Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Wolfmensch – Kapitel 2

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Erster Teil
Kapitel II

Die Herberge

Um die gewaltige Sensation zu begreifen, welche in Langogne durch die Ankunft des Paters Bonaventura hervorgerufen wurde, muss man wissen, dass die Abtei Frontenac, zu welcher er gehörte, damals das umfangreichste, wohlhabendste und mächtigste Kloster der ganzen Provinz war. Diese Abtei, in der Nachbarschaft von Florac gelegen, hatte ungeheure Besitzungen, einen fruchtbaren, gut angebauten Boden und zahlreiche, treu ergebene Bauern. Überdies übte sie auch infolge frommer Stiftungen und Fideikommisse einen bedeutenden Einfluss auf eine gewisse Anzahl Land- und Lehensgüter, die sie nicht als Eigentum besaß.

Die Väter von Frontenac galten für sehr gelehrt und ihr Haus war seit mehreren Jahrhunderten eine Pflanzschule von Theologen, Gelehrten und Historikern, von welchen mehrere großes Aufsehen in der Welt gemacht hatten. Auch hatte ihr Abt Prälatenrang, er setzte seinem Namen den Titel Dom vor. Er figurierte unter den sieben Repräsentanten der Geistlichkeit bei den Ständen des Gévaudan, welche sich jedes Jahr in Mende oder in Marvejois unter dem Vorsitz des Bischofs von Mende versammelten. Er war mit einem Wort sowohl ein angesehener Herr im Weltlichen als auch ein Kirchenfürst im Geistlichen.

Zu jener Zeit nun fühlte sich der Abt von Frontenac infolge seines hohen Alters und seiner Kränklichkeit nicht mehr imstande, das Kloster selbst zu administrieren, und seine ganze Autorität war deshalb auf den Prior der Abtei übergegangen.

Der Pater Bonaventura hatte daher, mit dem unbedingten Vertrauen seines Vorgesetzten und des Kapitels von Frontenac bekleidet, in den Angelegenheiten der Gemeinde, deren Ordnung er im Inneren aufrecht erhielt und welche er nach außen auf würdige Weise repräsentierte, das erste Wort zu sprechen. Als gelehrter Mann und eifriger Priester war er schon der Stolz seines Hauses gewesen, ehe er faktisch das Haupt desselben wurde.

Mit diesen sozusagen geistlichen Eigenschaften verband Pater Bonaventura eine Tätigkeit, eine Geschäftskenntnis, kurz eine Weltklugheit, die sehr nötig in einem Land war, wo die galten Religionsstreitigkeiten weit entfernt waren, erloschen zu sein, wo die protestantische Opposition, obwohl heimlich und unter der Hand, der Geistlichkeit oft allerlei Hindernisse bereitete. Durch seine Klugheit war es ihm gelungen, über die geheimen Eifersüchteleien und den Groll zu triumphieren, welche Frontenacs Gedeihen erweckte, und man konnte sagen, dass seine gewandte und zugleich versöhnliche Administration dieses Gedeihen noch erhöhte.

Man mache sich daher einen Begriff von dem Stolz und der Zufriedenheit der guten Madame Richard, als sie in ihrer kleinen Herberge diesen angesehenen Mann empfangen konnte, der noch dazu von einem jungen Verwandten begleitet wurde, dessen Geist und Kenntnisse man rühmte! Die arme Frau verlor förmlich den Kopf darüber.

Nachdem sie ihre Gäste in ein kleines an die Küche stoßendes Zimmer geführt und sie sich eine weiße Schürze umgebunden hatte, lief sie nun von Ofen zu Ofen, um ihre Köchinnen zu instruieren und zu beaufsichtigen.

Übrigens schien alles schon im Voraus auf den Empfang vornehmer Gäste vorbereitet zu sein. Das kleine mit Kasianienholz getäfelte Zimmer zeichnete sich durch außerordentliche Sauberkeit aus, eine damals in den Herbergen des südlichen Frankreich noch ziemlich seltene Eigenschaft. Der Tisch war bereits gedeckt. Auf dem schneeweißen Tischtuch sah man kleine Körbe mit herrlichen Früchten, Gefäße mit süßer Sahne, Pyramiden von roten Erdbeeren, kaltes Geflügel von goldgelber Farbe.

Das appetitliche Bild war wohl geeignet, den Prior von seiner Furcht wegen der Bestie des Gévaudan abzulenken, dennoch aber sagte er, nachdem er einen liebkosenden Blick auf den Tisch geworfen hatte, zu der Wirtin in einem Ton, welcher sein Bedauern verriet: »Nehmt dieses Geflügel wieder weg, meine Tochter. Obwohl Leonce und ich von dem Privilegium der Reisenden Gebrauch machen könnten, so werden wir doch nicht vergessen, dass heute ein Fasttag ist. Wir werden uns deshalb mit Eierkuchen, Forellen und einigen Früchten begnügen, die in der Tat sehr gut aussehen.«

Madame Richard gehorchte und trug die anstößigen Gerichte wieder fort. Ihrem Versprechen treu beeilte sie die Vorbereitungen zu dem Frühstück, und nach Verlauf von einigen Minuten erschien der berühmte Eierkuchen auf einer zinnernen Schüssel, welche glänzte, als ob sie von Silber gewesen wäre.

Der Mönch, welcher sich die Serviette unter das Kinn gesteckt hatte, beeilte sich, seinem Appetit freien Lauf zu lassen, und Leonce, dem die Bewegung und die frische Gebirgsluft den Magen leer gemacht hatte, ahmte ihm aus Leibeskräften nach. Mehre Gläser vortrefflichen Weines erfrischten und erheiterten vollends den Körper und den Geist der Reisenden, sodass der Onkel und der Neffe – besonders der Onkel – sehr bald weit weniger Eile zu haben schienen, ihre Reise weiter fortzusetzen.

Die Wirtin ging fortwährend auf und ab. Sie hätte es sich nicht einfallen lassen, die Sorge der Bedienung der vornehmen Gäste anderen Händen anzuvertrauen. Während sie so hin- und hertrippelte, versuchte sie ihnen auf gewandte Weise einige Aufschlüsse über den Zweck ihrer Reise abzulocken.

»Es ist ein Wunder, ein wahres Wunder«, sagte sie, »den ehrwürdigen Prior von Frontenac in Langogne zu sehen. Ohne Zweifel aber reisen der hochwürdige Pater Bonaventura und der junge Herr, sein Neffe, nach Mercoire, um der großen Jagd beizuwohnen, welche morgen stattfinden soll.«

»Sehe ich wohl aus wie ein Jäger?«, fragte der Pater in gutgelauntem Ton. »Und gleicht Leonce wohl jenen Toren, welche zwölf Stunden hintereinander über Berge und durch Wälder galoppieren, um ein armes Tier von den Hunden zerreißen zu sehen? Dieses Mal allerdings wird die Jagd einen edleren und nützlicheren Zweck haben, weil es gilt, das Land von einem wilden Tier zu befreien, welches Schrecken und Entsetzen verbreitet. Leonce und ich würden aber bei einer solchen Sache eine sehr schlechte Rolle spielen. Mein Neffe hat in seinem Leben noch keine Waffe angerührt und ich – mit einem Wort, meine Tochter, wenn ich es sagen muss und es ist ja kein Geheimnis – ich gehe nach Mercoire, um Fräulein von Barsac, die Mündel unseres Klosters, unter den Verlegenheiten beizustehen, welche die zahlreiche für den morgigen Tag angemeldete Versammlung ihr bereiten wird. Das Schloss wird von einer Menge Jäger angefüllt sein, von welchen einige in ihren Reden allzu dreist oder in ihren Manieren zu wenig respektvoll sein könnten. Meine Gegenwart wird diese unruhigen Gäste ein wenig in Schranken halten und eben um deswillen habe ich diese mühsame Reise unternommen.«

Vielleicht hatte der Mönch noch andere Beweggründe als die, welche er geraten fand, zu nennen, aber er sprach mit einer natürlichen Unbefangenheit, welche keinen Zweifel übrig lassen sollte. Madame Richard lächelte schlau.

»Meiner Treu, mein hochwürdiger Pater, wenn das, was man in der Umgegend erzählt, wahr ist, so wird Eure Mission eine sehr leichte sein, denn Fräulein von Barsac weiß sich sehr wohl allein in Respekt zu setzen. Ich möchte durchaus nicht von einem adligen Fräulein, von einer Mündel der heiligen Abtei Frontenac, Übles reden, aber man behauptet, dass die fromme Dame eine so ziemlich unabhängige Gemütsart besitzt und von der Schüchternheit der armen Frauen gar nichts zu haben scheint. In der Tat, ich getraue mich nicht, in Eurer Gegenwart nur die Hälfte von dem zu wiederholen, was man von ihr sagt.«

Der Pater Bonaventura hörte auf zu essen und sah die Herbergswirtin mit kaltem Blick an.

»Erklärt Euch deutlicher, Madame Richard«, hob er im Ton der Autorität wieder an. »Ich befehle es Euch. Es liegt mir daran, alles zu wissen, was man von Fräulein von Barsac sagt.«

»Mein Gott, hochwürdiger Herr«, entgegnete die Wirtin eingeschüchtert, indem sie zugleich die Gläser Ihrer Gäste wieder vollschenkte. »Es sind ohne Zweifel Verleumdungen. Die Menschen sind ja so schlecht. Übrigens greift man nicht etwa die Ehre eurer Mündel an. Sie ist eine stolze junge Dame, das weiß man wohl, und die Liebhaber, welche sie umschwärmen, haben kein leichtes Spiel. Wohl aber plaudert man von ihren lebhaften Manieren, von ihren wunderlichen Launen, die manchmal ins Unglaubliche gehen. Man versichert, sie verkleide sich als Mann, um zu Pferde das Land zu durchstreifen. Sie sei mit der Züchtigung derer, welche sie beleidigen, sehr rasch bei der Hand, und in dem Augenblick, wo sie ungeduldig wird, scheute sie sich sogar nicht zu fluchen. Ja, unser Viehfutterhändler, der allerdings ein Hugenotte ist, versichert, er habe sie fluchen hören.«

Eine rasche Röte überzog Leonces Wangen.

»Gute Frau«, sagte er mit verhaltenem Zorn, »verschont uns mit diesen unwürdigen Lügen und wisst eine junge Dame von Stande besser zu achten, als …«

Er unterbrach sich, als er sah, dass sein Onkel ihn verstohlen beobachtete, und senkte die Augen.

»Noch einmal, mein guter Herr«, entgegnete Madame Richard demütig, »ich erzähle bloß wieder, was in der Umgegend gesprochen wird, und ich glaube selbst nicht daran. Fräulein von Bariac gilt deswegen nicht weniger für eine ganz vortreffliche junge Dame, welche den Unglücklichen auf die großmütigste Weise beisteht und von ihrem Reichtum den lobenswertesten Gebrauch macht. Man erzählt von ihr wahrhaft bewunderungswürdige Züge und beklagt bloß ihr wunderliches, zornmütiges Temperament.«

Der Pater Bonaventura hatte weder Erstaunen noch Zorn blicken lassen, als er die so wenig günstige Meinung des Publikums über die reiche Mündel der Abtei erfuhr. Nachdem er ruhig sein Glas geleert hatte, sagte er in gelassenem Ton: »Es genügt, meine Tochter. Hütet Euch, diese abgeschmackten Gerüchte weiter zu erzählen, denn Ihr würdet Euch dadurch an der christlichen Liebe und dem Geist der Gerechtigkeit versündigen. Fräulein von Barsac ist – dies weiß alle Welt – während ihrer Kindheit allerdings auf grausame Weise vernachlässigt worden. Von ihrem Vater, einem leidenschaftlichen Jäger, erzogen. In ihrem alten, in Gebirgen und Wäldern versteckten Schloss nur Männer sehend, ist sie herangewachsen, ohne dass jemand sich darum kümmerte, ihr Herz und ihren Geist zu bilden, ohne dass man auch nur daran dachte, ihr die einfachsten Begriffe von den Pflichten ihres Geschlechtes beizubringen. Erst in der Stunde seines Todes bereute ihr Vater die vollständige Vernachlässigung, deren er sich gegen sie schuldig gemacht hatte. Er hat uns die Sorge übertragen, seine arme Tochter zu überwachen und ihre Schritte auf den Wegen der Welt und auf der Bahn Gottes zu leiten. Diese Aufgabe war keine leichte. Christine von Barjac hat trotz ihres vortrefflichen Herzens störrige Gewohnheiten angenommen, welche uns viel Verdruss bereiten. Dennoch aber wird es uns durch die Ausdauer unserer Bemühungen und den Eifer der frommen und verständigen Personen, mit welchen wir sie umgeben haben, gelingen, über ihre unfügsame Laune über ihr jedem Zügel abholdes Ungestüm zu triumphieren. Deshalb, meine Tochter, muss man sich nachsichtig gegen sie zeigen. Ohne Zweifel wird sie bald eine sanfte, bescheidene und zurückhaltende Frau werden, wie man deren in der Welt begegnet, und es wäre ungerecht, die Schuld ihrer Eltern ihr zur Last zu legen.«

Madame Richard versprach diesen Instruktionen nachzukommen.

Während sie noch versuchte, die Freiheit, die sie sich in ihrer Rede herausgenommen hatte, zu entschuldigen, machten mehrere Reisende vor der Tür der Herberge Halt.

In demselben Augenblick kam eine Magd in aller Eile herein und flüsterte einige leise Worte ihrer Herrin zu, welche bleich wurde.

»Heilige Jungfrau!«, murmelte die schöne Wirtin mit Entsetzen. »Was wird er sagen? So wahr Gott lebt, ich dachte nicht mehr an ihn!«

Sie eilte sofort mit der Magd hinaus, ohne Zweifel, um die Ankommenden zu empfangen.

Es dauerte nicht lange, so hörte man klirrende Tritte in dem Nebenzimmer, dann einen laut schallenden Kuss und eine männliche Stimme, welche auf Französisch sagte: »Ja, ich bin es, meine Charmante. Morbleu! Meine Diener, welche heute Morgen hier durchgekommen sind, müssen Euch doch meine Ankunft gemeldet haben! Ist alles bereit?«

»Entschuldigt, Herr Baron, ich glaubte nun nicht mehr, dass Ihr kommen würdet«, antwortete die Wirtin in tötlicher Verlegenheit. »Ich hatte alles zu Eurem Empfang fertiggemacht, aber …«

»Gut, gut! Ihr wisst, meine Schöne, dass die geringste Kleinigkeit von Eurer weißen Hand bereitet, mir genügen wird. Lasst meinen Piqueurs einige Erfrischungen geben und in den kleinen Salon trage man mir meinen Eierkuchen mit Forellen und meine Flasche Saint-Peray auf. Ihr werdet mir Gesellschaft leisten, meine Charmante, denn Euer frisches Gesichtchen erweckt den Appetit ebenso wie die gute Laune.«

Gleichzeitig schien der Mann, welcher sprach, weiter gehen zu wollen, aber man hielt ihn zurück.

»Herr Baron«, hob die Wirthin in beinahe schluchzendem Ton wieder an, »ich habe Euch schon gesagt, dass ich nicht mehr auf Euch zählte. Und dann sind andere Reisende …«

»Ah so! Ihr habt andere Reisende hier! Sehr gut. Ich werde mich mit ihnen verständigen können, wenn es Edelleute und gute Zecher sind.«

Rasch die Tür öffnend trat der Unbekannte in das Zimmer, in welchem sich der Pater Bonaventura und Leonce befanden.

Dieser so wenig Umstände machende Mann war ein schöner rüstiger Kavalier von etwa dreißig Jahren, mit stolzer Miene, aufwärts gedrehtem Schnurbart und kecken Gebärden. Er trug die reiche Uniform der Lieutenants von der Wolfsjägerei – einen Rock à la française und eine blaue Samtweste mit silbernen Tressen besetzt, weiße Beinkleider, hohe Stiefel, eine Perücke à la brigadière und einen dreieckigen Hut. Ein Hirschfänger, dessen Griff von ziseliertem Silber war, vervollständigte dieses Kostüm, welches den stolzen Wuchs und die kräftigen Formen des Neuangekommenen vorteilhaft hervortreten ließ. In der Hand hielt er eine Peitsche und schwenkte sie mit einer Dreistigkeit, als ob er bereit wäre, sich ihrer gegen jeden zu bedienen.

Der Baron von Laroche-Boisseau – denn dies war der Name und Titel dieses Edelmanns, – zählte, wie wir bereits erwähnt haben, zu den acht Baronen, welche das Recht hatten, unter den Ständen des Languedoc und des Gevaudan zu sitzen. Seine Familie war eine jüngere Linie des alten Hauses Varinas, welches seit einigen Jahren erloschen, aber früher eines der berühmtesten der Provinz gewesen war. Die Grafen Varinas hatten zur Zeit der letzten Valois die reformierte Religion angenommen und waren zur Zeit der Aufhebung des Edikts von Nantes die Häupter des Protestantismus in diesem Teil der Cevennen gewesen.

Bei der Empörung der sogenannten Kamisarden Anfang des 18. Jahrhunderts hatte ein Herr von Varinas, der Urgroßvater des gegenwärtigen Barons, die Marschälle von Berwick und von Villars lange im Schach gehalten. Endlich jedoch in diesem ungleichen Kampf überwunden, von den seinen verlassen, hatte der hugenottische Parteigänger sich genötigt gesehen, sich zu verstecken. Die Sage behauptete, er habe mehrere Jahre lang eine beinahe unauffindbare Grotte bewohnt und sei in derselben als Märtyrer seines religiösen Glaubens gestorben. Die Leute der dortigen Gegend zeigen noch heutzutage diese durch ihren Umfang und die prachtvollen Tropfsteinfiguren, mit denen sie geschmückt ist, merkwürdige Grotte. Man nennt sie die Varinasgrotte nach dem Namen ihres ehemaligen Bewohners.

Mochte dem aber nun auch sein, wie ihm wollte, so trieben seine Nachkommen die Anhänglichkeit an ihre religiöse Überzeugung nicht so weit. Erschreckt durch die kräftigen Maßregeln, welche infolge der Insurrektion ergriffen wurden, entsagten sie wenigstens dem Schein nach ihrem Glauben, um ihre Güter und ihre aristokratischen Privilegien zu behalten. Nur versicherte man, dass diese Abschwörung bei mehreren von ihnen nicht aufrichtig gewesen sei und dass sie im Grunde ihres Herzens Protestanten geblieben seien.

Der Vater des gegenwärtigen Barons namentlich war niemals wegen seines katholischen Eifers berühmt gewesen und der Baron selbst galt für einen Spötter und Zweifler. Er zeigte viel Vorliebe für die neuen Ideen und paradierte gern nach der damaligen Mode mit seiner Irreligiosität.

Überdies führte er auch ein sehr tolles, ausschweifendes üppiges Leben, zum großen Nachteil seines schon stark zusammengeschmolzenen väterlichen Erbes und ahmte in allen Dingen jenem leichtsinnigen Adel nach, dessen Fehler schon die große Revolution vorbereiteten.

Der Pater Bonaventura kannte schon seit langer Zeit den Baron von Laroche-Boisseau, dessen Geschicklichkeit und Gewandtheit als Jäger den König bewogen hatten, ihn zum Wolfsjägermeister der Provinz des Gévaudan zu ernennen. Sie waren einander mehrmals bei der Versammlung der Stände begegnet, wo der Prior sich durch seine Weisheit und Mäßigung, der Baron dagegen durch seine Frivolität und zänkische Laune bemerklich machten.

Dies war der Grund einer Feindschaft, welche durch Umstände, die wir bald kennenlernen werden, noch bitterer gemacht wurde.

Sei es indessen, dass der Mönch in diesem Augenblick diese früheren Zwistigkeiten vergaß, sei es, dass er vielleicht auch nur den Schein bewahren wollte – kurz, er stand, als er den Baron erblickte, auf und begrüßte ihn höflich.

Leonice grüßte aus Rücksicht für seinen Onkel auf dieselbe Weise, obwohl mit sichtbarem Widerwillen.

Herr von Laroche-Boisseau schien diese Zeichen von Nachgiebigkeit nicht zu bemerken. Er blieb mit gerunzelter Stirn und bedecktem Kopf auf der Schwelle der Thür stehen. Ohne Zweifel hatte er den Prior von Frontenac auch erkannt, fand es aber nicht angemessen, es kundzugeben, sondern wendete sich halb gegen Madame Richard, die zitternd und verlegen hinter ihm stand, und sagte in rauem Ton zu ihr: »Ah, mordieu, meine Schöne, nun beginne ich Eure Winkelzüge zu verstehen! Zum Teufel, Ihr habt mein Frühstück von diesen Mönchen verzehren lassen!«

Die Witwe erschöpfte sich in Entschuldigungen und Klagen. Es mangele, sagte sie, Gott sei Dank, durchaus nicht an weiteren Mundvorräten und man könne dem Herrn Baron ein Mahl bieten, welches seiner würdig sei. Nur der Eierkuchen mit Forellen, welchen man für den Herrn Baron bereitet …«

»Ist nach dem Geschmack dieser guten Väter gewesen«, setzte Laroche-Boisseau hinzu, »und Ihr habt ihnen den Vorzug eingeräumt. Wunderschön, meine vortreffliche Wirtin! Wenn es Edelleute wären, anstatt Geistliche, so hätte ich mich versucht gefühlt, ihre Verdauung auf sehr unangenehme Weise zu stören, das versichere ich Euch.«

Diese Drohung rief auf Leonces Gesicht eine lebhafte Röte hervor, ein Blick seines Onkels aber reichte hin, um ihn zu bewegen, sofort die Augen niederzuschlagen.

Der Pater Bonaventura, welcher bis jetzt ruhig vor sich hingelächelt, nahm endlich das Wort.

»Wohlan, Herr Baron«, sagte er mit etwas ironischer Höflichkeit, »seid nachsichtig gegen diese Frau. Wie man Euch bereits gesagt hat, war der Eierkuchen nicht der einzige Mundvorrat in diesem Haus. Es ist noch Platz an diesem Tisch, und wenn ich gewissen Gerüchten glauben darf, so wird Euch kein Gewissensskrupel abhalten, diesen Schinken und das kalte Geflügel zu schmausen, welches man Euch hier an einem Fastentag auftragen kann.«

Diese Anspielung auf den Glauben seiner Familie schien den Zorn des Barons auf den höchsten Gipfel zu steigern. Dennoch aber unterdrückte er seine Aufwallung, schlug ein lautes Gelächter auf und sagte zu seiner Wirtin: »Die arme Richard! Wie bestürzt und verlegen sie dasteht! Wohlan denn, es soll hiervon weiter nicht die Rede sein. Ich bin ein Jäger und folglich nicht verwöhnt. Bringt mir, was Ihr wollt, schöne Frau, nur lasst mich nicht lange warten, denn ich habe Eile.«

Die über diese Wendung nicht wenig erfreute Wirtin eilte davon, indem sie verkündete, dass der Herr Baron sofort bedient werden solle.

Was diesen selbst betraf, so warf er seinen Hut und seine Peitsche auf einen Nebentisch und setzte sich vor einen leer gebliebenen Platz der Tafel, während der Pater Bonaventura und Leonce ihre Plätze wieder einnahmen, um ihre Mahlzeit zu beenden.