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Amerika – Abenteuer in der Neuen Welt – Folge 5

Jörg Kastner
Amerika – Abenteuer in der Neuen Welt
Folge 5
Attentat auf Abraham Lincoln

Abenteuer, Heftroman, Bastei Verlag, Köln, 66 Seiten, 1,90 €, Neuauflage vom 21.08.2018

Kurzinhalt:
Amerika liegt im Bürgerkrieg; Nord- und Südstaaten bekämpfen einander mit aller Härte und jeder Kriegslist. Bislang hatten die drei Freunde Glück, nicht mitten ins Kampfgeschehen zu geraten.
Das ändert sich nun. Ein Rebellentrupp des Südens vermutet Präsident Abraham Lincoln auf dem Dampfer, mit dem Jacob, Martin und Irene ihre Reise fortsetzen. Bei einer Untiefe des Ohio gerät das Schiff in einen Hinterhalt.
Es gibt viele Tote. Die Freunde werden getrennt. Und finden sich mitten in einem sinnlosen Krieg wieder, der nicht nach Schuld oder Unschuld fragt …

Leseprobe

Das Kanonenboot USS RAVAGER schaufelte sich mit seinem gewaltigen Heckrad aus Gusseisen und Holz durch die Fluten des unteren Ohio, kurz hinter der Mündung des Wabash. Es war ein sonniger und scheinbar friedlicher Junimorgen des Jahres 1863. Bis auf die drei Geschütze hinter den Eisenplatten am Bug des Heckraddampfers und die blauen Marineuniformen der Besatzung deutete nichts darauf hin, dass sich das Land im Krieg befand.

Die drei zivil gekleideten Menschen, zwei Männer und eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm, die auf dem Promenadendeck standen und sich die bewaldeten Ufer betrachteten, verstärkten noch das Bild einer friedlichen Flussfahrt. Niemand an Bord ahnte, dass im dichten Grün des Unterholzes der Tod lauerte.

Dort versteckten sich uniformierte Männer. Einer von ihnen beobachtete den Fluss durch ein Fernrohr. Als er das hölzerne Schiff als die RAVAGER identifizierte, schob er das Rohr zu­sammen und steckte es in das Leder­futteral an seiner Hüfte. Dann gab er einem hundertfünfzig Yards entfernt stehenden Mann mit den Händen ein Zeichen, das dieser an einen anderen Mann weitergab. So pflanzte sich das Signal durch die Postenkette fort, bis es den Haupttrupp der Uniformierten etwa eine Meile flussabwärts erreichte. Die Posten gaben ihre Stellungen auf und liefen im Schutze des Unterholzes zum Haupttrupp.

Die drei deutschen Auswanderer auf dem Promenadendeck bemerkten davon ebenso wenig etwas wie Lieute­nant Leonard Slyde, Kommandant der RAVAGER, oder seine Männer. Slyde trat in seiner sauberen, blitzblanken Uniform neben die Deutschen, ver­schränkte die Hände auf dem Rücken und sog tief die würzige Luft in seine Lungen.

»Ein schöner Fluss, unser alter Ohio, nicht wahr?«

»Ja«, bestätigte Jacob Adler. »Wenn man es nicht gerade mit Schlägern, Messerstechern, Waffenschmugglern und Flusspiraten zu tun hat.«

Die erst wenige Tage zurückliegen­den Ereignisse waren noch deutlich in seiner Erinnerung. Vivian Marquand, die Frau eines Frachtagenten, hatte ihn und seinen Freund Martin Bauer in Pittsburgh angeheuert, die Ladung auf dem Frachtdampfer ONTARIO zu begleiten. Aber statt Fleischkonserven befanden sich Revolverkanonen samt Munition in den Kisten. Sie waren für die in Vicksburg eingeschlossenen Süd­staatler bestimmt und sollten durch die Linien der Nordstaatler geschmuggelt werden.

Als der Plan aufzufliegen drohte, hatte Max Quidor, der Hintermann der Waffenschieber, die ONTARIO ge­kapert, an deren Bord sich noch Irene Sommer und ihr kleiner, anderthalb Monate alter Sohn Jamie befanden. Jacob und Martin waren an Bord der RAVAGER gewesen, als das Kanonen­boot die Verfolgung aufnahm. Bei der entscheidenden Auseinandersetzung explodierten die Munitionskisten an Bord der ONTARIO, und das Schiff sank, riss Quidor und Vivian Marquand mit sich in den Fluss.

Jacob, Martin, Irene und Jamie wa­ren mit der RAVAGER nach Louisville zurückgekehrt. Dort blieben sie ein paar Tage, um den Wissensdurst der Militärbehörden zu stillen und sich von den Strapazen zu erholen. Irene und ihr Sohn waren sehr mitgenommen und hatten sich im Wasser des Ohio eine Erkältung eingefangen.

Sie hörten, dass Alec Marquand, Vivians Mann, sich in Pittsburgh dem Zugriff der Armee entzogen hatte und untergetaucht war. Er blieb ebenso ver­schwunden wie die Leichen von Max Quidor und Vivian Marquand, die der Ohio auf ewig verschluckt zu haben schien. Aber an ihrem Ableben konnte kaum ein Zweifel bestehen. Quidor war von Mrs. Marquand in den Rücken ge­schossen worden, und sie war wenige Sekunden später über Bord gestürzt, wahrscheinlich von explodierender Munition getroffen.

Als sich Jacob, Martin und Irene nach einer Passage bis nach Cairo er­kundigten, wo der Ohio in den mäch­tigen Strom des Mississippi mündete, waren sie ebenso überrascht wie er­freut über Lieutenant Slydes Ange­bot gewesen, mit der RAVAGER nach Cairo zu fahren. Zwar beförderte das Kanonenboot in der Regel keine Pas­sagiere, aber Slyde hatte gemeint, nach den Verdiensten der Deutschen bei der Überrumpelung der Flusspiraten hätten sie sich eine kostenlose Fahrt auf dem Kanonenboot verdient. Sie hatten nur sehr überstürzt aufbrechen müssen, weil die RAVAGER Louisville aus Gründen, die die Deutschen nicht kannten, noch vor Morgengrauen ver­lassen musste.

Das war jetzt zwei Tage her, in denen die RAVAGER, mit dem Strom schwim­mend, gut vorangekommen war. Slyde teilte den Auswanderern mit, das Kano­nenboot würde spätestens im Laufe des nächsten Tages in Cairo einlaufen. Den Deutschen war das nur recht, wollten sie doch so schnell wie möglich eine Passage den Mississippi hinauf buchen, um von dort weiter nach Westen zu reisen, wo sie sich einem Oregon-Treck anschließen wöllten.

In Oregon, dem Land jenseits der Rocky Mountains, suchte Irene Carl Dilger ihren Geliebten und Vater ihres Kindes. Martin wollte sich dort als Farmer niederlassen. Jacob, der mehr für Irene empfand als es ein bloßer Freund durfte, wollte sie sicher bei Dilger abliefern und dann weiter nach Texas reisen, wo er seinen Vater und seine Geschwister zu finden hoffte.

»Unternehmen Sie öfter solche Spa­zierfahrten auf dem Ohio, Lieutenant?«, fragte Jacob, dem die friedvolle Ruhe nach all den gefährlichen Abenteuern fast unheimlich erschien.

»Eine Spazierfahrt ist es nicht. Wie Sie am eigenen Leib erlebt haben, treibt sich allerhand Gesindel – Schmuggler, Deserteure und Saboteure – am Fluss herum. Nur durch ständige Präsenz können wir sie von ihren Untaten ab­schrecken.«

Slyde sah hinauf zum Ruderhaus, das auf der Brücke über dem gesamten Schiff thronte und an Höhe nur von den beiden Schornsteinen übertroffen wurde, aus denen dunkle Rauchfahnen aufstiegen und sich nur langsam im blauen Himmel verloren. »Ich muss jetzt auf die Brücke. Gleich erreichen wir die Bedford-Bänke, eine Reihe von Un­tiefen, schwieriges Gewässer. Und kurz dahinter kommen Stromschnellen.«

Der Marineoffizier wandte sich um und ging zu der Treppe, die hinauf zur Brücke führte. Er war froh, mit seinen Passagieren nicht weiter über Sinn und Zweck der Flussfahrt diskutieren zu müssen.

Slyde war ein aufrichtiger Mann und hasste es, Menschen belügen zu müssen oder ihnen einen Teil der Wahrheit zu verheimlichen, was auf dasselbe herauskam. Er durfte den Deutschen nicht sagen, dass ihr nächtliches Betre­ten der RAVAGER und das Auslaufen vor Sonnenaufgang wichtig für die Aufgabe gewesen war, die man dem Kanonenboot übertragen hatte. Seine Vorgesetzten hatten es ihm untersagt und ihm selbst nichts Genaues über die Mission mitgeteilt.

Eine Mission, auf der die RAVA­GER eine Art Lockvogel spielte, so viel wusste der Lieutenant immerhin. Er sollte unterwegs Augen und Ohren offenhalten und auch mit einem Über­fall rechnen, hatte man ihm gesagt. Aber wer diesen Überfall ausführen würde und weswegen, darüber hat­ten sich seine Vorgesetzten in tiefes Schweigen gehüllt.

Wegen dieser Gefahr, die ständig über dem Schiff schwebte, hatte er die Passagiere nur ungern an Bord ge­nommen, besonders die Frau und ihr kleines Kind. Aber seine Vorgesetzten hatten darauf bestanden. Zum Glück war bis jetzt alles gut gegangen.

Slyde hoffte, auch noch den letzten Tag der Reise ohne Zwischenfälle zu überstehen, als er über den schmalen Aufgang das Ruderhaus betrat, um Mr. Rodney, dem Rudergänger, beim Durch­fahren der Untiefen zu helfen, die jetzt vor dem Bug der RAVAGER auftauchten.

Der erfahrene Schiffskommandant gab dem Rudergänger Anweisungen für eine geringfügige Kurskorrektur. Die RAVAGER sollte noch ein kleines Stück weiter ans Steuerbordufer fahren, um die Untiefen möglichst gefahrlos zu umgehen. Die Sandbänke erhoben sich in der Mitte des Flusses und reichten mit vereinzelten Ausläufern bis ans Backbordufer. Indem man dicht am Steuerbordufer entlangfuhr, wählte man den gefahrlosesten Weg.

Das dachte Lieutenant Slyde zu­mindest. Er konnte nicht ahnen, dass er sein Schiff direkt ins Verderben lenkte.

 

*

 

Auf der Höhe der Bedford-Bänke kauerte ein junger, nicht besonders großer Mann in der Uniform eines Captains hinter einem Felsblock und beobachtete das sich nähernde Schiff durch ein Fernrohr. Als er es absetzte, blickten seine blauen Augen skeptisch einen kleinen, untersetzten, bebrillten Mann an, der vor einem kastenförmigen Sprengzünder am Boden hockte.

»Da kommt die RAVAGER. Sind Sie sicher, dass Sie die Torpedos auf elektrische Weise zünden können, auch unter Wasser?«

Der Mann mit der Brille blickte zu ihm auf. »Keine Sorge, Captain. Die Drähte sind bestens isoliert. Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal.«

»Wären Kontaktzünder nicht siche­rer gewesen?«

Der Bebrillte schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Im Fluss treibt allerhand Zeugs herum, Baumstämme und so weiter. Es braucht nur etwas davon gegen einen Kontaktzünder zu kommen und wumm! Dann wäre unsere ganze schöne Überraschung dahin.«

Der Captain nickte und sah trotz­dem besorgt aus. Er wusste, dass von seiner Mission unendlich viel abhing. Es lag an ihm, den Bürgerkrieg zu ent­scheiden. Mit dem Überfall auf die USS RAVAGER konnte die Sache des Südens, die nicht mehr so rosig aus­sah wie noch vor ein paar Monaten, mit einem Schlag zum Sieg geführt werden. Und – was ihm viel wichtiger war – sein ganz persönlicher Ruhm würde ins Unermessliche steigen.

Als das Kanonenboot den Fluss vor ihm ausfüllte, schob er das Glas zusam­men und zog sich ins Gehölz zurück. Die RAVAGER fuhr nah am Ufer, und ein aufmerksamer Beobachter auf dem Schiff hätte ihn hinter dem Felsen mit bloßen Augen sehen können.

Das Schiff war jetzt auf einer Höhe mit den Uniformierten. John Keller- man, der bebrillte Sprengstoffexperte, gab ein paar Männern ein Zeichen, und sie zogen das dicke Seil mit den Tor­pedos straff. Das andere Seilende war an einem eisernen Pfahl befestigt, den die Männer tief in eine der Sandbänke gerammt hatten.

Der Captain zog einen seiner beiden schweren Revolver aus dem Holster und gab damit seinen Leuten einen Wink, ihre Karabiner und Revolver schuss­bereit zu halten.

Der flache Rumpf der RAVAGER glitt über das Seil hinweg, an dem die vier Torpedos befestigt waren. Die Augen hinter Kellermans runden Brillenglä­sern glitzerten, als er den Zündstab in die Zündkammer drückte. Der elektri­sche Impuls jagte in Sekundenbruch­teilen durch die Leitung und …

Quelle:

  • Jörg Kastner: Amerika – Abenteuer in der Neuen Welt. Band 5. Bastei Verlag. Köln. 21.08.2018