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Der goldene Fels Kapitel 5

Der-goldene-FelsRobert Kohlrausch
Der goldene Fels
Kriminalroman, Alster-Verlag, Hamburg, 1915

Fünftes Kapitel

Es war zwei Tage darauf am Nachmittag, als eine schwere braune Holztür in der hinteren Mauer der Villa Helbig sich auftat und Karl Georg herauskam. Ein Bauwerk von absonderlicher Form befand sich dort, eine von mächtigen Streben und Stützen getragene Holzbrücke, die bis unmittelbar an die Villa heranführte. Sie war des wilden Bergflusses wegen erbaut worden, der ganz nahe vorbeirauschte, stieß aber, weil dessen jenseitiges, felsiges Ufer höher lag, nicht auf ebener Erde an die Hauswand, sondern ungefähr zwei Meter höher direkt an das Hochparterre der Willst.

Hier befand sich als einzige Öffnung in der fensterlosen, Wein umsponnenen Mauer die braune, meist verschlossen gehaltene Tür. Der Kommerzienrat hatte beim Bau der Villa das Rauschen des Wassers für seine Nachtruhe gefürchtet und aus diesem Grund nur die eine Türöffnung angeordnet. Gleich dem dahinterliegenden Hügel mit seiner dem goldenen Fels gerade gegenüberliegenden Burgruine war die Brücke Helbigs Privatbesitz und nur erbaut worden, um die Verbindung mit einem oben in den Bergen errichteten Elektrizitätswerk und einem steil dort hinaufleitenden Felsenpfad herzustellen. Von dort oben kam die geheimnisvolle Naturkraft herab, die der Lebensnerv der großen Helbigschen Fabrik war. An hohen Holzmasten schwebten die Drähte der Elektrizitätsleitung dort in der Luft, überbrückten die Schlucht von einem zweiten, in die Felsen hier eingeschnittenen und nahebei sich dem Hauptfluss brausend vereinigenden Bergwasser und liefen dann zu der ein Stück rechts hin gelegenen Fabrik hinab.

Die Villa mit ihrem umfangreichen, Gitter umwehrten Park war von dem großen Wasserlauf nur durch einen von hohen Eschen beschatteten Weg getrennt. Was der Brücke die besondere Form verlieh, waren zwei Holztreppen, die von rechts und links in der Fortsetzung der Eschenallee zu ihr hinabführten und so den Unterschied im Niveau zwischen Weg und Brücke ausglichen. Um sein Besitzrecht an ihr deutlich zu machen, hatte der Kommerzienrat am Fuß von jeder Treppe eine Gittertür aus Eisen anbringen lassen, die bei Tag zwar geöffnet war, bei Nacht aber versperrt gehalten wurde.

Karl Georg trat in die tiefe, nur vom Brausen des Wassers durchgedrungene Stille hier heraus, verschloss die Tür sorgfältig hinter sich, blieb ein paar Minuten stehen und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um.

Doch war kein Mensch zu sehen, wenn er etwa danach spähte. Nur von der mit wildem Wein bewachsenen Wand über ihm löste sich eins von den herbstlich rot gefärbten Blättern los, wirbelte, langsam herabsinkend, in der stillen Luft um sich selbst und fiel dem jungen Mann gerade auf die Schulter. Als ob eine Menschenhand ihn unversehens berührt hätte, fuhr er zusammen. Dann stieg er eilig die Treppe hinab nach der Fabrikseite zu.

Die Fortsetzung der von der Brücke durchschnittenen Eschenallee ging hier weiter am Wasser entlang und hinter der mächtigen roten Ziegelmauer der Fabrik hin, um gerade dort auf die Landstraße zu münden, wo sich eine zweite, fahrbare Straße nach links von ihr abzweigte.

De la Motte blieb auf der Hauptstraße, die parallel zum Wasser dahinlief, doch nur für kurze Zeit. Als hinter ihm das lärmende Brausen der nahenden Trambahn ertönte, schlug er einen schmalen Pfad ein, der in ein Erlen- und Weidengehölz, ähnlich dem zwischen der Villa und seines Vaters Wohnung, rechts hineinführte. Der natürliche Wald war hier für die Kurgäste schon halb und halb in Anlagen verwandelt worden. Heller Kies lag auf den Wegen, und braune Holzbänke standen an ihnen. Doch zog die Mehrzahl der Badegäste das laute, bunte Treiben der Kurkonzerte vor, und es war hier meistens friedlich und still im Schatten der Bäume.

Mildes Herbstwetter, das den Sturmtagen gefolgt war, erfüllte mit seinem sanften Licht das täglich bunter leuchtende Tal. Aber Karl Georg hatte dafür keinen Blick. Ihn schien zu frieren. Er schlug den Kragen seines grauen Ulsters auf und ging mit hochgezogenen Schultern eilig dahin, die Augen auf das vom letzten Sturm in Massen heruntergerissene Laub zu seinen Füßen gerichtet. Sein Gesicht war gelblich bleich, sein Gang unsicher und schwankend.

Die große Straße meidend, kam de la Motte so zur Stadt. Auch hier vermied er die belebten Wege und hielt sich in kleinen, schmalen Gassen, die noch aus der Zeit stammten, als kein internationales Fremdenpublikum den Ort füllte.

Vor einem Haus, dessen graue Sandsteinfassade mit verwitterter Renaissancedekoration geschmückt war, blieb er einen Augenblick stehen, nahm den Hut ab und fuhr sich ein paar Mal fest mit der Hand über Gesicht und Augen. Als er sie sinken ließ, war das gewohnte heitere Lächeln wieder in seinen Zügen, und auch ein wenig Farbe war auf sie zurückgekehrt.

Nun betrat er einen langen, schmalen Flur, der geradeaus in tiefes Dämmerlicht hineinführte. Gleich vorn zur Linken war eine Tür und neben ihr ein ovales, blankes Messingschild, auf dem die Worte eingraviert waren: Markus Neuburger, Altertümer.

Der Knopf einer elektrischen Glocke sah darunter aus der Wand hervor, und Karl Georg weckte durch einen Druck darauf ihren hellen, zitternden Ton. Bald erklangen auch langsame Schritte hinter der der Tür, und ebenso langsam tat sie selbst sich auf.

Die große trotz ihrer Schlankheit feierlich würdevolle Gestalt eines Mannes wurde sichtbar, dessen Kopf dem des Johannes auf Dürers Apostelbild merkwürdig ähnlich war. Nur dass dieser lebendige Johannes vor seinem gemalten Urbild wohl dreißig Lebensjahre voraushatte. Stark ergraut ging das Haar von der hohen Stirn zurück, und um die Augen und Mund waren allerlei Fältchen eingegraben, die Dürer nicht gemalt hatte. Aber die scharfe, schöne Linie des Profils war dieselbe, während ein mildes Lächeln den Ausdruck angespannter Betrachtung dämpfte.

»Ah, der Herr Baron de la Motte. Wollen der Herr Baron die Güte haben, einzutreten? Womit kann ich dienen?« Er sprach langsam, gemessen und feierlich, wie sich’s für die apostelhafte Gestalt geziemte. Seine letzten Worte waren von einer großen Geste begleitet, womit er auf die bunte Menge von Altertümern hinwies, die den Laden füllte. Karl Georg aber lehnte mit einer humoristischen Schreckensgebärde die Besichtigung der schönen Sachen ab.

»Nein, Vater Marcus, davon will ich nichts haben. Für meine Bedürfnisse genügt vorläufig durchaus der eiserne Ritter, den Sie mir bei unserem letzten kleinen Geldgeschäft statt eines mir sehr viel angenehmeren braunen Lappens aufgehängt haben.«

Vater Markus bewegte mit sanfter Missbilligung seinen Apostelkopf. »Der Ausdruck aufgehängt will mir nicht recht gefallen, Herr Baron.«

Karl Georg lachte. »Der eiserne Ritter gefällt mir auch nicht. Sie sagten, er wäre seine dreitausend Mark unter Brüdern wert. Ein Sachverständiger aber hat sein Urteil dahin abgegeben, dass der eiserne Kerl das 13. Jahrhundert nie gesehen hat, aus dem er stammen sollte, sondern dass er in der hochgeschätzten Altertümerfabrik von Wolf und Martino in Ferrara das Licht der Welt erblickt hätte.«

Das milde Lächeln auf dem Johannesgesicht verstärkte sich. »Solche Fabriken gibt es nicht, Herr Baron. Das ist Verleumdung.«

»Nun, wir wollen darüber nicht streiten. Ich komme heute nur, um den Wechsel einzulösen, der fällig ist.«

»Sehr schön. Heute Morgen erlaubte ich mir schon, an den Herrn Baron deswegen zu telefonieren, jedoch der Herr Baron waren ausgegangen.«

»Ja, heute Morgen, ich hatte hier in der Stadt zu tun. Also, da bringe ich Ihnen den schnöden Mammon zurück.«

Er zog seine Brieftasche hervor, die durch ein starkes Paket von Banknoten aufgetrieben war, und nahm sechs Tausendmarkscheine heraus. Mit offenbarem Erstaunen betrachtete Markus Neuburger das Geld, streckte jedoch mit einer etwas rascheren Bewegung die Hand danach aus, als er sie sonst anzuwenden pflegte.

»Ich habe ja gewusst, Herr Baron sind mir sicher. Wenn ich dem Herrn Baron einmal wieder irgendwie dienen könnte …«

»Nein, Vater Markus, ich habe vorläufig keinen Bedarf.« Er nahm den Wechsel, den der andere hervorgesucht hatte, zerriss ihn in kleine Fetzen und steckte sie in die Westentasche. Dann ging er mit einem leichten, lachenden »Adieu für heute« zur Tür. Bevor er sie jedoch ganz erreicht, hatte, blieb er stehen, drehte, sich auf dem Absatz um und sagte: »Ja, Vater Markus, wo Sie mir’s anbieten, man kann es nie wissen, wozu es gut ist, wenn Sie wieder ein paar Tausender für mich übrig hätten.«

»Aber selbstverständlich, Herr Baron. Wie viel soll ich schreiben?«

»Na, nehmen wir eine runde Summe …«

»Gewiss, eine runde Summe. Das berechnet sich am besten. Soll ich zehntausend schreiben oder zwanzigtausend oder …?«

»Sagen wir zehntausend bis 1. Januar nächsten Jahres.«

»Gut, gewiss, mit Vergnügen. Da steht es: zehntausend Mark. Dafür bekommen Sie, warten Sie einmal, dafür bekommen Sie bar sechstausend Mark und außerdem …«

»Bitte, keinen eisernen Ritter, dafür habe ich keine Verwendung mehr.«

»Nein, gewiss nicht, Herr Baron. Aber ich habe hier eine wundervolle Madonnenstatue, ein Kunsthistoriker hat mir gesagt, sie stammte sicher aus der Werkstatt von dem berühmten Holzbildschnitzer Tilman Riemenschneider, vielleicht sogar von ihm selbst. Wenn ich dafür zweitausend Mark rechne …«

»Nein, ich will keinen Ritter und keine Madonna! Wenn Sie mir etwas Praktisches geben können, etwas Brauchbares für meine Zimmer, ein paar Teppiche vielleicht …«

»Herr Baron haben da einen guten Gedanken. Hier ist ein Teppich, ein echter Perser, ein großartiges Gewebe. Freilich war er für zweitausendvierhundert Mark ausgezeichnet, aber Ihnen zuliebe, Herr Baron …«

»Ja, schicken Sie mir das Ding. Und nun …«

»Wäre die Sache ganz in Ordnung. Sechstausend bar, zweitausend für den Teppich, zweitausend für Zinsen und Risiko, das macht genau zehntausend Mark. Darf ich bitten, zu unterschreiben, Herr Baron?«

»Her mit dem Wisch!«

Karl Georg unterschrieb, empfing die gezahlten sechs Tausendmarkscheine wieder zurück und ging mit heiterem Abschiedsgruß.

Er war jetzt wirklich aufgeheitert und blieb es auch, als er allein war. Eine Melodie aus der Dollarprinzessin pfeifend, ging er schnell durch ein paar Straßen zum Palasthotel. Diesmal war die Wohnung des Herrn von Dellwitz nicht sein Ziel, sondern er ließ sich durch den Liftboy bei der Baronin Gonderland melden.

Ein paar Minuten später stand er ihr in einem eleganten, moosgrün gehaltenen Salon gegenüber, zu dessen hoher Balkontür die Kronen der Lindenbäume mit ihrem herbstlichen, durch den Sturm schon gelichtetem Laub hereinschauten. Die Baronin trug ein Gewand aus einer zarten roten Farbe, die sich mit feiner Berechnung in das Grün des Raumes einfügte. Sie blieb sitzen, als Karl Georg eintrat, hob aber das Gesicht mit jenem sehnsuchtsvoll feuchten Blick, der ihn schon oft begrüßt hatte, und streckte die von Ringen funkelnde Hand zum Willkommen aus.

Er wartete, bis der Boy die Doppeltür hinter sich geschlossen hatte, dann ging er schnell auf die Baronin zu, beugte sich nieder und küsste die erhobene Hand.

»Guten Tag, Baronin. Ich komme nur auf einen Augenblick, aber ich musste Sie sehen. Den ganzen Tag habe ich an Sie gedacht.«

»Haben Sie nichts Besseres zu denken, Herr de la Motte?«

Sie sprach es mit ihrem leisen, tiefen Lachen, während sie den Kopf auf die Seite legte und von unten her zu ihm aufblickte. Die Augen redeten bei ihr eine andere Sprache als der Mund, glühend, lockend, verheißend.

»Ich wüsste nichts Besseres.« Er küsste noch einmal die weiche, warme Hand, die sich ihm nicht entzog.

»Nun, dann will ich Ihnen gestehen, dass ich heute auch schon einmal ein ganz, ganz klein wenig an einen gewissen Herrn gedacht habe, der augenblicklich in seiner vollen männlichen Schönheit vor mir steht. So sagt man doch in den Romanen, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht, was man in den Romanen sagt. Aber ich weiß, dass ich Sie verehre und Sie anbete, Baronin.«

»Das wäre sehr schön, wenn es die Wahrheit wäre. Um Ihnen zu glauben, muss ich Sie aber erst noch besser kennenlernen. Die Lippen sagen viel, wovon das Herz nichts weiß. Und wenn Sie wirklich gern bei mir sind, warum kommen Sie nur für einen Augenblick?«

»Weil ich Geschäfte habe, wenigstens ein Geschäft. Herr von Dellwitz hat mir doch neulich ausgeholfen, als es mir am nötigen Mammon fehlte, und Sie wissen ja: Spielschulden, Ehrenschulden. Außerdem hat er mir heute früh schon telefoniert, er hätte letzte Nacht scheußliches Pech gehabt und ganz erbärmlich verloren.«

»Das kann ich bezeugen. Ja, sie haben den armen Mann ganz ausgeplündert. Er hat alles wieder verloren, was er von Ihnen gewonnen hatte.«

»Ja, Baronin, a la guerre comme a la guerre! Aber um so mehr muss er sein Geld wiederhaben.«

»Vor allen Dingen, setzen Sie sich erst einmal. Machen Sie sich’s bequem, ich bin im Augenblick wieder hier. Ich muss nur meiner Jungfer ein Wort sagen. Darf ich nicht für Sie einen Kaffee oder einen Tee bestellen, Herr de la Motte?«

»Nein, ich danke sehr. Wenn Sie mir aber eine von Ihren russischen Zigaretten geben wollen, die wird mit Dank akzeptiert.«

»Aber selbstverständlich! Bitte, bedienen Sie sich.«

Sie nahm ein mit leuchtend grünem Malachit belegtes Kästchen von einer Spiegelkonsole, um es auf einen kleinen Tisch neben Karl Georg zu stellen.

»In zwei Minuten bin ich wieder hier.«

Sie gehörte zu den seltenen Frauen, die schön gehen können. De la Motte verfolgte mit verlangenden Augen den Rhythmus ihrer Bewegungen, während sie durch eine Seitentür hinausging. Dann erst nahm er eine der Zigaretten aus dem Malachitkästchen und setzte sie in Brand. Er sagte leise dabei vor sich hin: »Zigarettendampf und Weiberduft, ohne die möcht’ ich nicht leben.« Aber während er die Zigarette zum Mund führte, war es auf einmal, als ob sein Gedankengang von einem anderen gekreuzt würde, als ob etwas vor ihn hingetreten wäre, das mit Gewalt seine Blicke fesselte. Seine Augen wurden groß und starr. Das bleiche, müde Gesicht, das er auf seinem Weg durch das Wäldchen in der schattigen Einsamkeit gezeigt hatte, war plötzlich wieder da. Aufs Neue schien ein Frost seine Glieder zu durchlaufen. Aber das war nur für Sekunden. Sobald er die Baronin zurückkommen hörte, fiel es von ihm ab. Seine Lippen lächelten wieder, und in seinen Augen war heißes Verlangen.

»So, das hat nicht lange gedauert, nicht wahr? Ich kann Ihnen übrigens gar nicht sagen, wie ärgerlich es mir war, dass ich Ihnen neulich so wenig Glück brachte.«

»Ich bin überzeugt, an gutem Willen hat es Ihnen nicht gefehlt, Baronin.«

»Wenn der gute Wille nur ein wenig helfe im Leben! Aber wirklich, das Glück war mir vorher den ganzen Abend so merkwürdig treu gewesen.«

»Bis ich kam. Ja, vor mir läuft es gern davon. Wenigstens beim Jeu.«

»Dafür haben Sie nach dem alten Sprichwort um so mehr Glück in der Liebe.«

»Dass ich nicht wüsste. Wenigstens augenblicklich scheint es auch da nichts von mir wissen zu wollen.«

»Vielleicht sind Sie nicht geduldig genug. Das Glück ist wie ein schöner Schmetterling. Wer nach ihm greift, vor dem fliegt es davon. Sie müssen ruhig warten, bis es von selber kommt.«

»Ach, Baronin, man weiß niemals, wie viel Zeit man hat, noch auf das Glück zu warten!«

»Sie haben gewiss noch sehr viel Zeit. Mit einem Mal steht es dann vielleicht hinter Ihnen und hält Ihnen die Augen zu und fragt: Wer bin ich?«

»Wollen wir einmal Probe machen?«

»Wovon?«

»Von dieser angenehmen Situation, die Sie mir eben ausgemalt haben. Wollen Sie nicht einmal hinter mich treten und mir die Augen zuhalten und fragen?«

»O nein, dessen bin ich nicht würdig. Das Glück für Sie schaut anders aus als ich.«

»Baronin, ich glaube, Sie spielen mit mir.«

»Dafür wäre mein Respekt vor Ihnen doch viel zu groß.«

»Sie weichen mir aus, lassen mich nie dazu kommen, Ihnen von meinem Gefühl für Sie zu sprechen. Wenn ich einmal meine, Ihnen näherzukommen, im nächsten Augenblick sind Sie schon wieder weit fort.«

»Wie der Schmetterling, von dem wir gesprochen haben. Aber vielleicht setzt er sich doch noch einmal von selbst auf Ihre Hand. Nur geduldig warten, Herr de la Motte.«

Sie war von entzückender Anmut, wie sie so vor ihm saß und ihre Blicke unter halb verschlossenen Wimpern hervorleuchten ließ. Karl Georg schob seinen Stuhl näher zu ihr heran, als ob er gewaltsam zu ihr hingezogen würde.

»Wenn ich nun aber nicht warten will, Baronin? Wenn ich es nicht länger aushalte, zu warten? Wenn ich nach dieser schönen, geliebten Hand greife …«

Jäh brach er ab. Ein diskretes Klopfen an der Tür war in seine leidenschaftlichen Worte hinein geklungen. Auf das Herein! der Baronin erschien der Liftboy in seiner braunen Livree und meldete: »Herr von Dellwitz lässt fragen, ob er der Frau Baronin seinen Besuch machen kann.«

»Ich lasse bitten.«

»Dass der auch gerade jetzt kommen muss!«

»Aber Sie sparen dadurch einen Weg. Sie wollten ja doch zu ihm gehen. So können Sie gleich Ihr kleines Geschäft hier erledigen, und wir, wir können auf diese Weise ein wenig länger beisammenbleiben.«

»Das ist wahr, Baronin. Das versöhnt mich mit allem.«

Die Tür öffnete sich, und Herr von Dellwitz trat ein. Der Anblick seines fleischlosen, knochigen Gesichts, das grau in grau gemalt schien, und seiner von gesprungenen Adern geröteten Augen war bei Tag fast erschreckend. Aber wenn er ging und sich bewegte, war er von einer noch größeren Eleganz als im Sitzen am Spieltisch.

Er küsste der Baronin die Hand und begrüßte de la Motte mit weltmännischer Liebenswürdigkeit.

Nach kurzer, oberflächlicher Unterhaltung sagte die Baronin: »Ich höre, die Herren haben eine Geldangelegenheit miteinander. Lassen Sie uns nach dem Grundsatz verfahren: erst das Geschäft und dann das Vergnügen. Ordnen Sie gleich hier die Sache, ich zähle ja doch schon zu den Eingeweihten, und hinterher begleiten Sie mich beide zum Konzert.« Einer ihrer aufleuchtenden Blicke flog bei diesen Worten zu Karl Georg hinüber.

Das Geschäft war schnell erledigt, und bald waren sie zum Fortgehen fertig. Sie traten auf die Kurpromenade hinaus und ließen sich eine Zeitlang von dem hellen, farbigen Menschenstrom hin- und wieder tragen. Die Konzertmusik tönte von Weitem lustig her, die bunten Herbstfarben der Bäume leuchteten im klaren Sonnenlicht warm und froh.

Beim Auf- und Niederwandeln ging Hofen mit liebenswürdigem Gruß an ihnen vorüber. Sein braungebranntes Offiziersgesicht schaute beobachtend in den Menschenstrom.

»Neulich gut bekommen?«, rief de la Motte zu ihm hinüber.

»Ausgezeichnet. Und Ihnen?«

»Desgleichen. Au revoir.«

Ein paar Schritte weiter fragte Dellwitz: »Kennen Sie diesen Herrn von Hofen eigentlich genauer?«

»Oh, er ist ein feiner Kerl. Graf Destorp hat mich im Kurhaus mit ihm bekanntgemacht. Auf meine Veranlassung hat er uns dann in der Villa draußen Besuch gemacht und war neulich bei meinem Schwiegervater eingeladen.«

»So, so?«

»Was meinen Sie? Haben Sie etwas gegen ihn?«

»Durchaus nichts Positives. Aber in solch einem großen internationalen Kurort muss man mit seinen Bekanntschaften eben ungeheuer diffizil sein. Auch hat er so etwas, wie soll ich sagen, maliziös Beobachtendes, das mir unbehaglich ist.«

»Er hat einen scharfen Blick«, entgegnete Karl Georg. »Aber mir gefällt er ganz gut.«

»Heute muss ich Ihnen übrigens unbedingt Revanche geben, Herr de la Motte«, sagte Dellwitz, das Thema wechselnd.

»Ach, ich wollte heute eigentlich nicht spielen.«

»Das wollen wir manchmal nicht, solange die Sonne noch scheint. Aber wenn die Lichter wieder brennen, verbrennen auch solche Vorsätze. Jeder Spieltisch ist wie ein magnetischer goldener Berg, der an sich zieht, was in seine Nähe kommt.«

»Ein goldener Berg …«, sagte Karl Georg halblaut vor sich hin. Eine Begegnung in der Morgenfrühe mit seinem Vater, der ihm vom Leuchten des goldenen Felsens erzählt hatte, kam ihm in Erinnerung. Die Todesdrohung der alten Sage zog ihm leise durch den Sinn.

»Was meinen Sie?«

»Nichts von Bedeutung. Ich dachte nur an eine Geschichte, die man mir erzählt hat.«

Nun nahm die Baronin mit liebenswürdiger Heiterkeit wieder das Wort. »Meine Herren, ich erlaube mir einen Vorschlag. Wir gehen zunächst ins Kurhaus und nehmen ein paar Schalen Eis, promenieren dann wieder ein wenig, hören den Schluss vom Konzert und speisen hinterher zusammen zu Abend. Was weiter wird, findet sich.«

»Ja, das findet sich«, wiederholte Dellwitz.

»Einverstanden, Herr de la Motte?«

»Gnädigste Baronin haben nur zu befehlen.«

Um den Weg zum Kurhaus abzukürzen, verließen sie die Kieswege der Anlagen und bogen in eine links abführende Straße hinein, wo große Schaufenster mit allerlei kostbaren Gegenständen die Blicke lockten.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als Karl Georg plötzlich ausrief: »Ach, sehen Sie doch, Baronin!«, und mit rascher Wendung an das nächste Schaufenster herantrat. Die Baronin folgte, doch erkannte sie gleich, dass in dem Fenster nichts Außergewöhnliches zur Schau gestellt war. Während sie daher scheinbar eine Spitzengarnitur betrachtete, die de la Motte ihr wies, blickte sie mit echterer Aufmerksamkeit auf die Spiegelung der hinter ihnen vorübergleitenden Gestalten in der großen Scheibe. Und es dauerte nicht lange, bis eine schlanke, hochgewachsene Frau vorüberkam, die mit großen, halb zornigen, halb verächtlichen Augen auf sie selber schaute. Die Baronin gab ihr im Spiegel den Blick zurück, und so blieben die beiden Schattengestalten im Glas für einen Moment feindlich Aug’ im Aug’. Dann ging die Frau vorüber und ihr Spiegelbild verschwand.

Mit einem eigentümlichen Lächeln sah die Baronin auf de la Motte, aber sie sagte nur: »Kommen Sie jetzt ins Kurhaus.« Und indem sie die Hand leicht auf seinen Arm stützte, fügte sie so leise hinzu, dass er allein sie verstand: »Ich lasse Sie heute so bald nicht wieder los.«