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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Ein fingierter Einbruch – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein fingierter Einbruch
Ein Detektivroman

Eine interessante Unterhaltung

In der Minute darauf trat der Hauptkassierer in das Privatbüro des Präsidenten ein. Er war ein Mann, welcher Nick gleich auf den ersten Blick gefiel, stand schon in vorgerückten Jahren, und seine gefurchten Züge deuteten auf Charakterfestigkeit, Geradheit und ausgeprägtes Pflichtgefühl hin.

»Mr. Maynes«, stellte er sich dem Detektiv vor.

»Bob Hopkins von Scotland Yard, London«, sage Nick verbindlich, indem er mit höflicher Handbewegung den Beamten zum Platznehmen einlud. »Ich wünsche die Gehaltliste Ihrer Bankangestellten durchzusehen. Mr. Wilson erklärte mir, dass Sie mir dieselbe vorlegen würden.«

»Ich habe die Liste mitgebracht«, entgegnete Maynes, ein Buch auf den Tisch legend.

Nick nahm das Buch an sich und, ohne es vorläufig zu öffnen, wendete er sich herzlich an den ihm Gegenübersitzenden. »Ich hoffe, Mr. Maynes, Sie werden mir in unserer Unterredung mit vollkommener Offenheit Auskunft geben.«

»Selbstverständlich, solange Ihre Fragen sich nicht auf ein Amtsgeheimnis beziehen«, lautete die rasche Antwort. »Das dürfte wohl kaum der Fall sein!«

»Schwerlich, Mr. Maynes.«

»Nun gut, ich werde Ihnen die volle Wahrheit sagen oder die Beantwortung Ihrer Frage ablehnen!«

»Diese Zusicherung genügt mir vollkommen«, versetzte Nick, der sich so gesetzt hatte, dass er die mit einem Glasfenster versehene Eingangstür vor sich hatte und durch diese die Bewegungen des Präsidenten beobachten konnte. Eben schritt Wilson von Pult zu Pult und schien die Tätigkeit der Clerks zu kontrollieren.

»Fangen wir also an, Mr. Maynes. Befindet sich unter den Bankangestellten jemand, welchem Sie eine Beteiligung an dem Einbruch von heute Nacht zutrauen?«

»Niemand! Ich stehe für alle meine Leute ein!«, lautete die bestimmte Antwort. »Das ganze Personal ist von mir ausnahmslos angestellt worden. Die Bank hier besteht erst zwei Jahre, und ich bin vom ersten Tag an Hauptkassierer gewesen. Zudem stehe ich seit mehr als vierzig Jahren im Bankgeschäft und habe nur mir persönlich als ehrenhaft und durchaus zuverlässig bekannte Leute in den Dienst dieser Bank berufen.«

»Das genügt! Nun sagen Sie, Mr. Maynes«, fuhr Nick gedämpft fort, »sind Sie willens, mit mir frisch von der Leber weg über diese merkwürdige Einbruchsgeschichte von heute Nacht zu plaudern?«

Der Kassierer verneigte sich nur schweigend zum Zeichen seiner Einwilligung.

»Haben Sie sich eine eigene Ansicht über den Bankraub gebildet?«

»Keine, die bis jetzt hinreichend gefestigt wäre, um etwa irgendeine bestimmte Person mit der Angelegenheit in Verbindung zu bringen.«

»Das soll heißen … halb und halb haben Sie sich schon eine Ansicht gebildet?«

»Mag sein!«, versetzte Maynes mit auffälliger Zurückhaltung.

»Hm!« Nick räusperte sich. »Was Ihre Angestellten anbelangt, so äußerten Sie sich in einem Ton, der besagt, dass Sie von all jenen keinen mit Ihrem Verdacht in Verbindung bringen. Wie steht es nun aber mit anderen Leuten, sagen wir mit Ihren Vorgesetzten?«

»Mr. Hopkins, darüber steht mir keine Meinung zu.«

»Ich will Sie nicht etwa zu irgendwelcher Taktlosigkeit verleiten«, entgegnete Nick, der entschlossen war, sich nicht abweisen zu lassen. »Beiläufig, wie lange kennen Sie Mr. Wilson?«

»Ich lernte ihn am Tage meines gegenwärtigen Dienstantritts kennen.«

»Ah, richtig, Sie waren früher nicht in New York …«

»Nein, ich war dreißig Jahre lang Kassierer der Bank von Columbia. Soviel ich weiß, ist auch Mr. Wilson kein New Yorker.«

»Ja, er sieht aus, als ob er aus den Südstaaten stammte«, pflichtete Nick bei. »Nun, er muss sich hervorragend im Finanzfach bewährt haben … So eine Anstellung als Bankpräsident ließe ich mir auch gefallen.«

»Mr. Wilson ist zweifellos ein Finanzgenie«, äußerte der Kassierer, »das sind aber durchaus nicht alle Bankpräsidenten. Sie dürfen englische Anschauungen nicht mit den hiesigen verwechseln. Solche Stellungen, wie sie Mr. Wilson einnimmt, erringt nicht persönliches Verdienst, sondern lediglich der große Geldbeutel. Davon macht auch unser Chef keine Ausnahme. Da ich ihn selbst angelernt habe – wenn der Ausdruck erlaubt ist – so weiß ich zufällig genau, dass Mr. Wilson erst seit zwei Jahren im Bankgeschäft ist.«

»Alle Wetter!«, erwiderte der Mann von Scotland Yard ganz erstaunt. »Und da fing er gleich als Bankpräsident an? Das wäre in London unmöglich!«

»Wir leben im Land des allmächtigen Dollars«, wendete Maynes achselzuckend ein. »Banken wie die unsere sind zur Ausgabe von Banknoten befugt, wofür sie dem Bundesschatzamt entsprechende Sicherheit zu hinterlegen haben. Im Übrigen sind sie Privatunternehmungen wie alle anderen Banken auch … Einige Kapitalisten vereinigen sich und legen einen bestimmten Anteil ein. Unser Grundkapital beträgt zum Beispiel eine halbe Million in 250 Anteilen zu je 2000 Dollar. Hiervon besitzt Mr. Wilson 126 Anteile, verfügt demzufolge über die Majorität der Stimmen und hat sich bei Gründung der North American Bank sofort selbst zu deren Präsidenten ernannt.«

»Das ist allerdings bequem!«, meinte der Detektiv lachend. »Da bestimmt er wohl auch sein Einkommen?«

»Das von ihm bezogene Gehalt wird von den Aktionären festgesetzt«, erklärte Maynes mit leichtem Lächeln.

»Und da er der Hauptaktionär ist …«

»So billigte ihm die Generalversammlung 50.000 Dollar Jahresgehalt zu«, vollendete der Kassierer.

»Goddamn, das ist sehr anständig. So eine Stellung hält man sich warm!«, rief der Mann von Scotland Yard. »Was war denn Mr. Wilson früher?«

Maynes schaute ihn offen an. »Wollen wir dieses Thema nicht lieber fallenlassen?« frage er. »Ich liebe es nicht, über meine Vorgesetzten zu sprechen.«

»Gewiss, ich frage auch nur aus Neugierde!«, versicherte der Detektiv. »Kommen wir also auf die gestohlene Summe zu sprechen. Wer ordnete diese in Bündel?«

»Ich selbst. Das heißt, es handelte sich um kurz zuvor vom Clearinghouse, der amtlichen Verrechnungsstelle der New Yorker Banken, empfangene Banknotenbündel von je 1000 Dollar. Ich öffnete dieselben nicht, sondern begnügte mich, deren 250 abzuzählen. Die 100.000 Dollar in Gold zählte ich gleichfalls persönlich ab.«

»Die Summe war von einem Kunden bestellt worden?«

»Gewiss. Sie sollte sofort nach Geschäftsbeginn abgehoben werden.«

»Und ist Ihr Kunde heute Morgen vorstellig geworden, um das Geld abzuheben?«

Maynes verneinte.

»Nun, das finde ich von Ihrem Kunden komisch … Wie war gleich der Name?«

»Das müssen Sie Mr. Wilson persönlich fragen, denn er nannte mir keinen Namen, als er mir gestern Auftrag gab.«

»Hm, das Geld wurde nicht in dem Zeitverschluss verwahrt, weil dieser erst später geöffnet wird, während der Kunde schon um neun Uhr kommen wollte?«

»Das wohl. Ich würde indessen eine derartige Verantwortlichkeit nicht auf mich genommen haben. Mr. Wilson ordnete ausdrücklich an, dass die Summe in dem gewöhnlichen Kassenschrank, der sich in meiner Box befindet, verwahrt werden sollte«, hob Maynes hervor.

»Hm, von dem Wechselgeld wollten die Einbrecher nichts wissen?«

»Sonderbarerweise nicht. Sonst haben wir nur etwa drei- bis viertausend Dollar, letzte Nacht waren es über elftausend … Doch es fand sich jeder Cent vor.«

»Der Kassenschrank wurde auch nicht gesprengt?«

»Nein. Das Kombinationsschloss funktionierte heute Morgen wie gewöhnlich.«

»Dann muss es mit dem dazugehörigen Schlüssel geöffnet worden sein!«

»Oder mit einem vorzüglich gefertigten Nachschlüssel, allerdings aber nur von einem Mann, der mit der Kombination vertraut war.«

»Schön!«, meinte Nick. »Wer ist mit der Kombination vertraut?«

»Nur Mr. Wilson und ich. Nur wir beide sind ferner im Besitz je eines Schlüssels zum Kassenschrank.«

»Das ist ja eine ganz verwickelte Geschichte!«, rief Nick anscheinend erstaunt.

»So kommt sie mir auch vor!« erklärte der Kassierer gelassen.

»Well, es muss noch ein Dritter um die Kombination gewusst haben. Wie wäre sonst der Kassenschrank geöffnet worden, da ja keine Gewalt angewendet wurde? Wie oft wird die Kombination gewechselt?«

»Zweimal wöchentlich. Das letzte Mal gestern nach Geschäftsschluss.«

»Wissen Sie, wer gestern das Lokal zuletzt verlassen hat?«

»Mr. Wilson und ich waren noch allein anwesend, nachdem der Wachmann seien Dienst angetreten hatte. Ich blieb absichtlich zurück, damit keiner der Angestellten Zeuge davon werden sollte, wie ich die 350.000 Dollar in den Schrank legte. Damit auch Pike nichts davon merkte, schickte ich ihn ganz nach hinten, um mir ein Glas Wasser zu holen. Mr. Wilson glaubte ich noch hier in seinem Privatbüro. Wie ich dann aber nachsehen ging, war er nicht mehr anwesend. Ich muss sein Fortgehen übersehen haben.«

»Sie gingen dann auch gleich?«

»Nachdem Pike und ich vergeblich hier an die Tür gepocht hatten. Pike verschloss die Tür hinter mir, und ich hörte noch, wie er den Alarm anstellte.«

»Hat denn die Bank keinen anderen Ausgang?«

»Keinen. Schon aus Sicherheitsgründen haben wir nur den Straßenausgang.«

Nick dachte eine Weile nach. »Was halten Sie von Pike?«, fragte er dann.

»Er ist ehrlich und unbestechlich. Er arbeitete zehn Jahre unter mir, und ich ließ nicht locker, bis ich ihn vor Jahresfrist für uns gewinnen konnte.«

»Er ist also absolut unverdächtig?«

»Ich bürge für ihn. Zudem hatte er keine Ahnung vom Inhalt des Tresors.«

»Wissen Sie das so genau?«

Maynes nickte. »Nur Mr. Wilson und ich wussten, wo die Summe aufbewahrt lag.«

»Sie behaupten das mit einer Bestimmtheit …«

»Zu der ich berechtigt bin!«, fiel der Kassierer lebhaft ein. »Ich scheute keine Mühe, um sämtliche Bankangestellte über das Vorhandensein der Summe und deren Aufbewahrungsort in Unwissenheit zu lassen.«

»Aber warum machten sie sich so viele Umstände? Sie sagten doch, dass Sie allen unbedingt vertrauen können!«, wendete Nick ein.

Maynes schwieg eine volle Minute, offenbar unschlüssig, was er antworten sollte, und der Detektiv wartete geduldig. Dann sagte der Kassierer: »Well, ich wünschte für den Fall eines Einbruchs die Bankangestellten vor jeglichem Verdacht zu bewahren.«

»Eine vortreffliche Antwort!«, bemerkte Nick lächelnd. »Doch wissen Sie auch, Verehrtester, dass mich dieses auf Ihre Ansicht von dem eigentlichen Sachverhalt zurückbringt? Hand aufs Herz, Sie witterten halb und halb, dass ein Einbruch geschehen würde!«

»Aber Mr. Hopkins …«

»Nein, nein, Mr. Maynes, handeln Sie als der Ehrenmann, der Sie sind …«

»Nicht weiter, Mr. Hopkins, ich kann Ihnen hierauf nicht antworten!«

»Aber als Ehrenmann müssen Sie mir antworten!«, drängte Nick weiter. »Sie halten den Wächter für so unschuldig wie den Policeman Mullen. Wollen Sie nun dazu beitragen, dass durch Ihr Schweigen unabsehbares Elend über diese Männer und ihre Familien gebracht wird?«

Maynes erbleichte. »Um Gottes willen!«, hauchte er.

»Dann frage ich Sie, Mann zu Mann, sind Sie selbst bei diesem Einbruch beteiligt?«

»Herr, ich …«

Doch mit einer beschwichtigenden Handbewegung beruhigte Nick den Aufbegehrenden. »Ich habe Sie unumwunden gefragt und erwarte eine klare Antwort!«

»Nun denn: Nein und tausendmal nein!«, versetzte der Kassierer stolz.

»Sie haben zweifellos einen Hilfskassierer. Vermögen Sie auch für ihn zu bürgen?«

Maynes lächelte schwach. »Da er zufällig mein Bruder ist, wir im gleichen Haus leben und gemeinsam in unserem Gärtchen seit heute früh fünf Uhr tätig waren … Ein Zimmergarten natürlich, dessen Wartung uns viel Mühe macht«, setzte er erläuternd hinzu, »… wie gesagt, aus all diesen Gründen bürge ich für ihn!«

»Well. Nun enthalten Sie mir auch nicht länger Ihre Meinung über den anderen Mann vor, der außer Ihnen noch über das Vorhandensein und den Aufbewahrungsort des Geldes unterrichtet war!«, forderte Nick in strengem Ton.

Maynes wurde verwirrt. »Das kann ich nicht … Eine solche Antwort würde …«

»Mein lieber Herr, Sie müssen sagen, was Sie wissen, das sind Sie Ihrer eigenen Ehre schuldig!«

»Aber – hm, die Einbrecher wussten vielleicht gar nichts von dem Vorhandensein der Summe … Der Zufall hat vielleicht gespielt und …«

»Hol der Teufel den Zufall!«, rief Nick eifrig. »Ehrlich gesprochen, halten Sie einen solchen Zufall für möglich?«

Maynes holte tief Atem. »Nein!«, sagte er dann fest.

»Dann heraus mit Ihrem Verdacht!«

»Well, Mr. Hopkins, mit Ihren geschickten Fragen haben Sie sich schon längst Gewissheit über meinen Verdacht verschafft. Ich will nur eines sagen. Sehen Sie das Ruhebett dort in der Ecke?«

Dann, als Nick erstaunt seinem Blick folgte, sah er in einer Nische halb verborgen eine Ottomane.

»Überzeugen Sie sich«, fuhr der Kassierer fort. »Durch die Glastür hier kann man das Ruhebett nicht sehen und ebenso wenig einen etwa darauf Liegenden. Als ich mich gestern Abend nach Mr. Wilson umsah, fand ich die Tür verschlossen, und auf mein Pochen erhielt ich keine Antwort. Ich musste annehmen, dass ich Mr. Wilsons Fortgang übersehen hatte. Doch ich gestehe freimütig, ganz wohl war mir schon gestern Abend nicht bei der Sache. Kurz nach sieben Uhr heute Morgen wurde ich von der einen Schutzgesellschaft durchs Telefon angerufen und bedeutet, mich sofort zu der Bank zu begeben, da eingebrochen worden sei.«

Nick schaute ihn erwartungsvoll an. »Und weiter?«

»Mein Erstes war, mich hierher zum Privatbüro zu begeben und zuzuschauen, ob der Chef schon anwesend sei. Das war nicht der Fall. Doch die Tür dort, zu welcher nur der Präsident einen Schlüssel besitzt, war unverschlossen, und auf jener Stelle des Bodenteppichs lag ein Zeitungsblatt, das gestern Abend, als ich mich nach Mr. Wilson umschaute, noch nicht dagelegen hatte … nicht dagelegen haben konnte!«, setzte er mit besonderer Betonung hinzu. »Denn dieses Blatt ist die früheste Morgenausgabe der World vom heutigen Tag und nicht vor fünf Uhr erschienen … Ich nahm die Zeitung an mich … Hier ist sie!«

Gelassen nahm Nick das Blatt zur Hand; doch seine Kaltblütigkeit war nur äußerlich, denn innerlich zitterte er vor Erregung. Er warf einen Blick auf die Titelseite … 10. November, las er. »Schön!«, versetzte er, das Blatt einsteckend und dem Kassierer die Hand reichend. »Ich danke Ihnen, Mr. Maynes, Sie haben der Gerechtigkeit eine entscheidende Trumpfkarte in die Hand gegeben! … Nichts weiter jetzt!«, unterbrach er sich. »Durch die Glastür sehe ich Mr. Wilson zurückkommen … Lassen Sie die Gehaltsliste hier. Sie und Ihr Bruder begeben sich nach Geschäftsschluss zum Broadway-Zentralhotel, das liegt dem Polizeihauptquartier wohl am nächsten. Bleiben Sie dort in der Nähe des Fernsprechers, bis ich Sie anrufe … Wollen Sie das tun?«

»Ich werde mich mit meinem Bruder dort zu Ihrer Verfügung halten!«

»Sehr schön … Nun stehen Sie auf, denn unser Mann kommt … Ach, Mr. Wilson!«, empfing er den wieder Eintretenden. »Sie kommen gerade zurecht … Sehr verbunden über Ihre freundliche Auskunftserteilung!«, wendete er sich verabschiedend dem Kassierer zu. »Die Liste lassen Sie wohl noch etwas hier … Ich möchte sie auch mit Ihrem Herrn Präsidenten durchgehen!«

»Nun, Mr. Hopkins, konnte Maynes Ihnen zur Hand gehen?«, erkundigte sich der Präsident mit einem vieldeutigen Lächeln, als der Kassierer sich entfernt und er selbst dem Detektiv gegenüber wieder Platz genommen hatte.

Nick schien ärgerlich. »Ich bin enttäuscht«, räumte er ein. »Ihr Kassierer mag eine große Kapazität im Finanzfach sein … Im praktischen Leben ist er schlimmer als ein Kind, er scheint aller Welt unbegrenzt zu vertrauen!«

Wilson lachte kurz auf. »Allerdings! Das ist sein größter Fehler … Ein unübertrefflicher Fachmann, doch als Mensch äußerst harmlos. Da er die Ehrlichkeit selbst ist, will es ihm nicht in den Kopf, dass andere Leute stehlen können, hahaha! … Doch was unsere Angestellten anbelangt, so pflichte ich seiner Ansicht unbedingt bei!«

»Und doch muss sich unter ihnen ein schwarzes Schaf befinden!«, versetzte der angebliche Londoner nachdrücklich.

»Ich muss Ihnen leider recht geben, so schrecklich der Gedanke mich auch anmutet!«, räumte Wilson ein.

Nick schlug das Buch auf, welches die Namen der Bankangestellten, deren Gehaltsbezüge und Adressen enthielt, und wohl eine halbe Stunde verwendete er dazu, die Liste gemeinsam mit dem Bankier durchzugehen. Endlich schlug er sie mit einem Seufzer zu.

»Es ist zum Verzweifeln, Mr. Wilson!«, versetzte er. »Man sollte meinen, Sie beschäftigen in Ihrer Bank nur Engel ohne Makel … Wissen Sie auch, dass Sie nur bei einem einzigen Namen mit der Urteilsabgabe zu zögern schienen, obwohl Sie auch bei ihm keinen direkten Zweifel aussprachen?«

»Um wen handelt es sich?«, entgegnete Wilson mit einem versteckten Lächeln. »Ich bin mir wirklich nicht bewusst, irgendwen verdächtigt zu haben!«

»Es handelt sich um Albert Maynes, Ihren Hilfskassierer.«

»Ah so … um den … Hm, ja, das heißt, es wäre unrecht, mein lieber Mr. Hopkins … Ich kann den Mann nicht verdächtigen, sondern … Hm, ich meine nur …«

»Ja, das meinte ich gerade auch!«, fiel der Detektiv trocken ein.

»Missverstehen Sie mich nicht!«, bat der Präsident, sich zu einem herzlichen Ton zwingend. »Ich tue dem Mann himmelschreiendes Unrecht … gewiss! Aber sehen Sie, er ist Hilfskassierer und die rechte Hand seines Bruders … Wenn er auch offiziell von der Geldsumme nicht mehr wusste als alle anderen Clerks … Schließlich bleiben Brüder doch immer Brüder … Und da mein Hauptkassierer über jeden Verdacht erhaben ist und natürlich auch ich …«

»Natürlich!«, fiel Nick im überzeugendsten Ton der Welt ein.

»Nun ja, da sehen Sie selbst … Ich kann mir nicht anders helfen … Doch da ein schwarzes Schaf vorhanden sein muss, so kann es sich nur um Albert Maynes handeln … Wenigstens ist dies mein Gefühl!«

»Es freut mich aufrichtig, dass wir auch hierin übereinstimmen!«, versetzte Nick in einem Ton, über dessen Ehrlichkeit der andere nicht im Zweifel sein konnte.

»Wie, so denken Sie auch, Mr. Hopkins …«

»Dass ich sehr gut daran tun werde, diesen Albert Maynes zu beschatten!«, fiel der Detektiv nachdrücklich ein. »Ich habe so eine Ahnung, als ob ich noch heute zu einer Verhaftung schreiten werde. Darum wäre es mir lieb, wenn ich mit Ihnen in telefonischer Verbindung bleiben könnte, um Sie erforderlichenfalls sofort zur Hand zu haben … Vielleicht verbringen Sie den Abend wieder im Hotel Vendome … Wenigstens glaube ich, Sie heute Mittag schon dort gesehen zu haben.«

»Da irren Sie sich«, entgegnete Wilson kopfschüttelnd. »Ich war schon vor neun Uhr vormittags hier in der Bank und habe sie seitdem mit keinem Schritt verlassen … Nicht einmal zum Essen bin ich gekommen … vor lauter Erregung!«

»Nun, wo werde ich mich da mit Ihnen in Verbindung setzen können?«

»Ich bleibe zuhause … Hier meine Adresse und die Telefonnummer.« Der Präsident warf einige Zeilen aufs Papier und händigte dieses dem Detektiv aus. »Wem gilt es denn?«, erkundigte er sich augenzwinkernd.

Nick lächelte behaglich. »Aus der Schule wird nicht geplaudert, Mr. Wilson. Es soll eine Überraschung für den betreffenden Herrn werden.«

»Daran zweifle ich nicht … Und Mullen?«

»Der befindet sich schon im Hauptquartier«, meinte Nick trocken.

Wilson pfiff leise vor sich hin. »Prompte Arbeit!« meinte er anerkennend. »Nun fehlen nur noch Wächter Pike und das Geld.«

»Unbesorgt, das beschaffe ich ebenfalls!« versicherte der Mann von Scotland Yard, der anscheinend das versteckte Lächeln des anderen gar nicht gewahrte. Er schien sich verabschieden zu wollen, blieb jedoch unter der Tür nochmals stehen.

»Es wäre keine schlechte Idee«, meinte er wie beiläufig, »wenn Sie mir diesen Albert Maynes noch auf einen Augenblick herschicken könnten. Ich möchte ihn mir genau ansehen.«

»Das können Sie draußen tun«, entgegnete Wilson, der sich inzwischen zum Fortgehen fertig gemacht hatte. »Wir kommen an seinem Pult vorüber.«

Er ließ den Detektiv an sich vorbeischreiten und schloss dann das Privatbüro von außen zu.

»Darf ich die Herren miteinander bekanntmachen?«, sagte er, als er die Box des Kassierers erreicht hatte. »Mr. Albert Maynes, unser Hilfskassierer … Mr. Robert Hopkins von Scotland Yard, London«, stellte er vor. »Mich selbst entschuldigen die Herren, denn ich habe ein Bedürfnis nach frischer Luft!«

Damit verließ er mit herablassendem Gruß die Bank, während Nick bei dem ihm vorgestellten stattlichen Vierziger zurückblieb und ihn wohlwollend ansah.

»Sagen Sie, Mr. Maynes«, sprach ihn Nick dann vertraulich an. »Wollen Sie mir bei der Entlarvung eines abgefeimten Halunken hilfreiche Hand leisten?«

»Wenn ich dazu imstande bin, so verfügen Sie über meine Dienste!«, lautete die prompte Antwort.

»Hm, wissen Sie auch, dass man Sie selbst erst vor wenigen Minuten verdächtigt hat?«

»Ich kann es mir denken!«, lautete die verächtliche Antwort. »Mein Bruder hier hat mir schon einen Fingerzeig gegeben, wo der niederträchtige Schurke zu suchen ist!«

»Schön, dann bleiben Sie in Gesellschaft Ihres Bruders im Broadway Centralhotel und warten Sie ab, bis ich Sie anklingle. Sie dürften nicht allzu lange zu warten haben!«

Mit einem Händedruck verabschiedete sich Nick Carter und verließ die Bank, um sich unverzüglich zum Polizeihauptquartier zurückzubegeben.