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Die Flusspiraten des Mississippi 3

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

3. Das Union-Hotel und seine Gäste

Leser, hast du schon je ein amerikanisches Wirtszimmer gesehen? Nein? Das ist schade – es würde mir die Beschreibung ersparen. Wie die Bahnhöfe auf unseren Eisenbahnen, so haben die Wirtszimmer in der Union eine Ähnlichkeit, die sich in keinem Staat, weder im Norden noch Süden, verleugnen lässt und in den kostbarsten Austernsalons der östlichen Städte wie in den gewöhnlichen Grogshops der Backwoods sichtbar und erkenntlich bleibt. Der Schanktisch, mag er nun mit Marmorplatten belegt oder von einem schmutzigen hölzernen Gitter geschützt sein, trägt seine kleinen Fläschchen mit Pfefferminz und Staunten Bitters, damit sich jeder Gast sein Getränk mit einem der beiden scharfen Spirituosen würzen könne, und die dahinter angebrachten Karaffen blitzen and funkeln und laden mit ihrem farbigen Inhalt den Gast ein, sie zu kosten. Apfelsinen und Zitronen füllen die leeren Zwischenräume aus, und Champagnerflaschen sowie süße, mit buntfarbigen Etiketten versehene Liköre prangen in den obersten Regalen. Nie aber wird sich der Reisende in diesen öffentlichen Gebäuden, mögen sie nun Hotel oder Inn, Tavern oder Boardinghouse heißen, wohnlich fühlen. Wie alles in Amerika, einzelne Privatwohnungen ausgenommen, nur für den augenblicklichen Genuss und Nutzen eingerichtet ist und jeder wirklichen Behaglichkeit entbehrt, so ist es auch mit diesen, doch eigentlich für die Bequemlichkeit der Reisenden hingestellten Gasthäusern.

Schon die ganze Inneneinrichtung beweist das. Nur vor dem Kamin stehen Stühle, und um denselben, selbst im Sommer, wenn kein Feuer darin brennt, sammeln sich aus alter Gewohnheit die Gäste und spritzen ihren Tabaksaft in die liegen gebliebene Asche. Keiner setzt sich mit seinem Glas zum Tisch und verplaudert ein halbes Stündchen mit dem Freund. Keiner liegt, im Stuhl behaglich zurückgelehnt, und beobachtet die Kommenden und Gehenden. In Gruppen stehen sie beisammen – das soeben gefüllte Glas wird schnell geleert, höchstens einmal eine Zeitung überflogen, und der Gast eilt wieder seinen Geschäften oder seinem Vergnügen nach.

Das Union-Hotel machte keine Ausnahme von dieser Regel. Der Tür gegenüber befand sich der Ausschank, hinter dem ein junger Mann kaum Hände genug zu haben schien, die verlangten Gläser zu füllen. Links war der Kamin, rechts führten drei Fenster auf die Elmstreet hinaus, während neben der Tür zwei andere Fenster eine Aussicht durch die Veranda nach der breiten Frontstreet und zugleich auf die Dampfboot- und Flatboot-Anlegestelle und den Strom gewährten. In der Mitte des ziemlich großen Raumes stand ein viereckiger Tisch, auf dem ein paar Zeitungen, die State Gazette, der Cherokee Advokate und das New-Orleans-Bulletin, lagen, und ein Dutzend Stühle. Ein kleiner Spiegel und eine unvermeidliche Yankee-Uhr über dem Kaminsims vervollständigten die Einrichtung.

Interessanter aber waren die Menschen, die in dem Zimmer umherstanden. Nur zwei Leute saßen nämlich, und zwar wie Verzierungen an beiden Seiten des Kamins, die Rücken der Gesellschaft zugedreht und die Beine hoch oben auf dem Sims neben der Uhr.

Den Mittelpunkt der Gäste bildeten vier Männer: ein junger Advokat aus Helena, namens Robins, ein Farmer aus der Nähe von Little Rock, ein junger grobknochiger Geselle, der trotz seines hellblauen Fracks aus Wollzeug und des schwarzen abgeschabten Filzhutes etwas unverkennbar Matrosenartiges an sich hatte, und der sogenannte Madrider, der zu Pferde den ledernen Briefsack zwischen Helena und Strongs Postoffice, in der Nähe des St. Francis River, hin und her brachte. Das Gespräch drehte sich jetzt um den vorhin stattgefundenen und beschriebenen Kampf, den sie aus dem Fenster größtenteils mit angesehen hatten, und der Mailrider, ein kleines dürres Männchen von etwa fünfundzwanzig Jahren, war ganz besonders erstaunt, dass sich eine solche Menge kräftiger, trotzig aussehender Burschen erst durch einen einzelnen Mann einschüchtern und dann durch einen anderen von der Ausübung ihrer Rache hatten zurückhalten lassen.

»Gentlemen!«, sagte er in der mit Eifer geführten Rede, wobei er diesen Titel ungewöhnlich häufig anwandte, als ob er seine Zuhörer dadurch überzeugen wollte, dass er selbst zu dieser besonderen Menschenklasse gehöre. »Gentlemen, die Männer von Arkansas fangen an, aus der Art zu schlagen, das demokratische Prinzip geht unter. Vom Osten her werden monarchische Grundsätze von Tag zu Tag gefährlicher. Gentlemen, ich fürchte, wir erleben noch die Zeit, da sie in Washington einen König krönen, und der König heißt dann … Henry … Glay!«

»Henry? Unsinn!«, sagte der Farmer verächtlich. »Wenn das geschähe, so möchten sie ihren König auch im Osten behalten. Über den Mississippi sollte er uns nicht kommen, dafür stehe ich. Wetter noch einmal, unsere Väter, die in ihren blutigen Gräbern schlafen und für ihre Kinder fielen, müssten sich ja in Schande und Schmach umdrehen, wenn die Enkel, die zu Millionen angewachsen sind, das nicht einmal mehr behaupten könnten, was sie der Übermacht mit wenigen Tausenden abzwangen. Das sind verrückte Ideen, die nur Ausländer mitbringen. In Schmach und Ketten aufgewachsen, können sie sich nicht denken, dass ein Volk imstande ist, zu existieren, wenn es nicht von einem Fürsten am Gängelband geführt wird. Zum Teufel auch, ich habe da erst neulich in einem Buch gelesen, wie die Hofschranzen über dem großen Wasser drüben in den Städten herumkriechen, den Rücken krümmen und die Feinen und Zierlichen spielen. Die Pest über sie – solch Geschmeiß sollte einmal nach Arkansas kommen, hu … pih … wie wir sie mit Hunden hinaushetzen würden.«

»Hahaha!« Der kleine Advokat lachte. »Howitt gerät ordentlich in Eifer. Mäßigung, wackerer Staatsbürger, Mäßigung! Gegen solche Gefahr schützt uns unsere Konstitution.«

»Ach – was da, Konstitution«, brummte Howitt, »wenn wir’s nicht selber tun, wäre die Konstitution und das Advokatenvolk auch nicht dazu imstande. Die eine würde umgeworfen, und die anderen gingen zur neuen Fahne über – das ist schon alles da gewesen. Nein, der Farmer ist’s, der den Kern der Staaten ausmacht, denn sein freies Land wäre gerade das, was unter die Botmäßigkeit einer willkürlichen Regierung fiele. Er müsste das Land kultivieren und mit dazu beitragen, dass sich die Industrie mehr und mehr höbe und die Einkünfte von Jahr zu Jahr wüchsen, und dürfte dann am Ende noch nicht einmal mit dareinreden, wenn es sein eigenes Wohl und Wehe gälte. Nein, der Farmer oder vielmehr das Volk hält den Staat – nicht die Konstitution, und ein Land, das kein Volk hat, dem hilft auch die beste Konstitution nichts.«

»Nun ja, das sag ich doch«, fiel der Madrider, der nicht recht verstand, was jener meinte, mit seiner dünnen Stimme ein. »Deshalb wundert es mich ja gerade, dass sich das Volk so von einem einzelnen Menschen leiten und einschüchtern lässt. Donnerwetter! Ich sollte dazwischen gewesen sein – ich hätte dem Yankee«, und er sah sich dabei um, ob der Wirt nicht etwa im Zimmer sei, »zeigen wollen, was es heißt, sich an freien amerikanischen Bürgern zu vergreifen.«

»Gerade im Gegenteil«, erwiderte ruhig der Farmer. »Mich hat es gefreut, dass die Leute Vernunft annahmen. Was ich früher von Helena gehört habe, ließ mich fast glauben, der ganze Ort bestehe aus lauter Gesindel. Es ist mir lieb, dass ich jetzt eine andere Meinung davon nach Hause tragen kann, denn dass die Köpfe eines freien, sorglosen Völkchens einmal überschäumen, ei nun, das ist kein Unglück, wenn sie nur immer wieder ins richtige Bett zurückkehren.«

»Verdammt wenig von ihnen werden heute Nacht in einem Bett schlafen!«, warf der im blauen Frack lachend ein. »Die lustigen Burschen fangen mit der Gallone Brandy an, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie mit einem ganzen Fass aufhörten. Ihr Geschrei schallt ja sogar bis hier herüber.«

»Was ist denn hier eigentlich vorgegangen?«, fragte jetzt der Farmer, sich an die Übrigen wendend. »Ich kam gerade, als sie den Irländer draußen in der Klemme hatten, und trug dann meine Satteltasche in die Hinterstube. War denn heute Gerichtstag?«

»Gerichtstag?«, wiederholte der im blauen Frack, »nein, das weniger, aber was ganz anderes – Holks Haus und Land wurden versteigert.«

»Holks Haus? Des reichen Holk Haus?«, rief Howitt verwundert, »aber das ist ja gar nicht möglich. Alle Wetter, vor acht Tagen kam ich erst hier durch, und da war noch kein Gedanke daran.«

»Ja, die Sachen ändern sich«, meinte der Blaue lachend. »Holk ging, wie Ihr wisst, mit einem Flatboot nach New Orleans. Unterwegs musste er aber wohl auf irgendeinen Snag gelaufen oder sonst verunglückt sein, kurz, das ganze Boot ist spurlos verschwunden, und vor fünf Tagen kam Holks Sohn hier an.«

»Hatte denn Holk einen Sohn?«, fragte der Farmer. »Er war ja gar nicht verheiratet?«

»Aus früherer Ehe«, erwiderte der Blaue, »mehrere Leute hier kannten die Familie. Der junge Holk wäre auch gern hiergeblieben. Er bekam aber schon am zweiten Tage das Fieber und damit zugleich einen solchen Widerwillen gegen das niedere Land, dass er schon auf den dritten Tag die Versteigerung seines sämtlichen Grundbesitzes festlegte. Die Auktion fand an diesem Morgen statt, und mit dem Dampfboot, das heute Mittag hier landete, ist der junge Holk wieder hinunter nach Baton Rouge gegangen.«

»Potz Blitz, der hat seine Geschäfte schnell abgemacht. Da ist auch wohl der schöne Platz um einen Spottpreis weggegangen?«, fragte der Mailrider, der ebenfalls erst während des Streites den Schenkraum betreten hatte.

»Das nicht!«, erwiderte der Advokat, »die Baustellen sind fast die besten in Helena, und es fanden sich mehrere Bewerber. Ich selbst habe geboten, Richter Danton schien auch große Lust zu dem Handel zu haben. Der Wirt hier aber hat sie zuletzt noch erstanden, und, was die Bedingung war, gleich bar bezahlt. Smart muss eine hübsche Menge Geld in Helena verdient haben.«

»Sonderbar, sehr sonderbar«, murmelte der Farmer vor sich hin. »Mir hat Holk einmal gesagt, er habe weder Kind noch Kegel in Amerika und wolle alles, was er sein Eigen nenne, verkaufen und wieder nach Deutschland zurückgehen.«

»Nun ja«, meinte der Blaue, »es war so eine schwache Seite von ihm, noch für einen jungen Mann zu gelten. Er leugnete immer, dass er schon verheiratet gewesen. Ihr kennt doch die junge Witwe drüben – gleich neben Danton.« Er verzog dabei, während er mit dem Daumen der Hand über die Schulter deutete, das keineswegs schöne Gesicht zu einem hässlichen, boshaften Lachen.

»Die arme Frau«, sagte ein junger Kaufmann aus Helena, der eben zu ihnen getreten war und die letzten Worte gehört hatte. »Sie geht herum wie eine Leiche – sie soll den Holk so gern gehabt haben.«

»Sie waren ja auch schon miteinander versprochen«, fiel hier der Advokat ein. »Wenn er wieder von New Orleans zurückkäme, sollte die Hochzeit sein, aber der Mensch denkt, und das Schicksal lenkt. Jetzt ist der Mississippi sein Hochzeitsbett und das eigene Flatboot sein Sarg.«

»Es sind in letzter Zeit recht viele Flatboote verunglückt«, sagte der Farmer nachdenklich. »Ich weiß, dass allein von Little Rock drei abgingen, die nie am Ort ihrer Bestimmung ankamen. Der Staat sollte mehr dafür tun, diese Unmassen von Baumstämmen wenigstens aus der eigentlichen Strömung zu entfernen. Guter Gott, was sind nicht schon für Menschen auf solche Art umgekommen, und wie viele Waren hat der unersättliche Mississippi verschlungen!«

»Ei, die Menschen sind aber auch größtenteils selber dran schuld!«, rief der Blaue ärgerlich. »Wenn irgendein Bursche, der im Leben den Stiefel nicht von Gottes festem Erdboden weggebracht hat, einmal Waren verschiffen will, so baut er ein neues Flatboot oder kauft irgendein altes, packt da seine Siebensachen hinein, stellt sich hinten ans Steuer und denkt: Der Strom wird mich schon dahin führen, wohin ich will … wir schwimmen ja den Fluss hinunter. Jawohl – wir schwimmen hinunter, bis wir irgendwo hängen bleiben, und nachher ist’s zu spät. Der Mississippi lässt nicht mit sich spaßen, und um die erbärmlichen vierzig und fünfzig Dollar für einen tüchtigen Lotsen oder Steuermann zu sparen, hat schon mancher Gut und Leben eingebüßt.«

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Farmer. »Alle, die von Little Rock abgingen, hatten aber Lotsen an Bord, Leute, die auf ihr Ehrenwort versicherten, den Fluss schon seit zehn und fünfzehn Jahren befahren zu haben, und sie sind dennoch zugrunde gegangen. Solchen Menschen kann man aber auch nicht ins Herz sehen. Es gibt sich mancher für einen Lotsen aus und vertraut nachher seinem guten Glück, das ihn schon sicher stromab führen werde. Im günstigsten Fall lernt er so nach und nach die Strömung kennen und hat dabei seinen guten Verdienst. Im ungünstigsten Fall aber kann er vielleicht schwimmen und bringt seine werte Person doch noch sicher wieder ans Ufer.«

»Die Gentlemen reden von dem Lotsen, der neulich hier ans Ufer geworfen wurde?«, fragte ein kleines ausgetrocknetes Männchen mit schneeweißen Haaren, tief gefurchten Zügen und grauen blitzenden Augen, das sich jetzt von einer anderen Gruppe zu ihnen gesellte. »Ja, das war ein kapitales Exemplar von Knochenbruch – der rechte Oberschenkel – der linke Unterschenkel – Wadenbein und Hauptröhre – vier Rippen auf der linken Seite, den rechten Arm förmlich zersplittert, dass die Knochenstücke herausragten, den Hinterkopf stark verletzt und doch nicht tot. Ich hatte es mir zur Ehrensache gemacht, ihn eine volle Stunde am Leben zu erhalten, es war aber nicht möglich. Er schrie in einem fort.«

»Großer Gott«, sagte der Farmer und schüttelte sich bei dem Gedanken, »da wäre es ja ein Werk der Barmherzigkeit gewesen, dem armen Teufel eins auf den Kopf zu geben. Was war denn mit ihm geschehen?«

»Dem Dampfboot General Brown waren die Kessel geplatzt«, antwortete der Advokat. »Es sind, glaube ich, fünfzehn Personen dabei ums Leben gekommen.«

»Ja, aber nichts Erhebliches weiter an Verwundungen«, meinte der kleine Doktor. »Zwei Schwarzen die Köpfe ab – einer Frau den Brustkorb zerquetscht …«

»Weshalb müssen wir denn das so genau wissen?«, rief der Farmer und wandte sich voll Ekel und Unwillen ab. »Sie verderben einem ja bei Gott das Abendbrot, Doktor.«

»Bitte um Verzeihung«, sagte der kleine Mann, »für die Wissenschaft sind solche Fälle ungemein wichtig, und mir wäre in dieser Hinsicht auch wirklich kein besserer Platz in der ganzen Welt bekannt, um Beobachtungen an Verletzten und Leichen zu machen, als gerade das Ufer des Mississippi. Ehe jener interessante Fall am Fourche la fave vorfiel, wohnte ich etwa drei Wochen in Victoria, gegenüber der Mündung des White River und Montgomerys Point. Und jede Woche, ja oft einen Tag um den anderen wurden dort Leichen angetrieben. Einmal war ein Mann dabei, dem hatten sie gerade über dem rechten Hüftknochen …«

»Ei so hol Euch doch der Teufel!«, rief der Blaue ärgerlich dazwischen. »Harpunen und Seelöwen – ich kann auch einen Puff vertragen, und manchen Tropfen Blut habe ich mein Leben lang fließen sehen. Wenn man aber das Leiden und Elend so haarklein beschreiben und immer und immer wiederkäuen hört, dann bekommt man es am Ende doch auch satt und ekelt und scheut sich davor.«

»An Menschen, die keinen Sinn für die Wissenschaft haben«, rief der hierdurch erzürnte kleine Mann, indem er sich den grauen Seidenhut noch fester in die Stirn hineintrieb. »Menschen, die von ihren Mitmenschen bloß die Haut kennen und sich weiter nicht darum bekümmern, ob sie mit Knochen oder Baumwolle ausgestopft sind – an solchen Menschen ist auch jedes wissenschaftliche Wort, das irgendein vernünftiger Mann so töricht ist, ihnen zu bieten, verloren, und ich sehe nicht ein, weshalb ich meine schöne Zeit hier vergeuden soll, solchen Menschen einen Gefallen zu tun.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten oder die Übrigen noch eines Blickes zu würdigen, ergriff er einen alten, am nächsten Stuhl lehnenden baumwollenen Regenschirm, drückte ihn sich unter den Arm und schritt rasch und dabei immer noch vor sich hin gestikulierend zur Tür hinaus.

»Gott sei Dank, dass er fort ist. Mir graust es immer in seiner Nähe, und ich kann mir nun einmal nicht helfen, aber ich möchte stets darauf schwören, es röche nach Leichen, sobald er ins Zimmer tritt«, sagte der Advokat.

»Ist denn der hier praktizierender Arzt?«, fragte der Farmer, der dem kleinen Mann erstaunt nachgesehen hatte.

»Arzt? Gott bewahre«, erwiderte der Blaue lachend, »die Leute nennen ihn hier nur so, weil er von weiter nichts als Wunden, Leichen und Operationen spricht. Dadurch haben sich aber schon ein paar Mal Fremde verleiten lassen, ihn bei Krankheiten zurate zu ziehen, und das ist ihnen denn auch verdammt schlecht bekommen.«

»Es wird keiner zum zweiten Mal zu ihm gegangen sein«, meinte der Farmer.

Der Blaue lachte laut und rief: »Nein, wahrhaftig nicht. Kein Lebender kann sich rühmen, von Doktor Monrove behandelt worden zu sein. Die fünf, die er hier in der Kur gehabt hatte – natürlich lauter Fremde, eben Eingewanderte – sind schleunigst gestorben und stehen jetzt in Spiritus und Gott weiß was alles aufbewahrt, teils ganz, teils stückweise in seinem Studierzimmer, wie er es nennt, herum. Keine Haushälterin hat deshalb auch bei ihm aushalten wollen.«

»Das muss ein entsetzliches Vergnügen sein, sich so an lauter Gräuelszenen zu weiden«, sagte der Farmer schaudernd,

»Ja und es ist bei ihm jetzt wirklich zur Leidenschaft geworden«, nahm der Advokat das Wort. »Als er vor kurzer Zeit von dem am Fourche la fave gehaltenen Lynchgesetz und dem verbrannten Methodistenprediger hörte, hat er fast ein Pferd totgeritten, um noch zur rechten Zeit dort einzutreffen und die verkohlten Überreste des Mörders an sich zu bringen.«

»Hat man von den entflohenen Mitschuldigen nie wieder etwas gehört?«, fragte der Farmer. »In Little Rock hieß es, Cotton und der Mulatte seien entkommen.«

»Ei gewiss«, fiel ihm hier der Advokat ins Wort. »Die am Fourche la fave haben sich freilich nicht weiter um sie bekümmert, denn sie wollten das Gesindel nur los sein. Die Flüchtlinge sind aber in der Woche darauf im Hot Spring County gesehen worden, und da Heathcott, der erschlagene Regulatorenführer, gerade dort früher ansässig gewesen war, so hat man sie beide eifrig verfolgt. Cotton ist jedoch ein schlauer Fuchs und wird wohl um diese Zeit schon über den Mississippi gewesen sein.«

»Hm, ja«, fügte der Blaue hinzu, »man will ihn schon sogar drüben in Victoria gesehen haben. Der wird sich nicht wieder in Arkansas blicken lassen.«

»Hat denn der Indianer den Prediger wirklich verbrannt?«, fragte der junge Kaufmann immer noch zweifelnd. »Allerdings stand es hier in allen Zeitungen, aber ich habe es nie glauben wollen. Wie haben die Gesetze nur so etwas zulassen können!«

»Die Gesetze – bah«, rief der Blaue verächtlich, »was können denn die Gesetze machen, wenn das Volk seinen eigenen Kopf aufsetzt? Die Gesetze sind für alte Weiber und Kinder, die sich von jedem Tintenkleckser ins Bockshorn jagen lassen. Wer sich hier nicht selbst beschützt, dem können die Gesetze auch keinen Pappenstiel helfen.«

»Da bin ich doch ganz anderer Meinung«, entgegnete der Farmer. »Die Gesetze gerade sind es, die unsere Union auf den Standpunkt gebracht haben, auf dem sie jetzt steht, und jedes guten Bürgers Pflicht ist es, sie aufrechtzuerhalten. Dass es freilich noch manchmal in der Wildnis Strecken gibt, auf die sie ihren wohltätigen Einfluss auszuüben nicht imstande sind, glaube ich auch, und gewaltsame Handlungen erfordern dann gewaltsame Mittel. Sonst aber sollte es für einen Bürger der Union nichts Heiligeres geben als gerade die Gesetze, denn sie allein geben ihm die Gewähr für seine Freiheit. Doch, Gentlemen, es wird spät, und ich möchte noch gern vor dem Dunkelwerden hinauf zu Colby – also gute Nacht. In einigen Tagen komme ich wieder hier vorbei und dann, Broadly«, wandte er sich an den jungen Kaufmann, »können wir den Handel abschließen, denke ich. Ich habe nur noch einige alte Schulden dort oben zu bezahlen, so viel Geld bleibt mir aber wahrscheinlich noch. Also Good bye.« Nach diesen Worten bezahlte der Farmer an der Bar seine kleine Rechnung, ließ sich die Satteltasche wieder herausgeben, legte sie über den Sattel seines ungeduldig scharrenden Braunen, stieg auf und trabte, noch einmal herübergrüßend, hinunter in den das Städtchen begrenzenden Wald.