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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 7 – 5. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 7
Der rote Fred
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

5. Kapitel

Der Zerlumpte

Gegen fünf Uhr nachmittags erschien ein herunterge­kommenes Individuum in der Villa des Präsidenten und verlangte Mr. Texer zu sprechen. Der Mensch machte einen wenig vertrauenserweckenden Eindruck; seine Klei­dung war teilweise zerrissen, und den Lumpen entströmte ein solcher Dunst von Rauch und Fusel, dass ihn der Diener sofort zurückweisen wollte.

Als der Stromer jedoch mit schwerer Stimme behauptete, er käme wegen der Verschwundenen und könnte wertvolle Angaben über ihren Aufenthaltsort machen, wurde der Bedienstete schwankend.

Schließlich befahl er dem Mann, zu warten, und benachrichtigte den Präsidenten von der Anwesenheit des seltsamen Besuchers. Mr. Texer versprach sich nichts von der Botschaft, die ihm der heruntergekommene Mensch machen wollte, aber dennoch kam er in die Halle herab, wo das Individuum wartete und grinsend die schmierige Mütze zwischen den Fingern drehte.

»Was haben Sie zu berichten?«, richtete Texer das Wort an ihn.

Statt einer Antwort reichte der Mensch dem Präsidenten einen zerfetzten Zettel, auf dem mit Bleistift einige Zeilen geschrieben waren.

Widerstrebend griff Texer nach dem Wisch, aber in sei­ne Augen trat ein seltsam starrer Ausdruck, als er diesen las.

Verraten Sie sich mit keiner Miene. Ich bin Sherlock Holmes. Ihrem Hause droht schwere Gefahr. Ich muss Sie unbedingt ungestört sprechen!

Mr. Texers Knie zitterten. Die Überraschung war zu stark für ihn. Sekundenlang schien es, als wolle er irgend­einen unbedachten Ausruf tun.

Dann aber erlangte er die Selbstbeherrschung zurück.

»Was soll ich mit diesem Zettel?«, herrschte er den im­mer noch verlegen grinsenden Menschen an, während der Diener, abseitsstehend, stumm der Szene folgte. Wahr­scheinlich glaubte er, sogleich den Auftrag zu erhalten, den Fremden wieder vor die Tür zu setzen.

»Geben Sie mir hundert Dollar!«, lallte der Zerlumpte. »Hundert Dollar! Und ich verrate Ihnen, wo sich Ihre Tochter aufhält! Aber erst hundert Dollar … hihi … erst hun­dert Dollar!«

Dann geschah zum Erstaunen des Dieners Folgendes: Mr. Texer überlegte kurz, nickte dann und sagte: »Gut, ich will Sie anhören. Folgen Sie mir!«

Als sich die gepolsterte Tür eines kleinen Gemachs hin­ter den beiden Männern geschlossen hatte, richtete sich der Zerlumpte auf und flüsterte: »Sind wir hier wirklich unge­stört?«

Texer nickte. Er war sehr erregt.

»Ist es möglich?«, raunte er hochatmend. »Sind Sie es wirklich, Mr. Holmes? Der Kabeldepesche nach, die ich erhielt, sollten Sie sich in Skandinavien befinden!«

Sherlock Holmes klärte den Präsidenten mit wenigen Worten auf und unterstützte seine Erklärungen durch Vorzeigen seiner Ausweise, die jeden Zweifel in Texer im Keim erstickten.

»Und nun zur Sache, Herr Präsident«, fuhr er hastig fort. »Es geht um das Leben Ihrer Tochter. Noch lebt sie und ist außer Gefahr, aber wer weiß, was morgen ist! Ich werde …«

»Man hat eine Million Lösegeld von mir verlangt«, stieß Texer hervor, »und morgen soll ich mein geliebtes Kind wieder in die Arme schließen können!«

»Nein«, sprach der Weltdetektiv, »morgen werden Sie um eine Million ärmer sein. Das ist alles. Unterbrechen Sie mich jetzt nicht. Ich will Ihnen alles berichten!«

Der Präsident erbleichte, als Sherlock Holmes rück­sichtslos das Doppelleben aufdeckte, das George Duncan führte. Er fasste es nicht, wollte widersprechen und Duncan verteidigen, aber der Kriminalist verstand es sehr bald, den Fassungslosen restlos aufzuklären. Texer machte einige harte Minuten durch. Etwas zerbrach in ihm.

Dann aber flackerte wilder Zorn in seinen Augen auf. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und sein Mund stöhnte: »Wo ist dieser Lump, dieser Schuft. Und ich wollte ihm meine Tochter anvertrauen!«

Unter Sherlock Holmes trostreichen Worten beruhigte sich aber Texer allmählich. »Hören Sie meinen Plan«, flüsterte er dem Präsidenten zu. »Heute Nacht werde ich Ihre Tochter aus jenem Landhaus befreien. Es geht nicht an, die Polizei heranzuziehen. Wenn die Halunken irgendeinen Verrat wittern, ist es um das Leben Ellens geschehen. Darum muss ich allein arbeiten, und nur ein treuer Freund wird mir zur Seite stehen. Ich werde Ihr Kind aus dem Landhaus herausholen, während sich das verbrecherische Kleeblatt hier einfindet, um die Million in Empfang zu nehmen!«

»Man will einen Hund schicken.«

»Der Hund ist nichts als eine List. Meiner Ansicht nach werden die Verbrecher, die über ein Auto verfügen, fol­gendermaßen verfahren: Sie werden … aber halt, vorerst noch eine Frage. Hat sich George Duncan für heute bei Ihnen angesagt?«

Texer nickte. »Ja, Mr. Holmes, er wollte gegen acht Uhr abends kom­men und es selbst übernehmen, dem Hund die Million zuzu­stecken!«

Sherlock Holmes nickte lautlos und ließ die Finger kna­cken. »Das habe ich mir gedacht«, sagte er. »Hören Sie zu: Duncan kommt wie immer mit seinem Kraftwagen. Kurz vor Ihrer Villa werden die ihn begleitenden Komplizen den Wagen verlassen und sich heimlich mit einem Hund in den rückwärtigen Teil des Parkes begeben. Dann wird man dafür sorgen, dass sich der Hund bemerkbar macht. Nun ist für Duncan der Augenblick gekommen, von Ihnen die Million zu fordern, die er dem Hund zuste­cken will. Sein Plan wird sein, hinunter in den dunklen Park zu gehen, wo die Komplizen warten. Denen gibt er das Geld und die Burschen verschwinden, um irgendwo in der Nähe zu warten, bis Duncan mit dem Auto zu ihnen stößt. Gemeinsam und über die so leicht erbeutete Million frohlockend, wird man ins Landhaus zurückfahren, nicht etwa, um ihr Kind freizulassen, sondern wahrscheinlich, um sie, die sonst zu einer Verräterin werden könnte, zu töten!«

Texer stöhnte auf.

»Seien Sie ohne Sorge«, raunte Sherlock Holmes, »dem Plan der Schurken steht der meine gegenüber. Es gilt, die drei so lange wie möglich vom Landhaus fernzuhalten, damit wir ungestört an der Befreiung Ihrer Tochter arbei­ten können. Ziehen Sie Duncan bis zum Morgengrauen hin, ehe Sie ihm das Geld geben – natürlich nicht echte Scheine, sondern diese hier!«, fügte er lächelnd hinzu und warf einige Pakete falscher Tausend-Dollar-Noten auf den Tisch.

»Ich habe sie mir auf Grund meiner guten Beziehungen bei der Falschgeldabteilung der Detektivzentrale ausgelie­hen.«

Texer nickte erregt. »Aber wie soll ich Duncan so lange hinhalten, ohne dass er Verdacht schöpft?«

»Auch dafür weiß ich ein probates Rezept«, erwiderte Sherlock Holmes mit leisem Lachen. Und flüsternd teilte er dem aufhorchenden Präsidenten seinen Plan mit. Die Minen waren gelegt! Nun konnte der Kampf beginnen!

Fortsetzung folgt …