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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Sechsundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Sechsundzwanzigste Erzählung

Einleuchtender Beweis, dass ein Gespenst zuweilen einen Luftkörper annimmt, in welchem man dasselbe mit irdischen Waffen nicht treffen kann

Der zu jener Zeit lebende Herr Prediger Herzlieb in dem magdeburgischen Dorf Zitz besuchte als Jüngling die Schule des Waisenhauses zu Halle und erlebte daselbst folgendes spukhafte Abenteuer:

Er ging eines Abends ziemlich spät im Finstern auf den kleinen Hof hinter dem einen Flügel des Waisenhauses. In Ermangelung des Mondlichtes und einer Laterne bewaffnete er sich mit einem tüchtigen Stock, um den Neckereien jener mutwilligen Schüler begegnen zu können, welche sich daselbst des Abends im Finstern zuweilen versteckten, um ihren Mitschülern, welche etwa noch spät den Hof besuchten, übel mitzuspielen. Kaum war er einige Schritte auf den kleinen Hof vorwärts gegangen, so nahm ihm ein unbekanntes Etwas die weiße Nachtmütze ab und warf sie auf die schmutzige Erde. Ihn verdross das. Er schalt dem vermeinten, im Finstern nicht sichtbaren Mitschüler und verbat sich diesen ungebührlichen Spaß. Auch drohte er zugleich, dass er mit seinem Stock blind um sich schlagen würde, sobald man ihm noch einmal in der Art zu nahe käme.

Indessen suchte er seine Mütze, setzte sie wieder auf und ging weiter. Aber kaum hatte er vier Schritte vorwärts getan, so riss man ihm die Mütze zum zweiten Male vom Kopf und warf sie auf die Erde. In dem nämlichen Augenblick machte er seine vorige Drohung wahr und schlug mit seinem Stock derb um sich her, traf aber zu seiner nicht geringen Verwunderung niemanden, ungeachtet er geglaubt hatte, dass es ihm bei der Geschwindigkeit, mit welcher er seinen Stock führte, gar nicht fehlen könne, den Neckenden zu treffen. Er überlegte eine Weile, suchte dann seine Mütze wieder und dachte bei sich selbst: Wahrscheinlich bückte sich der Schlaukopf und entwischte. Das soll ihm nicht zum zweiten Mal gelingen. Ich will dann schon so dicht über die Erde hinschlagen, dass er seiner Strafe nicht entgehen soll.

So ging er nun, die Mütze auf dem Kopf, weiter und focht bei jedem Schritt, den er vorwärts tat, mit seinem Knüppel um sich her. In der Tat schien es nun auch dem Geschwindesten unmöglich zu sein, bis zu der Mütze Herzliebs hinzureichen, ohne augenblicklich durch einen derben Hieb dafür gezüchtigt zu werden. Und was geschah nicht desto weniger? Man riss ihm zu seinem Erstaunen die Mütze abermals vom Kopf. Er schlug, um den Neckenden eins zu versetzen, dicht über die Erde hin, aber berührte auch da keinen Menschen. Auch hörte er niemanden, und es herrschte nach wie vor mitternächtliche Stille um ihn her. Er suchte seine Mütze, fand sie aber diesmal nirgends. Es wollte ihm kalt überlaufen, indessen der sehnliche Wunsch, dem sonderbaren, anscheinenden Gespenst vielleicht noch auf die Spur zu kommen, rüstete ihn mit Entschlossenheit und Geistesgegenwart aus. Er stand auf einem Fleck eine Weile unbeweglich still, um zu horchen, ob sich ihm zum vierten Mal jemand nähere. Er würde in diesem rätselhaften Augenblick vieles darum gegeben haben, wenn sich ihm jemand durch irgendein Geräusch nun als den Täter verraten hätte. Aber vergebens! Es ließ sich weder ein Lüftchen noch sonst ein Ton hören, und er musste die Hoffnung für den Augenblick aufgeben, zu entdecken, auf welche Art er um seine Nachtmütze gekommen sei. Beim Umkehren wurden ihm, wie man zu sagen pflegt – die Hacken lang, und es war ihm, als ob das Gespenst oben nach seinen Haaren griff.

Auch vergaß er darüber ganz die eigentliche Absicht seines Kommens und eilte auf sein Zimmer zu seinen größtenteils schon schlafenden Mitschülern zurück. Er weckte einige davon, erzählte ihnen, was ihm widerfahren war, und bat sie, ihn mit einer Laterne in der Hand und mit guten Knüppeln bewaffnet zu begleiten, um den unerkannten Unhold vielleicht noch aufzufinden.

Der Zug von bewaffneten, vorurteilslosen und herzhaften Schülern ging nun in aller Stille vor sich. Aber kaum war er auf den spukenden Hof angelangt, kaum hatten die vordersten Schüler einige Schritte vorwärts getan, so riss jemand dem Größten von ihnen ebenfalls die Schlafmütze vom Kopf. Die hinter ihm waren, sahen die Mütze auf die Erde fallen, ohne irgendein lebendiges Wesen als den Täter zu bemerken. Ohne im Geringsten verlegen zu sein, lachten sie triumphierend laut auf, denn sie entdeckten mittelst der Laterne sogleich eine Leine über ihren Köpfen, welche man tags zuvor zum Trocknen der Wäsche da befestigt und am Abend abzubinden vergessen hatte. Wenig Schritte vorwärts lag auch die vorhin verlorene Herzliebsche Mütze auf der Erde. Sie war von der Leine etwas weiter als die erstmals fortgeschleudert worden.

So war nun mit dem Spuk zugleich auch die Ursache entdeckt, warum die Stockschläge nicht haften wollten. Hätte der seiner Mütze beraubte Herr Herzlieb seine Streiche über sich getan, so würde er auch allein und im Finstern die neckende Leine getroffen und für das verborgene Gespenst erkannt haben. Nun war ihm sogar das Gefühl sehr erklärlich, als ob ihm beim Zurückgehen das vermeinte Gespenst nach den Haaren gefasst habe, sehr richtig, denn wahrscheinlich streifte die Leine, die keine Mütze mehr fand, seinen Scheitel und beschleunigte so seine Flucht.

Ein abergläubiger, furchtsamer, unentschlossener, junger Mann an der Stelle des Herrn Herzlieb würde es schwerlich gewagt haben, gleich auf der Stelle Nachforschungen zu unternehmen. Und wie, wenn nun in einem solchen Fall der Eigentümer der vergessenen Leine diese des nächsten Morgens in aller Frühe abgebunden hätte? Wahrscheinlich blieb dann der neckende Mützenabnehmer auf immer unentdeckt; und eine bloße Trockenleine war dann die unschuldige Veranlassung einer Spukgeschichte, bei deren Erzählung man schwerlich auf die einzig richtige Erklärungsart gefallen wäre. Auch wäre es dann unstreitig sehr merkwürdig gefunden worden, dass das Gespenst die Mütze gerade dreimal vom Kopf riss.