Timetraveller – Episode 33
Prolog
Flammen
Australien, 30.11.2012
Flight Commander Georgina Jansen starrte durch die Frontscheibe ihres Helikopters, während sie die Maschine so ruhig wie möglich über ein Meer tosender Flammen lenkte. Der Rauch war so dicht, dass sie kaum etwas sah. Aufsteigende Hitze und Ruß setzten der Maschine zu, wieder und wieder spürte sie leichte Aussetzer des Motors.
Dies würde der vorerst letzte Flug sein, zumindest für diesen Hubschrauber.
»Einsatzzentrale, hier Lösch-Hubschrauber GJ-01. Lasse Ladung ab und komme zurück zur Base. Der Helikopter benötigt eine Reinigung!«
»Roger! Willst du erneut aufsteigen oder … benötigst du ebenfalls eine Reinigung?« Die weibliche Stimme am Mikrofon klang trotz der enorm angespannten Situation humorig.
»Kommt ganz darauf an! Wenn du mich unter die Dusche begleitest …«
Sie lachten.
Ihr war in diesem Moment egal, dass auch die anderen Piloten den Funk mithörten. Jeder wusste, dass sie mit der Frau am Mikrofon – Kylie Anderson – liiert war.
Zudem war dies weder Georginas noch Kylies Beruf. Dies hier war Teil von Georginas sozialem Projekt, welchem sie in ihrer Freizeit nachging. Dieses bestand eigentlich darin, Ärzte ins Outback zu fliegen, damit die Menschen dort medizinisch versorgt wurden. Nun aber musste jeder Pilot ran, um diese Feuersbrunst zu stoppen.
Kylie, ihre Lebensgefährtin und eigentlich eine freiberufliche IT-Expertin, hatte sie begleitet, um zu sehen, welchen Beitrag sie leisten könne.
Die Einsatzleitung war schließlich auf die Idee gekommen, sie mit der Koordination der Flüge zu betrauen, gemeinsam mit einem erfahrenen Katastrophenhelfer.
So kam es, dass Georgina auch während des Fluges hin und wieder die Stimme ihrer Partnerin hörte. Seltsamerweise hatte dies etwas Beruhigendes, obwohl ihr Kylie hier draußen natürlich nicht helfen konnte.
Dennoch fühlte sie sich nicht gänzlich allein mit der Flammenhölle, die rings um sie wütete.
Georgina hatte die Abwurfstelle erreicht, betätigte den Auslöser und sah auf dem kleinen Monitor, wie sich das große Gefäß unter ihrer Maschine entleerte. Unzählige Liter kalten Wassers stürzten vor der Linse einer am Rumpf befestigten Kamera in das Feuer. Dampf fauchte empor, Asche umgab sie und für einen Moment war es, als habe jemand oder etwas die Sonne einfach ausgeschaltet.
Dann aber durchbrach Georgina die dunklen Wolken, das Inferno blieb zurück und strahlend blauer Himmel umgab sie. Die Sonne war noch immer da, über ihr, hell und warm, ein gelber, feuriger Ball.
Sie zog den Helikopter in eine Kurve und nahm Kurs auf die Basis.
Unter ihr zog das Land dahin. Sie überflog die Ausläufer des Feuers. Vereinzelt sah sie Farmen, umgeben von dem Brand. Sie alle waren schon vor Stunden geräumt worden.
So zumindest hieß es.
Umso mehr schockierte sie ein blaues Licht, das irgendwo hinter ihr in den Himmel jagte.
Sie drehte den Kopf und schaute zurück zu einer Farm, die unmittelbar von dem Feuer bedroht war. Schon jetzt brannten die Zäune, heiße Winde trieben die Glut in Richtung Hauptgebäude.
Und dort, auf einem Flachdach, sah sie drei Personen stehen und winken.
»Einsatzzentrale, hier Lösch-Hubschrauber GJ-01! Habe drei in Not befindliche Menschen gesichtet. Wiederhole – ich habe drei in Not befindliche Menschen gesichtet.« Sie gab ihre Koordinaten an und wartete darauf, dass einer der Evakuierungs-Helikopter die Meldung bestätigte.
»Im Moment ist keine Evak-Einheit frei. Wie lange haben die Leute noch, ehe die Flammen kommen?«
»Wenn sie im Garten Mais angebaut haben, wird daraus gerade Popcorn!«
Kylie stieß einen erschrockenen Ruf aus.
»Ich kann die Löschvorrichtung ausklinken und die Leute aufnehmen!«
»Bist du sicher?«, hörte sie eine ältere, männliche Stimme im Headset. »Die Dächer dort draußen sind nicht so stabil, wie sie aussehen. Du hast einen sehr schweren Helikopter!«
Georgina schaute zu den winkenden Menschen. Das Feuer fraß sich unglaublich schnell voran. Zudem sah sie, dass bereits erste Flammen über die Hauswand leckten.
»Ich muss es versuchen, sonst sterben sie! Das Haus beginnt zu brennen!«
»Wir drücken dir die Daumen!«, sagte die ältere Stimme.
Dann meldete sich Kylie wieder. »Bitte sei vorsichtig! Nicht, dass dir da draußen etwas geschieht!«
»Roger!«, bestätigte die junge Frau, während sie einen weiteren Schalter betätigte und damit die Lösch-Vorrichtung ausklinkte. Mit etwas Glück konnte sie diese später wieder aufnehmen. »Keine Sorge, es gab gefährlichere Missionen!«
Damit meinte Georgina nicht dieses Projekt, sondern ihren Beruf. Als Pilotin der Multiverse Travel Research Organizationflog sie spezielle Maschinen – Glider – zu fremden Welten oder durch die Zeit in die Vergangenheit. Stellte schon jeder dieser Flüge grundsätzlich ein Problem dar, so hatte es zudem etliche brenzlige Situationen gegeben. Sie waren von anderen Weltenreisenden angegriffen worden 1 und hatten sich wenige Monate zuvor gegen Wesen zur Wehr setzen müssen, die aus einer fremden Welt in diese gekommen waren, um einen von Jaqueline Berger getöteten Gott wiederzubeleben.
Dank guter Reflexe und einer ausgeprägten Intuition war es Georgina bisher stets gelungen, jede Mission erfolgreich abzuschließen. Noch nie war jemand unter ihrem Kommando zu Schaden gekommen, stets hatte sie adäquat reagieren können.
Als die junge Amerikanerin nun das Flachdach mit den noch immer winkenden Menschen anflog, war sie daher recht zuversichtlich, auch diese Situation meistern zu können.
Die Familie auf dem Dach – es handelte sich um einen Mann, eine Frau und ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren – jubelte, als der Helikopter tiefer ging, um sie aufzunehmen.
Die Flammen hatten sich an der Außenwand empor gefressen und leckten bereits über das Dach.
Georgina spürte die Hitze. Sie hüllte das Gebäude bereits ein. Qualm erfüllte zunehmend die Luft; nur noch wenige Minuten, und die Leute wären verloren gewesen.
Durch die Kanzel bedeutete Georgina der Familie, etwas Platz zu machen und sich zu ducken. Dann setzte sie zur Landung an.
Sehr vorsichtig senkten sich die Kufen der schweren Maschine. Sie berührten das Dach – und plötzlich wusste Georgina, dass die Konstruktion unter ihr zu schwach war. Sie würde einbrechen und dann wäre es um sie alle geschehen.
Sie stoppte den Landeanflug und drehte die Maschine etwas. Die verschiedenen Temperaturschichten unmittelbar über dem Dach machten es ihr noch schwerer, den Helikopter auszubalancieren. Die Hitze war das eine, aber es gab offenbar auch kühlere Luftströme. Wahrscheinlich lief irgendwo im Haus eine Klimaanlage auf Notstrom, die verzweifelt kalte Luft ausstieß.
Was tun?
Die Familie hatte erkannt, dass Georgina die Landung abgebrochen hatte. Aufgeregt gestikulierten sie ihr zu. Hinter ihnen begann das Feuer, sich auf dem Dach auszubreiten.
Sie aktivierte die Außenlautsprecher des Löschhubschraubers. »Ich kann nicht landen«, kämpfte ihre Stimme gegen den Lärm des Rotors und das Tosen der Flammen an, »das Dach ist zu schwach!«
Die drei Personen ließen die Arme sinken. Entsetzen spiegelte sich auf ihren Zügen wider.
Georgina drehte die Maschine noch etwas, sodass der hintere Einstieg nun knapp einen halben Meter über dem weißen Flachdach schwebte. »Ich habe den Zugang entriegelt. Beeilt euch!«
Sie kämpfte gegen die verschiedenen Strömungen an. Wieder und wieder versuchte der Helikopter zur Seite hin auszubrechen.
Die Familie eilte auf sie zu. Der Einstieg wurde geöffnet, dann sah Georgina, dass das Mädchen ins Innere gewuchtet wurde.
»Setz dich!«, rief sie dem Kind zu.
Der Kleinen folgte die Mutter, erst dann wollte auch der Vater ins Innere klettern. Er streckte seine Hände aus, klammerte sich fest – und just in diesem Moment brach unter ihm das Dach ein. Für einen Moment konnte sich der Mann noch halten, dann stürzte er in die Tiefe.
Scheiße!
Die Frau und das Mädchen schrien entsetzt auf. Georgina sah auf dem Monitor der Cam, dass der Mann in einem Schlafzimmer lag, von Flammen umgeben. Er rappelte sich auf, aber es war ihm nicht möglich, hinauf auf das Dach zu klettern.
Georgina flog langsam zur Seite. Aus dem Passagierraum drangen laute Rufe zu ihr hinein. Die Frau dachte, sie wolle einfach abfliegen und wurde hysterisch, beruhigte sich aber, als sie bemerkte, dass Georgina nach einer Lösung suchte.
Sie wusste nicht, wie lange der Mann noch hatte. Sie sah, dass er panisch in einen Raum neben jenem Zimmer geflohen war, in das er stürzte.
Das Problem war, dass es dort kein Fenster gab.
Und das Feuer versperrte ihm den Weg zu einem anderen Ausgang!
Die Pilotin dachte fieberhaft über eine Lösung nach, während sie der Zentrale schilderte, was sich ereignet hatte.
Die Flammenfront kam näher und näher, das Haus brannte teilweise und es gab keine Chance, irgendwie an den Mann heranzukommen. Zudem wurde es zunehmend schwerer, die Maschine zu kontrollieren. Die Hitze, der Qualm und der Ruß setzten dem Rotor zu. Im Innern wurde es heiß und stickig.
»Komm zurück!«, sagte die männliche Stimme. »Manchmal kann man nichts anderes tun. Du hast zwei Menschen gerettet!«
Aufgeben? Ihn seinem Schicksal überlassen? Alles in Georgia wehrte sich dagegen.
»Shit!«, fluchte sie, schlug auf die Armaturen und drehte ab. Sie wollte nicht zur Base fliegen und den Mann zurücklassen.
Wieder wurde das Gekreische aus dem Passagierraum lauter, das Kind weinte und die Frau klopfte gegen die Trennwand.
Dann hatte die Pilotin eine Idee!
Sie drückte die Schnauze der Maschine tiefer. »Ich lande kurz!«, rief sie in das Funkgerät.
Ein unterdrückter Aufschrei kam als Antwort ihrer Lebensgefährtin zurück.
Georgina sprang aus dem Helikopter, kaum dass sie neben der Löschvorrichtung gelandet war. Es handelte sich dabei um ein großes Gefäß mit schwenkbarem Boden.
Sie nahm die schweren Ketten und schaffte es, sie an der Halterung unter dem Rumpf zu befestigen.
»Dafür ist Zeit, aber meinen Mann lassen Sie zurück?«, brüllte die Frau. Sie stand an der offenen Luke und machte Anstalten, hinauszuspringen.
»Bleiben Sie drin! Ich lasse niemanden zurück!«, schrie Georgina ihrerseits, während sie auch die Steuerung der Klappe mit dem Helikopter verband.
Anschließend spurtete sie zum Cockpit und zog die Maschine hoch, kaum dass sie auf ihrem Sitz saß.
Sie wendete die Maschine und flog zurück zum Haus. Das Feuer hatte sich ausgebreitet, aber es sah so aus, als sei der Raum, in dem der Mann Zuflucht gesucht hatte, noch unversehrt.
»Wenn Sie mich hören können, dann treten Sie von der Wand zurück, gehen Sie in die Hocke und schützen Sie ihren Kopf!«, rief Georgina. Sie bewegte das Steuer geschickt, versetzte die Löschvorrichtung in Schwung und schaffte es, dass der schwere Metallkörper gegen die Wand krachte.
Es brauchte zwei Anläufe, dann hatte sie ein großes Loch geschaffen.
Staub, Rauch und Ruß nahmen ihr die Sicht. Doch sie sah deutlich einen grauen Schatten, der sich an den Trümmern vorbei zur Lücke kämpfte.
»Ich kann Sie nicht aufnehmen, Sie müssen in den Löschkasten springen!«, rief Georgina. Sie steuerte die Maschine so, dass der Mann nur einen Schritt zu tun brauchte. Gewiss, er hatte ein paar Meter bis zum Grund. Aber immerhin war es darin nass und kühl.
Sie sah, dass sich der Mann auf den Rand des Löschkorbs setzte und dann am Rand entlang in die Tiefe rutschte.
Die Flammen umschlossen das Haus vollständig. Die aufsteigende Luft und vor allem der Ruß ließen den Motor stottern.
Georgina riss den Steuerknüppel herum und trieb die Maschine seitlich in die Höhe, dorthin, wo die Luft deutlich besser war.
Sie ließ das Inferno hinter sich und stieg auf zweihundert Fuß. Höher durfte sie nicht fliegen.
»Halten Sie durch!«, rief sie dem Mann im Löschkorb zu. »Ich kann nicht landen, um Sie aufzunehmen. Wir fliegen direkt zur Basis!«
Sie schaute auf den Monitor und sah, dass der Mann einen Daumen hob. Offenbar war es dort unten nicht so ungemütlich, wie sie befürchtet hatte.
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