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Der Detektiv – Band 26 – Doktor Satanas – Teil 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 26
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Doktor Satanas

Teil 3

Ich hatte bisher diesem neuen Fall Doktor Satanas offen gesagt wenig Geschmack abgewinnen können. Weshalb? Nun, weil er für mich so ziemlich klar lag und weiter keine besonderen Überraschungen versprach. Ich war in dieser Beziehung reichlich verwöhnt durch unsere bisherigen Abenteuer. Zumeist war deren Ausgang nie vorauszusehen gewesen. Die Spannung auf die endgültige Lösung hielt gewöhnlich bis zum letzten Moment an. Hier aber schien mir alles sehr friedlich und ohne sogenannte Knalleffekte ablaufen zu wollen, obwohl ja Harsts Behauptung, Doktor Drygaarden lebe noch, einige Aussicht auf besondere Zwischenfälle eröffnet hatte.

Ich habe unlängst in einem der vorhergehenden Bände betont, der Leser sollte versuchen, aus diesen meinen Berichten über Harsts Detektivabenteuer etwas zu lernen: nämlich das Kombinieren, das Ziehen von Schlussfolgerungen aus einer Anzahl nur lose zusammenhängender Tatsachen. Vielleicht hat der Leser dies auch in diesem Fall getan und ist bereits zu derselben Ansicht über die Hauptpunkte unseres Problems Mord ohne Toten gelangt. Ich möchte die Hauptpunkte gleich hier aufzählen, da ich sie später ja doch in derselben Weise Harald Harst gegenüber entwickelte und mir mithin nachher dies an einer Stelle sparen kann, wo eine solche längere Erörterung nur störend wirken würde.

Für mich stand Folgendes fest: Der Doktor hat die Prinzessin vor drei Jahren auf irgendeine Weise gezwungen, ihn zu heiraten. Nach der Eheschließung ist der durch das Verhalten ihres Gatten schwer enttäuschten, vielleicht gar angewiderten jungen Frau erst klar geworden, dass sie den Major de Bartreux liebt, der sie ja schon früher umworben hat. Beide mögen nun so ehrenwerte Charaktere sein, dass sie sich scheuen, sich ein verbotenes Liebesglück zu schaffen. Immerhin wissen sie, wie es um ihre Herzen bestellt ist. Sie wollen sich nun einmal fern von Semarang und in Sicherheit vor dem eifersüchtigen Doktor ungestört aussprechen. Die Prinzessin reist zu ihrem Vater nach Surakarta, und der Major nimmt Urlaub und folgt ihr dorthin. Während des Jagdausfluges treffen sich beide. Dieses Beisammensein soll geheim bleiben. Deswegen entfernt die Prinzessin die beiden treuen Diener, damit diese nicht bei einer polizeilichen Vernehmung (die Prinzessin erfährt ja kurz nach der Rückkehr von der Jagdpartie von dem Mord und muss mit einer solchen Vernehmung rechnen) gezwungen wären, entweder das Beisammensein mit Bartreux abzuleugnen oder es ganz zu verschweigen. Vielleicht fürchtet sie auch, Inspektor Schliepner könnte die Wahrheit doch aus den Dienern herauslocken. Jedenfalls ist die Prinzessin in der betreffenden Nacht nicht in Semarang gewesen und hat mit dem, was in ihres Mannes Schlafzimmer sich abspielte, nichts zu tun. Deshalb kann sie auch getrost Schliepner nahelegen, Harst herbeizurufen.

Dies glaubte ich, stünde unzweifelhaft fest. Bartreux’ und der Prinzessin Benehmen schienen mir auf das Vorliegen dieser Tatsachen einwandfrei hinzuweisen. Der Leser wird zugeben, dass eine solche Schlussfolgerung sich in ganz zwangloser Weise aus dem Vorhergehenden ableiten lässt. Was in jener Nacht sich hier im Haus des Doktors wirklich ereignet hatte, war mir nun erst leidlich klar geworden durch Harsts Äußerung, Drygaarden sei gar nicht ermordet worden. Ich dachte an ein vorgetäuschtes Verbrechen, das heißt, an eine von Doktor Satanas zu irgendwelchen Zwecken schlau vorbereitete Irreführung der Polizei. Vielleicht wollte er spurlos verschwinden; vielleicht hatte er schwerwiegende Gründe, Java zu verlassen. Dies war meine Ansicht über den Mord selbst, war es in dem Augenblick, als die Prinzessin uns in der Allee ansprach und in sehr ruhiger Weise ihr Bedauern äußerte, dass wir beinahe von den Doggen zerrissen worden waren.

Dann stellte Schliepner uns der schönen Frau vor.

Sofort wurde sie lebhafter, als sie kaum Harsts Namen gehört hatte, reichte Harald impulsiv die Hand und meinte: »Oh, wie freue ich mich! Nun habe ich Hoffnung, dass alles geklärt werden wird!«

Auch diese Worte klangen so gar nicht nach Schuldbewusstsein.

Harst erwiderte, er würde sich alle Mühe geben, die Prinzessin von einem Verdacht zu befreien, der seiner Überzeugung nach ganz haltlos sei.

Der Hausmeister schritt wieder voran. Dann kamen die Prinzessin und Harst. Schliepner und ich gingen drei bis vier Meter hinterdrein. Es ist dies wichtig, wie sich sofort herausstellen wird. Jedenfalls hätte es mit der Gemütlichkeit dieser unseres Abenteuers auch ohne die Hunde nun ein Ende gehabt.

Über den Eingang des Bungalows flammte eine elektrische Lampe in Form einer großen, altertümlichen Laterne auf. Das Haus war bis zu etwa 1 ½ Meter Höhe aus Steinquadern erbaut. Auf diesem Kellergeschoss ruhte der moderne, gefällige Holzbau mit der üblichen, umlaufenden Veranda, die hier durch Holzpfeiler gestützt wurde. Eine breite Steintreppe führte zu der mit Schnitzereien verzierten, schweren Flügeltür des Eingangs empor. Der eine Flügel tat sich auf. Der alte Javaner war am Fuß der Treppe stehen geblieben und hatte die Prinzessin vorübergelassen. Sie trat ein, sagte noch zu Harst mit halb zurückgewandtem Kopf in englischer Sprache, da wir das Holländische nicht fließend beherrschten: »Ich habe unbegrenztes Vertrauen zu Ihnen …«

Da erlosch plötzlich die elektrische Laterne, die an einem schmiedeeisernen langen Haken in Höhe des oberen Randes der Fenster des ersten Stockes hing; dann ein lauter Krach – ein Klirren von Glas, ein Aufschrei der Prinzessin.

Die schwere Laterne war dicht hinter Harst auf die oberste Stufe aufgeschlagen, sodass sämtliche Scheiben in Trümmer gegangen waren. Dicht hinter Harst! So dicht, dass sie noch dessen Strohhutkrempe gestreift und ihm den Hut in den Nacken geschnellt hatte.

Auch Schliepner und ich waren vor Schreck zurückgeprallt. Aus der offenen Haustür fiel nun immerhin genug Licht auf die Treppe, dass wir sofort erkennen konnten, was sich ereignet hatte. Ich sah, wie Harst den Hut wieder zurechtschob, wie er einen Blick in die Höhe warf, wie er nun plötzlich in die Vorhalle lief und verschwand.

Auch wir traten ein. Die Prinzessin hatte sich in einen Korbsessel gesetzt und starrte uns ganz verstört entgegen.

»Was … was bedeutet das alles?«, fragte sie mühsam. »Erst die Doggen – jetzt die Laterne! Das kann doch kein Zufall sein!«

Schliepner zuckte die Achseln. »Eine Teufelei, Hoheit, ohne Frage! Aber wer steckt dahinter?«

Jetzt erst konnte ich die Prinzessin Shorikindio von Surakarta zum ersten Mal bei hellstem Lampenlicht betrachten. Ich begriff vollständig, dass diese Frau nur zu geeignet war, Männerherzen zu entflammen. Ein eigener Zauber lag in diesen zarten Gesichtszügen, in diesen großen, dunklen Augen. Sie hatte ein weißes, leichtes Spitzenkleid an und trug um den Hals einen sehr eigenartigen Schmuck in Form einer dünnen, goldenen Schlange.

Auf Schliepners halbe Frage, wer diese beiden Attentate gegen uns versucht haben könnte, meinte die Prinzessin mit einem schweren Seufzer, nachdem sie sich scheu umgeblickt hatte: »Ich vertraue von der Dienerschaft lediglich dem alten Dschongo Lei, meiner Dienerin Masmi und dem Koch Plastavaux. Alle übrigen …« Sie machte eine vielsagende Handbewegung.

Da kehrte Harst zurück. Er kam lautlos aus dem Hintergrund der Diele hervor, wo rechts und links der Flur abzweigte. Ich bemerkte ihn zuerst. Unsere Blicke begegneten sich. Er lächelte mir zu, verbeugte sich dann vor der Prinzessin und erklärte: »Ich war auf dem Hausboden. Nur von dem Bodenfenster über dem Eingang aus konnte die Laterne losgehakt werden. Ich fand jedoch nichts Verdächtiges. Ich bitte jetzt, dass der Hausmeister die gesamte Dienerschaft hier zusammenruft.«

Die Prinzessin erteilte die nötigen Befehle. Nach und nach fanden sich zwölf Javaner, darunter zwei Mädchen, und der Koch Plastavaux ein.

Auch wir saßen nun neben der Prinzessin in Korbsesseln. Als der Hausmeister erklärte, dass dies das ganze Hauspersonal sei, stand Harst auf und rief jeden einzelnen ohne Ausnahme unter die elektrische, fünfflammige Krone. Wo es nottat, spielte Schliepner den Dolmetscher. Harsts Fragen wurden so gestellt, dass die Leute kaum merkten, worauf es dem, der bald dieses, bald jenes wissen wollte, eigentlich ankam. Dabei hatte es Harst offenbar lediglich darauf abgesehen, festzustellen, ob jemand von dem Personal die Hunde befreit und die Laterne zum Absturz gebracht haben könnte.

Dieses Verhör dauerte eine geraume Zeit. Das Ergebnis war auch zufriedenstellend. Es zeigte sich, dass die meisten Javaner im Wirtschaftsanbau des Bungalows in dem gemeinsamen Speiseraum sich aufgehalten hatten und dass die, die in der letzten halben Stunde nicht dort mit den Übrigen zusammen gewesen waren, für die beiden Attentate in keiner Weise in Frage kämen. Mithin musste jemand anderes den Zwinger geöffnet und die Laterne vom Haken gehoben haben.

Harst ordnete nun an, dass das Personal unter Aufsicht Schliepners hier in der Vorhalle bleiben solle. Dann bat er die Prinzessin, uns zu dem Schlafzimmer ihres Mannes zu führen. Schliepner händigte uns noch die Schlüssel zu den beiden Türen des Zimmers ein, denn das er hatte versiegeln lassen. Die eine Tür war die Verbindung zum Schlafzimmer der Prinzessin, die zweite ging vom Flur in das große Eckzimmer, das wir vom Flur aus erst betraten, nachdem Harst die Siegel sehr sorgfältig geprüft hatte. Rechts neben der Tür war der Schalter für das elektrische Licht. Die Beleuchtung bestand aus einer matt rosa Ampel. Außerdem flammten auch gleichzeitig neben einem hohen Stehspiegel zwei Wandleuchter auf. Bevor wir die Besichtigung des Raumes in Gegenwart der Prinzessin begannen, stieg Harst auf das Fußende des helleichenen Bettes und schraubte die Ampel ab, sodass die stark kerzenartige Birne nun mit grellem Licht das ganze Zimmer bestrahlte. Die Prinzessin setzte sich in einen niedrigen Sessel neben den breiten Kleiderschrank.

Das Zimmer hatte zwei Fenster mit Stabjalousien. Diese waren herabgelassen. Die Fensterflügel waren geschlossen und gleichfalls versiegelt. Auch diese Siegel waren unverletzt. Einen weiteren Zugang als Türen und Fenster gab es nicht.

In der Mitte stand das Bett. Das Kopfende befand sich gerade zwischen den beiden Fenstern. Über dem Bett an der Decke war der große Propeller eines offenen elektrischen Ventilators sichtbar. Auf den ersten Blick gewahrte man nichts, das auffällig gewesen wäre. Die seidene Steppdecke des Bettes war bis zu den Kopfkissen hochgezogen, lag aber in krausen Falten. Schliepner hatte uns schon vorher erklärt, dass er das Zimmer nach der von ihm vorgenommenen Durchsuchung wieder in genau denselben Zustand gebracht hätte, wie er es vorgefunden hatte.

Harst schlug die Steppdecke zurück. Kissen und Bezüge waren mit schwarzen Flecken in allen Größen völlig besät. Es war getrocknetes Blut. Auf dem Kissen lag ein Büschel schwarzes Haar mit einem Hautfetzen daran, außerdem noch eine blutbesudelte, mitten durchgeschnittene Zigarre, die eben erst angeraucht gewesen war. Der Bezug des Kissens zeigte an der linken Seite einen fingerlangen Schnitt, der halb durch Blut verklebt war. Neben dem Bett auf einem Stuhl lagen Kleidungsstücke, wie sie ein ordnungsliebender Mensch beim Zubettgehen sauber aufschichtet. Obenan befand sich ein Paar gelbseidener Herrensocken. Auf dem Nachttisch wieder bemerkte ich eine goldene Uhr nebst Kette, eine Lederbörse, eine Brieftasche, einen silbernen Zahnstocher, ein Federmesser und ein Etui mit Kämmchen und kleiner Bürste.

Von dem Bett führte zu dem linken Fenster eine Blutspur. Der Fensterkopf war blutbesudelt. Als Harst dieses Fenster nun öffnete und draußen den Fenstersims mit der Taschenlaterne ableuchtete, zeigten sich hier ebenfalls sehr große, freilich längst getrocknete Blutflecken.

Ich stand hinter Harst, als er sich nun zum Fenster hinausbeugte und den Lichtkegel der Lampe auf den Dielenbelag der offenen Veranda fallen ließ, die sich auch hier entlang zog. Die Blutspur setzte sich bis zur Verandabrüstung fort.

»Merkwürdig!«, flüsterte Harst. »Ich hatte etwas ganz anderes zu finden vermutet. Lieber Alter, was für einen Eindruck machen die Blutspritzer und -flecke auf dich?«

Ich zögerte mit der Antwort. »Es scheint, dass hier tatsächlich ein Mensch ermordet wurde, indem man ihm im Bett die Kehle durchschnitt. Die Leiche ist dann zum Fenster hinausgeschleppt worden.«

»Ja – alles hier sieht so – so auffallend natürlich aus, so gar nicht nach einem vorgetäuschten Mord«, murmelte Harald Harst und schloss das Fenster, ließ auch wieder die Stabjalousie herab.

Dann wandte er sich der Prinzessin zu und fragte, ob festgestellt wäre, dass keiner der Anzüge des Doktors fehle.

»Keiner«, antwortete sie bestimmt. »Auch von seiner Wäsche fehlt nur ein feines, gesticktes Nachthemd.«

Harst nickte zerstreut. Er hatte sich an das Fußende des Bettes gelehnt und schaute starr auf das blutbesudelte Kissen. Dann fragte er wieder, nun, ohne die Prinzessin anzusehen: »Ist damals das Gitter des Käfigs untersucht worden, als der Tiger ausbrach, Hoheit?«

»Ja. Die Stäbe waren durchgerostet.«

»Nur gerade die vier Stäbe?«

»Nein. Auch an anderen Stellen zeigten sich schwere Rostschäden.«

»Danke, Hoheit. Etwas anderes …« Er drehte sich der schönen Frau langsam wieder zu. »Ihr Herr Vater kommt mit seinen Einkünften nie recht aus, wie ich gehört habe. Vor dreieinhalb Jahren war er, so erwähnte Baron van Zeerten so nebenbei, in Europa, in Monte Carlo. Er soll dort Unsummen verspielt haben. Ihr Gatte ist reich Hoheit, nicht wahr?«

Die Prinzessin war flammend rot geworden, senkte den Kopf und hauchte ein widerwilliges »Sehr reich. Aber jetzt nicht mehr.«

»Ich bitte Sie, ganz offen zu sein«, sagte Harst nun in jenem gütigen herzlichen Ton, dem niemand so leicht widersteht. »Es handelt sich hier ja um sehr ernste Dinge, Hoheit. Haben Sie sich mit dieser Heirat geopfert, um Ihren Herrn Vater wieder zu geordneten Verhältnissen zu verhelfen?«

Sie nickte nur schwach.

»Und der Kaufpreis?«, fragte Harst leise.

»Zwei Millionen Gulden …« Sie schluchzte auf und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Ah – so reich ist Drygaarden! Das hätte ich nicht gedacht! Hat er ein Testament hinterlassen?«

»Ja. Seine Hinterlassenschaft ist jedoch nur noch gering, beträgt kaum 300.000 Gulden, von denen nur ein Drittel an mich fällt, der Rest an seinen Bruder, einen Kaufmann in Amsterdam.«

Abermals wanderte nun Harsts Blick zu dem blutbefleckten Kissen hin.