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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 7 – 6. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 7
Der rote Fred
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

6. Kapitel

Eine ereignisreiche Nacht

Zu Mr. Texers Ehre muss gesagt werden, dass er die auferlegte Rolle des Ahnungslosen glänzend spielte. Nun saß er schon seit einer Stunde George Duncan gegenüber, ohne sich im Geringsten zu verraten.

Langsam schlichen die Zeiger über das Zifferblatt. Noch zehn Minuten, dann musste die alte Standuhr die Mitternachtsstunde verkünden.

»Vielleicht«, murmelte der Präsident und wunderte sich dabei selbst über die Ruhe, die er aufbrachte. »Vielleicht kommt der Hund gar nicht!«

George Duncan zerrte nervös an seinem kleinen Schnurr­bart, der sich gleich einem schmalen Strich unter der Nase hinzog.

»Warum sollte er nicht kommen?«, gab er leise zurück. »Der rote Fred wird kaum auf die Million verzichten. Du hast das Geld in Bereitschaft?«, schloss er unruhig und schaute Texer forschend an.

»Freilich«, antwortete der Präsident, »dort im Tresor – da! Hast du das gehört?« Er war bei den letzten Worten aufge­sprungen und lauschte zum Fenster hin.

Auch Duncan hatte sich erhoben. »Das war das Bellen eines Hundes!«, stieß er hervor. »Der Bote des Roten Fred – er ist im Park! Ja!«, flüsterte er und lauschte nochmals in die Nacht hinaus. »Der Hund ist im Park!«

»Geh, George, geh und bring das Geld hinunter!«

Für Sekunden verzerrte sich Duncans Gesicht zu einer höhnischen Fratze, als der Präsident zum Tresor schritt und den Schlüsselbund aus der Tasche zog. Dann presste er die Lippen zusammen und folgte Texer zum Geldschrank. Texers Hände zitterten. Er wusste, nun kam der ent­scheidende Augenblick! Seine Finger tasteten über den kunstvoll gefeilten Schlüssel, den Sherlock Holmes vor einigen Stunden präpariert hatte. Nun steckte er ihn in die Schlossöffnung und drehte scharf nach rechts – peng, machte es. Der Bart war abgebrochen.

»Hölle und Teufel!«, zischte Duncan und stampfte grim­mig mit dem Fuß auf.

Texer ließ kraftlos die Arme sinken.

»Was jetzt?«, stammelte er. »Um Himmelswillen, was jetzt?«

George Duncan geriet außer sich vor Wut.

»Hast Du einen Ersatzschlüssel?«, keuchte er.

Texer nickte. Er schien ganz verstört zu sein, und nie­mand hätte ihm ansehen können, dass alles nur ein klug ausgedachter Plan war. Nicht umsonst hatte Sherlock Holmes des Bart des Schlüssels angefeilt!

»Ellen ist verloren, wenn wir das Geld nicht aus dem Schrank herausbekommen!«, keuchte George Duncan. »Es muss gelingen, den Bart aus dem Schloss zu beseitigen!« Er warf den Rock ab, um sich bald darauf mit rasch zusammengesuchten Werkzeugen an die Arbeit zu machen, während Texer, scheinbar gänzlich fassungslos, zum Schreibtisch zurückwankte und dort auf den Sessel nieder­sank.

Zur gleichen Zeit drang Sherlock Holmes und Harry Taxon mit Nachschlüsseln in das verdächtige Landhaus ein. Die Verbrecher hatten sich entfernt. Sie lauerten nun im Park der Villa des Präsidenten auf Duncan, der ihnen die Million bringen wollte. Ein grimmiges Lächeln huschte über des Weltdetektivs scharfgeschnittene Züge, als er daran dachte; dann aber verfinsterten sich seine Mienen wie zuvor. Keine Minute durfte unnötig vertan werden, denn was dann, wenn Duncan schneller mit dem abgebro­chenen Bart im Tresorschloss fertig wurde, als man hoffte? Wenn die Schurken früher als erwartet hierher zurückkehr­ten? Dann musste es einen Kampf auf Leben und Tod ge­ben! Ihre Rufe blieben unbeantwortet. Nirgends scholl ihnen eine Antwort entgegen.

Ein erschreckender Gedanke schoss Harry Taxon durchs Hirn.

»Wenn die Bande das Mädchen nun ganz woanders ver­steckt hält?«, flüsterte er.

Aber Sherlock Holmes wehrte ab. »Sie muss sich hier be­finden, Harry, ich bin felsenfest davon überzeugt. Hätte man Ellen in ein anderes Versteck geschleppt, würden sich die Burschen nicht den ganzen Tag hier aufhalten, sondern sich wenigstens ab und zu einmal um die Gefangene küm­mern!«

Fieberhaft durchsuchten sie das Haus. Aber nirgends fand sich eine Spur.

»Miss Texer! Miss Texer!«, rief Harry immer wieder mit verhaltener Stimme. Umsonst. Alles blieb still, und nur die Wände gaben das Echo zurück.

Sherlock Holmes Zähn knirschten aufeinander, als ihm ein schrecklicher Einfall kam. Was dann, wenn man viel­leicht schon zu spät kam? Wenn die Schurken ihr unglück­liches Opfer bereits getötet hatten? Entsetzlicher Gedanke! Kalte Schweißperlen tropften ihm von der Stirn.

Auch Harry Taxon wurde von Augenblick zu Augen­blick nervöser.

»Es geht bereits scharf auf ein Uhr!«, presste er hervor. Sie stiegen zum ersten Stock empor, durchsuchten Zimmer für Zimmer. Kein Bodenwinkel blieb unbeobachtet. »Sie ist nicht hier, Mr. Holmes!«

Der Weltdetektiv starrte vor sich nieder. Ein Sturm von Gedanken brauste hinter seiner hohen Stirn. Dann aber stieß er einen leisen Pfiff aus, und ohne ein Wort zu sagen, stürmte er wieder ins Erdgeschoss hinab, überquerte die Diele und suchte die Kellertür.

Harry Taxon, der ihm auf den Fersen gefolgt war, schlug sich auf den Kopf.

»Teufel, ja, der Keller!«, stieß er hervor.

Ein schweres Vorhängeschloss versperrte die Tür, aber es widerstand Sherlock Holmes’ Werkzeugen nicht lange. Bald war es gesprengt und fiel polternd zu Boden. Durch die sich öffnende Tür stiegen sie über ein hölzerne Treppe in die Tiefe.

Dumpfer Modergeruch schlug ihnen entgegen. Irgendwo raschelte es hinter Kisten und Stößen von Zeitungen. Rat­ten!

»Miss Texer!,« rief Sherlock Holmes. »Hallo Miss Texer, sind Sie hier?«

Da! Was war das? War nicht soeben hinter einer der Tü­ren ein Aufschrei erklungen?

»Miss Texer!«, schrie Harry aufgeregt. »Miss Texer! Hallo, Miss Texer!«

Da, wieder! Es war kein Zweifel: Hier im Keller befand sich ein Mensch! Deutlich hatten sie beide einen erneuten Aufschrei aus menschlicher Kehle vernommen. Aber er klang von weither …

Sherlock Holmes’ stahlgraues Augenpaar schoss Blitze. Im Nu orientierte er sich. Drei Türen führten von dem Gang ab. Da die Laute von rechts gekommen waren, schied die Tür zur linken Hand aus. Blieben also die bei­den anderen, die sich an der rechten Seite befanden. Wel­chen von diesen aber war die richtige? Sie lauschten bald an dieser, bald an jener. Sie trommelte dagegen, aber von innen scholl keine Antwort.

»Ich suche nach einer Axt!«, schrie Harry und wollte da­vonstürzen, aber Sherlock Holmes hielt ihn zurück.

»Die Türen sind aus Stahl!«, knirschte er. »Wir können ihnen nichts anhaben, und wenn wir zehn Äxte hätten!«

»Dann werden wir sie eben aufsprengen!«

Sherlock Holmes überlegte. Ja, es blieb kaum etwas an­deres. Pulver hatten sie. Die Füllung der Patronen musste dafür herhalten, mit denen sie ihre Brownings geladen hatten.

»Ziehen Sie sich so weit wie möglich von der Tür zu­rück!«, schrie er gegen die Türen. »Wir müssen die Schlös­ser gewaltsam sprengen! Haben Sie es gut verstanden. Miss Texer?«

Ein undeutliches Wortgemisch klang als Antwort. Die Stimme befand sich weit, weit fort. Vielleicht lag hinter der Tür ein großer Raum, in dessen äußersten Winkel sich die Unglückliche zurückgezogen hatte? Sherlock Holmes schaute zur Uhr. Zum Teufel, elf Minuten fehlten noch auf zwei! Die Stunden zerrannen wie Minuten! Jeden Augen­blick konnten die Schurken wiederkehren, wenn die List Mr. Texers misslungen oder nur halb gelungen war! Oder wenn die Verbrecher im Park die Geduld verloren und Verdacht schöpften!

Ja. Eile, allergrößte Eile war geboten, sollte das Befrei­ungswerk nicht im letzten Augenblick zuschanden werden! Das Pulver war bald den Patronen entnommen. Als Lunte diente ein Stück Bindfaden, das Harry Taxon, erfinderisch, wie er nun einmal war, mit dem Benzin seines Feuerzeugs tränkte. Zischend flammte das Streichholz auf. Der Faden fing Feuer. Blitzschnell kroch die Flamme an ihm entlang.

»Miss Texer … zurück! Zurück!«, schrie Harry noch ein­mal. Dann flüchtete er zur Treppe, wo er sich, gleich Sher­lock Holmes, flach auf den Boden niederwarf.

Ein dumpfes Krachen erscholl. Dröhnend barsten die Schlösser auseinander. Stahlsplitter sausten durch die Luft und klatschten an die Wände, ohne jedoch Schaden anzu­richten.

Noch ehe sich der Pulverdampf verzogen hatte, stürmten Sherlock Holmes und Harry Taxon an den Ort der Zerstö­rung. Im Schein der Taschenlampe erkannten sie, dass das Pulver seine Pflicht und Schuldigkeit getan hatte. Sie ris­sen die erste Tür auf. Nichts verbarg sich hinter ihr als ein leeres Kellerloch. Sie eilten zur zweiten und öffneten sie. Die Enttäuschung war furchtbar. Sie blickten in einen gro­ßen, völlig fensterlosen Raum, dessen jenseitige Wand wiederum eine Tür aufwies.

»Miss Texer«, schrie der Weltdetektiv.

»Hier!«, erscholl da ziemlich nahe eine weibliche Stimme, und gleichzeitig hämmerte eine verzweifelte Faust wild gegen den Stahl. »O, retten Sie mich!«

»Dort… hinter jener Tür!« -Mit Riesensprüngen jagten die beiden Männer durch den Raum

»Harren Sie aus, Miss Texer!«, rief Sherlock Holmes mit Stentorstimme. »Gute Freunde sind gekommen, die Sie befreien wollen. Fürchten Sie sich nicht!«

Ein Freudenschrei klang als Antwort. Mit fieberhafter Eile machten sich Sherlock Holmes und Harry daran, auch diese Tür zu sprengen. Aber bald sahen sie, dass das Pulver zweier Patronen – und mehr besaßen sie nicht mehr – nicht ausreichen würde, das starke Metall zu zertrümmern. Zum Teufel, was war denn da zu tun? Ob es vielleicht möglich war, mit einem Stemmeisen das Schloss zu spren­gen? Harry jagte davon und suchte im Haus umher.

Wertvolle, unwiederbringliche Viertelstunden vergingen, ehe er schweißgebadet wiederkam, das Gesuchte in der Hand, und in der anderen einen Hammer schwingend. In der nächsten halben Stunde dröhnten dumpfe Schläge durch das Haus. Aber die Stahltür gab nicht nach. Sie zer­splitterte wohl unter den kraftvollen Hammerschlägen, aber sie ließ sich nicht öffnen.

»Vier Uhr!«, keuchte Harry Taxon. »Draußen dämmert es bereits.

Bleich richtete sich Sherlock Holmes auf. Dann biss er die Zähne zusammen und hämmerte wie besessen auf das Schloss los. Bis es berstend auseinanderbrach. Ein Fußtritt ließ die Tür auffahren.

Drinnen lag eine weibliche Gestalt auf einem Bündel Streu. Ohnmächtig. Es war Ellen Texer!

»Fort! Nur fort!«, keuchte Harry Taxon und wollte auf die Regungslose zueilen, aber Sherlock Holmes hatte sie bereits mit starken Armen emporgehoben. Im Sturmschritt ging es durch den Keller und die Treppe hinauf.

Da aber stieß Harry, der vorausgeeilt war, einen Schrei aus.

»Was gibt es?«, zischte Sherlock Holmes.

»Sie kommen!«, keuchte Harry. »Eben ist das Auto in den Hof gefahren!«

Ein Fluch entglitt den Lippen des Detektivs. Blitzschnell ließ er Ellen niedergleiten und sprang die letzten Stufen empor. Da wurde bereits von draußen die Tür geöffnet und aufgestoßen. Aber niemand kam herein. Sherlock Holmes huschte zur Ausgangstür und spähte hinaus. Ein seltsamen Bild bot sich seinen Blicken.

Der Mann, der soeben die Tür geöffnet hatte, erreichte nun das Auto wieder und hob gemeinsam mit einem ande­ren – es war der Rote Fred – einen regungslosen Menschen aus dem Fond des Wagens. Nun schleppten sie ihn heran, um ihn ins Haus zu tragen.

Der Weltdetektiv glaubte nicht recht zu sehen, als er in dem Besinnungslosen George Duncan erkannte! Kaltblütig erwartete Sherlock Holmes die Näherkommenden, den Revolver in der Hand. Drei, vier Schritte wich Sherlock Holmes zurück, wo ihm eine Nische eine gute Deckung für alle Fälle sicherte.

Da betraten die Verbrecher auch schon das Haus und warfen den Körper George Duncans zu Boden.

»Dieser Hund wollte uns um das Lösegeld bringen!«, knirschte der Rote Fred. »O, ich ahnte schon so etwas, als er uns stundenlang im Park warten ließ. Und als er dann endlich kam, wollte er uns mit falschen Tausend-Dollar-No­ten abspeisen, während er die echten wahrscheinlich für sich in Sicherheit gebracht hat! Aber er soll sich verrechnet haben, der Verräter! Sterben wird er! Und Ellen Texer mit ihm! Der Teufel soll alle beide holen!«

»Und euch Halunken dazu!«, donnerte es da hinter sei­nem Rücken. »Hände hoch! Sage ich, sonst könnt ihr erle­ben, wie Sherlock Holmes schießen kann!«

Wild aufschreiend fuhren die Köpfe der beiden Schur­ken herum und ihre Gesichter färbten sich kreideweiß, als sie den gefürchteten Detektiv erkannten, und die Mündung seines Brownings fest auf sich gerichtet fühlten.

»Ja«, erscholl da noch Harry Taxons frische Stimme aus dem Hintergrund: »Hände hoch und nicht gemuckst, sonst …«

Da war es mit der Beherrschung der Verbrecher vorbei. Sie wagten keinen Widerstand und ließen sich Handschel­len anlegen, das Nutzlose jeder Gegenwehr erkennend.

Die nächste Stunde war reich an Ereignissen. Harry Ta­xon blieb mit den Gefangenen zurück, während Sherlock Hohnes Ellen Texer in dem Kraftwagen der Verbrecher wieder ihrem glücklichen und voller Erregung harrenden Vater zuführte.

Dann jagte er zur Detektivzentrale und verständigte die Polizei von den Goldjungens, die im Landhaus ihr Schicksal erwarteten.

Das Haus Mr. Texers aber schallte wider von Freude und Glückseligkeit …

 

Ende