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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im fernen Westen – Sioux-Kit 6

Sioux -Kit
Kapitel 6

Am anderen Morgen, als Hogg und seine Gattin aufgestanden waren, war Kit nirgends zu sehen. Sein Bett war noch unberührt, seine Kleider und seine sonstigen paar Habseligkeiten waren alle noch da und in bester Ordnung. Hogg erschrak allerdings und konnte sich einer düsteren Ahnung nicht erwehren, tröstete sich aber mit dem Gedanken, Kit werde auf den Morgenanstand auf einen Hirsch oder auf den Fischfang ausgegangen sein, wie er dies oft tat. Allein dagegen sprach, dass Kits Flinte und Netze noch über seinem Bett hingen und unberührt waren. Hogg suchte ihn überall vergebens, und so verging der Morgen, der Vor- und der Nachmittag, und Kit ließ sich immer noch nicht sehen. Die Schulkinder der Yankton hatten die Kunde von Kits Verschwinden auf Hoggs Anregung in das Indianerdorf hinübergebracht, in der Hoffnung, dass vielleicht irgendeiner der Yankton Kit gesehen habe. Aber selbst Abend und Nacht vergingen, und Kit kam nicht wieder zum Vorschein. Am folgenden Morgen aber kam der Dorfhäuptling Scha-co-opon selbst herüber zu Hogg.

»Ich habe Kunde erhalten von Wah-si, deinem Pflegesohn«, sagte er zu Hogg. »Er ist vorgestern an der Grenze der Prärie gesehen worden, wie er, halb im Busch versteckt, mit einem fremden Indianer sprach. Dein Sohn ist dir entlaufen. Der junge Wolf ist zu seinem Rudel zurückgekehrt. Du wirst ihn niemals wiedersehen.«

»Unmöglich, mein Freund! Warum sollte Kit uns verlassen haben?«, versetzte Hogg ungläubig. »Was hatte er zu klagen? Er war gehalten wie mein eigenes Kind. Er war im Herzen keine Rothaut mehr, sondern ein Weißer, ein Christ. Was sollte er bei den Rothäuten tun?«

»Wenn der Falke flügge ist, so entflieht er demjenigen, der ihn aus dem Horst gehoben und aufgeatzt hat. Art lässt nicht von Art. Ich weiß gewiss, Wah-si ist fort. Er hat den Yankton eins ihrer besten Pferde gestohlen, um zu entfliehen. Das ist wahr.«

»Ich kann es nicht glauben … Kit ist kein Dieb«, entgegnete Hogg, »Wenn du sagtest, er habe einen Feind erschlagen oder er sei von einem Feind tückisch und meuchlings erschlagen worden, so würde ich es glauben. Aber Kit ist kein Pferdedieb.«

»Ich sage die Wahrheit, Freund. Pah-Astah ist sein bester Renner von der Hütte weggestohlen worden. Die Fährten weisen in den Wald und zeigen, dass zwei Reiter eilig gen Nordwesten geritten sind – die fremde Rothaut und dein Sohn. Pah-Astah hat die Fährten meilenweit verfolgt. Du wirst sehen, dass ich recht habe. Wah-si ist ein Dakota, und wer kann die Tücke eines Dakota ermessen. Meine Zunge redet die Wahrheit, Wah!«

Hogg war tief betrübt, denn bald kam Pah-Astah (Großauge) selbst herüber und erhob die gleiche Anklage. Dann kamen noch einige andere Yankton und bestätigten, dass sie in den jüngsten Tagen einen fremden Indianer, den sie für einen Winnebago gehalten hatten, in der Gegend hatten herumstreifen und der Begegnung mit den Yankton ausweichen sehen. Und endlich kam noch der Indianer, welcher mit eigenen Augen Kit mit der fremden Rothaut hatte verkehren sehen, und zwar, wie er behauptete, im energischen und freundlichen Gespräch. Schließlich verlangten die Yankton, Hogg solle an Pah-Astah den Wert des gestohlenen Pferdes ersetzen, aber dies verweigerte Hogg.

»Wenn Kit ein Pferd bedurfte, um zu entfliehen so hätte er eins von meinen nehmen können, die besser gehalten sind als eure Ponys«, erwiderte er den zudringlichen Yankton.

»Ich glaube nicht, dass er ein Pferd gestohlen hat. Wenn ihr mir aber beweisen könnt, dass Kit wirklich der Pferdedieb war, so will ich euch den Wert des Pony ersetzen.« Damit entledigte er sich der Zudringlichen, denn der Häuptling musste anerkennen, dass dieses Anerbieten ein gerechtes sei.

Kit kam nicht weiter zum Vorschein, und Hogg suchte sich anfangs einzureden, dass ihm ein Unfall zugestoßen sein müsse, dass er vielleicht von dem fremden Indianer erschlagen worden sei. Mutter Judith vermisste Kit sehr, aber sie trug den Schmerz um ihn mit christlicher Fassung, während der kleine Theodor immer nach Kit rief und weinend verlangte, er solle wiederkommen und mit Theo spielen. Allmählich aber machte sich in Vater Hogg die Überzeugung geltend, dass Kit möglicherweise doch freiwillig und absichtlich entlaufen sei, weil er keine Lust gehabt habe, Missionar zu werden, weil Kit sich nicht mit dem Gedanken habe befreunden können, das freie Leben in Wald und Prärie mit der klösterlichen Einsperrung in ein Seminar und mit dem Stubenleben eines Gelehrten zu vertauschen. Der junge Wolf sei also wirklich zu seinem Rudel zurückgekehrt. Nun machte sich Hogg Vorwürfe, dass er die Gemütsart des Jungen, seine Tatkraft und Freiheitsliebe nicht erkannt, sich in Kit geirrt und sich ihn dadurch entfremdet habe. Ihm bangte für die Zukunft Kits, denn was sollte aus ihm werden, wenn er, ein unerfahrener Jüngling, wieder unter eine Horde wilder Indianer geriet. Ihn schmerzte es, dass all die guten Keime, welche er in dem Knaben entwickelt hatte, verloren gehen sollten. Er war überzeugt, dass Kit dageblieben wäre, wenn er ihm jenen Vorschlag nicht gemacht hätte. Er setzte alle Mittel in Bewegung, um durch Händler und Indianeragenten etwas über Kits Verbleib zu erfahren, aber er vermochte nichts zu ermitteln. Kit blieb verschollen. Eie Entwicklung seines Schicksals bekümmerte den Missionar mehr, als ihm der Verlust der nützlichen Dienste seines Pflegesohnes naheging. Noch immer aber hoffte er, dass Kit selbst wieder etwas von sich hören lassen werde, denn so undankbar konnte er doch nicht sein, die Pflegeeltern, deren Erziehung, Beispiel und Lehre er doch so viel verdankte, gänzlich zu vergessen und nicht einmal einer beruhigenden Aufklärung würdig zu halten. Monate und Jahre vergingen, und Kit blieb verschollen. Auch Luke und Tim, denen Hogg natürlich die Nachricht von Kits Verschwinden mitgeteilt hatte, konnten nicht glauben, dass er die Pflegeeltern oder sie ganz ohne Nachricht lassen werde, und vermochten ihre gute Meinung von ihm nicht aufzugeben. Sein Andenken wurde trotz alledem in der Familie Hogg noch hoch gehalten, wenn auch niemand mehr seinen Namen erwähnte, um das Auftauchen schmerzlicher Erinnerungen zu vermeiden. Selbst bei Theodor verblasste allmählich die Erinnerung oder er sprach nicht mehr von Kit, weil er den stummen Schmerz der Eltern nicht wecken und nähren wollte.

Ungefähr sechs Jahre nach Kits Verschwinden wurde Joel Hogg auf sein Ansuchen weiter nach Norden versetzt. Die Methodisten hatten am Moreau River, etwa 60 englische Meilen von Fort Sully, eine andere Missionsstation unter den wildesten Wanderstämmen der Sioux gegründet, um das Licht des Evangeliums zu verbreiten. Die Schwierigkeit der Aufgabe, der weite Wirkungskreis, vielleicht auch die stille Hoffnung, etwas von seinem Pflegesohn Kit zu erfahren, hatten Joel Hogg bewogen, sich um diese Stelle zu bewerben, für welche keiner geeigneter war als er, welcher schon so lange mit den Indianern verkehrt und in der Wildnis gelebt hatte. Man hatte ihm gern diese Stelle übertragen, obwohl man ihn nach solch langer und verdienstvoller Arbeit ebenso gern pensioniert und ihm die verdiente Ruhe gegönnt hätte. Aber Joel Hogg war ein Mann voll glühenden Eifers für seinen Beruf und wollte daher von Ruhe nichts wissen, sondern verlangte nach einem neuen Wirkungskreis, wo er vermöge seiner Erfahrungen noch mehr Gutes stiften und für das Reich Gottes und des Friedens wirken konnte. Seine beiden Söhne Luke und Tim, nun junge Männer, waren längst auf anderen Indianerreservationen als Prediger und Lehrer tätig. Judith, ebenfalls an das Leben in der Wildnis und eine nützliche, emsige Tätigkeit gewöhnt, wollte auch noch nichts von Ruhe wissen, und Theodor, der nun in seinen Knabenjahren stand, wollte lieber bei den Eltern bleiben, als auf ein College zu gehen.

So zog denn Vater Hogg mit den Seinen hinauf an den Moreau River, baute sich sein Blockhaus mitten in der Wildnis an einer Furt des Flusses zwischen zwei Dörfern oder Lager der wilden Sioux und begann unter ihnen seine Tätigkeit unter dem Schutz eines mächtigen Häuptlings, welcher sich gegenüber dem Indianeragenten für seine Sicherheit verbürgt hatte. Langsam und mühevoll und mit noch größeren Schwierigkeiten als unter den Yankton ging er hier seinem Beruf nach und gewann sich einen Anhang, denn die Sioux gehören zu den kriegerischsten, unabhängigsten und wildesten Stämmen und hassten die Weißen, welche sie Schritt für Schritt von ihren Jagdgründen verdrängt hatten. Sie duldeten den weißen Missionar nur unter sich, weil der Indianeragent es zu einer Bedingung gemacht hatte, von welcher teilweise der Fortbezug ihrer Unterstützungen an Geld, Lebensmitteln, Wolldecken, Tuch und anderes abhing, welche sie alljährlich von der Regierung der Vereinigten Staaten erhielten. Die Sioux förderten Hoggs Bemühungen nicht, sie ließen ihn vielmehr unbeachtet. Sie schickten ihm höchstens ihre kleinen Mädchen, um sie in den Künsten der Weißen unterrichten zu lassen, aber nicht ihre Söhne, damit diese nicht verweichlicht werden sollten. Das Vorbild, welches ihnen Hogg in Ackerbau und Viehzucht zu geben suchte, schien ebenfalls spurlos und unbeachtet an ihnen vorüberzugehen. Die Sioux hatten vielleicht eine Ahnung davon, dass die Missionare auch zum Untergang ihrer Nationalität beitragen und ein mächtiges Förderungsmittel der Zivilisation und Kolonisation sind. Zuerst kommt der Kaufmann oder Händler, welcher den Wilden ihren Überfluss abkauft und sie neue Bedürfnisse kennen lehrt. Dann kommt der Missionar, der die vom Händler gefundenen Wege zu den wilden Stämmen ebnet und erweitert, und dann kommt der Soldat, welcher die Herrschaft der Weißen festigt und den Schutz herstellt, unter welchem die Weißen in die Wildnis eindringen und sich der weiten Ländereien bemächtigen können, auf welchen der rothäutige Mann früher jagte. Den Händler ließen sich die Sioux noch gefallen, denn er brachte ihnen Waffen, Schießpulver, Werkzeuge, Kochgeschirre, Decken und Kleider und vor allem das süße Gift des Branntweins. Der Händler war für die Wilden schon zu einem notwendigen Übel geworden. Der Missionar aber, welcher sie ihren alten Gewohnheiten und Bräuchen, ihrem Aberglauben und Sitten abtrünnig machen wollte, brauchten und verlangten sie nicht und duldeten ihn kaum unter sich, denn ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, dass demselben früher oder später der Soldat folge, der sie vom heimatlichen Boden verdränge. Vater Hoggs Bemühungen waren daher anfangs nur vom dürftigsten Erfolg begleitet und brachten ihm nur Anfeindung und Widerwärtigkeiten. Aber dies entmutigte ihn nicht, denn er wusste, dass seine Saat nur langsam reife und dass er den Samen nur in die Generation niederlegen müsse. Darum blieb er und verfolgte unentwegt sein Ziel. Jedenfalls trug er nicht die Schuld, dass leider der Soldat ihm nur zu rasch auf dem Fuße folgte, und dies ging folgendermaßen zu.

Südwestlich von Hoggs Station lagen die Schwarzen Berge oder Black Hills, ein stattlicher Gebirgsstock, dessen Besitz den Indianern garantiert war und wo sich verschiedene Stämme niedergelassen hatten, die zu den wildesten und unabhängigsten gehörten. Nun trug es sich zu, dass einige weiße Pelzjäger, Händler und Abenteurer, welche sich mit Zustimmung der Indianer in die Schwarzen Berge wagten, dort Waschgold und Gänge von Gold führendem Quarz entdeckt hatten. Auf die Nachricht davon zogen nun zahlreiche Banden von jenen verkommenen Weißen, die sich immer auf der Grenze der Zivilisation herumtreiben und nur allzu oft aus dem Abschaum der weißen Bevölkerung des Westens oder aus Leuten bestehen, welche sich in den östlichen Staaten mit dem Gesetz überworfen hatten, in die Schwarzen Berge, um dort Gold zu waschen und zu graben. Das führte zu Händel mit den Indianern, zu gegenseitigem Mord und Totschlag. Die Regierung ergriff Partei für die Weißen, die rothäutigen Stämme für ihre Brüder. Die Indianerstämme, ohnedem unzufrieden mit der Regierung der Vereinigten Staaten, weil sie sich durch die Indianeragenten an ihren jährlichen Geschenken vonseiten der Regierung verkürzt glaubten, verlangten, dass die Regierung von Amts wegen die weißen Eindringlinge aus den Schwarzen Bergen zurückrufen und zurückhalten sollte. Da dies nun nicht geschah, weil die Regierung es entweder nicht wagen konnte oder nicht wagen wollte, die weißen Eindringlinge zurückzurufen, brachen blutige Fehden und Händel aus, welche auf beiden Seiten viele Menschenleben kosteten und die Indianer zu Raubzügen über die Grenze veranlassten, auf welchen Gehöfte geplündert und niedergebrannt, Menschen erschlagen, Menschen und Vieh davongeschleppt und Gräuel aller Art begangen wurden, welche unausweichlich zu einem Rassenkrieg führen mussten. Hogg war dem Schauplatz des Kampfes nicht so nahe, dass er davon zunächst berührt worden wäre. Er unterschätzte daher vielleicht die Gefahr, welche den Weißen drohte. Aber er bemühte sich zugleich auch dieselbe abzuwenden und zum Frieden zu raten. Schon manchem Weißen, welcher den Moreau River heraufkam, um in die Schwarzen Berge zu ziehen, hatte er von diesem Vorhaben abgeraten und die Gefahren klar gemacht, denen er sich und die Seinen dort aussetzen würde. Manche waren umgekehrt und dankten vielleicht dem freundlichen, alten Mann für die erhaltenen Warnungen. Andere waren diesen Warnungen zum Trotz weitergezogen, angespornt von Habsucht oder frevlem Übermut und Hang zu Abenteuer. Es kam dann wohl bei manchem die Zeit, wo er sich zu spät dieser verschmähten Ratschläge erinnerte, wenn er unter der Streitaxt oder dem Skalpmesser der Rothäute verblutete. Auch mehrmals hatte sein Zuspruch an die Siouxkrieger in den benachbarten Dörfern die Männer abgehalten, sich an Raubzügen zu beteiligen, indem er ihnen klar machte, dass sie davon nur Nachteile und Gefahren ernten würden, indem selbst für den Fall des Gelingens eines solchen Raubzugs die vielen weißen Krieger, welche in den Forts Union, Berthold, Hancock, Sully, St. Pierre und andere am Ufer des Missouri verteilt seien, ihnen auf dem Fuße folgen und ihre Dörfer mit Stumpf und Stiel ausrotten würden, oder indem er ihre gegründeten Klagen anhörte und zu Papier brachte, um sie an den Präsidenten und seine Staatssekretäre in Washington gelangen zu lassen. Selbst als sein Einfluss nichts mehr zur Aufrechterhaltung des Friedens beizutragen vermochte, als einzelne Banden und Stämme der Sioux in die westlichen Teile von Minnesota und Iowa einfielen und die zerstreuten weißen Siedler ostwärts flüchteten und man auch Hogg riet, diese Gegend zu verlassen und Weib und Kind und Habe in Sicherheit zu bringen, erklärte er, bleiben zu wollen, solange noch irgendeine Möglichkeit vorhanden sei, sich nützlich zu machen.

»Mir selbst droht wenig Gefahr, Herr«, sagte er zu dem Indianeragenten, der, selbst auf der Flucht, bei ihm rastete und ihn bat, sich ihm anzuschließen. »Die Rothäute kennen mich als ihren Freund, als einen friedliebenden Mann, der ihnen wohl will und nur Gutes getan hat. Meine irdischen Besitztümer können die Habsucht der Sioux nicht reizen, und ich stehe auf dem Boden meiner Pflicht und in Gottes Hand, wenn ich so lange wie möglich bleibe.«

»Ihr seid ein frommer Mann, Master Hogg, aber ein verwünschter Narr«, war das Einzige, was der Agent darauf zu antworten wusste und dann davon ritt.