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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der kleine Junge und sein Pferd

Georg Ruseler

Der kleine Junge und sein Pferd

Es war einmal ein ganz kleiner Junge, der hieß Friedel, der wohnte in einem Haus, das stand unten am Abhang eines Berges, nicht weit von einem dunklen Nadelwald. Es war aus Fichtenstämmen erbaut und mit Schindeln gedeckt. Alle Ritzen waren so dicht mit Lehm verschmiert, dass der Wind nicht hineinkonnte, mochte er es auch noch so pfiffig anfangen. Dann lachte das Häuslein ihn aus und rauchte ganz vergnügt dazu aus einem Schornstein. Der war einmal ein Ofenrohr gewesen; bei sich selbst aber dachte es: Stell du dich nur an, was kümmert es mich!«

Darüber ärgerte sich der Wind und machte sich hinter dem Rauch her; aber das war ein leichter Geselle, der tanzte ihm ganz keck auf der Nase herum. In dem Haus war nur eine Stube, und in der Stube ein einziges Fenster; aber die Sonne hatte es lieb und schien immer hinein, wenn der Tag am schönsten war. Dann war der kleine Knabe allein; denn sein Vater war schon tot, und die Mutter wusch bei fremden Leuten. Für das Geld, das sie dafür bekam, kaufte sie jeden Tag ihrem Büblein ein Stück Brot und ein wenig Butter und alle Jahre eine neue Hose oder ein Wams. Aber so viel, dass sie Friedel in eine Schule schicken konnte, verdiente sie nicht. Doch das tat ihm durchaus nicht leid, und dass sie so arm waren, das wusste er eigentlich gar nicht. Im Sommer hütete er draußen seine Ziege, die hieß Meckerbart. Ihr Futter suchte sie sich da, wo es am steilsten war, und lief immer weg. Aber Friedel wusste, dass sie zuletzt von selber wiederkam, darum setzte er sich derweil ruhig an den Bach, der im Zickzack vom Berg heruntersprang, durch das dichte Gedränge schlanker Tannen hindurch. Die hätten ihn gar zu gerne gefangen, aber dazu waren sie doch nicht flink genug. Nun wollte das Wässerlein geradewegs hinunter in eine große Stadt, die lagerte sich nicht weit davon im Tal. Es hüpfte dem kleinen Jungen keck über die nackten Füße hinweg und sagte: »Steh auf kleiner Friedel, lauf mit, lauf mit, sollst dem Korn- und Sägemüller sein großes Wasserrad drehen helfen.«

»So dumm bin ich nicht«, sagte Friedel, »der gibt mir auch nicht einen Groschen dafür; aber du könntest mir schnell noch ein paar Schaufeln voll Lehm losspülen, ja?«

Aus dem Lehm knetete Friedel allerlei kuriose Sachen, Meckerbart, die Ziege, und Hans, den Müllerknecht, der ihn immer auf seinen Esel reiten ließ, oder den Esel selbst. Aber wenn er knetete, dann dachte er an nichts anderes. Er sah nichts und hörte nichts, nicht einmal die Schwarzamsel, die ihr süßes Lied flötete. So war es im Sommer. Kam der Winter, dann saß Friedel in der Stube auf einem Stuhl, den er sich selbst gezimmert hatte. Im Ofen knisterte Tannenholz, das er sich selber suchen musste. Zu seinen Füßen lag Miez, die Katze, die war schon alt und so faul, dass sie kaum noch spinnen mochte. Wenn die Wolken es nur haben wollten, dann guckte auch die Sonne durchs Fenster und wunderte sich über den Jungen, der aus Bergahorn die schönsten Sachen schnitzte. Dazu gebrauchte er ein Messer, das hatte schon seinem Vater gehört und war so scharf, dass er auch Haar und Bart damit hätte schneiden können.

Nun war gerade der Tag vor Weihnachten, da arbeitete er an einem wunderschönen Pferd, das hob ein Vorderbein empor und warf ordentlich seinen Kopf zurück. Man hätte glauben können, es müsste im nächsten Augenblick wiehern. Mit drei Füßen stand es auf einem glatten Brett, daran waren Räder, und so konnte es auch laufen. Einen Sattel hatte das Ross nun zwar nicht, wohl aber einen Zaum, das war ein schmaler, brauner Lederriemen, den hatte der Müllerbursch vor drei Tagen dem kleinen Jungen geschenkt. Als die Sonne unterging, war Friedel mit aller Arbeit fertig und seine Augen leuchteten vor Freude. »Nun will ich ausreiten, alte Miez«, sagte er, »willst du mit?«

»Nein«, sagte die Katze, »es ist mir zu kalt draußen, und heute Abend wird es noch schneien; dann kann ich gar nicht wieder nach Hause finden, wenn du vom Ross gefallen bist.«

»Meinst du wirklich, dass ich herunterfalle?«

»Sicher«, brummte die Katze, »du hast ja gar keine Krallen. Womit willst du dich denn festhalten?«

Da kam die Mutter von der Arbeit heim und sagte: »Leg das Messer weg, Friedel, Heiligabend ist gleich, da darf man nicht schnitzen und drehen, sonst kommt der Hackelberg und nimmt dich mit.«

»Nein, Mutter, wenn es dunkel wird, da machen zwei Englein ganz leise die Himmelstür auf. Die ist da, wo die Sonne untergegangen ist, und das Christkindlein reitet hinab zur Erde auf einem silberweißen Pferd und besucht die artigen Kinder.«

»Ja«, sagte die Frau, wandte sich ab und zündete einen Kienspan an. Dann öffnete sie den Schrank und stellte Brot und Butter auf den Tisch. Da sagte Friedel ganz nachdenklich: »Mutter, warum kommt es denn nicht zu uns? Ich bin doch auch immer artig gewesen.«

Aber die Mutter senkte ihre Augen und flüsterte: »Weil wir zu arm sind. Christkind kommt nur zu Leuten, die Geld haben, und wir haben keins.«

»Das ist aber schade«, meinte der kleine Junge. Als die Mutter das hörte, fing sie an, bitterlich zu weinen. Da lief Friedel zu ihr, steckte den Kopf in ihren Schoß und sagte: »Weine nur nicht, Mutter, ich habe ein großes Pferd, das heißt Huppdiwupp, das will ich verkaufen. Dafür kriege ich viel Geld, und dann wird auch das Christkind kommen.«

Als er das gesagt hatte, nahm er sein Pferd und ging damit aus der Stube, und die Mutter weinte leise weiter und hatte nicht Acht auf ihn. Weil sie aber ganz müde war, sanken ihr sacht die Augen zu, und sie verfiel in einen tiefen Schlaf.

Der kleine Junge machte nun leise die Haustür auf, stellte sein Pferd hinaus, setzte sich darauf und rief: »Hü!« Das verstand das Pferd aber gar nicht, denn es war noch zu jung. Auch hatte es einen harten Kopf und mochte nicht laufen.

»Hätte ich nur eine Peitsche!«, sagte Friedel. Weil er aber keine hatte, stieg er ab und zog sein Ross am Zaum hinter sich her. So musste es ihm wohl folgen, es mochte wollen oder nicht. Wo die Sonne untergegangen war, stieg langsam ein dunkles Wolkengebirge herauf; aber der größte Teil des Himmels war noch frei. Da wandelte der liebe Mond, der leuchtete hell; aber er war lange nicht mehr ganz, er hatte von seinem Licht den jungen Sternen abgegeben, an denen er vorüberzog. Dafür mussten sie ihm erlauben, dass er sich zuweilen ein wenig an ihnen festhielt; denn es ist keine Kleinigkeit, dort oben dahinzuschreiten, viel höher als der höchste Kirchturm ist, und keinen Schwindel zu bekommen.

In allen Lüften herrschte feierliches Schweigen. Die dunklen Tannen standen ganz regungslos, sie hielten den Atem an, als warteten sie darauf, dass ein König vorüberziehen sollte. Aber die Erde zitterte leise. Sie fror und hätte gern eine weiche, weiße Decke gehabt, um sich darin einzuwickeln und ruhig zu schlafen. Den kleinen Jungen fror auch, aber nur eine kleine Weile. Bald wurde er vom Gehen warm, und dann schlug ihm auch das Herz vor Begier, sein liebes Pferd zu verkaufen. Als er nun so dahintrottete, begegnete ihm zuerst ein Fuchs.

»Wohin des Weges, Friedel?«

»Mein Pferd verkaufen. Willst du es haben? Ich höre, du bist ein reicher Mann und isst Gänsebraten jeden Tag. Da kannst du doch nicht immer zu Fuß gehen.«

»Freilich nicht«, sagte der Fuchs, »aber ich sehe, was du dort an der Hand hast, das ist ein Schimmel. Ich pflege nur mit braunroten zu fahren, die passen besser zu meinem neuen Pelz.«

»Ach so, dann entschuldige«, sagte Friedel und ging weiter. Da kam er an einem Raben vorbei, der trug einen dicken schwarzen Mantel und rief mit tiefer Stimme: »Trab, trab!«

»Ja«, antwortete Friedel, »es will nur nicht, und ich habe leider keine Peitsche. Aber sag mal, lieber Onkel Quarkschnabel, willst du mir nicht mein Pferd abkaufen?«

»Fällt mir nicht ein«, krächzte der Rabe ganz beleidigt, »ich habe Flügel und kann fliegen.«

»Das ist etwas anderes«, sagte Friedel, »das habe ich nicht gewusst.«

Eine Strecke weiter kam ihm ein Spatz entgegen, und er fragte wieder: »Meister Graukopf, du hast ja viel auf den Straßen zu tun. Willst du mir nicht mein Pferd abkaufen?«

»Ja, wenn es Sommer wäre«, sagte der Spatz, »da könnte ich noch wohl eins gebrauchen. Jetzt im Winter habe ich Last, mein eigenes Zweigespann durchzufüttern. Aber weißt du was? Wir gehen hinunter in die Stadt, da kann man alle Tage solch einen Gaul loswerden. Siehst du, wie sie da heraufleuchtet mit ihren tausend Lichtern? Komm nur her, ich will dich begleiten. Ich habe doch sowieso noch ein paar Höfe zu besuchen, die unter meiner Aufsicht stehen.«

Da war Friedel von Herzen froh, denn wo hätte er sonst einen Begleiter finden können, der es so verstand, sich in die Welt zu schicken und mit allen Leuten fertig zu werden!

Die Straße senkte sich rasch. Der Spatz und Friedel schritten leicht dahin, und das Pferd war ihnen dicht auf den Fersen.

»Nun sieht man, dass es ganz gut laufen kann, wenn es nur will«, sagte Friedel.

Und Meister Graukopf meinte ganz gelassen: »Ja, man muss viel Nachsicht haben mit solch unvernünftigem Vieh.«

Sie kamen an der Wassermühle vorbei. Das große Rad machte Feierabend und stand still, und deshalb hatte auch der Bach nichts zu tun und rief Friedel zu:

Geh nach Haus, geh nach Haus,
Kalt ist es hier drauß’.
Blumen sind zu Bett gegangen,
Frosch, der schläft im Schlamme tief,
Fledermäuse im Winkel hangen,
Kuckuck sang nicht, als ich ihn rief.
Hinter den Bergen wartet der Wind,
Nach Haus, geh nach Haus, liebes Kind!

»Hörst du, was der dir weismachen will?«, fragte der Spatz. »Auf den musst du nichts geben, das ist einer, der immer weiter herunterkommt. Wer höher hinauf will in der Welt, der muss sich den Wind um die Nase wehen lassen.«

Der kleine Junge nahm sich vor, diese guten Lehren zu behalten. Als er aber die hell erleuchteten Fenster des Müllerhauses sah, dachte er doch: Nun sitzen sie drinnen beim warmen Ofen und feiern Weihnachten.

Es dauerte nicht mehr lange, so waren sie in der Stadt. Da standen hohe Häuser, die rückten einander manchmal so nahe, dass die Straße kaum hindurch konnte, und dem kleinen Jungen wurde ordentlich bang zumute. Ein paar Mal hatte ihn die Mutter wohl schon mitgenommen, aber das war am hellen Tag gewesen. Allein hineinzulaufen, hatte er niemals Lust gehabt; er war lieber dort, wo die Bäume rauschten und die Vögel sangen. Nun waren alle Fenster hell und hinter blanken Scheiben standen die schönsten Sachen. Auf den Fußsteigen gingen viele Leute, die schienen es sehr eilig zu haben, und alle trugen Pakete und Bündel unterm Arm. Zum Glück fuhren keine Wagen mehr, und deshalb erwählte sich Friedel die Pferdestraße. Aber auch da blieb er nicht unangefochten. Zuerst segelte eine dicke Frau quer über den Weg. Sie trug an jeder Seite eine große Schachtel, pustete wie eine alte Dampfmaschine und gab ihm einen solchen Stoß, dass er zu Boden fiel und sein Ross dazu. Aber er stand sogleich wieder auf und half auch Huppdiwupp auf die Beine.

»Aus sowas muss man sich nichts machen«, sprach der Spatz, »das passiert unsereinem alle Tage. Aber dort hinten kommen einige, das sind gefährliche Gesellen. Wir wollen sehen, dass wir uns ganz sachte an ihnen vorüberdrücken.«

Doch das wollte ihnen nicht gelingen. Drei Straßenjungen kamen daher, und die sehen mit einem Auge mehr als zehn andere Menschen mit zweien. Die beiden Ersten fassten Friedel an der Jacke, und der Dritte pflanzte sich ganz frech vor ihm auf und sagte: »Du, du Holzschuhfritze, du willst wohl mit deinem Ross zum Hufschmied? Das kannst du hier billiger haben. Wir wollen es dir umsonst beschlagen helfen.«

»Das ist nicht nötig«, meinte Friedel, »ich will es doch verkaufen.«

Da lachten die drei aus vollem Hals. Aber dann nahm der Freche wieder das Wort: »Du, höre, verkaufen darfst du dein Pferd nicht, das wollen wir nicht haben. Schenk es mir, dann will ich nicht sagen, dass du es gestohlen hast.« Und damit langte er nach dem Zaum und wollte dem armen Jungen das Einzige entreißen, was er besaß.

Da wisperte der Spatz: »Zieh deinen Holzschuh aus und gib ihm eins an den Kopf.«

Da dachte Friedel, das sei ein kluger Rat, und er tat also. Es begann eine große Schlacht, und wenn die anderen auch zu dreien waren, so ermangelten sie doch solcher Waffen und kriegten manchen Hieb. Vielleicht wäre es zuletzt dem kleinen Jungen doch schlecht ergangen, aber da schoss wie Blitz und Donnerwetter ein Mann dazwischen, der hatte einen blanken Helm auf dem Kopf und einen Säbel an der Seite. Dazu trug er unter der Nase einen spannenlangen Schnauzbart, der zitterte immer, als hätte er Angst vor den grimmigen Worten, die an ihm vorüberflogen. Er schalt: »Auseinander, ihr Buben! Friede gehalten oder ich streu euch Pfeffer und Salz auf den Rücken! Wer hat angefangen?«

»Er!«, schrien die drei aus einem Mund.

»Nein, sie!«, piepte der Spatz, aber niemand hörte auf ihn.

»Sie sehen Herr Wachtmeister, er hat den Holzschuh noch in der Hand«, sagte der Freche, »damit hat er auf uns losgeschlagen.«

»Still!«, donnerte der Mann, »wir werden schon Klarheit schaffen. Du, zieh deinen Holzschuh an und sag mir, was du hier mit dem Pferd auf der Straße willst!«

»Das Pferd hat er gestohlen!« sagte der Freche.

»Nein«, rief Friedel ganz kühn und frei, »das Pferd gehört mir, das habe ich mir selbst gemacht.«

Das konnte der Mann aber nicht gut glauben und meinte: »Das ist mir sehr verdächtig. Folge mir nach, da werden wir bald Gewissheit haben.«

So musste Friedel ihm folgen, und die bösen Buben frohlockten: »So, das hast du davon, nun wirst du eingesponnen!«

Sie machten ein Freudengeheul und wollten hinterherziehen; aber der mit dem Helm zeigte auf seinen Säbel, und da trollten sie sich doch lieber von dannen. Nun ging der Mann mit starken Schritten voran, und Friedel, der Spatz und Huppdiwupp, das Pferd, folgten ihm, so schnell ihr Beine sie tragen wollten. Dem armen Jungen war gar nicht wohl ums Herz, und er dachte, das sei ein schlimmes Abenteuer.

Aber der Spatz sagte ganz leise zu ihm: »Das ist gar nichts, ich habe schon ganz anders in der Patsche gesessen.« Bei der nächsten Querstraße gab er Friedel einen Wink, und unbemerkt schwenkten sie rechts ab und ließen den Mann des Gesetzes geradeaus gehen, und der merkte nichts. Er hörte immer nur auf seine eigenen Schritte.

»So muss man mit solchen Leuten umspringen«, sagte der Spatz, »du musst dich nie an ihre Vorschriften kehren, wenn du ein tüchtiger Kerl werden willst. Aber warte einmal, hier sind wir gleich am richtigen Ort. Hier in diesem alten Haus wohnt ein Kaufmann, der handelt mit Katzen und mit Hunden, mit Eseln und mit Pferden. Siehst du wohl? Sein ganzes Fenster steht voll davon. Da gehe hinein und probiere dein Glück.«

Da machte der kleine Junge die Tür auf, ging in den Laden und fragte den Kaufmann: »Hier ist mein Pferd Huppdiwupp, das möchte ich gern verkaufen. Willst du es mir abnehmen?« »Warum nicht!«, sagte der Kaufmann. »Was soll es denn kosten?«

»Tausend Taler.«

»Das ist mir aber zu teuer«, sagte der Kaufmann und machte ein ganz bedenkliches Gesicht. »Siehst du, meine Pferde sind viel schöner als deins und doch noch billiger als tausend Taler.« »Ja«, sagte Friedel, »das glaube ich wohl. Deine Pferde sind auch tot, und meins ist lebendig. Das muss ich wissen, ich habe es selber gemacht. Aber sag mal, was willst du mir denn geben?«

»Einen halben Pfennig.«

»Das ist mir doch gar zu wenig«, sagte der kleine Junge und ging rasch aus der Tür. Huppdiwupp machte ordentlich einen Sprung über die Schwelle, so empört war es.

Auch der kleine Graukopf ärgerte sich, als er das hörte, und piepte ganz vernehmlich: »So ein gemeiner Kerl! Es ist schade, dass ich nicht mit drinnen war, dem hätte ich meine Meinung gesagt. Aber warte einmal! Bemerkst du den drolligen Herrn, der dort heranwippt? Schau nur, seine Spinnenbeine knicken immer ein wenig ein. Sein Leib ist so dürr, dass er gar keinen Schatten wirft, und sein Gesicht sieht aus, als wäre es mit Kupfergeld gepflastert. Den frage, das ist sicher ein Reitersmann. Ich sage dir, den besten Pferdehandel macht man immer auf der Straße.«

Da wartete Friedel, bis der Herr herankam, und dann sagte er ganz bescheiden: »Lieber Herr, willst du mir nicht mein Rösslein abkaufen? Meine Mutter und ich haben gar kein Geld.« Aber der Herr sagte bloß: »Bettelpack!« Und vorüber war er.

Da standen nun alle drei, Friedel, sein Pferd und der Spatz, und wussten erst gar nicht, was sie davon halten sollten.

»Weine nur nicht«, sagte der Sperling, der sich am schnellsten gefasst hatte, »so sind die Menschen. Ich kenne sie von meinem Getreidehandel her.«

»Ich weine auch gar nicht«, sagte Friedel ganz tapfer, aber dabei war ihm so weh ums Herz wie einem Ross, das im Rennen gesiegt hat und vergeblich darauf wartet, dass ihm sein Reiter den Hals tätscheln soll. »Ich mag gar nicht mehr in der Stadt bleiben, und mit den Leuten hier will ich fürder nichts zu tun haben. Ich weiß auch ganz gut, was ich anfangen muss. Sag einmal, Meister Graukopf, hast du heute Abend das Christkind schon gesehen?«

»Das will ich meinen, das sehe ich jedes Jahr, und aus seinem Sack fällt allerlei heraus, was man ruhig aufpicken darf. Heute ist es beim Ostertor hineingeritten und kommt am Westerende wieder heraus. Wenn du es sprechen willst, müssen wir uns sputen, dass wir die Bank am Springbrunnen da draußen erreichen, da kommt es gleich vorbei.«

Nun gingen die drei zusammen aus der Stadt hinaus. Da war kein Mensch mehr zu sehen, und Friedels Holzschuhe machten »klapp, klapp« auf der hartgefrorenen Landstraße. Und weil den kleinen Jungen fror, zog er seine Pudelmütze über die Ohren und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er sagte: »Meister Graukopf, soll ich dir auch mein Schnupftuch leihen? Daraus kannst du dir Strümpfe machen für deine nackten Beine.«

Aber der andere lachte: »Das lass nur, das macht mir gar nichts aus. Auch im Winter bekommt mir das Barfußlaufen ausgezeichnet. Doch nun schau dich um, hier sind wir am Ort. Setz dich nur auf die Bank und ruh dich aus. Aber gib Acht, dass du nicht einschläfst. Derweil will ich aufpassen und dir sagen, wenn das Christkind kommt.«

Da saß nun der kleine Knabe und der Himmel wurde dunkler und dunkler. Die Sterne löschten alle ihre Lichter aus, und auch der Mond verschwand. Da deuchte es Friedel, als ob die Welt immer stiller und er selber immer müder würde, und zuletzt kam es aus der Luft herabgeflogen, leise, ganz leise, als wären es hunderttausend Schmetterlinge. Die setzten sich auf die kahlen Zweige der Bäume. Als sie dort keinen Platz mehr hatten, flatterten sie hinab auf Straße und Rasen und bedeckten die ganze Erde. »Nun haben sie ein weißes Tuch gewebt«, sagte der Sperling; »das ist eigentlich schade! Aber was will man machen? Christkind hat zuletzt Ross, Strumpf und Schuh verschenkt und darf doch nicht auf bloßer Erde gehen. Siehst du, da kommt es schon.«

Du lieber Gott, da war Friedel wirklich eingeschlafen! Aber er musste seine Augen doch wieder öffnen können! Er sah ein schimmerndes Licht, das kam näher und näher. Da stand Friedel auf, und das Gehen ward ihm leicht, so wunderbar leicht, und er strebte immer dem Lichte entgegen. Zuletzt war es ein mildes Engelskind mit langen Locken und blauem Gewand, das hatte nichts in den Händen und ging mit bloßen Füßen und schritt so leicht dahin, dass im Schnee auch nicht eine Spur davon zurückblieb. Und all das Licht, das Friedel gesehen hatte, kam aus seinen beiden Augen, und um seinen Mund spielte ein Lächeln, als hätte Mutter Maria soeben erst seine Lippen geküsst.

»Bist du das Christkind?«, fragte Friedel.

»Ja«, antwortete es und sah ihn ganz lange an, dass es ihn warm durchrieselte bis in Zehen und Fingerspitzen hinein.

Da fasste sich der kleine Junge ein Herz und bat recht innig: »Liebes Christkind, die Menschen wollen nichts von mir wissen, und keiner sieht meine Not. Kauf du mir doch mein Rösslein Huppdiwupp ab, das habe ich selbst geschnitzt. Du wirst doch nicht zu Fuß wieder in den Himmel gehen wollen. Du kannst dafür bezahlen, was du willst.«

»Ach«, sagte das Christkind, »ich habe gar kein Geld.«

Da erstaunte Friedel: »Kein Geld? Und bringst den Kindern so viel schöne Sachen? Jedes Jahr bist du beim reichen Müller gewesen. Freilich, wo wir armen Leute wohnen, das hast du nie gewusst!«

»Ja, kleiner Junge«, sagte das Christkind und lächelte dabei ganz eigen, »wie das kommt, kann ich dir nicht sagen, und dann bist du auch gar nicht arm.«

»Die Mutter sagt es aber.«

»Gib mir deine Hand. Mit dieser Hand hast du das schöne Pferd geschnitzt?«

»Ja.«

»Es ist eine Gabe in deiner Hand«, sagte das Christkind, »die kann ein reicher Mann nicht kaufen für einen ganzen Sack voll Geld.« Es streichelte ihm seine Hand und segnete ihn. Aber Friedel war gar nicht zufrieden und klagte: »Hast du denn keine Nuss mehr in deiner Tasche oder wenigstens eine Feige oder einen Kuchen?«

Da sagte das Christkind traurig: »Ich habe wirklich nicht an dich gedacht und alles ausgegeben. Aber wenn du mir dein Rösslein Huppdiwupp leihen willst, dann sollst du einen solch schönen Tannenbaum sehen, wie kein Kind auf Erden ihn heute bekommen hat.«

Das war Friedel recht, und Christkind setzte sich auf das Pferd und nahm den kleinen Jungen in den Arm, und vorn zwischen die Ohren des Pferdes durfte sich Meister Graukopf setzen, weil er Friedel nicht verlassen hatte. Nun war es ein Wunder zu sehen, wie das Ross größer und größer wurde. Es war, als ob ihm Flügel wüchsen. Es hob sich sacht empor und ließ die Erde unter sich. Es schneite nicht mehr, der Himmel war wieder klar geworden, und die Sterne leuchteten sieghaft wie Diamanten im dunklen Haar einer Königin. Als ob sie nun schwebten und immer höher stiegen, da hob sich das Herz des armen Jungen mit. Es wurde ihm weit vor Freude, doch es war merkwürdig, dass er es gar nicht mehr schlagen fühlte. Seine Glieder waren so leicht, dass er bis an die Sterne hätte hüpfen können; aber er spürte es auch gar nicht, als er mit seinem Fuß an den Hals des Rosses stieß. Doch daran dachte er nicht weiter, er war selig; denn sein eigenes Werk trug ihn empor zu funkelnden Höhen. Tief unten sah er Wiesen und Wälder, die leuchteten weiß herauf. Da weitete sich das Gebirge und die Felsen reckten sich aus wie Riesen und konnten doch nicht zu ihnen empor. Aus der Ferne tönten ganz leise die Glocken, so leise, als wären ihre Klöppel mit Samt umwickelt, die läuteten zum heiligen Fest. Und immer höher flogen sie, und die Erde wurde immer kleiner, so klein wie das Rad der Wassermühle und noch kleiner. Zuletzt kamen sie am Mond vorbei, der putzte soeben seine Laterne, die war ihm beinahe ausgegangen. Er nickte Friedel ganz freundlich zu: »Brav, du wirst bald selber fliegen können!«

Dann kamen sie in den Himmel, der war so prächtig, dass man es nicht beschreiben kann. Da erhob sich ein Palast, so groß, wie keiner auf Erden steht, der war aus durchsichtigem, blauem Kristall erbaut. In diesem Palast war ein schöner Saal, dessen Wände bestanden aus weißem Marmelstein, und in dem Saal war ein Tisch, der leuchtete, als wäre er ein einziger Demant. Darauf erhob sich ein grüner Tannenbaum, daran hingen als Lichter tausend Sterne, fünfhundert, die brannten mit ruhigem Schein, und andere fünfhundert, die glitzerten und flammten, als wären sie die Kinder der Sonne.

»Ist das nicht herrlich, Meister Spatz?«, fragte der kleine Junge.

Der aber antwortete: »Na ja, aber ein voller Kirschbaum, wo die Früchte dunkelrot aus dem grünen Laube glänzen, ich weiß nicht, ob mir der nicht doch noch lieber wäre!«

Dann führte das Christkind sie zu Tisch; denn unter dem Tannenbaum saß in einem ganz einfachen, hölzernen Lehnstuhl der liebe Gott, der war steinalt; aber er schaute so gütig drein, wie ein Vater seine Kinder anschaut. Auf dem linken Knie schaukelte er ein Engelchen, das sang mit süßer trauriger Stimme:

Schlaf nicht, Kindlein, arm und klein!
Willst du nach der Scheibe zielen?
Willst du mit mir Murmel spielen,
Oder hast du Flügelein?
Bäschen schenkt dir eine Puppe,
Mutter kocht dir Hühnersuppe,
Aber ach, sie isst allein.
Schnee ist deine Lagerstätt’ –
Stehst nicht auf vom kalten Bett,
Wirst du bald im Dunkeln sein.

Friedel wusste nicht, was das bedeuten sollte, und sein Herz war auch bei ganz anderen Gedanken.

»Ach, lieber Gott«, sagte er ganz bescheiden, »nun ich doch einmal hier oben bin, möchte ich gar zu gern meinen Vater wiedersehen.«

»Ja«, sagte das Christkind, »ich glaube, der ist gar nicht hier, der ist an einen anderen Ort gekommen, weil er deine Mutter gescholten und geschlagen hat.«

»Oh«, sagte Friedel, »das macht nichts, mich hat die Mutter auch schon geschlagen; aber darum habe ich sie doch lieb.«

»Das ist etwas ganz anderes«, meinte das Christkind, und der liebe Gott lächelte ein klein wenig.

Dem kleinen Jungen waren die Tränen nahe; aber er fasste sich doch ein Herz und sagte: »Sieh, lieber Gott, ich habe ein schönes Pferd mitgebracht, das heißt Huppdiwupp. Es steht draußen vor dem Tor; denn hier drinnen ist es ihm zu glatt, weil es noch keine Hufeisen hat. Es ist aber kein gewöhnliches Ross, denn es hat uns alle hergetragen in den Himmel. Die Menschen wollen mir mein Pferd nicht abkaufen, die wissen nicht, was es wert ist, Christkind hat kein Geld, so nimm du es mir ab und tu mir dafür, um was ich dich bat.«

Als Friedel geendet hatte, da setzte der liebe Gott das Engelchen auf den Fußboden, dass es wegtrippeln sollte; dann streckte er seine rechte Hand aus und zog den kleinen Jungen an sich, und da wusste Friedel, dass seine Bitte in Erfüllung ging.

Um zehn Uhr klopfte ein starker Bursche an das Fenster bei Friedels Mutter. »Wasch-Margaret, auf, macht auf! Ich bin es, Müllers Hans. Ich habe Euren Jungen unten beim Springbrunnen gefunden; beinahe zu Eis ist er gefroren.«

War da die Mutter erschrocken! Aber sie rieben das Büblein mit Schnee, und da wurde es nach und nach wieder warm, und die Mutter hielt es die ganze Nacht auf dem Schoß und sagte immer: »Mein armer Junge!«

Aber Friedel lallte ganz schlaftrunken: »Ich bin gar nicht arm. Ich kann das Christkind bilden aus weißem Stein, und das wird leuchten wie die Sonne.«

Die arme Frau wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, aber sie umschlang ihr Kind mit beiden Armen, um es zu wärmen; denn draußen war der Wind aufgewacht und rüttelte an dem Dach. Endlich schliefen beide ein, Mutter und Sohn, und zur Rechten stand die Not und zur Linken die Sorge, die wachten bei ihnen. Das sind die Engel der armen Leute, und wen sie emporheben wollen, den machen sie stark und fest, auf das er ein Held und Sieger werde im Kampf mit der ganzen Welt.