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Et tu, Scriptor?

Et tu, Scriptor?

Es gibt Branchen, die beklagen ihr Schicksal im Zeitalter des Internets nahezu täglich; mal ein bisschen lauter, mal ein bisschen leiser.

Manchmal, wie in der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche, geht es um Google und all die anderen Anbieter, die Nachrichten gratis anliefern oder gar mit den Nachrichten der eigenen Blätter Geld verdienen.

Andere Branchen beklagen das x-fache Raubkopieren ihrer Titel. Die Musik-Industrie ist davon weitestgehend abgerückt, denn seit sie auf DRM und all diesen Mist verzichten, kaufen die Kunden wieder munter Lieder; iTunes sei Dank.

Bei den Hörspielen hört man immer mal wieder zornige oder weinerliche Beiträge jener Label, die zwar Folge um Folge einer Serie auf den Markt werfen, sich aber keinen Deut darum scheren, wer die eigentlich kaufen soll. Dass dann nicht einmal 500 Verkäufe zusammenkommen, daran sind natürlich die illegalen Downloads schuld.

Die Filmbranche dürfte hingegen momentan jene Branche im Unterhaltungsbereich sein, die das Klagelied am lautesten anstimmt.

Nun aber fallen auch Autoren in dieses Klagelied ein. So las ich jüngst bei Facebook folgenden Eintrag:

Ist gerade extrem angepisst, weil ich die Topliste der am meisten raubkopierten Ebooks von Elysion-Books in die Finger bekommen habe: […]

Fazit: Es gibt Leute, die einem Autor nicht einmal zwei oder drei Brötchen am Tag gönnen, sondern ihn lieber beklauen …

Eigentlich ist es toll! Als Autor brauche ich mir bei schlechten Verkaufszahlen keine Gedanken über mein Werk oder meine Werbung zu machen, sondern ich kann nun ebenfalls tun, was andere Branchen tun – winseln, wimmern, weinen und mit dem ausgestreckten Finger auf die illegalen Downloads zeigen.

Und weil jeder weiß, wie schädlich diese illegalen Downloads doch sind, erhalte ich für mein Verhalten viel Zuspruch und um mich herum nicken alle wie die Wackeldackel im VW-Käfer, der über eine Schotterpiste fährt.

Aber halt – nur, weil alle glauben, dass illegale Downloads ach so schädlich sind, muss es nicht wahr sein.

Denn bis heute ist es keiner Branche gelungen, belastbare Zahlen zu so entstehenden Verlusten zu nennen. Es gibt Hochrechnungen, Vermutungen und vor allem von Branchenvertretern extrem negative Schätzungen.

Aber keine Fakten!

Niemand weiß, wie hoch die Verluste wirklich sind – oder ob es überhaupt welche gibt! Denn auch das ist fraglich, gibt es doch die von den Branchen so gar nicht gern gehörte These, dass sich illegale Downloads positiv auswirken.

Dummerweise untermauerte gerade diese These eine Studie, die sich mit den Folgen der Schließung von Megaupload befasste.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die Umsätze bei kleinen Produktionen sanken, nachdem man Megaupload den Hahn abgedreht hatte. Offenbar nutzen User illegales Filesharing, um sich erst ein Bild von etwas zu machen, und dann ins Kino zu gehen. Auch muss man wohl bedenken, dass solche Portale einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Dort aufgeführt zu werden ist Werbung, die sich gerade kleinere Studios sonst gar nicht leisten können. Vor allem, wenn User dort auch noch ihre ungefilterten Kommentare zu einem Werk veröffentlichen.

Sicherlich – Großproduktionen mit hohem Werbe-Etat waren hiervon nicht betroffen. Aber gerade Branchen, die eben kein hohes Budget für Werbung ausgeben können, profitieren von illegalen Tauschbörsen.

Bedenkt man dies, sollten also kleine Verlage oder auch Hörspiel-Label nicht klagen, weil ihre Werke illegal getauscht werden, sondern es als Chance begreifen!

Es ist jedoch viel zu verlockend, sich seine niedrigen Verkaufszahlen anzuschauen und dann voll Zorn auf die deutlich höheren Downloadzahlen der Portale zu blicken.

Dabei sagen diese Zahlen rein gar nichts aus!

Diese Zahlen sagen nur, wie oft eine Datei geladen wurde. Mehr aber nicht.

  • Sie sagen nicht, wie viele User ein Werk gekauft hätten, gäbe es das illegale Angebot nicht.
  • Sie sagen nicht, wie oft eine Datei mehrfach geladen wurde.
  • Sie sagen nicht, wie oft ein Werk auch tatsächlich genutzt wurde.
  • Sie sagen nicht, ob jemand gezielt nach einem Werk suchte oder nur durch Zufall darauf stieß.

Nehmen wir an dieser Stelle ein Beispiel – mich! Ich habe im Laufe eines Jahres etwa 800 kostenfreie Bücher bei Amazon geladen. Darunter sind keine Klassiker, sondern lediglich diese Bücher, die zu Werbe-Zwecken gratis abgegeben werden.

Eine App hilft mir, diese Bücher zu finden; ich bin da ganz Jäger und Sammler. Da ich häufiger mal Geräte wechsele, wurde jede Datei mindestens zehn Mal geladen.

Was sagen aber diese 800 Bücher oder 8.000 Downloads aus?

Ich habe von diesen 800 Büchern vielleicht 20 (!) gelesen und hätte für zwei oder drei Geld ausgegeben! Keines davon habe ich explizit gesucht, weil ich dieses Buch haben wollte.

Das Gleiche lässt sich bei Freeware beobachten. Unglaublich hohe Downloadzahlen, aber die tatsächliche Nutzung ist meist eher bescheiden. Der Jäger und Sammler in uns lässt zugreifen, was er gratis bekommt.

Wer das nicht glaubt, besucht eine Messe und sieht die Leute mit Taschen voll Flyer, Mappen, Kugelschreiber, Ballons etc. nach Hause gehen.

Bedenkt man dies, relativieren sich die ach so schrecklichen Zahlen, welche die Branchen präsentieren, deutlich.

Für Anbieter sind illegale Downloads derweil die beste Ausrede für eigenes Versagen. Nehmen wir zum Beispiel Bastei Lübbe. Sie stellten im Jahre 2010 Serien ein mit der Begründung, dass jedes Hörspiel von etwa 1.000 Anbietern zum illegalen Download bereitgestellt wird. HörNews meldete seinerzeit:

 

Wie soeben Lübbe Audio mitgeteilt hat, werden die Serien: Perry Rhodan: Sternenozean, Offenbarung 23 und Edgar Allan Poe eingestellt. Als Grund wurde die erschreckende Anzahl von illegalen Kopien und zu wenig Absatz der genannten Serien aufgeführt. »Im Schnitt wird jedes unserer Hörspiele von etwa 1.000 Anbietern zum illegalen Download angeboten«, so Lübbe Audio in einer Mitteilung. Da Hörspiele, insbesondere SF/Fantasy-Reihen wie Poe und Rhodan, ohnehin nicht die Absatzzahlen von z. B. Die drei ??? oder John Sinclair erreichen, hat dies zur Einstellung geführt …

 

Nett, oder? Man schaut sich also die Verkaufszahlen von Serien an, stellt fest, dass diese nicht die Absatzzahlen von John Sinclair und Die drei ??? erreichen – und nimmt als Schuldige für das Aus der Serien die illegalen Downloads.

Dabei werden Die drei ??? und John Sinclair sicherlich nicht weniger oft angeboten und geladen; wahrscheinlich sogar noch sehr viel häufiger.

Dennoch sind es diese illegalen Downloads, die zum Aus führen. Dabei könnte man nun als Verkäufer ganz andere Gründe anführen.

  • Generell niedrigeres Interesse
  • Mangelnde Werbung und Unterstützung im Handel
  • Mangelnde Bekanntheit der Serien

Diese drei Punkte deuten auf ein Versagen der Marketing-Abteilung und der Produktplanung bei Bastei Lübbe hin. Also sucht man die Schuld lieber an anderer Stelle; dort, wo man keinen Einfluss auf die Zahlen hat – bei den illegalen Downloads.

Schaut man sich besagte Downloadzahlen für erfolgreiche Serien an, fällt diese brüchige Behauptung natürlich in sich zusammen wie ein Kartenhaus vor dem eingeschalteten Ventilator. Denn wenn es trotz hoher illegaler Downloadzahlen erfolgreiche Serien gibt, muss der Misserfolg anderer Serien woanders zu suchen sein.

Logisch, oder?

Nun mag natürlich jemand rufen: Ja-haaaa! Aber bei erfolgreichen Serien werden die illegalen Downloads kompensiert!

Das stimmt!

Aber ob eine Serie erfolgreich ist oder nicht, hängt NICHT von den illegalen Downloads ab, sondern davon, wie sie der Markt aufnimmt und wie man sie dem Markt präsentiert.

Betrachten wir zudem mein Beispiel mit Amazon, bleibt auch von den schrecklich hohen Downloadzahlen kaum etwas übrig. Angenommen, eine Folge wird 20.000 mal geladen. Wie viele User hätten sie gekauft? Jeder Zehnte? Jeder Fünfte? Oder jeder 50.?

Ich fürchte, ich bin zu optimistisch, wenn ich von 200 Käufen ausgehe, die so aus der Summe rausgerechnet werden müssen.

Machen diese 200 Verkäufe wirklich den Unterschied?

Oder 500?

Kleine Studios, die nun winken und rufen, sie würden sich über 200 oder 500 mehr Abverkäufe freuen, sollten die Hand wieder runternehmen – bei ihnen reduziert sich die Zahl nicht nur auf 20 oder 50, sondern es kommt auch noch der Megaupload-Effekt hinzu!

 

Ich selbst schreibe diesen Artikel nicht aus der Position des überheblichen Beobachters, sondern als ein Betroffener. An Werken von mir, die als Hörspiele oder Hörbücher erscheinen, verdiene ich mit, an meinen E-Book-Verkäufen ohnehin.

Beides wird im Web fleißig geteilt.

Dennoch habe ich auch bei meinem jüngst erschienenen Roman Reconquista wieder auf das DRM bei Amazon verzichtet. Jemand nimmt meinen Roman und gibt ihn weiter? Dann ist das eben so!

Ein Verkauf weniger, ein Leser mehr. Und dieser Leser sagt sich vielleicht, dass er auch Die Türen der Unterwelt lesen möchte, und nun kauft er sie. Oder er verschenkt ein Werk von mir, weil es ihm gut gefällt. Und so werden aus illegalen Downloads plötzlich Gelegenheiten und Verkäufe.

 

Es wird Zeit, umzudenken. Das gilt für die kleinen Autoren und Verlage, aber auch für die große Filmbranche. Und zu der komme ich nun in einem letzten Punkt.

Filme kann man im Web laden, sobald sie irgendwo laufen. Manchmal sogar früher, je nachdem, wer sie anbietet.

Es gibt keinen Film und keine Serie, den/die man nicht binnen weniger Minuten im Web schauen kann – wenige Stunden nach der Premiere. Anbieter wie das nun geschlossene kino.to und all seine Nachfolger werden von Tausenden von Menschen genutzt, Tag für Tag.

Warum?

Weil die Filmbranche nicht verstanden hat, was die User wollen!

Momentan gibt es einige Anbieter mit Video on Demand-Angeboten. Watchever, Maxdome, Amazon Prime, Snap und nun auch Netflix.

All diese Anbieter bieten einen Flickenteppich verschiedenster Filme und Serien, darunter kaum wirklich neue Tittel. Serien wie Star Trek: Deep Space Nine sucht man vergebens, dafür findet man manche Serien bei allen Anbietern, mal mit mehr, mal mit weniger Staffeln.

Will man dieses Angebot auf einem PC nutzen, MUSS es Mac oder Windows sein, denn die Branche setzt auf das fragile und veraltete Silverlight von Microsoft als DRM. Linux-User, und davon gibt es einige, haben keine Möglichkeit, das Angebot zu nutzen.

Natürlich ist dieses Verhalten der Filmindustrie völlig sinnlos – sie schließen teilweise User aus oder zwingen sie zu fragiler Software, um etwas zu schützen, das seit Monaten oder Jahren ohnehin im Web zu finden ist. Jeder Linux-User kann jeden Film und jede Serie auf einem illegalen Portal sehen; jetzt und sofort, ohne sich um einen Schutz wie Silverlight zu kümmern. Ebenso kann es jeder Mac- oder Windows-User, der sein System nicht mit Silverlight belasten will.

Dennoch glaubt die Filmindustrie, die Filme und Serien »schützen« zu müssen.

Noch interessanter ist es, wenn man Tablets nutzt.

Bis auf Watchever bietet kein Anbieter die Möglichkeit, einen Film auf das Gerät zu laden, um ihn später offline zu schauen. Das mag User mit schnellem DSL nicht weiter stören, hat man aber eine schlechte Internetverbindung, etwa auf dem Land, ist solch ein Download essenziell.

Doch die Filmindustrie greift auch hier maßregelnd ein. So muss ein Film, hat man ihn zu schauen begonnen, binnen zweier Tage geschaut sein; dann wird er automatisch gelöscht. Und – viele Filme und Serien darf man nur EINMAL laden. Möchte man sie später noch einmal schauen, hat man Pech gehabt; dann muss man sie streamen, und das ist je nach Webleitung unmöglich.

Was in aller Welt soll solch eine Reglementierung? Wem nutzt es, wenn man User auf diese Weise gängelt?

Man zahlt dafür, Filme und Serien schauen zu dürfen – aber bitte nur so, wie es sich die Filmindustrie vorstellt.

Es ist kein Wunder, dass sich so manch ein Kunde am Ende doch bei einem illegalen Portal einen Film lädt, nachdem ihm Watchever mitteilte, dass er den Film leider nur einmal herunterladen darf.

Wenn das funktioniert – und es funktioniert in der Regel sehr gut – wird sich der User irgendwann fragen, warum er eigentlich überhaupt noch bezahlt, wenn ihn die Filmindustrie auf diese Weise behandelt und er ohnehin am Ende bei kino.to-Nachfolgern landet.

Sucht man hingegen aktuelle Filme im Web, ist ohnehin Schicht. Erst wird im Kino verwertet – wer aus welchen Gründen auch immer nicht ins Kino kann, schaut eben in die Röhre und muss warten, bis ein Film nach Monaten auf DVD oder bei Portalen wie iTunes erscheint.

Ich selbst erlebte diese Situation mehrfach in den letzten Jahren, da meine Gesundheit kaum Kinobesuche zulässt.

Wie gerne hätte ich den letzten Resident Evil-Streifen bei Erscheinen gesehen, konnte aber nicht ins Kino. Drei Anläufe scheiterten, ich musste aufgeben.

Gesehen habe ich ihn dann Monate nach dem Start, weil die Branche nicht willens ist, einen Film auch im Web zu launchen.

Wie viele User warten nicht ab? Wie viele User zucken mit den Schultern und rufen kino-to-Nachfolger auf, um sich den Streifen eben dort anzuschauen? Denn dort stand er bereit; früher als der Start in Deutschland mit englischer Spur, am Tag des Deutschland-Starts in deutscher Sprache.

User wären bereit, für solch einen Start Geld auszugeben, können es aber nicht, da die Branche schlicht an den Wünschen – der Nachfrage – der Kunden vorbeiarbeitet.

Es ist kein Wunder, dass illegale Portale Umsätze in traumhaften Höhen generieren, wenn die legalen Anbieter kein Interesse an eben diesen Umsätzen haben. Nur zu wimmern und zu klagen oder Spots zu zeigen, die einem die Verwerflichkeit von »Piraterie« vor Augen führen sollen, bringen gar nichts. Die unzähligen Nutzer solcher Portale sind keine Verbrecher. Sie suchen lediglich, was sie legal nicht finden. Und das ist allein die Schuld der Industrie!

 

Fazit: Es ist dringend notwendig, das Thema illegaler Kopien im Netz völlig neu zu bewerten. Branchen müssen ergründen, was User in die Illegalität treibt und hier ansetzen. Weder schärfere Gesetze noch lautes Klagen helfen.

Vor allem aber müssen alle Branchen erkennen, dass hierin große Chancen liegen! Denn keine Schätzung zu Verlusten, egal wie hoch, ist auch nur im Entferntesten belegbar! Das sollte sich jeder vor Augen halten!

Weblinks:

Bildnachweis:

  • 1: Jolly Roger von Edward England, erstellt von WarX, editiert von Manuel Strehl (beide Wikipedia), veröffentlicht unter CC BY-SA 3.0 (creativecommons.org)
  • 2: Cover von Reconquista – © SHUTUP-Verlag, erstellt von Linda Rodemer

 (ga)