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Elfnapping

Auf der Wald­lich­tung bil­de­ten sechs Groß­wöl­fe ei­nen Halb­kreis und fletsch­ten gie­rig ihre Reiß­zäh­ne. Spei­chel tropf­te auf tro­cke­nes Laub und das ge­sträub­te Fell der Kre­a­tu­ren ließ ei­nes deut­lich er­ken­nen: Sie wür­den je­den Au­gen­blick zum An­griff über­ge­hen.

Tu­urg ver­such­te, sich sei­ne Ner­vo­si­tät nicht an­mer­ken zu las­sen. Nur mit ei­nem Jagd­mes­ser be­waff­net wuss­te er ein­fach nicht, wie die­se Bes­ti­en zu be­zwin­gen wa­ren. Er ge­hör­te zu den Krie­gern, die im Clan recht ho­hes An­se­hen ge­nos­sen, die sich schon in et­li­chen Kämp­fen be­währt hat­ten, trotz ih­rer Ju­gend. Doch hier stand er ei­ner Über­macht ent­ge­gen. Mit üb­li­chen Schlach­ten hat­te die­se Si­tu­a­ti­on nichts ge­mein.

»Ver­dammt, tu end­lich et­was«, zisch­te der jun­ge Ork zu ei­nem El­fen­mäd­chen, das dicht hin­ter ihm stand und ihn bös­ar­tig an­fun­kel­te.

»Ach, hat der gro­ße Krie­ger etwa die Ho­sen voll?«, gab sie ihm zur Ant­wort und konn­te ein ge­mei­nes Ki­chern nicht un­ter­drü­cken. Sie ge­noss es, ihn vor Angst zit­tern zu se­hen. Da­bei ver­gaß sie ganz, in wel­cher Ge­fahr sich bei­de be­fan­den. Mit knir­schen­den Zäh­nen er­in­ner­te Tu­urg die Elfe ger­ne da­ran: »Hör zu, wenn die los­le­gen, bleibt von dir ge­nau­so viel üb­rig, wie von mir – ein paar blan­ke Kno­chen in ei­nem frem­den Wald. An dei­ner Stel­le wür­de ich mich da­ran be­tei­li­gen, wie wir aus die­ser Lage wie­der he­raus­kom­men.«

My­nia schnaub­te vol­ler Ver­ach­tung und ver­schränk­te ihre Arme vor der Brust. Orks wa­ren dumm, sie wuss­ten nicht ein­mal, wie man ei­nen Wald durch­que­ren konn­te, ohne ge­fres­sen zu wer­den. Viel­leicht soll­te sie ein­fach ab­war­ten, bis sich die Wöl­fe auf ihn stürz­ten und dann die Flucht er­grei­fen. An­de­rer­seits be­stand aber auch die Mög­lich­keit, dass sich die Tie­re nicht mit ei­nem gro­ßen Bro­cken wie die­sem Grün­ling zu­frie­den­ga­ben.

»Darf ich dich da­ran er­in­nern, dass ich dei­ne Gei­sel bin? Wie sähe es denn aus, wenn sich der wil­de Ent­füh­rer von ei­nem El­fen­mäd­chen hel­fen lie­ße?«

»Kei­ne Ban­ge«, mein­te Tu­urg, wäh­rend er ver­such­te, je­den ein­zel­nen Wolf ir­gend­wie im Auge zu be­hal­ten. Noch schien ih­nen die Lage nicht ganz zu pas­sen, sonst hät­ten sich die Bies­ter be­reits in Be­we­gung ge­setzt. »Ich ver­ges­se be­stimmt nicht, dass du mei­ne Gei­sel bist. Üb­ri­gens die schlech­tes­te Gei­sel, die man sich vor­stel­len kann. Wer ist denn so däm­lich und wirft eine gute Kriegs­axt in eine Schlucht, statt da­mit auf den Ent­füh­rer ein­zu­schla­gen?«

»Und wer ist so däm­lich und schläft ne­ben sei­ner Gei­sel ein, die nicht ein­mal fach­män­nisch ge­fes­selt wur­de?«

»Und wer ist so däm­lich und nutzt nicht die Ge­le­gen­heit, die sich ei­nem zur Flucht bie­tet?«

»Und wer ist so …«, mehr konn­te die Elfe nicht mehr ent­geg­nen, denn der klei­ne Streit zwi­schen ihr und dem Ork hat­te die Wöl­fe zu­erst ein we­nig ver­wirrt und dann noch wü­ten­der ge­macht. Sie ka­men nä­her, un­auf­halt­sam. Bald wür­den sie sprin­gen und ihre Zäh­ne an fri­schem Fleisch aus­pro­bie­ren. Nun ka­men My­nia ei­ni­ge Zwei­fel, ob sie wirk­lich so eng mit der Na­tur ver­bun­den war, dass ihr Tie­re des Wal­des nichts an­ha­ben wür­den.

Lei­se stimm­te die Elfe ei­nen ei­gen­ar­ti­gen Ge­sang an, bei dem sich ihre Stim­me in ste­ti­gem Rhyth­mus sanft an­hob und wie­der senk­te. Als er die ei­gen­tüm­li­chen Lau­te hör­te, konn­te Tu­urg ein un­gläu­bi­ges Schie­len über die Schul­ter nicht ver­hin­dern, Wöl­fe hin oder her.

Um die Wöl­fe nicht noch mehr zu rei­zen, flüs­ter­te er vor­sich­tig: »Was, bei al­len Göt­tern, tust du da? Ich glau­be nicht, dass sie sich in den Schlaf sin­gen las­sen.«

»Töl­pel, du sollst mich nicht un­ter­bre­chen. Ich sin­ge das Lied des zah­men Wol­fes, da­mit sie ih­ren Hun­ger ver­ges­sen.« Sie reck­te ein we­nig das Kinn nach vor­ne, um die Wich­tig­keit ih­rer Rede zu un­ter­mau­ern. »Das habe ich schon oft ge­macht, wenn ich al­lein im Wald spa­zie­ren ging. Es be­ru­higt sie.«

»Nun, viel­leicht klappt das ja bei nor­ma­len Wöl­fen, aber die­se Mons­ter wur­den vor lan­ger Zeit von ei­nem Zau­be­rer er­schaf­fen und ha­ben sich seit­dem ein­fach ver­mehrt.«

»Oh«, ant­wor­te­te My­nia et­was ver­le­gen. Sie gab es nicht of­fen zu, aber der Ein­wand des Orks war nicht von der Hand zu wei­sen. Auf die­se Art von Ge­sang re­a­gier­ten nur die üb­li­chen Wild­tie­re, Zau­ber­we­sen wa­ren da­ge­gen im­mun. Die Elfe muss­te sich der Re­a­li­tät stel­len, sie und der Ork schweb­ten in höchs­ter Ge­fahr. Den Mons­tern wür­de es gleich­gül­tig sein, dass My­nia ei­nem Volk an­ge­hör­te, das die Na­tur nicht nur be­hü­te­te, son­dern mit ihr auch im Ein­klang leb­te.

Kon­zen­tra­ti­on, dach­te My­nia. Die Ho­he­pries­te­rin hat­te im­mer und im­mer wie­der be­tont, wie wich­tig Kon­zen­tra­ti­on bei Zau­ber­an­wen­dun­gen war. Wer sich nicht kon­zen­trier­te, wer sich ab­len­ken ließ, ris­kier­te schlim­me Feh­ler. Ma­gie ver­zieh ei­nem aber kei­nen ein­zi­gen Feh­ler. Was aus­ge­spro­chen, was ge­wirkt war, ließ sich nicht rück­gän­gig ma­chen.

Ir­gend­wo in ih­rem Geist muss­te es eine Zau­ber­for­mel ge­ben, mit der sie zu­min­dest sich selbst aus der be­droh­li­chen Lage ret­ten konn­te. Soll­te doch die­ser Ork zer­fetzt wer­den, im­mer­hin hat­te er sie ent­führt und die Elfe nicht ge­ra­de ih­rem Stand ent­spre­chend be­han­delt. Gut, My­nia muss­te we­der Hun­ger, noch Durst lei­den, trotz­dem war es eine Un­ver­schämt­heit ge­we­sen, eine so be­deu­ten­de No­vi­zin ein­fach zu ver­schlep­pen. Auf ge­meins­te Art, wäh­rend sie im Wald hin­ter dem Tem­pel Blu­men ge­pflückt hat­te. Eine Schan­de.

»Elfe«, zisch­te Tu­urg, »es wird Zeit. Mit ei­nem Mes­ser ist den Bies­tern nicht bei­zu­kom­men. Du musst ei­nen Zau­ber ein­set­zen. Ver­dammt, ich gebe ja zu, dass ich mir bei­na­he in die Ho­sen ma­che.«

»Das dürf­te den an­de­ren Ge­stank, den du so­wie­so ver­strömst, wohl teil­wei­se über­de­cken«, feix­te das jun­ge Mäd­chen und forsch­te wei­ter in ih­ren Er­in­ne­run­gen. Wie war das mit Zau­ber­we­sen? Wel­cher Spruch mach­te sie un­schäd­lich oder konn­te sol­che Bes­ti­en für eine ge­wis­se Zeit läh­men? My­nia wuss­te, dass die Ho­he­pries­te­rin ihr und den an­de­ren Schü­lern Schutz- und An­griffs­sprü­che für alle mög­li­chen Ge­le­gen­hei­ten bei­ge­bracht hat­te.

Ei­ner der Wöl­fe schnapp­te nach Tu­urg, war je­doch noch zu weit ent­fernt, um ihn wirk­lich er­rei­chen zu kön­nen. Es war eine Ges­te der War­nung, ein Zei­chen der bal­di­gen At­ta­cke. Den­noch zeig­te das Zer­bei­ßen der Luft sei­ne Wir­kung, denn der Ork stieß ei­nen kur­zen, ho­hen Schrei aus und wich ei­nen Schritt wei­ter zu­rück. Da­bei stieß Tu­urg ge­gen My­nia, die sich schimp­fend be­schwer­te.

Nein, die­ses Ge­jam­me­re, er hat­te es der­ma­ßen satt. Un­ter all den po­ten­zi­el­len Zie­len hat­te er sich eine Zi­cke aus­su­chen müs­sen, eine hoch­nä­si­ge, plap­pern­de, kei­fen­de Göre. Sie war die Toch­ter ei­nes El­fen­fürs­ten, eine über­aus wert­vol­le Fracht, doch recht­fer­tig­te das den Auf­wand, den er mit ihr hat­te? Ge­schwei­ge denn die nerv­li­che Be­las­tung. Ver­zo­ge­nes Balg.

»Elfe, ich sage dir … wenn wir das hier über­le­ben, ra­sie­re ich dir den Schä­del und prü­ge­le dich win­del­weich.«

My­nia zeig­te ihm ei­nen Vo­gel, den Tu­urg je­doch nicht sah, da die Wöl­fe sei­ne ge­sam­te Auf­merk­sam­keit be­an­spruch­ten. Also sag­te sie ver­ächt­lich: »Also die­se Aus­sich­ten tau­gen nicht un­be­dingt dazu, mich zu mo­ti­vie­ren. War­um müsst ihr Orks im­mer so bru­tal und un­ge­ho­belt sein? Habt ihr Grün­lin­ge denn über­haupt kei­nen An­stand?«

»Wir Grün­lin­ge sind eben so, wie wir sind. Au­ßer­dem: Was weißt du schon über uns? Ihr ar­ro­gan­ten El­fen hal­tet euch doch für die tolls­ten Le­be­we­sen der Welt. Alle an­de­ren sind doch in eu­ren Au­gen nur Bar­ba­ren. Wir er­lan­gen Ehre durch un­se­re Ta­ten, wir sind Krie­ger. Selbst un­se­re Scham­anen wis­sen or­dent­lich aus­zu­tei­len.«

Ohne auf Tu­urgs Ge­re­de wei­ter ein­zu­ge­hen, rich­te­te My­nia ih­ren Fo­kus lie­ber wie­der auf das Fin­den ei­nes ge­eig­ne­ten Zau­ber­spruchs. Lang­sam schlich­ten die Wöl­fe nä­her, wur­den sich ih­rer Sa­che im­mer si­che­rer, dass ihre Beu­te nicht mehr ent­wi­schen konn­te.

Mit ei­nem Mal hob die jun­ge Elfe ihre Arme him­mel­wärts, sprach ei­gen­ar­ti­ge Wor­te und voll­führ­te da­nach lang­sa­me Ges­ten. Blit­ze zuck­ten aus My­ni­as Fin­ger­spit­zen her­vor, grü­ne und gel­be Licht­strah­len, die zu den Baum­kro­nen schos­sen. Der Ork wag­te nur ei­nen kur­zen Blick nach oben, denn wenn er die Wöl­fe nicht mehr be­ach­te­te, wür­den sie so­fort an­grei­fen. So son­dier­ten sie die Lage noch ei­ni­ge Se­kun­den län­ger.

Ein Fun­ken­re­gen fiel he­rab, traf das Fell des ers­ten Wolfs, der das aber nicht zu be­mer­ken schien. Erst glaub­te Tu­urg, der Zau­ber wäre fehl­ge­schla­gen, doch dann kam die Ver­än­de­rung. Die Fun­ken, die den ers­ten Wolf er­wischt hat­ten, spran­gen auf die an­de­ren über. Nun blie­ben die Tie­re ste­hen und schau­ten ei­nan­der an. Schließ­lich be­weg­ten sie sich auf­ei­nan­der zu. Nicht frei­wil­lig, es war eine un­sicht­ba­re Macht, die alle ein­fach zu­sam­men­schob. Na­tür­lich wehr­ten sie sich ge­gen die­sen Zwang, knurr­ten und schnapp­ten mit ih­ren schar­fen Fän­gen nach al­len Sei­ten, woll­ten den kör­per­lo­sen Feind ver­nich­ten. Ver­ge­bens.

Copyright © 2011 by Sven Später


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