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Slatermans Westernkurier 05/2015

Beecher’s Island

Auf ein Wort, Stranger, denn heute kommt die Wahrheit ans Licht.

Die Wahrheit über das, was damals wirklich geschah, als eine Abteilung ziviler Scouts unter der Leitung von Mayor George A. Forsyth auf einer Sandbank im Arikaree River gegen eine Übermacht von Indianern kämpfte.

Es gibt nur wenige sogenannte Indianerschlachten, die bis heute in den Köpfen der Menschen noch in Erinnerung geblieben sind.

Als da wären das Massaker am Sand Creek, Little Bighorn River oder die Fettermanntragödie, um die bekanntesten zu nennen.

Auch Beecher’s Island, das heute unser Thema ist, gehört dazu.

Eigentlich ist jeder dieser Kämpfe erwähnenswert, aber da über kaum eine andere Auseinandersetzung zwischen Soldaten und Indianern soviel Falsches und Widersprüchliches geschrieben wurde wie über dieses Gefecht, hat sich der Westernkurier für eine Aufarbeitung über eben diesen Kampf entschieden.

Noch heute ist von einer Handvoll tapferer Männer die Rede, die knietief im Blut wateten und sich dem Angriff von Tausenden Indianern stellten. Von edlen Soldaten und Scouts, die in heldenhaftem Kampf die Flut der heranstürmenden Wilden in mannshohe Leichenberge verwandelten. Es ist die Rede von Männern, die für Freiheit und Vaterland über sich hinauswuchsen und den Feind zum Schluss sogar mit nichts anderem als mit bloßen Händen zu Boden zwangen.

Aber das alles sind hauptsächlich Versionen von Männern, die nicht dabei waren.

Die Berichte der wirklichen Teilnehmer weichen in vielen Details davon ab.

Darin ist die Rede von verzweifelten, ausgemergelten Männern, die sich den Magen mit verfaultem Pferdefleisch verdorben hatten, die sich vor Angst in die Hosen machten und ziemlich schnell auf ziemlich unschöne Weise aus dem Leben schieden.

Dass die Diskrepanz beider Berichterstattungen bis heute nicht ausgeräumt ist, liegt aber nicht an den Menschen des Landes, sondern an Mutter Natur.

Im Jahr 1905 wurde am Ort der Schlacht auf der Insel im Arikaree Creek ein Denkmal in Form eines Obelisken errichtet, in dessen oberem Ende die Listen der Gefallenen, Verwundeten und damit auch Rückschlüsse über den wahren Hergang der Schlacht eingemauert waren. Dreißig Jahre später zerstörte ein Hochwasser dieses Denkmal und damit auch einen Großteil der besagten Listen. Seither kursieren die wildesten Spekulationen, die erst langsam durch die moderne Wissenschaft widerlegt werden können.

Deshalb hier nun eine der wahrscheinlichsten Beschreibungen der damaligen Ereignisse.

Ein Bericht ohne jegliches Pathos, der sich lediglich auf Namen, Zahlen und Fakten stützt.

 

***

 

Man schreibt den 16. September 1868.

Unter der Führung von Mayor Forsyth reiten fünfzig Männer durch eine Schlucht zum Überschwemmungsgebiet des Arikaree Rivers.

Fünfzig fronterfahrene, ausgesuchte Männer mit leichtem Marschgepäck, Proviant für sieben Tage, einer Decke sowie einem Spencer-Mehrladegewehr und einem Colt. Jeder von ihnen hat für das Gewehr 140 Schuss und für den Colt dreißig Schuss am Mann. Auf den vier mitgeführten Maultieren sind neben Sanitätsmaterial noch weitere 4000 Schuss Gewehrmunition festgezurrt.

Das Kommando ist Forsyths Idee.

In diesem Jahr kommt es überall in den Great Plains zu Überfällen durch Indianer. Kriegerische Sioux, Cheyenne und Arpaho fallen über Siedlungen her, vernichten ganze Wagenkolonnen und stecken Ranches und Poststationen in Brand.

Als Soldat, der seine Feuertaufe in den großen Schlachten des Bürgerkrieges erhalten hatte und sich dort vom einfachen Private bis zum Brigadier General und Adjutanten des berühmten Kavalleriegenerals Phil Sheridan hochdiente, ist er empört und wütend über die Guerillataktik der Indianer.

Als hervorragende Reiter, die sie waren, schlagen sie zu, wo immer sie wollen, und jagen dann über die Plains davon. Werden sie verfolgt, trennen sie sich in kleine Gruppen und reiten über Felsboden, auf dem keine Spur auszumachen ist. Mehr als einmal reiten die Kavalleristen ihre Pferde auf der Jagd nach ihnen zu Tode.

Forsyth macht es jetzt wie die Indianer.

Er schickt kleine Trupps mit ausgewählten Männern, leichtem Gepäck und ausdauernden Pferden ins Land, die schneller vorankommen als der gewöhnliche Armeetross. Sie sollen die Indianer aufspüren und zum Kampf stellen.

Forsyth glaubt nicht daran, dass die Indianer fünfzig erfahrenen Männern mit Mehrladegewehren etwas entgegenzusetzen haben.

Es ist dann der zehnte Tag nach ihrem Aufbruch, als sie einen stark ausgetretenen Indianerpfad entdecken, der zu ihren Dörfern führen muss. Einer der Scouts, der die Stärke der Indianer ausgekundschaftet hat, warnt Forsyth und drängt auf Rückzug.

Aber der junge Offizier blafft ihn nur wütend an.

»Bist du zur Bekämpfung der Indianer hier, oder nicht?«

Am Spätnachmittag machen sie im Tal des Arikaree Rivers halt.

Die Flussebene ist dicht mit hohem Gras bewachsen, das Flussbett selber, mit einer Breite von etwa 125 Metern, aber zu dieser Jahreszeit fast ausgetrocknet und sandig. Nur in der Mitte gibt es eine seichte Wasserrinne, die eine knapp 55 Meter lange und 18 Meter breite Insel umfließt. Dort wachsen Erlenbüsche und Weiden und eine einzelne, große Pappel.

Als die Indianer am anderen Morgen angreifen, gelingt es ihnen, einen Teil der Pferde und Maultiere mit dem Großteil des Proviants davonzutreiben.

Forsyth zieht sich mit seinen Männern auf die Insel zurück, die fortan Beecher’s Island genannt wird, weil Lieutenant Frederick Beecher von einem Pfeil in den Hals getroffen der erste Tote in dieser Schlacht ist. Die Männer graben sich mit Blechtellern und Messer in den Sand der Insel, während einige Scharfschützen mit ihren Mehrladegewehren die Angriffe der Indianer abwehren.

Forsyth ahnt nicht, dass er mit seinem Entschluss, sich auf der Insel einzugraben, seinen Männern das Leben rettet. Sein Widersacher, der Cheyenne Roman Nose, der fast 650 Krieger gegen ihn ins Feld führt, hatte beabsichtigt, die Truppe ins offene Gelände zu jagen, wo sie sie durch ihre Übermacht Mann für Mann relativ leicht niedermachen konnten.

Als der Abend anbricht, ziehen sich die Indianer zurück und nehmen ihre Toten und Verwundeten mit.

Aufseiten der Soldaten sind außer Beecher die Scouts George Culver und William Wilson tot und Doktor Moers, der Regimentsarzt, stirbt noch in der Nacht an einem Kopfschuss.

Es gibt sieben Verwundete, darunter Forsyth selber, dessen linkes Schienbein von einer Kugel zerschmettert ist und der einen Treffer ins Bein hinnehmen musste, der nur knapp die Oberschenkelarterie verfehlt hat. Der Streifschuss, der ihn am Kopf getroffen hat, macht dabei die geringsten Probleme.

Als Forsyth erkennt, dass alle Pferde und Maultiere tot sind, beauftragt er die Scouts Stillwell und Trudeau, die feindlichen Linien zu durchbrechen und Hilfe zu holen. Die Scouts benötigen vier Tage, um nach Fort Wallace zu kommen.

In der Zwischenzeit dauern die Angriffe der Indianer an. Die Situation der Eingeschlossenen ist denkbar schlecht. Das Wasser geht zur Neige, zu essen gibt es nichts außer verwestem Pferdefleisch und inzwischen sind bereits siebzehn zum Teil Schwerverletzte zu beklagen. Forsyth schneidet sich mit seinem Rasiermesser die Kugel in seinem Bein eigenhändig aus dem Fleisch, um nicht an Wundbrand zu sterben. Obwohl es seinen Scharfschützen gelungen ist, sowohl den Häuptling Medicine Man als auch den Anführer der Indianer Roman Nose zu töten, nehmen die Angriffe der Indianer nicht ab. Forsyth schickt zwei weitere Scouts los, um Hilfe zu holen.

Am 25. September schließlich trifft Colonel Carper mit dreißig Reitern und einem Arzt am Ort des Geschehens ein. Am Abend stirbt der Scout Lewis Farley. Das letzte Opfer der Schlacht, Thomas O’Donell stirbt am 18. November an den Folgen seiner Verletzungen, die er sich bei dem Kampf zugezogen hat.

Die Verluste der Indianer werden mit dreißig bis fünfundsiebzig Toten angegeben, wobei die tatsächliche Zahl irgendwo in der Mitte liegen dürfte.

Man geht heute von etwa fünfzig Toten und der doppelten Anzahl an Verwundeten aus. Alles andere entspringt der maßlosen Übertreibung der Presse und der Fantasie der Journalisten.

Selbst Roman Nose war nie das, als was ihn die Presse bezeichnete.

Er war nie ein Häuptling und hatte weder die Autorität für die Cheyenne Nation zu verhandeln noch für sie irgendwelche Verträge zu unterschreiben. Er war nur ein Krieger der Nothern Cheyenne und Mitglied des Kriegerbundes der He’mo’eoxeso, wenn auch der bekannteste. Also nichts mit heldenhaften Kämpfern und Tausenden von Toten.

Chauncey Belden Whitney zum Beispiel machte sich gleich beim ersten Angriff in die Hosen und zerbrach vier Jahre später an dem Ruhm, mit dem die Presse die Überlebenden bedacht hatte. Er starb als der unfähigste Sheriff von Ellsworth, weil sein Mörder Billy Thompson auf die Frage, warum er den Unbewaffneten erschossen hatte, antwortete:

»Ich hätte selbst Jesus Christus erschossen.«

Nur im Zusammenhang mit diesem Satz steht Whitneys Name noch heute in den Geschichtsbüchern.

Wie man sieht, standen sich auf beiden Seiten nur ein paar arme Schweine gegenüber, die nichts anderes wollten als überleben, eigentlich so wie immer.

Euer Slaterman

Quellen:

  • Dee Brown – Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses
  • Dietmar Kügler – Sie starben in den Stiefeln
  • wikipedia.org
  • Deutsche Ausgabe von Die Soldaten aus der Time Life Reihe Wilder Westen