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Die Skalpjäger – Geographie und Geologie

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Zweiter Teil
Zweites Kapitel
Geographie und Geologie

Wir ruhten länger als eine Stunde in dem kühlen Schatten, während sich unsere Pferde an dem Gramagras, welches üppig in unserer Nähe wuchs, erquickten. Wir unterhielten uns über die eigentliche Gegend, in welcher wir reisten – die in ihrer Geographie, ihrer Geologie, ihrer Botanik und ihrer Geschichte, – kurz, in jeder Beziehung eigentümlich ist.

Ich kann behaupten, ein Reisender aus Profession zu sein. Ich fühlte ein gewisses Interesse, etwas über die wilden Landstriche, die sich auf Hunderte von Meilen um uns erstreckten, zu erfahren, und ich wusste, dass es keinen lebenden Menschen gab, der so fähig war, mir Belehrung zu erteilen, wie derjenige, mit welchem ich jetzt sprach.

Meine Reise am Fluss hinab hatte mich nur wenig mit ihren Merkwürdigkeiten bekannt gemacht. Ich war, wie bereits erzählt, zu jener Zeit fiebrig und erinnerte mich an die verschiedenen Gegenstände nur, als ob ich ihnen in einem unruhigen Traum begegnet wäre. Mein Kopf war jetzt klar, und die hier milden und südlichen, dort wilden, öden und malerischen Gegenden, durch welche wir reisten, machten einen mächtigen Eindruck auf meine Phantasie. Auch die Bekanntschaft damit, dass Teile dieser Gegend von den Anhängern des Cortez bewohnt gewesen waren, wie noch eine Menge von Ruinen bezeugen, dass sie ihren alten, wilden Herren zurückgegeben waren, und der daraus folgende Schluss, dass diese Rückgabe die Folge so mancher tragischen Szene gewesen war, versenkte mich in romantische Gedanken, die nach der Befriedigung durch die Kenntnis der Wirklichkeit, welche sie veranlasst hatten, schmachteten. Seguin war mitteilsam. Sein Lebensmut war hoch gestiegen, seine Hoffnungen waren elastisch. Die Aussicht, wieder sein lange verlorenes Kind zu umarmen, flößte ihm gewissermaßen neues Leben ein. Er hatte sich, wie er sagte, seit vielen Jahren nicht so glücklich gefühlt.

»Es ist wahr«, sagte er auf eine Frage, die ich ihm gestellt hatte, »man weiß von dem Landstrich jenseits der Grenzen der mexikanischen Ansiedlungen nur wenig. Diejenigen, welche einst die Gelegenheit besaßen, ihre geographischen Eigentümlichkeiten zu berichten, haben die Aufgabe unerfüllt gelassen. Sie waren zu sehr auf das Suchen von Gold bedacht, und ihre schwachen Abkömmlinge haben, wie Sie sehen, zu viel damit zu tun, einander zu berauben, um auf etwas anderes zu achten. Sie wissen von dem Land jenseits ihrer Grenzen nichts, und diese Grenzen ziehen sich täglich enger um sie zusammen. Alles, was sie davon wissen, ist die Tatsache, dass von dort ihre Feinde kommen, welche sie ebenso sehr fürchten, wie die Kinder Gespenster oder Wölfe.«

»Sie sind jetzt«, fuhr Seguin fort, »ziemlich in der Mitte des Kontinents – im Herzen der amerikanischen Sahara …«

»Aber«, unterbrach ich ihn, »wir können doch nicht mehr als einen Tagesritt südlich von New Mexiko sein. Das ist doch keine Wüste, das ist doch ein angebautes Land!«

»New Mexiko ist eine Oase – nichts mehr und nichts weniger. Die Wüste umgibt es auf Hunderte von Meilen. Ja, in manchen Richtungen können Sie vom Rio del Norte tausend Meilen reisen, ohne eine fruchtbare Stelle zu sehen. New Mexiko ist eine Oase, die ihre Existenz den befruchtenden Gewässern des Rio del Norte verdankt. Sie ist von den Grenzen des Mississippi bis zu den Küsten des Stillen Ozeans in Kalifornien die einzige Niederlassung von weißen Männern. Sie haben sich ihr durch eine Wüste genähert. War es nicht so?«

»Ja, als wir vom Mississippi zu dem Felsengebirge hinaufstiegen, wurde das Land allmählich unfruchtbar. Auf den letzten dreihundert Meilen konnten wir kaum Gras und Wasser finden, um unsere Tiere am Leben zu erhalten. Ist es aber nördlich und südlich von der Straße, welche wir bereist haben, ebenso?«

»Nördlich und südlich auf mehr als tausend Meilen, von den Ebenen von Texas bis an die Seen von Kanada, an dem Fuß des Felsengebirges und bis halbwegs zu den Niederlassungen am Mississippi. Es ist ein baumloses, vegetationsloses Land.«

»Im Westen des Gebirges?«

»Eine fünfzehnhundert Meilen lange und wenigstens halb so viele Meilen breite Wüste. Die Gegend im Westen ist von einem anderen Charakter. Sie ist in ihren Umrissen gebrochener, bergiger und in ihrem Aussehen womöglich unfruchtbarer. Das vulkanische Feuer ist hier tätiger gewesen, und wenn das auch vor Jahrtausenden geschehen sein mag, so sehen die vulkanischen Felsen an vielen Stellen noch gerade so aus, als ob sie erst vor Kurzem aufgehoben worden wären. Keine Vegetation, keine klimatische Einwirkung hat merklich die Farbe der Lava und Schlacken verändert, womit an einigen Stellen die Ebenen weit und breit bedeckt sind. Ich sage, keine klimatische Einwirkung, denn in dieser Zentralgegend des Kontinents existiert nur sehr wenig Derartiges.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Was ich meine, ist, dass nur geringe atmosphärische Veränderungen vorkommen. Es ist eine stete Dürre, es stürmt oder regnet nur selten. Ich kenne Distrikte, wo in Jahren kein Regentropfen gefallen ist.«

»Und können Sie diese Erscheinung erklären?«

»Ich habe meine Theorie. Sie wird die gelehrten Meteorologen vielleicht nicht befriedigen, aber ich will sie Ihnen mitteilen.«

Ich hörte ihn aufmerksam an, denn ich wusste, dass mein Gefährte ein Mann sowohl der Wissenschaft als auch der Erfahrung und Beobachtung war. Gegenstände von dem Charakter derjenigen, über welche wir sprachen, hatten stets großes Interesse für mich gehabt.

Er fuhr fort: »Ohne Dünste in der Luft kann es keinen Regen geben, ohne Wasser auf der Erde, welches sie erzeugt, kann es keine Dünste in der Luft geben. Hier befindet sich keine große Wasserfläche.

Dies ist auch unmöglich. Die ganze Wüstengegend ist eine Hochebene. Wir stehen jetzt beinahe sechstausend Fuß über der Wasserfläche. Daher sind die Quellen nur selten und müssen nach den Gesetzen der Hydraulik durch ihre eigenen Gewässer oder die einer noch höheren Gegend, welche auf dem Kontinent nicht existiert, genährt werden.

Könnte ich ungeheure Seen in dieser Gegend erschaffen, die von den sie durchschneidenden hohen Bergen eingeschlossen würden – und solche Seen haben anfänglich existiert – könnte ich diese Seen erschaffen, ohne ihnen einen Abfluss zu geben, ohne sie selbst von dem kleinsten Bächlein abziehen zu lassen – so würden sie sich im Lauf der Zeit in den Ozean entleeren und alles, wie es jetzt ist; das heißt wüst, zurücklassen.«

»Aber wie? Durch Verdunstung?«

»Im Gegenteil. Die Abwesenheit der Verdunstung würde der Grund ihrer Entleerung sein. Ich glaube, dass es so gewesen ist.«

»Ich kann das nicht verstehen.«

»Es ist einfach so: Diese Gegend besitzt, wie ich gesagt habe, eine große Höhe und in Folge davon eine kühle Atmosphäre und eine weit geringere Verdunstungsfähigkeit, als diejenige, welche das Wasser des Ozeans in die Höhe zieht. Nun würde durch Winde und Luftströme ein Austausch des Dunstes zwischen dem Ozean und diesen Hochseen stattfinden, denn nur auf diese Weise kann Wasser bis in dieses Binnenplateau dringen. Dieser Austausch würde sowohl wegen ihrer geringen Verdunstung als auch aus anderen Gründen zugunsten der Binnenseen ausfallen. Wir haben nicht die Zeit dazu, sonst könnte ich Ihnen dies demonstrieren. Ich bitte Sie daher, es zuzugeben und nach Muße zu durchdenken.«

»Ich sehe die Wahrheit davon ein.«

»Was folgt daraus? Diese Seen würden sich allmählich bis zum Überfluss füllen. Das erste kleine Bächlein, welches von ihnen herabsickert, würde das Zeichen zu ihrer Zerstörung geben. Es würde seinen Kanal über den Rand des hohen Berges aushöhlen, anfangs winzig, aber mit jedem folgenden Regenschauer tiefer und breiter, bis nach vielen Jahren, Menschenaltern, Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden ein großer Schlund wie dieser«, hier deutete Seguin auf den Canyon und die dürre Ebene dahinter, »allein zurückbleiben würden, um den Geologen zu verblüffen.«

»Und Sie denken, dass die Ebenen, welche zwischen den Anden und den Felsengebirgen liegen, trockene Seebetten sind?«

»Ich bezweifle es nicht. Seen, die sich nach der Erhöhung der Flüsse, der Gebirge, welche sie einschlossen, gebildet, durch vom Ozean gewonnenen Regen gebildet hatten, anfangs seicht waren, dann tiefer wurden, bis sie sich zum Niveau ihrer Gebirgsschranken erhoben und sich, wie ich beschrieben habe, den Weg zum Ozean zurückbahnten.«

»Aber ist nicht einer von diesen Seen immer noch vorhanden?«

»Ja. Der große Salzsee, er liegt nordwestlich von uns. Nicht bloß einer, sondern ein System von Quellen und Flüssen, sowohl salzige als auch süße. Diese haben keinen Abfluss zum Ozean, sie sind durch Hochland und Gebirge umschlossen und bilden ein vollständiges geographisches System.«

»Zerstört das Ihre Theorie nicht?«

»Nein, das Becken, in welchem dieses Phänomen existiert, ist auf einem tieferen Niveau, als die meisten von den wüsten Hochebenen. Seine Verdunstungsfähigkeit ist dem Einfluss seiner Gewässer gleich und neutralisiert daher ihre Wirkung, das heißt, es gibt im Austausch von Dunst mit dem Ozean ebenso viel, wie es empfängt. Dies kommt nicht von seiner niedrigen Lage, sondern von der eigentümlichen Neigung der Berge, die die Gewässer in seinen Schoß führen. Versetzen Sie es unter sonst gleichen Umständen in eine kältere Gegend, und es würde mit der Zeit einen Kanal zu seiner Entwässerung durchreißen. So ist es beim Kaspischen Meer, dem Aralsee und dem Toten Meer gegangen. Nein, mein Freund, die Existenz des Salzsees unterstützt meine Theorie. Um seine Ufer liegt ein fruchtbares Land – fruchtbar durch die schnelle Rückkehr seiner Gewässer, die es mit Regen befeuchten. Es hat nur einen beschränkten Umfang und kann keinen Einfluss auf die ganze wüste Gegend üben, die wegen ihrer großen Entfernung vom Ozean dürr und unfruchtbar daliegt.«

»Aber schweben nicht die vom Ozean aufsteigenden Dünste über die Wüste?«

»Allerdings bis zu einem gewissen Grad, wie ich schon gesagt habe, sonst würde es hier keinen Regen geben. Mitunter werden sie durch außerordentliche Ursachen, wie durch starke Winde, in großen Massen bis in das Herz des Festlandes geführt, dann haben wir Stürme, und zwar furchtbare. Gewöhnlich ist es aber, sozusagen, nur der Saum einer Wolke, welcher so weit reicht. Dieser gewährt in Verbindung mit der eigenen Verdunstung der Gegend, das heißt der von ihren eigenen Quellen und Flüssen – allen darauffallenden Regen. Große, vom Stillen Ozean aufsteigende Dunstmassen stoßen auf ihrem Weg nach dem zuerst an die Küstenbergkette und geben dort ihr Wasser ab, oder sie sind vielleicht auch stärker erwärmt, schweben über die Gipfel dieser Berge hinweg und ziehen weiter. Hundert Meilen weiterhin werden sie von den hohen Gipfeln der Sierra Nevada aufgefangen und sozusagen gefesselt durch die Ströme des Sacramento und San Joaquin in den Ozean zurückgeführt. Nur der Saum dieser Wolken, wie ich es genannt habe, ist es, der noch höher steigt, der Anziehungskraft der Nevada entgeht, weiter schwebt und in der Wüste niederfällt. Was ist die Folge davon? Er ist kaum gefallen, als er auch über von dem Gila und Colorado dem Meer zurückgeführt wird, um sich von Neuem zu erheben und die Abhänge der Nevada zu befruchten, während die Überbleibsel einer anderen Wolke ihre geringen Massen über das dürre Hochland des Inneren führen, um sie an den Gipfeln der Felsengebirge in Regen oder Schnee abzugeben. Daher kommen die Quellen der östlich und westlich ziehenden Flüsse und die Oasen, wie die in diesem Gebirge liegenden Parks. Daher kommen auch die fruchtbaren Täler am del Norte und anderen durch dieses Zentralland gesäten Flüsse.

Die vom Atlantischen Ozean aufsteigenden Dunstwolken erleiden beim Zug über die Alleghanykette den ähnlichen Aufenthalt. Nachdem sie eine große Strecke des Erdumfanges durchmessen haben, senken sie sich in die Täler des Ohio und Mississippi herab. Auf allen Seiten dieses großen Kontinents wird, je näher sie der Mitte kommen, die Fruchtbarkeit bloß aus Wassermangel um so geringer. Der Boden besitzt an manchen Stellen, wo kaum ein Grashalm zu sehen ist, alle Elemente der Vegetation. Der Doktor hier wird Ihnen das bestätigen, er hat ihn analysiert.«

»Ja, ja, das ist wahr!«, bestätigte der Doktor ruhig.

»Es gibt viele Oasen«, fuhr Seguin fort, »und wo es Wasser gibt, um den Boden zu benetzen, ist eine üppige Vegetation die Folge davon. Sie haben dies ohne Zweifel bei der Reise am Fluss herab bemerkt, und dies war auch der Fall in den alten spanischen Niederlassungen am Gila.«

»Aber warum sind diese aufgegeben worden?«, fragte ich, denn ich hatte noch nie einen Grund für die Verödung jener einst blühenden Kolonie gehört.

»Warum?«, wiederholte Seguin mit eigentümlicher Energie. »Warum? Wenn nicht eine andere Rasse, als die iberische, von diesen Gegenden Besitz ergreift, so werden die Apachen, Navajo und Comanchen die von Cortez und seinen Siegern Besiegten, die Nachkömmlinge dieser Sieger wieder vom Boden Mexikos vertreiben.

Sehen Sie Sonora und Chihuahua an! Sie sind ganz entvölkert. Sehen Sie New Mexiko an. Seine Bürger leben nur geduldet, sie leben sozusagen, um das Land zu pflügen und die Herden zu füttern, und damit ihre eigenen Feinde, welche alljährlich ihre Raubzüge machen, zu ernähren. Aber kommen Sie, die Sonne sagt uns, dass wir weiter müssen. Kommen Sie. Steigen Sie auf, wir können hindurchgehen«, fuhr er fort. »Es ist in der letzten Zeit kein Regen gefallen und das Wasser steht tief, sonst würden wir fünfzehn Meilen weit über jenen Berg zu reiten haben. Halten Sie sich dicht an die Felsen und folgen Sie mir.«

Und mit dieser Ermahnung betrat er von mir, Godé und dem Doktor gefolgt den Canyon.