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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 3 – 1. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 3
Die Menschenfalle in Brooklyn
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin
1. Kapitel

Ein rätselhafter Fall

Eine tausendköpfige Menschenmenge umstand das festlich erleuchtete Gebäude des New Yorker Stadthauses, in dem sich die Leiter fast aller Polizei­zentralen aus ganz besonderem Anlass versammelt hatten. Immer wieder brach die Menge in begeisterte Rufe aus.

»Hoch, Sherlock Holmes! Hoch! Hoch!«

Aber der berühmte Detektiv zeigte sich nicht auf dem Balkon, wie man gehofft hatte. Er saß schwei­gend und mit einem Lächeln, das etwas erzwungen schien, am Ehrenplatz der langen, blumengeschmückten Festtafel und ließ die langen Reden, mit denen man seine Person feierte, wie ein Mann über sich ergehen, der an einer beschlossenen Sache eben nichts mehr ändern kann, der sich fügt um der lieben Höflichkeit willen.

Denn dieser Tag, an dem Sherlock Holmes auf eine 20-jährige Tätigkeit als Kriminalist zurückblicken konnte, in erhebender Form zu feiern, war seit Lan­gem beschlossene Sache gewesen. So hörte sich der Weltdetektiv stumm die Lobeshymnen an, die man ihm und seinem Wirken sang, obwohl es ihn förm­lich dazu trieb, aufzustehen und in seiner trockenen Weise zu erklären: »Schluss jetzt! Ich habe zwanzig Jahre das Verbre­chen in aller Welt bekämpft. All right. Ich habe in zahlreichen Fällen Licht in mysteriöse Angelegen­heiten gebracht. All right. Ich habe auch mehr als einen schweren Jungen der Gerechtigkeit überliefert. All right. Aber das ist eben mein Beruf. Ich habe nur meine Pflicht getan. Und seine Pflicht erfüllt jeder anständige Mensch. All right.«

Aber dann verzichtete er doch aus Höflichkeit ge­gen die anderen darauf, diese kurze Rede zu halten, und ließ in der nicht ganz grundlosen Hoffnung, dass jeder Kelch, also auch dieser, einmal vorübergehen müsse, alles über sich ergehen.

Just als Inspektor Wimberton, langjähriger Leiter der New Yorker Detektiv-Zentrale, eine tempera­mentvolle Ansprache hielt, in deren Verlauf Sherlock Holmes Taten begeistert gewürdigt wurden, trat ein Diener hinter den Sessel des berühmten Kriminalis­ten, um ihm etwas zuzuflüstern. Dieser nickte un­merklich. Währenddessen sprach der Inspektor so vol­ler Enthusiasmus, dass die Blicke aller Zuhörer wie gebannt an seinen Lippen hingen, und als er die An­wesenden zum Schluss aufforderte, sich von den Plätzen zu erheben, um auf Holmes ein donnerndes Hoch auszubringen, erhob sich die hingerissene Festversammlung wie ein Mann.

Da aber gab es eine Überraschung; der, dem man huldigen wollte, war von seinem Platz verschwun­den! In diesem Augenblick näherte sich aber bereits ein Diener dem Inspektor und übergab ihm mit den Worten Von Mr. Holmes! eine Karte.

»Vorlesen! Vorlesen!«, rief man von allen Seiten. Inspektor Wimberton hatte sich zwar noch nicht völ­lig von seiner Verblüffung erholt, nahm aber den­noch seine etwas ins Wanken geratene Fassung zu­sammen und las laut: »Eine Telefongespräch ruft mich in dringender Mission ab. Ich danke allen für die warmen Worte der Anerkennung, die mich zu neuer Pflichterfüllung anspornen werden, und bitte gleichzeitig, mir meinen etwas formlosen Abschied nicht verübeln zu wollen. Sherlock Holmes.«

Rufe des Bedauerns und der Enttäuschung wur­den laut, aber der berühmte Detektiv vernahm sie nicht mehr, weil er bereits das Haus verlassen hatte, um sich auf dem schnellsten Weg zur Surrey Street zu begeben, wo er für die Dauer seines New Yorker Aufenthaltes eine Wohnung gemietet hatte.

Wurde er auch durch den Anruf in sehr erwünsch­ter Weise vor der Flut weiterer Reden bewahrt, so erfüllte ihn doch der Umstand mit einiger Unruhe, dass man ihn aus dem Festsaal an das Lager einer Sterbenden rief.

In dem telefonischen Bericht hatte sich Jonny Buston, sein junger Freund und treuer Helfer, auf die notwendigsten Mitteilungen beschränkt und nur um sofortiges Kommen gebeten, weil soeben eine Dame in der Wohnung erschienen war, die, verzweifelt nach Sherlock Holmes rufend, mit dem Tode rang.

Mit der Erklärung, den nebenan wohnenden Dr. Clift bereits verständigt zu haben, der jeden Augen­blick zum Beistand der Unglücklichen erscheinen müsse, hatte das kurze und doch so inhaltsschwere Gespräch sein Ende gefunden.

Als der Weltdetektiv seine Wohnung erreichte, bot sich ihm in seinem Studierzimmer ein seltsamer Anblick dar. Zwei Männer – sein Famulus Jonny Buston und der Arzt Dr. Clift – kämpften verzweifelt mit einer Frau, die über Riesenkräfte zu verfügen schien.

Zwei Stühle lagen umgestürzt am Boden, der Tep­pich hatte sich verschoben, und seitwärts, in der Nähe des Kamins, lagen die Scherben der Wasserkaraffe. In dem Augenblick jedoch, als Sherlock Holmes hereintrat, geschah etwas Unerwartetes.

Die Frau schrie gellend auf, ließ ihre Arme kraftlos sinken und starrte den auf der Schwelle verharrenden Kriminalisten aus weitaufgerissenen Augen an.

Augen, in denen der helle Wahnsinn glühte.

»Da!«, keuchte sie, »da! Der Teufel! Er kommt schon wieder, um mich zu quälen! Aber ich will nicht! Ich will nicht! Fort mit der Spritze! Fort … mit … der … Spritze …«

Schaum vor dem Mund, brach sie zusammen. Sie, die sich soeben mit schier unglaublicher Kraft den beiden Männern zur Wehr gesetzt hatte, lag nun zitternd und bebend am Boden.

Dr. Clift hob sie mit starken Armen auf und bette­te sie auf der Chaiselongue. Ehe er ihr aber die stär­kende Essenz einzuflößen vermochte, brach ein Rö­cheln aus ihrem Mund. Der Körper richtete sich noch einmal auf. Dann sank er langsam zurück. Sekunden­lang blieb es still im Zimmer.

Bis Dr. Clift sich von der Chaiselongue entfernte und leise sagte: »Sie hat ausgelitten.«

Schweigend trat Sherlock Holmes an das Lager. Die Tote mochte fünfundzwanzig Jahre zählen. Ent­gegen der Mode trug sie das dunkelblonde Haar nicht kurz geschnitten, sondern im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Wenn sie auch keinerlei Schmuck trug und überaus einfach gekleidet war, schien sie doch besseren Kreisen zu entstammen.

Ihr Antlitz war fein geschnitten und ihre Hände edel geformt.

»Alles ist so eigentümlich«, flüsterte Jonny Buston, als er leise zu Holmes getreten war. »Kurz nach neun Uhr klingelte ein Droschkenchauffeur an der Tür und erklärte, unten im Auto befände sich eine Dame, die ihn beauftragt hatte, sie auf dem schnells­ten Wege hierherzubringen, die aber während der Fahrt ohnmächtig geworden sei. Darauf eilte ich mit dem Mann hinunter und fand die Frau wirklich ohne Besinnung. Gemeinsam tru­gen wir sie herauf. Es gelang mir, sie wieder ins Leben zurückzurufen, aber anstatt mir zu berichten, was ihr geschehen sei, rief sie nur immer wieder in wilder Verzweiflung meinen Namen: Mr. Holmes. Daraufhin rief ich Sie sofort im Stadthaus an und bat auch gleich danach Dr. Clift telefonisch, sofort zu kommen. Während­dessen sprach die Frau unverständliches Zeug, und nur einmal hörte ich deutlich, wie sie sagte: ›Mord! Mord! O, dass ich in diese Mörderhöhle geraten musste!‹ Dann kam Dr. Clift …«

»Ja«, nahm dieser das Wort, »und ich sah sofort, dass sich der Wahnsinn des armen Geschöpfes be­mächtigt hatte. Überdies fieberte sie stark. Als ich ihr eine Einspritzung machen wollte, bekam sie einen Tobsuchtsanfall, wie ich ihn gleich heftig selten er­lebt habe. Mr. Buston und ich hatten höllisch zu tun, sie zu bändigen. Das Weitere wissen Sie selbst.«

Der Weltdetektiv nickte. Sein verschleierter Blick glitt durch den Raum, um dann wieder zu der Toten zurückzukehren.

Gleich darauf wandte er sich an Jonny Buston und fragte in kühlem, ruhigen Ton: »Und der Chauffeur? Wusste er nichts zu erzäh­len?«

»Nicht viel, Mr. Holmes. Er stand mit seiner Droschke am Halteplatz in der Nähe der Ecke Tyler Ave und Brunswick Street, als die Dame herbeistürzte und ihm voller Erregung zurief: ›Zu Sherlock Holmes, schnell, schnell!‹ Das ist alles, was er auszusagen wusste.«

Schweigend, der Shagpfeife dicke Rauchschwaden entlockend, schritt der berühmte Kriminalist im Zimmer auf und nieder, wobei sein kalter Blick oft sekundenlang die Tote in eigentümlicher Weise streifte.

Plötzlich blieb er stehen und sagte: »Wenn mir im Augenblick auch noch jeder Be­weis fehlt, aus dem merkwürdigen Tod dieser Un­bekannten ein Verbrechen zu konstruieren, möchte ich dennoch behaupten, dass wir an der Schwelle eines dunklen Geheimnisses stehen. Sie erklären«, wandte er sich an Dr. Clift, »die Frau sei wahnsinnig gewesen. Fällt es Ihnen aber nicht auf, da in ihrem Wahnsinn ein bestimmtes System lag?«

Der Arzt zeigte eine betroffene Miene.

»Nun«, fuhr der Weltdetektiv fort, »Sie werden mich gleich verstehen. Zu Jonny sagte sie: ›Mord – Mord! Oh, dass ich in diese Mörderhöhle geraten musste!‹ Etwas später erschienen Sie. Die Unbekannte bekam jedoch nicht sofort den Tobsuchtsanfall, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe?«

»Ganz recht«, bestätigte Dr. Clift, »sie redete nur wirres Zeug. Den Anfall erlitt sie erst, als ich ihr zur Beruhigung eine Spritze geben wollte.«

»Aha! Sah die Frau, was Sie planten?«

»Das ist schon möglich. Ich trat an jenes Tisch­chen und entnahm dort meiner Tasche eine Spritze.«

»All right«, sprach Sherlock Holmes, »und dann kam ich. Kaum erblickte sie mich, als sie mit allen Zeichen des Entsetzens ausrief: ›Da! Der Teufel! Er kommt schon wieder, um mich zu quälen! Aber ich will nicht! Fort! Fort mit der Spritze!‹ Nicht wahr, so ähnlich schrie sie?«

Clift und Buston nickten betroffen. Sie begriffen nicht recht, was Sherlock Holmes mit seinen Worten beabsichtigte, worauf er hinauswollte.

»Die Unbekannte empfand also vor der Spritze eine fürchterliche Angst«, sprach der Kri­minalist weiter. »Ich kann mir nicht erklären, dass dieses grauenhafte Angstgefühl völlig grundlos ge­wesen wäre. Nein, ich folgere aus ihrem Benehmen, dass sie im Gegenteil allen Grund hatte, sich vor Ein­spritzungen zu fürchten, die man vielleicht gegen ihren Willen an ihr vornahm. Vielleicht könnte uns über diesen Punkt sogar eine sofortige Untersuchung der Toten aufklären!«

Schweigend machte sich Dr. Clift daran, die Un­bekannte zu entkleiden. Wenige Augenblicke später stieß er einen Laut der Überraschung aus, der Sher­lock Holmes zum Nähertreten veranlasste.

»Da, sehen Sie!«, murmelte der Arzt und wies auf den linken Oberarm der Toten, der stark geschwollen war und deutlich genug die Spur einer Spritze erken­nen ließ, die hier vor gar nicht langer Zeit am Werke gewesen war.

Für flüchtige Sekunden zuckte ein seltsames, ge­fährliches Leuchten in des Weltdetektivs grauen Augen auf. Dann nickte er ruhig, trat an das Tele­fon und ließ sich mit dem anatomischen Institut verbinden.

Wenige Minuten darauf besaß er die Zusicherung Professor Malmedys, dass die Leiche der Unbekann­ten sofort abgeholt und dass er, Sherlock Holmes, in längstens vier Stunden das Ergebnis der Obduktion übermittelt bekommen würde.

Der erste Schritt zur Lösung des Rätsels war ge­tan, aber Sherlock Holmes ahnte nicht, dass er damit in ein gefährliches Wespennest gestochen hatte!

Fortsetzung folgt …