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Die Waldmühle – Kapitel 4

Die Waldmühle
Ein Märchen aus Robert Reinicks Märchen- Lieder- und Geschichtenbuch, 1873
Kapitel 4

ald hatte sich der Hans ganz vergnüglich in der Mühle eingerichtet. Jeden Tag glaubte er, nun müsste er doch auch endlich einmal Menschen zu Gesicht bekommen. Er hatte manchen Grund dafür. Als er angekommen war, hatte er das Mühlrad in vollem Gang angetroffen. Auch viel Vorrat an Mehl und Getreide war noch da. Gesetzt auch, der Müller mit Frau und Gesinde kämen nicht mehr zum Vorschein, so müssten sich doch die Kunden melden, ihr Mehl abholen, ihr Getreide herbringen. Übrigens gingen ihm die Gedanken zuweilen wie Räder im Kopf herum, ob er nicht selbst noch dereinst seine Fahne auf den alten Rumpelkasten, wie er die Mühle nannte, aufstecken könnte. Sein verstorbener Vater war auch Müller gewesen. Dem hatte er als Geselle tüchtig im Handwerk geholfen. Von jeher war es sein Hauptwunsch geblieben, eine Mühle zu besitzen. Nun war aber der wilde Krieg durchs Land gefahren und hatte einen schwarzen Strich durch diese weiße Rechnung gemacht. Die Eltern waren dann verarmt, der Vater bald gestorben, er selbst zum Kriegsdienst ausgehoben. Jetzt brachte er zwar im Tornister einige ganz gute Taler Beutegeld aus dem Kriege heim, aber die reichten kaum für einen Mühlstein aus, geschweige denn für eine Mühle.

Einen ganzen Monat lebte er in dieser Einsamkeit, es hielt ihn da, er wusste nicht, was. Tags bestellte er die Mühle, nachmittags ging er auf die Jagd. Es war ihm immer so, als ob er noch ganz schnurrige Geschichten hier erleben würde. Ein Hauptgrund dafür, dass es ihm da so heimisch wurde, den er sich wohl selbst nicht eingestehen mochte, war der: Die jetzigen Bewohner des Hauses, die Henne, die Katze, vornehmlich aber die Lachtaube hatte er liebgewonnen. Sie waren freilich nichts anderes als Tiere, aber er hatte nun ein für alle Mal jedes Tier gerngehabt, keines aber wie diese. Auch den Kettenhund fütterte er treulich. Selbst den Esel draußen auf dem Hof mochte er wohl leiden, nur wurde ihm seine große Zudringlichkeit oft widerwärtig.

Immer wollte das Tier sich ins Haus drängen, Fenster und Türen musste er daher sorgfältig verschließen. Das war aber auch doppelt notwendig, denn wie jener herein, so wollte das Täubchen immer hinaus, besonders wenn der alte Eselskopf sich am Fenster zeigte. Im Übrigen hatte sich das zarte Tierchen schon so an den lustigen Bruder gewöhnt, dass es ihm alles aus den Händen nahm, was er ihm gab, und es ihm zum Dank dafür manch lustig Soldatenstückchen auf dem Klavier vorklimperte.

Da konnte sich denn der Hans nicht satt daran hören und sehen. Wahrhaftig, er begriff sich selbst nicht. Er, früher der lustigste Kamerad von der Welt, ein stämmiger Musketier, ein Kerl, dem es eine wahre Lust gewesen war, gegen eine krachende Batterie, durch Bomben und Kartätschen im Sturm anzurücken, er, derselbe Hans Quäckenberger, saß hier wie ein Schulbube und fütterte eine Lachtaube mit Zucker und Brotkrumen. Es war ganz unbegreiflich, und doch war es nun einmal so.

Eines Tages hatte der Soldat wieder den Forst durchstrichen und aus langer Weile Kaninchen geschossen. Er war recht weit umhergeschweift und hatte doch immer keinen Ausweg gefunden. Dichter Wald, so weit er sehen konnte. Nur hier und da kreuzten sich einige Fußwege, die ihn aber fast in die Irre geführt hätten. Auch erkannte er deutlich Spuren von den Hufen der Esel, die wahrscheinlich das Getreide noch vor Kurzem zur Mühle gebracht hatte. Müde von seiner Wanderung, gedachte er sich heute Abend recht was zu Gute zu tun.

Er holte sich ein paar Flaschen Wein aus dem Keller und leerte sie auf die Gesundheit seiner Mutter, auf die seiner Hausgenossen, der Tiere, und besonders aufs Wohl der schmucken Taube. Dann begab er sich zu Bett. Vor Hitze konnte er kein Auge zumachen. Er öffnete das große Fenster, um frische Luft zu schöpfen. Das verfehlte auch nicht die gewünschte Wirkung, bald lag er im tiefen Schlaf.

Es mochte Mitternacht sein, als er von einem schweren Gepolter dicht neben sich aufwachte.

»Alle neunundneunzig!«, rief er, »will die alte Kasematte mir über dem Schädel zusammenbrechen?«

Es war stockfinster. Der Mond war noch nicht über dem Wald hervor. Schlaftrunken wie er war, tastete er um sich zu dem anderen Bett, das neben dem seinen stand. Da lag etwas wie ein Mehlsack darin. Das beruhigte ihn.

»Die Stubendecke da oben muss doch nicht schussfest gewesen sein«, brummte er vor sich hin, »das der Klumpen von Mehlsack so mir nichts dir nichts vom Söller herunterpurzeln konnte. Nun! Mich hat er wenigstens noch nicht totgeschlagen.«

Bald schnarchte er wieder wie vorhin, aber nicht lange. Er erwachte von einem schweren Druck auf seiner Brust. Wie er hinfühlte, war es etwas Hartes, Haariges. Halb im Schlaf hielt er es für seinen Tornister, stieß es von sich und schlief wieder ein. Nun träumte ihm, eine ungeheure Kanone wäre neben seinem linken Ohr aufgefahren, jede Sekunde schösse sie mit gewaltigem Prusten ihm einen mächtigen Pulverdampf ins Gesicht. Er wollte den Kopf auf die andere Seite legen, da stand aber ein riesiger Kanonier, der hielt ihm den Kanonenputzer entgegen, was ihm denn so um Nase und Mund kitzelte, dass er gegen seinen Willen laut auflachen musste und darüber zum dritten Mal erwachte. Aber das Kitzeln und Prusten, das ihn im Traum belästigte, hörte noch immer nicht auf.

Er richtete sich empor. Der Mond war über den Wald heraufgestiegen und schien durchs offene Fenster hell auf das nebenstehende Bett. Ei! Was musste er da erblicken! Die geträumte Kanone war in Wirklichkeit nichts anderes als der Kopf des alten zottigen Esels, der in festem Schlaf neben ihm lag und ihn mit seinem süßen Odem höchst ungeschliffen anprustete. Der eine Vorderhuf, die dem Hans erst so arg die Brust gedrückt hatte, lag noch dicht neben ihm auf seinem Kopfkissen.

»Oho, Patron«, rief der Musketier und sprang aus dem Bett. »Dich wollen wir bald hinbringen, wo du hingehörst!« Schon hielt er seinen Herzbruder, den Knittel in der Faust, und erhob ihn mit hochgeschwungenem Arm, um dem schlafenden Tier einen furchtbaren Schwadronshieb über den dicken Wanst zu versetzen. In dem nämlichen Augenblick kam die Henne mit Geschrei hinter dem Ofen hervor und flog dem Soldaten gerade ins Gesicht hinein. Fortwährend schlug sie ihm mit den Flügeln in die Augen, dass ihm Sehen und Hören verging, und er mit seinem Knotenstock in die leere Luft hineinfuchtelte. Unterdessen war auch der Esel erwacht. Der fuhr in die Höhe, dass die Bettlade zusammenbrach. Mit Mühe haspelte er sich aus den Bettruinen in die Höhe und begann, so wütend, wie er sonst faul gewesen war, einen Angriff auf seinen Gegner. Vorn und hinten schlug er aus, rechts und links biss er um sich. Der Soldat bekam in der engen Kammer einen schweren Stand. Nun stürzte auch noch die braune Katze durchs Fenster herein. Ehe er sich dessen versah, fiel sie ihm ins Genick und zerkratzte ihm das Gesicht dermaßen, dass er endlich den Knittel sinken lassen musste. Dabei zerrte der Kettenhund draußen so grimmig bellend an der Kette, dass Hans jeden Augenblick fürchten musste, auch der werde über ihn herfallen.

In der höchsten Not fiel ihm die Pistole ein. Vom Mond hell beschienen, hing sie über den Pfeifen an der Wand. Eben wollte er danach greifen, da sah er die Taube darauf sitzen. Sie war durch das offene Türfensterchen hereingeflogen. Ängstlich pickte sie nach seiner Hand, als wollte sie die Waffe nicht hergeben.

Der Soldat stutzte. Einen Augenblick zauderte er, aber von Neuem drängten die wütenden Tiere gegen ihn an. Da war an kein Zögern mehr zu denken.

»Fort da! «, rief er und legte die Pistole auf den Esel an. »Fort da! Oder ich will euch den Magen mit Blei füttern, dass ihr euer Lebtage daran verdauen sollt!«

Eben wollte er das Tier niederschießen, da flatterte aber die Taube dicht vor der Mündung des Feuergewehrs auf und nieder, sodass er es doch nicht abzudrücken wagte. Diesen Moment benutzte der Esel. Durch das offene Fenster nahm er Reißaus, die Henne und Katze hinter ihm her, und erst als einige Zeit verstrichen war, flog die Taube ihnen nach.

Nun aber erwachte beim Hans auch der kriegerische Zorn aufs Neue. Blindlings feuerte er den fliehenden Tieren die Pistole nach.

Ob er eines getroffen hatte? Er wusste es nicht. Er sah nur, wie sie unter den Waldbäumen im wirren Mondlicht verschwanden. Auch der Kettenhund hatte sich losgerissen und war mit entflohen.

Mit dem Schlafen war es vorbei. Seine eigenen Gedanken ließen ihm keine Ruhe mehr. Bald wollte er sich halb tot lachen über die Heldentat, einen armen alten Esel mit der Waffe in der Hand in die Flucht geschlagen zu haben. Bald überkam ihn eine Angst, ob sein Schuss auch jemand im Wald getroffen hätte, denn es klang ihm in den Ohren, als habe er einen durchdringenden Schrei gehört, nachdem der Schuss gefallen war. So brach endlich der Morgen an.

Das Frühstück wollte ihm nicht schmecken, er fühlte sich recht allein. Da kam keine Lachtaube mehr, die sich aus seiner Hand füttern ließ. Er schämte sich seiner Traurigkeit und doch konnte er sie nicht vertreiben. Jetzt war ihm Mühle, Wald, Klavier und alles umher verleidet. Er beschloss, am nächsten Tag seinen Marsch anzutreten, ginge es auch in die wildeste Wildnis hinein.

Ehe er sich nachts zur Ruhe begeben konnte, hatte er noch viel zu tun.

In der Schlafkammer sah es nicht anders aus, als in einer demolierten Festung: zertrümmerte Betten, Schemel, Pfeifen. Alles hatte der nächtliche Kampf wild durcheinandergeworfen.

Wie er mit Mühe die Strohsäcke aus dem Haufen herauszog, bemerkte er unter dem Bett, in dem der Esel herumrumort hatte, eine zerbrochene Kiste.

Er leuchtete mit der Lampe hinein und, o Wunder! Lauter blanke Taler glitzerten ihm hell in die Augen. Manchem anderen Soldaten hätte der Schatz eine gute Beute geschienen. Hans Quäckenberger aber wusste Krieg und Frieden wohl zu unterscheiden. »Unrecht Gut gedeiht nicht«, sprach er. »Ihr Taler mögt ruhig auf euren Herrn warten. Der ist vielleicht morgen wieder hier, da soll er sehen, dass ein ehrlicher Kerl bei ihm zu Gast gewesen war.«

Sorgfältig nagelte er die Kiste wieder zu und schob sie in den Winkel. Dann warf er sich aufs Lager.