uns nicht so viel oder gar nicht gebraucht werden, habe ich meist dem deutschen Munde mehr gerecht gemacht, doch mit Beibehaltung der niederdeutschen Lautstufe z. B. Swarter = Surtr, Sinder = Sindri, Hyge = Hugi, Drum =Thrymr usw. Seltener oder einmal vorkommende Namen, bei denen die Bedeutung besonders hervortritt oder die nur Personifikationen von Eigenschaften und Naturkräften sind, habe ich gradezu übersetzt, so Brandung = Gialp, Alter = Eili, Lohe = Logi usw. Übrigens ist zu Erleichterung des Vergleichs eine Tabelle der von mir gebrauchten und der eddischen Namensformen angehängt.

Die Anordnung der Erzählungen ist einfach die, dass begonnen wird mit dem Anfang aller Dinge und der Ordnung der Welt. Es folgen dann Einzelerzählungen über Leben und Taten der Götter und Helden. Lokis Missetaten bilden den Übergang zum Ende der Welt und ihrer Erneuerung.

Der Anmerkungen habe ich mich so viel als möglich enthalten. Das Buch soll eben erzählen, und nicht lehrhaft für alle Einzelheiten Grund und Bedeutung angeben. Wer sich darüber unterrichten will, muss eben zu den vorhandenen Büchern über Mythologie greifen.


Kapitel 1

Woher wir diese Erzählungen wissen

Gylfe herrschte vor alten Zeiten als König über Schweden und war ein mächtiger Fürst. Eine wandernde Frau kam einst zu ihm und erfreute ihn durch herrliche Gesänge. Zum Lohn dafür schenkte ihr König Gylfe ein Stück Land, so groß, als es vier Ochsen in einem Tage und einer Nacht umpflügen könnten. Aber die fremde Frau war vom Göttergeschlecht der Asen, sie hieß Gefion und hatte einen Riesen zum Manne. Zu diesem ging sie, holte aus dem Riesenlande vier ungeheure Ochsen und spannte dieselben vor den Pflug, der auch riesengroß war. Da schnitt dieser so tief und gewaltig in den Boden ein, dass ein großes Stück Land sich löste und von den Ochsen westwärts in den Sund gezogen ward. Dort ließ Gefion das Land stehen und nannte es Seeland, das ist die Infel Seeland, die noch dort ist. In Schweden aber füllte sich die Tiefe, aus der das Land genommen war, mit Wasser, und es entstand der Wenersee, der auch ganz die Gestalt der Insel Seeland hat; und kann man daraus sehen, dass alles sich in Wahrheit so verhält, wie es hier erzählt wird.

König Gylfe war ein weiser Mann und verstand zu zaubern. Schon lange hatte es ihn Wunder genommen, dass das Geschlecht der Asen so viel vermögend sei, und dass ihm alles glücke, was es unternehme. Er hätte gern gewusst und in Erfahrung gebracht, welche Gründe das habe. Was er nun an der Gefion gesehen hatte, bestärkte ihn noch mehr in feinem Verlangen. Er beschloss, sich selbst nach dem Asenland aufzumachen, und mit eigenen Augen zu sehen, wie es dort zuginge.

Er trat die Reife an, wollte aber verhehlen, wer er sei, und kleidete sich deshalb in die Gestalt eines alten Mannes. Die Asen jedoch kannten nicht bloß die Vergangenheit und Gegenwart, sondern wussten auch die Zukunft. Deshalb hatten sie Kenntnis von Gylfes Vorhaben, noch ehe er es ausführte. Sie beschlossen, seinen Fragen getreue Antworten zu geben, seinen Augen aber ein Blendwerk zu zeigen. Gylfe kam zur Burg der Asen, und als er hineintrat, sah er eine Halle, die war so hoch, dass er ihre Decke kaum mit den Augen erreichen konnte. Sie war bedeckt mit goldenen Schilden, die wie Ziegel übereinandergelegt waren. An der Tür des Saales saß ein Mann und spielte ein Fangspiel mit Messern, sodass immer sieben zugleich in der Luft schwebten. Dieser Mann fragte Gylfe nach seinem Namen. Gylfe nannte sich Gangler, sagte, er komme weit her, und bat um Herberge für die Nacht. Auch erkundigte er sich, wie der König heiße, dem die Halle gehöre. Der Türhüter erwiderte: »Ich will dich zu ihm führen, da magst du ihn selbst nach seinem Namen fragen.« Und schritt in die Halle voran. Dicht hinter ihnen schlug die Tür von selbst zu, damit niemand eintrete, während der Wächter fern war. Da sah Gylfe viele Hallen und in ihnen eine Menge Volk, einige würfelten, andere tranken Met, auf Bärenfellen sitzend, andere trieben Waffenspiele. Vieles schien ihm wundersam und nicht ungefährlich, deshalb sah er sich die Ausgänge wohl an, um entfliehen zu können, wenn Gefahr drohe, eingedenk des Spruches

Des Ausgangs, ehe du eingehst,
sichere dich. Denn nicht ist sicher,
wo Widersacher im Hause weilen.

Endlich kamen sie in eine Halle, in der standen drei Königsstühle, immer einer über dem andern, und auf jedem saß ein Herrscher. Gangler fragte, wie diese Könige hießen. Sein Führer erwiderte: »Der auf dem untersten Sitze heißt Hoch, der auf dem mittleren Ebenhoch, der auf dem höchsten Dritte.« Da fragte Hoch, wer da angekommen wäre, und was sein Begehr sei. Der Führer antwortete, es sei ein Mann aus weiter Ferne, der um eine Nachtherberge bitte. Hoch sagte, Essen und Trinken stehen ihm wie jedem Fremden in seiner Halle bereit.

Gangler jedoch antwortete: »Zuvor will ich von dir mehreres erfragen, denn ich bin gekommen, um zu sehen, ob es in diesen Hallen weise Männer gibt.« Er tat darauf seine Fragen, und Hoch, Ebenhoch und Dritte antworteten ihm auf alles. Sie erzählten vom Anfang der Welt, von den Göttern, von der Erschaffung der Menschen, Riesen und Zwerge, von Wodans Wanderungen, Donners Kämpfen und allen Schicksalen der Götter. Auch verschwiegen sie nicht den Schrecken der jüngsten Zeit, die Kämpfe zwischen Göttern und Unholden, den Weltbrand und die Auferstehung der Götter und der Erde. Als Hoch aber von der Erneuerung der Welt gesprochen hatte, wusste er nichts weiter zu berichten. Da hörte Gangler ein donnerähnliches Krachen, und als er sich dann umsah, gewahrte er nichts mehr von den Königsstühlen, noch von der Halle und der Burg, sondern stand allein auf einer weiten Ebene. Da ging er wieder nach Hause und erzählte alles, was er gesehen und gehört hatte.

Noch ein anderer Mann hat durch die Götter selbst Kunde von diesen Dingen bekommen, Oege war es, der auf der Insel Lesei wohnte. Er war aller Zauberei wohl kundig und unternahm einmal eine Reise nach Asengard. Als die Asen davon hörten, beschlossen sie ihn gastlich aufzunehmen, ihm aber, wie dem König Gylfe, allerlei Blendwerk sehen zu lassen. Oege kam, und es ward ihm in der Götterhalle ein Sitz angewiesen. Wodan ließ Schwerter herbeitragen, die waren so glänzend, dass sie am Abend den Saal erleuchteten, und man keines anderen Lichtes bedurfte. Die Wände waren mit schönen Schilden bedeckt, und kräftiger Met war genug vorhanden. Alle Götter und Göttinnen waren da, und Oege saß neben Brage, der ihm viele Dinge von den Göttern erzählte.

Diese beiden, Gylfe und Oege, haben dann diese Geschichten weiter gesagt, einer hat sie dem anderen erzählt. So sind sie auch auf uns gekommen, und will ich sie nun wieder erzählen.