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Die Geschichte vom Werwolf Teil 18

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 18
Die Dame von Montgobert

Thibaut war in dem Schlafzimmer der Gräfin. Hatte ihn die Pracht der aus der Rumpelkammer des Herzogs von Orleans genommenen Möbel schon in Erstaunen gesetzt, so geriet er bei dem Anblick dieser geschmackvollen Eleganz in Entzücken. So etwas hatte der arme Waldbewohner nicht einmal im Traum gesehen. Man kann ja nicht von Dingen träumen, von denen man gar keinen Begriff hat.

Die beiden Fenster des Zimmers waren mit doppelten seidenen Vorhängen geschlossen. Bett und Toilette waren mit denselben Stoffen behängt und auch mit Spitzen besetzt. Die Tapeten waren ebenfalls von schwerem Seidenstoff. Der Plafond bestand aus einem von Boucher gemalten Medaillon, die Toilette der Venus darstellend. Die Liebesgötter empfingen aus den Händen ihrer Mutter die verschiedenen Teile einer weiblichen Rüstung. Aber da alles in den Händen der Liebesgötter war, so war Venus, mit Ausnahme ihres Gürtels, völlig entwaffnet.

Die Sessel, Fauteuils und Sofas waren mit demselben Stoff wie Bett und Vorhänge überzogen. Der blassgrüne Teppich war mit Bouquets von Kornblumen, Klatschrosen und weißen Maßlieben übersät. Die Tische waren von Rosenholz.

Das Zimmer war von sechs rosenfarbenen Wachskerzen matt beleuchtet und mit einem lieblichen Duft erfüllt. Aber dieser Duft war so schwach, so zart, dass man nicht sagen konnte, von welcher Essenz er herrührte.

Thibaut stand unweit der Tür still und staunte. Er glaubte in ein Paradies versetzt zu sein. Er zweifelte an der Wirklichkeit der Pracht, die er vor Augen hatte. Er fragte sich, ob es wirklich so glückliche Menschen gebe, dass sie solche feenhafte Gemächer bewohnten. War er nicht in einem Feenpalast? Und wenn es wirklich war, hätte er dann nicht lieber wünschen sollen, sein ganzes Leben der Schoßhund der Gräfin, als vierundzwanzig Stunden der Baron Raoul de Vauparfonds zu sein? Wie konnte er wieder Thibaut werden, nachdem er all dies gesehen hatte?

Während er sich diesen Betrachtungen überließ, ging die Tür auf und die Gräfin erschien. Sie war wirklich die Blume, die für dieses duftende Treibhaus passte. Das aufgelöste und nur durch einige Brillantnadeln zusammengehaltene Haar wallte auf die Schultern herab. Ihr vom Schnürleib beseelter schlanker Wuchs war deutlich sichtbar unter einem taffenen, mit Spitzen reich besetzten Schlafrock. Ihre kleinen zarten Füßchen waren mit feinen seidenen Strümpfen und gestickten Pantoffeln bekleidet.

Sie trug weder Armspangen noch Ringe, nur ihr Hals war mit einer Perlenreihe geschmückt.

Thibaut sank unwillkürlich auf die Knie, als er die wunderherrliche Erscheinung erblickte. Er beugte sich in Demut vor dieser Schönheit und vor diesem Luxus, der unzertrennlich mit derselben verbunden schien.

»Ja! Knien Sie nur nieder, küssen Sie mir die Füße, küssen Sie den Teppich, küssen Sie die Erde, ich werde Ihnen darum doch nicht verzeihen. Sie sind ein Unhold!«

»Es ist wahr«, erwiderte Thibaut. »Wenn ich mich mit Ihnen vergleiche, so bin ich noch etwas Schlimmeres.«

»O! Verstellen Sie sich nur, als ob Sie mich nicht verständen, als ob Sie glaubten, ich meinte nicht Ihren Geist, sondern Ihre äußere Erscheinung. Sie sollten allerdings ein Unhold an Hässlichkeit sein, wenn Ihr Gesicht der Spiegel Ihrer treulosen Seele wäre. Doch dem ist nicht so. Sie bleiben trotz Ihrer Untaten der schönste Kavalier weit und breit. Sie sollten sich schämen!«

»Dass ich der schönste Chevalier weit und breit bin?«, fragte Thibaut, der an dem Ton dieser Stimme wohl erkannte, dass sein Unrecht nicht unverzeihlich war.

»Nein, sondern dass Sie das freudloseste Herz haben, das unter einer glänzenden Hülle sich verbergen kann … Stehen Sie auf und geben Sie mir Rechenschaft von Ihrer schlechten Aufführung.«

Sie reichte ihm eine Hand, welche zugleich Verzeihung anbot und einen Kuss verlangte.

Thibaut fasste also die Hand und küsste sie.

Die Gräfin wies ihm einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich zuerst.

»Jetzt geben Sie mir Rechenschaft von der Verwendung Ihrer Zeit seit Ihrem letzten Besuch«, sagte die Gräfin.

»Vor allem, liebe Gräfin«, erwiderte Thibaut, »sagen Sie mir, wann der letzte Besuch stattgefunden hat.«

»Haben Sie es denn schon vergessen? Das ist zu arg! So etwas gesteht man nicht, wenn man es nicht auf einen Bruch abgesehen hat.«

»Im Gegenteil, liebe Jane, dieser Besuch ist mir so gegenwärtig, als ob er gestern stattgefunden hätte, und seit gestern bin ich mir keines Vergehens bewusst … Es müsste denn eine Sünde sein, beständig an Sie zu denken.«

»Nicht übel, aber mit einer Schmeichelei kommen Sie nicht davon.«

»Schöne Gräfin«, erwiderte Thibaut, indem er das halb schmollende reizende Köpfchen umschlang und an seine Lippen zog. »Wie wäre es, wenn wir die Erklärungen bis zu einer anderen Zeit aufsparten?«

Die Gräfin sträubte sich gerade genug, um nicht das Ansehen zu haben, als ob sie nachgäbe. Erst nachdem Thibauts Lippen ihre schönen Augen berührt hatten, stieß sie ihn zurück.

»Nein«, sagte sie, »erst antworten Sie. Ich habe Sie seit fünf Tagen nicht gesehen. Was haben Sie unterdessen getan?«

»Das müssen Sie mir sagen, Gräfin. Wie können Sie erwarten, dass ich mich selbst anklage, ohne mich einer Schuld bewusst zu sein?«

»Von Ihrem langen Verweilen in dem Korridor wollen wir gar nicht reden …«

»O ja, wir wollen davon reden. Wie können Sie glauben, dass ich, während mich ein kostbarer Diamant hier erwartet, unterwegs eine falsche Perle aufheben würde?«

»O, die Männer haben gar seltsame Launen, und Lisette ist so hübsch!«

»Sie werden doch einsehen, liebe Jane, dass ich dieses Mädchen, das unsere Vertraute ist und um alle unsere Geheimnisse weiß, nicht wie eine gemeine Magd behandeln kann.«

»Es muss in der Tat ein wohltuendes Gefühl sein, sich sagen zu können, ich betrüge die Gräfin Montgobert und bin der Nebenbuhler eines Cramoisi!«

»Gut, man wird sich nicht mehr in dem Korridor aufhalten, man wird Lisette nicht mehr küssen … angenommen, man habe sie geküsst.«

»O, das ist noch nichts!«

»Wie, ich habe noch etwas Schlimmeres getan?«

»Woher kamen Sie denn unlängst spät abends, als man Sie zwischen Erneville und Villers-Cotterets gesehen hat?«

»Wie, man hat mich gesehen?«

»Ja, auf der Straße unweit Erneville. Wo waren Sie gewesen?«

»Beim Fischfang. An den Teichen von Berval wurden gefischt.«

»So? Und was für einen Aal hatten Sie um zwei Uhr nach Mitternacht in Ihrem Netz?«

»Ich hatte bei meinem Freund, dem Baron Jean de Vez, gespeist.«

»Ich glaubte vielmehr, dass Sie die schöne Einsiedlerin getröstet hatten, die der eifersüchtige Wolfsjägermeister gefangen hält. Doch dies verzeihe ich Ihnen noch.«

»Wie, ich habe noch mehr verbrochen?«, sagte Thibaut, der sich zu beruhigen begann, als er sah, wie leicht ihm jedes Vergehen verziehen wurde.

»Ja, auf dem Ball beim Herzog von Orleans.«

»Auf welchem Ball?«

»Auf dem gestrigen; so weit wird doch Ihr Gedächtnis wohl zurückreichen?«

»Auf dem gestrigen Ball … habe ich Sie bewundert.«

»Mich, ich war ja gar nicht da!«

»Müssen Sie denn gegenwärtig sein, um von mir bewundert zu werden, Jane? Bewundert man denn nicht ebenso aufrichtig eine Erinnerung wie eine Wirklichkeit? Wenn Sie in der Abwesenheit durch den Vergleich triumphierten, so war der Sieg um so glänzender.«

»Ja, Sie haben den Vergleich aufs Äußerste getrieben. Sie haben viermal mit Madame Bonneuil getanzt. Sie finden sie also sehr schön, die Brünetten, die sich unverschämt schmücken und Augenbrauen haben wie die Chinesinnen auf meinem Ofenschirm und Schnurrbärte wie ein Gardist?«

»Wissen Sie, wovon wir während jener vier Contretänze sprachen?«

»Es ist also wirklich wahr, dass Sie viermal mit ihr getanzt haben?«

»Ja, es ist wahr. Sie sagen es ja.«

»Fürwahr, eine schöne Antwort!«

»Allerdings«, sagte Thibaut, indem er die Gräfin an sich zog und zärtlich ansah. »Wer würde so reizenden Lippen widersprechen? Ich gewiss nicht. Ich würde diesen Mund küssen, wenn er auch mein Todesurteil spräche.«

Thibaut schien dieses Todesurteil in der Tat nicht zu fürchten, denn nachdem er den reizenden Mund mit den Lippen berührt hatte, fiel er der Gräfin zu Füßen.

Die Gräfin war keine unbeugsame Richterin. Sie ließ ihre schönen Arme auf die Schultern ihres vermeinten Geliebten sinken. Sie selbst schien den Rest des nur flüchtig angedeuteten Kusses zu suchen. Ihre feuchten Augen nahmen einen schmachtenden Ausdruck an, und ihren halb geöffneten Lippen entschlüpfte ein vielversprechender Liebesseufzer. Thibaut glaubte sich genügend entschuldigt zu haben. Warum hätte er nicht die Verzeihung nehmen sollen, die man ihm nicht geben wollte?

Er warf einen trunkenen Blick auf das halb ohnmächtige reizende Wesen, welches jedoch in dem Schimmer der rosenfarbenen Kerzen nichts von der Farbenfrische des Gesichts verloren zu haben schien. Da ging die Tür auf und Lisette erschien ganz bestürzt.

»Ach, Herr Baron«, sagte sie, »fliehen Sie, der Herr Graf ist da!«

Die Gräfin sprang rasch auf.

»Wie, der Graf?«, fragte sie.

»Ja, in selbsteigener Person und in Begleitung seines Jägers Lestocq.«

»Unmöglich!«

»Nein. Es ist so, wie ich es sagte. Cramoisi hat beide gesehen. Der arme Mensch war ganz blass vor Schrecken.«

»So! Die angebliche Jagd im Wald von Thury war also eine Falle?«

»Wer weiß, Madame? O, die Männer sind so treulos!«

»Was ist zu tun?«, fragte die Gräfin.

»Ich erwarte den Grafen und stoße ihn nieder«, sagte Thibaut entschlossen.

»Sind Sie von Sinnen?«, entgegnete die Gräfin. »Nein, Raoul, Sie müssen fliehen … Lisette, führe den Baron durch mein Toilettezimmer.«

Die Zofe zog Thibaut trotz seines Sträubens mit sich fort.

Es war Zeit; man hörte Fußtritte auf der Haupttreppe. Die Gräfin hatte kaum Zeit, von dem vermeinten Raoul Abschied zu nehmen und in ihr Schlafzimmer zurückzukehren.

Lisette führte Thibaut rasche durch den Korridor, dessen anderes Ende von Cramoisi bewacht wurde, trat in ein Zimmer, aus diesem Zimmer in ein anderes, dann in ein Kabinett, welches in einen Eckturm führte.

Dort fanden die Fliehenden eine schmale Wendeltreppe, aber die Tür war verschlossen.

Lisette führte Thibaut wieder einige Stufen hinauf in ein kleines Zimmer, welches eine Bedientenstube zu sein schien. Sie öffnete das Fenster, Thibaut sprang hinaus in den Garten. –

»Sie wissen, wo Ihr Pferd ist«, rief ihm Lisette nach. »Reiten Sie geschwind fort, und halten Sie erst in Vauparfonds an.«

Thibaut hätte der Zofe gern für den guten Rat gedankt, aber sie war sechs Fuß über ihm, und es war keine Zeit zu verlieren.

Er eilte in das Gebüsch, in welchem das Schweizerhäuschen stand. Sein Pferd wieherte ihm entgegen, aber dieses Wiehern schien ein Klageton zu sein.

Thibaut trat in das Häuschen, streckte die Hände aus, berührte sein Pferd, ergriff die Zügel und schwang sich in den Sattel, ohne die Steigbügel zu suchen.

Das sonst so feurige, kräftige Tier wankte. Thibaut gab ihm die Sporen. Das Pferd wollte sich in Galopp setzen, aber kaum hatte es die Vorderfüße gehoben, so begann es wieder kläglich zu wiehern und sank nieder.

Thibaut sprang auf. Er erkannte nun, dass man dem Pferd die Sehnen durchgeschnitten hatte. Es blieb ihm daher nichts übrig, als das arme Tier zurückzulassen und zu Fuß den Rückweg anzutreten.

Er fand den Weg zur Maueröffnung und war schnell draußen.

Aber ein Mann trat ihm mit gezogenem Degen entgegen.

Thibaut erkannte den Grafen von Montgobert, und dieser glaubte Raoul von Vauparfonds zu erkennen.

»Ziehen Sie Ihren Degen, Baron!«, sagte der Graf.

Jede Erklärung war überflüssig, und überdies war Thibaut sehr ergrimmt gegen den Grafen, der ihm eine so schöne Beute entrissen hatte. Er zog daher seinen Hirschfänger.

Die Klingen kreuzten sich. Thibaut wusste sich mit dem Stock sehr gut zu wehren, aber von der Fechtkunst hatte er keinen Begriff. Er war daher sehr erstaunt, dass er sich gleichsam instinktmäßig ganz schulgerecht auslegte und die Stöße mit großer Gewandtheit parierte.

»Ja, ich erinnere mich«, sagte der Graf zähneknirschend, »dass Sie auf dem Fechtboden sogar St. Georges mit Ihrem Rapier berührt haben.«

Thibaut wusste nicht, wer St. Georges war, aber er fühlte in seiner Faust eine Kraft und Gewandtheit, dass er meinte, er würde selbst den Satan mit der Spitze seiner Klinge treffen.

Er hatte sich bis dahin auf das Parieren beschränkt, aber plötzlich nutzte er eine Blöße, die sich der Graf gab, fiel aus und stieß ihn durch die Schultern.

Der Graf ließ seinen Degen fallen und sank auf ein Knie nieder.

»Hierher, Lestocq!«, rief er.

Thibaut hätte seinen Hirschfänger wieder in die Scheide stecken sollen. Aber zum Unglück hatte er in seiner ersten Wut über die Verstümmlung des Pferdes den Entschluss gefasst, dem Grafen, wenn er ihn fände, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er bückte sich daher, schob die scharfe Klinge unter das Knie seines Gegners und zog sie an sich.

Der Graf stieß einen Schrei aus.

Aber Thibaut fühlte, während er sich abwandte, einen heftigen Schmerz zwischen den Schultern, dann ein eisigkaltes Gefühl, das ihm durch die Brust drang, und zugleich sah er an der rechten Seite die Degenspitze hervorkommen. Dann wurde es dunkel vor seinen Augen und er verlor das Bewusstsein.

Lestocq, der auf den Ruf seines Herrn herbeigeeilt war, hatte den Augenblick, wo sich Thibaut abwandte, benutzt, um ihn mit dem Hirschfänger zu durchbohren.