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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Einundvierzigste Erzählung – Teil 3

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Einundvierzigste Erzählung – Teil 3

Von dem wilden Jäger oder dem wütenden Heer

Erste Erklärungsart

In erster Linie ist unbestritten die in Aufruhr gebrachte gespensterschwangere Einbildungskraft der Furchtsamen eine treue Geburtshelferin der spukhaften Erscheinung, wovon hier die Rede ist. Wenn ein Phantasiereicher, der in der zarten Kindheit so manches Gespenstervorurteil einsog, im nächtlichen Halbdunkel über Land reist und vielleicht einsam über ein berüchtigtes Schlachtfeld wandert, wo Tausende seiner Brüder den gewaltsamen Kriegertod starben – wenn da Sturmwinde toben, Bäume knickern und deren dürres Land unsichtbar vor ihm vorüberrauscht oder wenn Nachtvögel, an die er gar nicht dachte, um ihn herflattern, sodass jede ihrer Flügelschwingen bei der Feier der Nacht ihm spukhaft ins Ohr fällt, ist es dann wohl im Geringsten zu bewundern, wenn nächtliche Finsternis, früh eingesogene Vorurteile und die darin gegründete unwillkürliche Angst ihm die natürliche Veranlassung des Geräusches verbergen und den Gedanken rege machen, hier sei etwas Ungewöhnliches, also auch wohl etwas Außerordentliches, so fördert nun die rege Einbildungskraft eine phantastische Missgeburt zur Welt! Und das Schlachtfeld, wo einst ganze Menschenscharen einander die Hälse brachen und wo jetzt vielleicht heulende Winde das Wiehern der gefallenen Rosse nachäffen, leistet ihr gleichsam hilfreiche Hand dabei.

Auf eine ähnliche Art erklärt der Gegenfüßler aller Geisterseher, Herr Professor Hennings1 die unter Nr. 1 angeführte Erfahrung. In Beziehung auf die zwölfte Erfahrung aber füge ich hinzu, dass selbst denkende Männer, welche so unglücklich waren, dass ihnen in den ersten Kinderjahren durch Amme und Wärterinnen die Schreckbilder des Gespensterglaubens unauslöschbar in die weiche Seele gedrückt wurden, unter gewissen Umständen von einer unüberwindlichen Bangigkeit vor den erträumten Wesen des Geisterreichs können überfallen werden, so sehr ihnen auch in jedem anderen Betracht das Herz am rechten Flecke sitzen mag.

So würde dann also auch hier, wie in tausend ähnlichen Fällen, Lessings große Wahrheit anwendbar sein:

Der Aberglaub, in dem wir aufgewachsen,
verliert, selbst wann wir ihn erkennen,
darum doch seine Macht nicht über uns:
Es sind nicht alle frei, die ihrer Kette spotten.2

 

Zweite Erklärungsart

Je zuweilen sind die Erzählungen von den vermeintlichen Erscheinungen des wilden Jägers bloße Erdichtungen oder Vorspiegelungen absichtlicher Betrüger. Wenn zum Beispiel nach der Erfahrung Nr. 4 eine Menge jagender Soldaten am hellen Mittag die Frechheit hatte, sich für spukende Abkömmlinge eines gewaltigen Riesen auszugeben, und wenn der Forstbedienstete aus Furcht vor diesem Gefolge des wütenden Heeres sie dann ungestört jagen ließ, wer wird dann nicht die Riesenkinder für Wilddiebe und den Betrogenen für einen Einfältigen halten? Das Nämliche gilt von der fünften Erfahrung.

Man sollte übrigens glauben, dass die Herren Förster, die von Berufs wegen so manche nächtliche Stunde im Freien zubringen, als Erste imstande sein und Gelegenheit haben müssten, den natürlichen Ursachen dessen, was man für Äußerungen des wilden Jägers hält, auf die Spur zu kommen. Aber man will, wenigstens bei den Unterforstbediensteten, gerade das Gegenteil bemerkt haben. Sie halten das Märchen wahrscheinlich für ein gutes Mittel, der nächtlichen Holz- und Wilddieberei Einhalt zu gebieten und suchen vielleicht eben darum den Glauben daran bei dem gemeinen Mann lieber zu erhalten, als dass sie ihm widersprechen sollten.

Show 2 footnotes

  1. Hennings, Justus Christian: Von Geistern und Geistersehern. Weygandsche Buchhandlung. Leipzig. 1780. S. 485 und 832
  2. Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise IV, 4. (Tempelherr)