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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 7 – 4. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 7
Der rote Fred
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

4. Kapitel

Eine Million Lösegeld

Nach einigen Stunden, als sich die erste Wiedersehensfreude gelegt hatte, zogen sich die beiden Herren zu eine ernsten Unterhaltung ins Arbeitszimmer zurück. Hier erst erfuhr Harry Taxon, dass sich Sherlock Holmes bereits seit drei Tagen auf amerikanischen Boden befand und un­ter einem Decknamen in einem der großen Hotels Wohnung genommen hatte. Harry begriff sofort.

»Sie sind hinter einem schweren Jungen her. Mr. Hol­mes?«

Der Weltdetektiv nickte.

»Es handelt sich um einen Wechselfälscher, mein Junge, der lange Zeit unangetastet in London und Paris sein We­sen trieb und sich nun, wahrscheinlich weil ihm Europas Boden zu heiß unter den Füßen wurde, nach den Staaten gewandt hat.«

Harry Taxon geriet in Eifer.

»Sie würden mich glücklich machen, Mr. Holmes, wenn ich Ihnen bei der Suche nach dem Kerl helfen dürfte!«

»Sehr lieb von dir«, erwiderte der Weltdetektiv, »aber die­se Bitte kommt etwas zu spät. Ich weiß bereits, wo der Bursche steckt!«

»Donnerwetter!«

»Ja«, sprach Sherlock Holmes, »es ging besser, als ich dachte. Ich brauche nur zuzugreifen. Aber … hm … ich hätte da noch eine andere Sache, die dich vielleicht interessieren dürfte.«

Harrys Augen glänzten vor Erwartung.

»Ja«, fuhr Sherlock Holmes fort und setzte die Shagpfeife in Brand, »es handelt sich um die Geschichte, die da im Haus Mr. Texers, des Präsidenten von der Stahl-Trust- Company, passiert ist. Fraglos wirst du schon davon gehört haben. Man hat Ellen Texer entführt, und niemand weiß, wer dahintersteckt.«

»Die Zeitungen stehen voll davon«, meinte Harry Taxon, »und wahrhaftig, ich hätte mich schon längst einmal um die Sache gekümmert, wenn ich nicht selbst bis gestern bis zum Hals in der dicksten Arbeit gesteckt hätte.«

»Du hättest also zu wenig Zeit?«

»So viel Sie wollen, Mr. Holmes. Ach, wie habe ich mich in all den Jahren danach gesehnt, einmal wieder mit Ihnen zusammen ein paar menschliche Teufel einzufangen!«

»All right, damit werden wir also gemeinsam die Ge­schichte zu Ende führen.«

Harry klatschte in die Hände. Er vergaß seine Würde und war plötzlich wieder der, als der er früher jahrelang an Sherlock Holmes Seite gelebt und gewirkt hatte.

»Wir müssen vorsichtig zu Werke gehen«, sagte er, »da ein einziger Fehlgriff dem jungen Mädchen das Leben kosten kann. Sie ist entführt worden, und zwar von Leuten, die sich wahrscheinlich nicht scheuen würden, ihren bishe­rigen Bubenstücken auch noch einen Mord hinzuzufügen.«

Harry Taxons Mienen verrieten Überraschung, als er ausrief: »Sie sprechen, Mr. Holmes, als wüssten Sie bereits, wer Ellen Texer aus dem Haus ihres Vaters verschleppt hat!«

»Das weiß ich auch, mein Junge!«

Harry prallte zurück.

»Wirklich«, stieß er hervor, »wirklich, ich bin allerhand von Ihnen gewohnt, Mr. Holmes, und ich weiß auch, wie schnell und wie sicher Sie oft die verworrensten Fälle auf­geklärt haben. Aber diesmal weiß ich doch nicht, was ich sagen soll. Seit drei Tagen sind Sie erst in New York – und in dieser Zeit haben Sie nicht nur den von Ihnen verfolgten Wechselfälscher ausfindig gemacht, sondern auch noch den Entführer Ellen Texers aufgespürt?«

»Es mag sich allerdings seltsam anhören«, gab der Weltdetektiv zu, »aber es ist so, wie du sagst. Nur einen Ha­ken hat die Sache, den nämlich, dass der besagte Wechsel­betrüger derselbe ist, der Ellen Texer entführte. Du bist überrascht, ich sehe es dir an, aber wenn du glaubst, es sei ein Zufall, dann irrst du dich. Ich fand in Paris Papiere, die mir den Weg wiesen. Der Hochstapler war so unvorsichtig, bereits von Europa aus mit seinen Komplizen zu korres­pondieren und die Entführung der Millionärstochter zu besprechen. In einer Geheimschrift allerdings, die zu ent­ziffern aber unschwer gelang.

Als ich mich nach New York einschiffte, wusste ich also bereits, was demnächst im Haus Texer geschehen würde. Und wirklich kam auch alles so, wie es die Schurken ver­abredet hatten. Es handelt sich um eine dreiköpfige, inter­nationale Hochstaplerbande, die schon seit vielen Jahren beide Kontinente unsicher macht und deren Anführer ein Mensch ist, der unter dem Namen Der rote Fred ziemlich berüchtigt ist.

»Allerdings«, rief Harry erregt. »Auch ich habe von dem Schurken schon genug gehört.«

»Nun, wenn uns das Glück günstig gesinnt ist, wirst du demnächst seine persönliche Bekanntschaft machen«, fuhr Sherlock Holmes fort. »Der Kerl schröpfte in Europa ver­schiedene Banken mit seinen falschen Wechseln und kehr­te dann nach New York zurück, wo seine beiden Kumpane bereits alles in die Wege geleitet hatten. Als ich New York erreichte, war die Entführung bereits geschehen. So konnte ich mich also sogleich insgeheim an die Arbeit machen.«

»Ah, Sie waren bereits bei dem alten Mr. Texer?«

Sher­lock Holmes wehrte ab.

»Für so töricht wirst du mich hoffentlich nicht halten, Harry. Ich sagte schon, dass man ungemein vorsichtig zu Werke gehen muss, wenn alles funktionieren soll. Texer ahnt nämlich nicht, dass ein Mensch in seinem Haus ein- und ausgeht, der bei der Entführung seiner Tochter die Hand im Spiel gehabt hat! Sobald ich also bei dem unglücklichen Vater erschienen wäre, hätte ich damit den Feind gewarnt – und Ellens Schicksal wäre besiegelt gewesen! Heute Nachmittag er­reichte mich sogar ein Kabeltelegramm aus London. Jonny Buston – das ist dein junger Nachfolger, Harry – kabelte, dass soeben von Texer ein Telegramm eingegangen sei. Texer ersuchte mich, sofort nach New York zu kommen, um ihm zu helfen. Auf der Stelle kabelte ich Jonny zurück, er solle Texer auf gleichem Wege mitteilen, dass ich gar nicht in London sei, sondern mich auf einer Skandinavienreise befände! Dieses Telegramm empfing Mr. Texer gestern Nacht kurz nach halb zwölf Uhr!«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil ich vor Texers Villa auf der Lauer lag«, antwortete Sherlock Holmes mit einem Lächeln. »Aber ehe das Telegramm erschien, betrat ein anderer Mensch, und zwar einer, den ich sehr gut kenne, den Garten Mr. Texers: Der rote Fred!

Er kletterte über den Zaun, schlich sich an die Villa heran und warf dann etwas zu dem erleuchteten Fenster empor, hinter dem kurz zuvor Mr. Texer erschienen war und hin­ausgeblickt hatte.

Krachend splitterte die Scheibe – ein Zeichen dafür, dass der Besuch einen Stein durch das Fenster geworfen hatte. Und an dem Stein hing ein Zettel. Das kennt man ja. Kaum hatte er sein Werk vollendet, als er Hals über Kopf da­vonstürzte, wieder zurück über den Zaun und hinein in die Nacht. So dicht kam er an mir vorbei, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken brauchen, um ihn zu packen.«

»Und Sie haben es nicht getan?«

»Nein«, erwiderte Sherlock Holmes lakonisch und stieß eine neue Dampfwolke zur Decke hinauf.

»Das verstehe ich nicht«, rief Harry erregt.

»Du wirst mich sofort verstehen«, fuhr der Weltdetektiv fort. »Nehmen wir an, ich hätte den Kerl festgenommen. Was wäre geschehen? Ich hätte den gefährlichen Wechsel­fälscher verhaftet und in Nummer sicher gebracht. All right. Und das unglückliche Mädchen wäre dafür in der gleichen Stunde von den anderen beiden Kumpanen des Burschen ermordet worden! Denn in jenem Augenblick, als der rote Fred an mir vorbeirannte, wusste ich wohl, wer seine Komplizen waren, aber nicht, wo sie später Ellen Texer hingebracht haben!«

»Sie spannen mich auf die Folter, Mr. Holmes.«

»Das liegt nicht in meiner Absicht, nur muss ich dir alles der Reihe nach erzählen, wenn du die Geschichte recht versehen sollst«, besänftigte Sherlock Holmes den Aufge­regten.

»Einige Stunden später, sagte ich. Ja. Kurz nachdem nämlich der rote Fred den Stein geworfen hatte, kam der Verlobte der verschwundenen Ellen in einem Auto herbei. Wahrscheinlich war er von Mr. Texer telefonisch von dem Steinwurf verständigt worden. Nun kennst du mei­ne unbezwingbare Neugier, Harry«, sprach der Weltdetektiv weiter. »Ich hielt es einfach nicht auf meinem Beobach­tungsposten aus. Zudem brannte ich darauf, zu wissen, was die beiden Männer miteinander besprachen. So entschloss ich mich zu einer in unserem Beruf nicht weiter außerge­wöhnlichen Kletterpartie, indem ich an dem Spalierholz emporkletterte, bis ich das Fenster erreichte. Die Scheibe war zertrümmert. Ich konnte also nicht nur sehen, was im Zimmer vor sich ging, sondern auch jedes Wort hören, was zwischen Mr. Texer und seinem künftigen Schwiegersohn, Mr. George Duncan, gewechselt wurde.

Hierdurch erfuhr ich. welche Botschaft der Stein ge­bracht hatte. Eine Million Dollar forderte der rote Fred als Lösegeld! Texer erkläre sich sofort bereit, die Summe zu zahlen. Ein Hund soll heute Abend auf dem Grundstück erscheinen. Ein Hund mit einer Geldtasche – und da hinein soll die Million gestopft werden Absurder Gedanke, wie? Ja, und dann verließ der Verlobte der Verschwundenen das Haus.

Ich nahm mir die Freiheit, mich hinten auf sein Auto zu schwingen, als es zum Parktor hinausging. Zuerst sah es aus, als ob die Fahrt nach Hobooken gehen sollte wo Mr. Duncan seine Wohnung hat. Aber dann wurde plötzlich der Kurs geändert, und das Auto landete in einer ruhigen, an beiden Seiten von alten Bäumen flankierten Seitenstraße, wo er bereits erwartet wurde, denn kaum hielt der Wagen vor einem Landhaus, als auch schon dessen Tor geöffnet wurde.

Ich hatte gerade noch Zeit, abzuspringen, um mich im Dunkel zu verbergen. Einer der Männer fuchtelte dann mit einer Taschenlampe am Auto herum. Und so kam es, dass ich das Gesicht erkennen konnte. Es gehörte keinem ande­ren als dem roten Fred!

»Hölle und Teufel!«, stieß Harry schier entsetzt hervor. »Höre ich recht? Der Verlobte Mrs. Texers steht mit dem roten Fred in freundschaftlichem Verkehr?«

»So ist es«, bestätigte Sherlock Holmes mit einem Nicken, »und nun wirst du begreifen, was hinter den Kulissen vorgeht, nicht wahr? Duncan ist der Mann, der mit noch einem Komplizen seit Jahren mit dem roten Fred gemeinsame Sache macht.

Auf Grund gefälschter Papiere verschaffte er sich Ein­gang in Mr. Texers gastfreundliches Haus und verstand es, im Laufe der Zeit Ellen Texers Herz zu erobern. Er weiß genau, dass er Ellen nie heiraten kann, denn im Augenblick der Eheschließung käme es heraus, dass er gar nicht Dun­can heißt und ein gesuchter Verbrecher ist. So will er auf andere Weise Millionen aus dem Mädchen herausschlagen. Das Wie haben die Schurken nun bewiesen.

Als Duncan die Stunde für gekommen glaubte, teilte er dieses seinem Oberhaupt, dem roten Fred, nach Paris mit – und diesen, in Geheimschrift abgefassten Brief fand ich dort unter seinem zurückgelassenen Gepäck auf.

Als mich also die Kunde von den Vorgängen im Haus Texer erreichte, war ich im Bilde und wusste genau, wer dahintersteckt, konnte jedoch nicht eingreifen, weil ich den Aufenthaltsort des jungen Mädchens nicht kannte und ihr Leben nicht gefährden wollte. Seit vergangener Nacht aber weiß ich auch dieses! Jenes Landhaus in der stillen Seitenstraße ist es, wo man Ellen Texer verborgen hält! Und nun gilt es für uns, drei Aufgaben zu erfüllen: den Betrügern und Erpressern die Million abzujagen, die sie heute Nacht von dem ahnungslosen Texer erhalten werden. Ellen Texer zu befreien und endlich, die drei Schurken hinter Schloss und Riegel zu bringen. Nun, Harry, wie denkst du darüber? Hast du Lust, mitzumachen?«

»Mit tausend Freuden!«, rief Harry Taxon und schlug kräftig und mit blitzenden Augen in Sherlock Holmes aus­gestreckte Rechte ein.

Fortsetzung folgt …