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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jacob von Molay, der letzte Templer 1

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Erster Teil
St. Jean d’Angeli
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Vorrede

Indem ich dem Publikum diesen historischen Roman übergebe, finde ich unerlässlich, einige Worte über die Basis zu demselben voranzuschicken. Vor einiger Zeit sagte Herr Dr. Töpfer in der Beurteilung meines historischen Romanes »Der Mönch«, Thalia 1836. Nr. 44: »Ein gewandter Verfasser historischer Romane entwendet dem Geschichtschreiber den bedeutungsvollen Griffel, erlangt momentan dessen Wichtigkeit, ohne seiner Trockenheit teilhaftig zu werden, und bannt uns in einen Kreis, wo Wahrheit und Dichtung sich zu ergötzender Mannigfaltigkeit verwählen.«

Niemals empfand ich die Wahrheit dieser Worte tiefer, als bei vorliegendem Werke, da bis auf den heutigen Tag ein undurchdringlicher Schleier die Motive zu sener traurigen Epoche einhüllt und welcher durch parteiische Federn leider fo dicht geworden ist, dass es dem Romanschreiber nicht zu verdenken steht, wenn er vor dem bedeutungsvollen Griffel des Geschichtschreibers erbebt. Der Beifall, welchen mir das Publikum ob einiger von meinen historischen Romanen hat angedeihen lassen, hat mich noch ängstlicher in dem Studium der geschichtlichen Quellen gemacht. Ich bin darin offenherzig und will keineswegs dem Publikum eine Schmeichelei sagen. Bei diesen ängstlichen Forschungen in der Geschichte der Tempelherren habe ich darüber gewacht, dass mich weder der Lobredner eines Fürsten noch der Verteidiger des Verurteilten bestechen konnte. Nur die Tatsache, in welcher alle sich begegnen mussten, hielt ich fest im Auge, und würdigte das Wort eines jeden nach Maßgabe der es begleitenden Umstände. Ich führe hier zum Beispiel Bernhard Justinian an. Er selbst Kavalier, Großkreuz, widmete sein Werk einem König von Frankreich. Ein jeder weiß, wie ein König von Frankreich, Philipp der Schöne, den Tempelherren gegenüber gestanden hat, und wird mich keines Vorurteils zeihen, wenn ich gestehe, dass mir Justinian schon durch die Widmung seines Werkes, im Betreff der Tempelherren, verdächtig geworden ist. Es liegt nicht in meiner Absicht, vor den Augen des Publikums die Quellen, welche mir zu Gebote stehen, kritisch zu würdigen, sondern nur zeigen, wie gar schwierig es sei, die Wahrheit in denen selben von der Unwahrheit zu unterscheiden. Herr Dr. Töpfer sagt: »Wahrheit und Dichtung;« das snd eben die beiden Hauptbestandteile in einem historischen Roman. Wenn der eine Teil fehlt, so fällt das ganze Gebäude in sich selbst zusammen, um so eher, wenn die Erstere von Geschichtsforschern nicht anerkannt ist. Möge denn das Publikum aus dem Gesagten erkennen, dass die Erscheinung, einen Romanschreiber zagen zu sehen, nicht sonderbar sei, nicht befremdend, sondern den billigen Schluss ziehen, dass sein Beifall die besten Früchte trage. Es wäre ein Leichtes gewesen, irgendeinen verräucherten Folianten zur Hand zu nehmen, die Worte umzuschmieden und das Machwerk dann einen historischen Roman zu nennen, an welchem freilich nichts romantisch gewesen wäre, wie wir es so häufig erleben. Noch leichter war es, einen der vielen französischen Schriftsteller in unsere Sprache zu übertragen. Doch muss ich in diesem Fall die eigenen Worte eines Franzosen anführen: »Werke der schönen Literatur einer Nation in die Sprache einer anderen zu übertragen, ist ein kläglicher Notbehelf. Man gelangt dadurch nur zu sehr mangelhaften Begriffen über die Beschaffenheit der verpflanzten Qriginale.«

Was würde Grouvelle jetzt sagen? Haben sich doch in letzter Zeit Übersetzungsfabriken gebildet.

Die Art und Weise, wie in Deutschland der Prozess gegen den Tempelherrenorden geführt wurde, musste mich um so eher veranlassen, einen deutschen Roman zu schreiben, da sie ein Monument deutscher Biederkeit, deutscher Redlichkeit ist, und schon aus diesem Grund werden meine Landsleute meinem Werke billige Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch finde ich mich veranlasst über die Chronologie, eine unerlässliche Ingredienz zu meinem Ganzen, ein Wort zu sagen. Sie konnte nur aus drei Quellen geschöpft werden: Die Erste war das Chronikenbuch des Ordens selbst; die Zweite waren die Prozessakten in Frankreich, und die Dritte unzählige Familienarchive, deren Mitglieder Tempelherren geworden waren. Wenn ich nun auch nicht leicht und flüchtig über dergleichen hinweggehen durfte, so musste ich doch teilweise Voltaires Urteil huldigen: Die Chronologie sei nichts als ein Haufen mit Wind angefüllter Blasen, und in demselben Ton äußert Philippe Grouvelle gegen die Worte des Benediktiners Lelong: »Die Wahrheit hat etwas so sehr Angenehmes, dass man sich selbst in den kleinsten Dingen nicht Mühe genug geben kann, danach zu suchen.«

»Es ist wahr«, sagt Grouvelle, »die Wahrheit ist angenehm, aber auch ist die Zeit kostbar, das Leben kurz und die Wissenschaft unendlich.«

Man missdeute auch nicht, wenn ich dem alten Spruch huldige: Die Zeit ist mein Acker. Man wird aus diesem gar leicht ermessen, wie es mit der tadellosen Chronologie in dem vorliegenden Werke steht.

Auch muss ich den Leser auf den Geschmack jenes Jahrhunderts, welches eine so traurige Katastrophe in sich schließt, hinweisen. Es kostet Überwindung sich hinein zu denken. Aber wer kennt nicht die Macht des Bannstrahles in der Hand eines Oberpriesters zu Rom in jenem Zeitalter? Während man ihn jetzt nur noch mit einem Donnerkeil vergleichen kann, der in einem Naturalienkabinett aufgehängt ist. Man schüttelt ungläubig den Kopf und lässt ihn hängen.

Hamburg, im Februar 1838

F. Td. Wangenheim

 

Erstes Kapitel

Philipp, König von Frankreich, genannt der Schöne, thronte wieder in seinem Louvre. Paris war wieder ruhig geworden. Aber mit eiserner Strenge richtete die beleidigte Majestät, und im Angesicht des Louvre reckten unheimliche Gerüste in die Höhe hinauf. Der Pöbel umgaffte sie und freute sich des mörderischen Schauspiels, welches noch zu erwarten stand. War es doch, als ob die Henker aus dem ganzen Reich zusammenberufen worden wären. Die wilden Gesichter derselben und die nackten nervigen Arme machten sie kenntlich. Selbst der Pöbel schrak vor den mordgierigen Blicken dieser Leute zurück. In des Königs Namen, seinem Befehl gemäß, sollten sie heute das schreckliche Amt verwalten, ein Ansporn für sie, den sie zur höchsten Vollkommenheit in dem blutigen Geschäft anfeuerte. Wollte der König sein Reich entvölkern? Wollte er aus eitler Gier Menschen würgen? Weit gefehlt. Philipp der Schöne war ein Fürst, wie man ihn selten findet in der Weltgeschichte. Mit seines Körpers Schöne buhlte seine Geisteshöhe um den Vorzug. Philipp der Schöne war zum Herrscher durch die menschenbeglückende Gnade des Himmels bestimmt. Doch seine Würde als Herrscher musste er behaupten, das Verbrechen, an seiner königlichen Höhe begangen, musste er ahnden, ein warnendes Beispiel rächerischen Königtums dem Volk vor Augen führen. Das Volk von Paris, erbittert über ein Edikt des Königs, welches seine zerrütteten Geldverhältnisse geboren, hatte sich gegen ihn empört. Etienne Barbet, ber Schatzmeister des Königs, wusste nicht anders Rat, die durch einen Krieg mit Flandern entstandene Lücke im Schatz auszufüllen, als wenn die im Umlauf befindlichen Münzen eingeliefert würden, umgeschmolzen, durch das königliche Gepräge ihnen ein höherer Wert gegeben, als welchen sie in der Tat hatten. Das Volk ergrimmte über ein solches Edikt, brauste auf, artete in Aufruhr aus, den freilich ganz andere Leute angezettelt hatten, als die man zum Pöbel zählt. Den Reicheren berührte das Edikt um so schmerzlicher, je größer die Summe seines Geldes sich zu der des Ärmeren verhielt.

Durch Zufall befand sich der König gerade im Tempel, hier belagerte ihn das Volk, verhöhnte ihn. Der Monarch schwebte drei Tage lang in Todesgefahr, und dann erst war es möglich, dass die ihm ergebenen Krieger die Aufrührer zerstreuten, im Triumph den König zum Louvre führten.

In jenem Jahrhundert hatte bares Geld ungeheuren Wert. Philipp der Schöne, über Frankreichs Ruhm und Ehre wachend, bedurfte des Geldes so viel, dass er nach dem Krieg von Flandern gänzlich sich davon entblößt sehen musste, und die Wahrheit erkannte, das armselige Metall sei doch ein nervus rerum. Damals wusste man noch nichts von Perus und Mexikos Schätzen. Einem Kolumbus erst war es vorbehalten, durch die Entdeckung eines neuen Erdteiles die Schatzkammern in Europa zu füllen. Welchen anderen Weg konnte daher Philipp der Schöne einschlagen, seine Säckel wieder zu verbessern, als den Wert des Metalles selbst vermöge eines neuen Gepräges steigen zu lassen? Nicht allein in Paris, sondern in all den Städten seines Reiches machte das Ausschreiben des Königs, alles Geld in die Münze zu liefern, den bösesten Eindruck, zumal da, wo man wusste, dass Reichtum sich aufgehäust hatte. Daher strömten auch aus den Städten des Reiches viele Leute in die Hauptstadt, hatten an dem Aufruhr teilgenommen und wurden so mit in eine Untersuchung verwickelt, welche der König mit seinem gewohnten Feuereifer betrieb. Das Ende dieser Untersuchung war nicht schwierig abzusehen. Dreiunddreißig, welche sich am wütendsten bei dem Aufruhr gezeigt hatten, sollten heute (es war am 18. Junius des Jahres 1305) dem Zorn des Königs geopfert werden. Die Galgen waren errichtet und die Stunde der Hinrichtung war nahe.

In jenem Zeitalter gehörte eine solche Hinrichtung nicht gerade zu den Seltenheiten, und doch hatte sich so viel schaulustiges Volk versammelt, dass die Bewaffneten des Königs mit großer Mühe nur dem Andrang wehren konnten. Die Verurteilten wurden in den von Henkern wimmelnden Kreis geführt, bis auf drei von ihnen erlitten sie die vom König verhängte Strafe. Da ruhten endlich die Henker in ihrer mörderischen Arbeit. Niemand wusste sich das zu erklären. Das Volk murmelte von größeren Martern, denen man diese drei Übriggebliebenen aufzubewahren gedächte, denn sie waren die Rädelsführer bei dem Aufruhr gewesen, hatten sogar die Schüssel mit den Speisen, welche man dem belagerten König aus dem Louvre zum Tempel geschickt hatte, in den Kot geworfen, und so den Monarchen dem Hunger preisgegeben.

Mit nicht geringem Erstaunen sah das Volk diese drei Männer auf den ausdrücklichen Befehl des Königs plötzlich mit Fesseln beschweren, eine gute Anzahl Bewaffneter sie dicht umgebend und davonführend. Von all den Hingerichteten waren diese drei die Bejahrtesten gewesen. Es konnte leicht ein Gnadenakt des Königs sein. Vielleicht hatte das Alter der Verbrecher für sie gesprochen. Nichts war natürlicher, als dass man sich nun angelegentlich nach den Namen, nach dem Stand dieser drei Verurteilten erkundigte. Niemand aber konnte Auskunft geben, zumindest erlangte man keine Gewissheit.

War Philipp des Schönen königlicher Zorn mit der Hinrichtung dieser dreißig Unglücklichen gesühnt? Freute er sich etma der Hinrichtung? Triumphierte er im Gefühl seiner Macht? Nein. Dieser König von Frankreich war ein weiser, gerechter Fürst, der sein ganzes Leben dem Heil seines Volkes widmete, und nicht ängstlich genug über die Vorteile der Nation wachen zu können vermeinte. Von seinem Louvre aus hatte er das Strafurteil vollziehen sehen. Am Fenster stand er, hohen Ernstes, unverwandten Blickes, und die überaus schönen Züge seines Gesichtes lagen so ruhig, als wären sie aus Marmor gemeißelt. Dicht neben dem König stand ein Geistlicher in der Tracht des heiligen Dominikus. Der hatte den König auf die letzten drei Männer aufmerksam gemacht, und ihren Tod also hintertrieben. Es gab wohl keinen Menschen, außer diesem Geistlichen, der so viel Macht über Philipp hatte als er, und ebensowohl war er doch dem König blindlings ergeben. Er hieß Wilhelm von Paris, des Königs Beichtvater. In Glaubensangelegenheiten galt sein Wort mehr als das des Papstes. Mit kaum begreiflichem Scharfsinn konnte Wilhem von Paris alle Empfindungen des menschlichen Herzens zergliedern, ein gläubiges Gemüt erkennen oder nicht, je nachdem er in Glaubenssachen zu Werke gehen wollte. In dem Jahrhundert, welches Hunderttausende von Christen nach Palästina trieb, und in welchem die Religion, die Glaubensverschiedenheit, Menschen auf Menschen hetzte, Ströme Blu tes die Bahn des Kreuzes bezeichnten, wie des Halbmondes. In jenem Jahrhundert war ein Wilhelm von Paris, ein Beichtvater des allerchristlichsten Königs, ein Dominikaner, am rechten Platz. Konnte man den Blick auf die beiden Männer im Louvre werfen, ohne dass man sich befremdet fragte: Wie ist es möglich, dass diese beiden Männer in ihren Neigungen, in ihren Absichten, in ihrem Denken sich auch nur ein einziges Mal begegnen könnten! Dieser, eine königliche Gestalt, anerkannt von dem mitlebenden Geschlecht für den Begriff von Mannesschöne und  der Kleine neben ihm, zusammengeschrumpft, als hätte ihn Arabiens Sonne ausgedörrt, mit den ins Grünliche schillernden Augen, welche von keinen Braunen beschattet wurden, mit der aufgestülpten Nase, den mächtig langen Ohren. Wilhelm von Paris kannte aber Philipp, wusste, dass des Königs unbegrenzte Macht der seinen zur ersten Stütze diente, und suchte daher jede Gelegenheit zu erhaschen, des Königs Macht und so die seine zu vergrößern. Niemand konnte wohl so tief in des Königs Herz schauen als eben dieser Beichtvater. Keiner von den Ministern des Königs wusste die Absichten seines Herrn so genau als der Dominikaner, und nicht einmal Etienne Barbet, der des Königs Schatz verwaltete, dessen Palast in dem neulichen Aufruhr geplündert und niedergerissen worden war, kannte die Geldverlegenheit Philipp des Schönen so gut wie Wilhelm. Über Krieg und Frieden sogar entschied zuweilen die Meinung des Beichtvaters. Alle Regierungssorgen teilte er nur zu willig mit seinem Herrn und Gebieter. Er sah ein, dass mit der Veränderung des Münzfußes, die gewöhnliche Geldschneiderei damaliger Fürsten, nichts ausgerichtet werden konnte, und die dreißig Erhängten vor dem Louvre waren ein schlagender Beweis für die Unbeugsamkeit des französischen Volkes. Ein Gedanke aber, wie er nur in dem Kopf dieses Dominikaners entspringen konnte, rettete den drei Letzten von den Verurteilten für jetzt das Leben.

Als des Königs Befehl längst hinausgetragen, den Todesbereiten Fesseln angelegt und sie fortgeführt worden waren, da erst wandte sich Philipp nach seinem Beichtiger hin und fragte, als ob ihn dieser überrascht hätte, nach der Ursache zu der Begnadigung der drei.

»Königlicher Herr«, versetzte Wilhelm von Paris, »diese drei sind zu kostbar für den Galgen. Das Geld ist rar, und ich sehe in ihnen eine Goldgrube für Euch, mein König.« »Pah«, meinte Philipp, »was könnten die mir nützen! Das Vermögen des Bürgers von Bezier ist ja doch schon meinem Schatz verfallen, und die beiden anderen, Pater  doch ja, Ihr habt nicht unrecht, seht wahrlich weiter als ich glaubte.«

»Nicht wahr, mein König? Lasst mich gewähren, und bald, bald wird ein Gehorsam all die Untertanen meines königlichen Gebieters zu Euren Füßen niederwerfen.«

»Ja, es ist schrecklich, Pater, in dem eigenen Reich, von Gottes Gnaden mir verliehen, auch nur einen Mann zu wissen, der sich mir gleich zu stellen kühn genug ist. Bei Gott! Man kommt zuweilen in Verlegenheit, ob man selbst der Herrscher sei oder er.«

»Ihr seid auf dem rechten Wege, mein König«, schmeichelte der Dominikaner. »Sorgt nur, dass Euer mildes Herz nicht das Übergewicht bekomme. Bedenkt, dass des Reiches Heil und Wohlfahrt in Eure Hand gelegt wurde, und man Euch einst Rechenschaft abfordern werde.«

»Ich weiß, Pater, dass ich Rechenschaft geben muss,  da, wo Lug und Trug schwinden und lautere Wahrheit vom Thron des Höchsten ausströmt. Ich werde diese Rechenschaft geben, mit dem seligen Bewusstsein, wie es einem christlichen Herrn und König geziemt.«

Mit diesen letzten Worten brach Philipp die Unterhaltung ab.

Der Pater beurlaubte sich, ein grinsendes Lächeln der Zufriedenheit war noch in seinen Zügen zu erkennen, da er schon ein Schreiben an den von Blancas ausgefertigt hatte.

Der Ritter befahl auf einem festen Schloss des Königs in Languedoc, nahe bei Bezier. Ihm wurden die drei Begnadigten anvertraut.