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Die Geschichte vom Werwolf Teil 12

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 12
David und Goliath

Man ging durch das ganze Dorf und hielt vor einem schönen Haus an. Der kleine Mann zeigte sich so galant wie ein echt französischer Kavalier: Zwanzig Schritte von dem Haus ging er voraus, stieg flinker als bei seinem Hängebauch zu erwarten war, die fünf oder sechs Stufen der Außentreppe hinauf, hob sich auf den Fußspitzen, um den Glockenzug zu erreichen und läutete mit einer Heftigkeit, welche die Ankunft des Hausherrn anzeigte.

Es war nicht bloß eine Ankunft, sondern ein Triumph, das Amtmännchen brachte ja einen Gast mit.

Ein nett gekleidetes Dienstmädchen öffnete die Tür. Der Amtmann gab leise einen Befehl, und Thibaut, der dem schönen Geschlecht sehr hold, den guten Mahlzeiten aber auch gar nicht abhold war, glaubte einige Bruchstücke des Küchenzettels vernommen zu haben.

Das Amtmännchen wandte sich um und sagte: »Ich heiße Sie willkommen, mein lieber Gast, im Hause des Amtmanns Nepomuk Magloire.«

Thibaut ließ die Frau Amtmannin vorausgehen und wurde von dem Kleinen in den Salon geführt.

Hier machte der Gast einen Verstoß gegen die gute Lebensart. Der Luxus war ihm noch zu neu, als dass er seine Bewunderung hätte unterdrücken können. Thibaut befand sich zum ersten Mal in einem Zimmer mit Damastvorhängen und vergoldeten Sesseln. Er hatte geglaubt, nur der König oder höchstens der Herzog von Orleans habe solche Sessel und Vorhänge.

Thibaut bemerkte nicht, dass ihn Madame Magloire beobachtete und dass die schlaue, scharf blickende Dame im Stillen über sein naives Erstaunen lächelte. Aber seit dem sie sich ihren Gedanken eine Weile überlassen hatte, schien sie den Kavalier, den ihr das Amtmännchen oktroyiert, mit günstigen Blicken zu betrachten. Sie schien gar nicht abgeneigt, ihm gegenüber ihren schwarzen Augen einen milden Ausdruck zu geben. Ihre Herablassung hatte jedoch ziemlich Grenzen: Sie war durchaus nicht zu bewegen, dem Gast Champagner einzuschenken. Alle Bitten ihres Gemahls blieben fruchtlos, sie schützte große Ermüdung vor und begab sich in ihr Zimmer. Aber ehe sie den Salon verließ, sagte sie zu Thibaut, sie wünsche die Fortsetzung der unter so langweiligen Auspizien begonnenen Bekanntschaft und hoffe, dass er den Weg nach Erneville nicht vergessen werde.

Thibaut beantwortete diese mit freundlichem Lächeln begleiteten Worten mit der Versicherung, er werde eher Essen und Trinken als eine so schöne huldvolle Dame vergessen.

Madame Magloire machte einen Knicks, der einer Frau Amtmannin ganz würdig war, und entfernte sich.

Sie hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, so machte der Gemahl ihr zu Ehren eine Pirouette, die einem von der Aufsicht des Hofmeisters befreiten Schüler alle Ehre gemacht haben würde.

»O! Lieber Freund,« sagte er, die Hände Thibauts fassend, »jetzt wollen wir uns den Champagner schmecken lassen, wir brauchen uns jetzt keinen Zwang mehr anzutun. Die Frauen sind reizend in der Messe, auf dem Ball und im Bett. Aber bei Tisch, ventre de diable müssen die Männer unter sich bleiben. Nicht wahr, Gevatter?«

Thibaut war eben im Begriff, dieser unleugbaren Wahrheit seine Zustimmung zu geben, als Perrine erschien, um zu fragen, welchen Wein sie bringen solle. Aber der kleine Mann war zu sehr Feinschmecker, als dass er solche Geschäfte durch Frauenzimmer hätte besorgen lassen. Die Frauenzimmer haben nie den gehörigen Respekt gegen gewisse ehrwürdige, bestaubte Flaschen und gehen selten zart genug mit denselben um.

Er zog Perrine an sich, als ob er ihr etwas ins Ohr sagen wollte. Die Köchin bückte sich, um ihr Ohr für den Kleinen erreichbar zu machen. Aber er drückte ihr einen schallenden Kuss auf die noch frische, runde Wange, die keineswegs genug errötete, um zu der Vermutung zu berechtigen, dass der Kuss eine Neuigkeit für sie sei.

»Was gibt’s denn?«, fragte Perrine lachend.

»Mein Püppchen,« erwiderte der Amtmann, »ich allein kenne die Winkel, wo die guten Häuflein sind. Ich will also selbst in den Keller gehen.«

Der Kleine trippelte flink und lustig davon. Man hätte ihn mit seinen stets beweglichen Beinchen und seinem Schmerbauch für eine jener Nürnberger Figuren halten können, die auf einem Uhrwerk stehend, sich bald im Kreis drehen, bald auf und ab tänzeln. Das Uhrwerk, welches die Beinchen des Amtmanns in Bewegung setzte, schien immer aufgezogen zu sein. Das Mädchen folgte ihm.

Thibaut, der allein im Salon blieb, wünschte sich im Stillen Glück zu dieser neuen Bekanntschaft mit einer so schönen Frau und einem so freundlichen Mann.

Fünf Minnten nachher ging die Tür auf. Der Amtmann kam aus dem Keller zurück. Er trug in jeder Hand und unter jedem Arm eine Flasche.

Die beiden Flaschen, die er unter dem Arme trug, waren Sillery mousseux première qualité, der das Schütteln und die horizontale Lage wohl vertragen konnte. Die beiden anderen Flaschen hingegen, die mit einer an Verehrung grenzenden Sorgfalt in der Hand getragen wurden, waren Chambertin und L’Hermitage.

Die Stunde des Abendessens war gekommen. Damals wurde um zwölf Uhr zu Mittag und um sechs zu Abend gegessen.

Der Amtmann stellte seine vier Flaschen vorsichtig auf einen Tisch. Dann zog er die Glocke.

Perrine erschien.

»Wann können wir uns zu Tisch setzen, mein Kind?«, fragte er.

»Wann Monsieur wollen«, antwortete Perrine. »Es ist alles bereit, denn ich weiß, dass Monsieur nicht gern lange warten.«

»Dann frage Madame, ob sie nicht kommen wird. Sage ihr, Perrine, dass wir uns ohne sie nicht zu Tisch setzen wollen.«

Perrine entfernte sich.

»Wir wollen nun sogleich ins Speisezimmer gehen«, sagte der Amtmann. »Sie müssen Hunger haben, und wenn ich Hunger habe, pflege ich mir eine Augenweide zu verschaffen, ehe ich den Appetit des Magen stille … Ich gehe voraus, um Ihnen den Weg zu zeigen.«

Der Amtmann begab sich, von seinem Gast gefolgt, in den Speisesaal.

»Jetzt, Freundchen«, sagte er schmunzelnd, »betrachten Sie einmal das kleine Souper. Es ist einfach, aber es ergötzt Auge und Ohr. Sagen Sie selbst, ob das Mädchen nicht in einer fürstlichen Küche Ehre einlegen würde?«

»Ja, fürwahr«, erwiderte Thibaut, »es ist ein sehr einladender Anblick.«

Die Augen des Holzschuhmachers begannen wie Karfunkel zu glänzen. Und gleichwohl war es, wie der Hausherr sagte, ein kleines Souper. Auf dem einen Ende des Tisches stand ein schöner blau gesottener Karpfen, mit einem Kranz von Petersilie und gelben Rüben umgeben. Auf dem anderen Ende ein Schinken von einem Frischling und eine Schüssel mit Spinat. In der Mitte eine feine Pastete, aus welcher zwei Rebhühnerköpfe hervorschauten. Kleinere Schüsseln mit fein geschnittenen Würsten, mariniertem Thunfisch, Anchovis, Käse und Backwerk.

Thibaut war so tief in die Betrachtung der leckeren Speise versunken, dass er kaum die Antwort Perrines hörte, welche sagte, dass Madame an ihrem fatalen Kopfweh leide und sich noch einmal bei ihrem Gast entschuldigen lasse.

Der kleine Mann hörte die Antwort mit sichtbarer Freude, atmete tief auf und schlug in die Hände.

»Sie hat ihr Kopfweh!«, sagte er frohlockend. »Wir wollen uns zu Tisch setzen.«

Auf dem Tisch standen bereits zwei Flaschen Mâcon, und zwischen die Schüsseln stellte der gefällige Wirt die vier anderen Flaschen, welche er eben aus dem Keller geholt hatte.

Die Frau Amtmannin hatte wohl getan, sich nicht an den Tisch zu setzen, denn die beiden Männer waren so hungrig und durstig, dass die Hälfte des Karpfens und die beiden Flaschen Tischwein verschwunden waren, ohne dass andere Worte als einzelne Laute der Befriedigung und Bewunderung gewechselt wurden.

Nach dem Karpfen und dem Mâcon kamen die Pastete und der Chambertin an die Reihe. Bei dieser zweiten Speise erfuhr Thibaut die Geschichte des kleinen Amtmanns. Diese Geschichte war freilich sehr einfach. Nepomuk Magloire war der Sohn eines Kirchenornamentenfabrikanten, welcher für die Kapelle des Herzogs Ludwig von Orleans gearbeitet hatte, desselben, welcher aus Frömmelei für eine halbe Million Franken Gemälde von Albano und Tizian verbrennen ließ. Nepomuk wurde Mundkoch beim Herzog Philipp von Orleans, dem Sohn Ludwigs. Der junge Mensch hatte schon als Knabe ein außerordentliches gastronomisches Talent gezeigt und war dreißig Jahre im Schloss zu Villers-Cotterets Mundkoch und Liebling des Herzogs, der ihn seinen Freunden als einen ausgezeichneten Künstler vorstellte und ihm sogar von Zeit zu Zeit die Ehre erwies, den Marschall von Richelieu von ihm in der höheren Gastronomie unterrichten zu lassen. Im Alter von 55 Jahren war Nepomuk Magloire so kugelrund geworden, dass er nur mir einiger Mühe durch die kleinen schmalen Seitentüren gehen konnte, und er bat um seinen Abschied.

Der Herzog bewilligte ihm die Bitte zwar nicht ohne Bedauern, aber doch mit geringerem Schmerz als unter anderen Verhältnissen, denn er hatte sich mit Madame Monresson vermählt und kam nur selten mehr nach Villers-Cotterets. Er hielt die alten Diener sehr wert. Er ließ Magloire zu sich kommen, und fragte ihn, wie viel er in seinem Dienst erspart habe.

Magloire antwortete, er sei so glücklich, keine Not zu leiden. Der Prinz wünschte genau zu wissen, wie hoch sich sein kleines Vermögen belaufe. Magloire sprach von neuntausend Livres Renten.

»Ein Mann, der mir dreißig Jahre meinen Tisch so gut besorgt hat«, sagte der Prinz, »soll in seinen letzten Lebensjahren auch einen guten Tisch führen.«

Er erhöhte die jährliche Rente auf tausendzweihundert Franken und setzte ihn als Amtmann nach Erneville.

Außerdem erlaubte er ihm, sich die für seine Einrichtung nötigen Möbel zu wählen, und daher kamen die damastenen Vorhänge und die vergoldeten Sessel, die freilich nicht mehr neu waren, aber doch ihre ursprüngliche Pracht, welche die Bewunderung Thibauts erregte, beibehalten hatten.

Als das erste Rebhuhn verzehrt und die zweite Flasche zur Hälfte ausgestochen war, wusste Thibaut, dass Madame Magloire die vierte Frau seines Wirtes war, eine Entdeckung, welche den Letzteren in seiner Achtung ungemein hob. Er wusste außerdem, dass er sie nicht um ihres Vermögens, sondern um ihrer Schönheit willen genommen hatte, denn er war von jeher ein ebenso großer Freund von hübschen Gesichtern und schönen Gestalten als auch von gutem Wein und leckeren Speisen gewesen. Er setzte sogar hinzu, dass er trotz seines Alters kein Bedenken tragen würde, sich zum fünften Male zu verheiraten, falls ihn seine vierte Frau zum Witwer mache. Als die Champagnerflaschen angestochen wurden, begann Nepomuk Magloire seine Frau zu schildern. Sie war eben kein Muster von Sanftmut, denn sie teilte keineswegs die Bewunderung ihres Gatten für die vaterländischen Weine und widersetzte sich sogar durch tyrannische Maßregeln seinen zu häufigen Besuchen im Keller. Dabei liebte sie über die Maßen den Putz, sie würde gern alle seine Weinfässer in Spitzen und Geschmeide verwandelt haben, wenn Nepomuk in diese Metamorphose eingewilligt hätte. Außerdem aber war Susanne ein wahres Muster aller Tugenden, und der kleine Amtmann war unerschöpflich in der Schilderung seines Glückes. Er ahnte wohl nicht, dass die Schönheit seiner Susanne auf den Gast einen sehr tiefen Eindruck gemacht hatte. Thibaut war, wie wir wissen, schon unterwegs sehr nachdenkend gewesen, und seitdem er bei Tisch saß, hörte er, in einem fort essend, und ohne zu antworten, den Lobeserhebungen des Amtmanns zu. Dieser war sehr erfreut, einen so aufmerksamen Zuhörer zu haben, und wurde immer redseliger und mitteilender.

Als er indessen eine zweite Reise in den Keller gemacht hatte und in Folge derselben eine etwas lahme Zunge bekommen hatte, begann er die seltene Tugend, welche Pythagoras von seinen Schülern forderte, etwas höher zu schätzen, und gab seinem Gast zu verstehen, dass er ihm ziemlich alles gesagt hatte, was er von sich und seiner Frau sagen wollte und dass jetzt die Reihe an Thibaut sei, von sich selbst etwas zu erzählen, denn seine Gesellschaft sei ihm lieb und er wünsche ihn näher kennenzulernen.

Thibaut hielt es für notwendig, die Wahrheit etwas zu schminken. Er gab sich für einen wohlhabenden Landmann aus, der von dem Ertrag zweier Meierhöfe und eines kleinen Waldes lebe, und in Letzterem befinde sich ein Gehege, welches einen wahren Schatz an Wildbret verschiedener Art enthalte.

Der Amtmann war ganz entzückt, als er von den Rehen, Hasen, Wildschweinen, Fasanen und Rebhühnern hörte, und der Gedanke, dass er dieses Wildbret haben könne, ohne sich an Wilddiebe zu wenden, war sehr anlockend für ihn.

Als endlich die siebente Flasche leer war, fanden die beiden Zechbrüder, dass es Zeit sei, sich zu trennen. Der schäumende Champagner hatte die gewohnte Gutmütigkeit des Amtmanns in rührende Zärtlichkeit verwandelt. Er war ganz entzückt über seinen neuen Freund, der seine Flasche fast ebenso schnell ausstach, wie er selbst. Er duzte ihn, schloss ihn in seine Arme und nahm ihm das Versprechen ab, dass dieser köstliche Schmaus wiederholt werden solle. Als er ihn bis vor die Haustür begleitete, hob er sich noch einmal auf den Fußspitzen, um ihn zu umarmen, wobei ihm Thibaut übrigens sehr bereitwillig entgegenkam.

Es schlug zwölf an der Dorfkirche, als Thibaut das gastliche Haus verließ. Der feurige Wein, den er getrunken hatte, war ihm schon im Haus etwas in den Kopf gestiegen, in der freien Luft wurde er ganz betrunken. Er wankte ein paar Schritte fort und lehnte sich an die Mauer. Was nun vorging, war für ihn rätselhaft und dunkel, wie die im Traum stattfindenden Erlebnisse.

Über seinem Kopf und sechs bis acht Fuß vom Boden war ein Fenster, welches matt beleuchtet war. Kaum hatte sich Thibaut an die Mauer gelehnt, so schien es ihm, als ob sich das Fenster auftue. Er glaubte, der Hausherr wolle ihm noch ein letztes Lebewohl zuwinken. Er machte daher einen Versuch, die Mauer zu verlassen, um den Abschiedsgruß zu erwidern. Aber er vermochte nicht vorzutreten, er glaubte wie ein Efeu festgewachsen zu sein. Aber er sah bald ein, dass er sich irrte, denn er fühlte erst auf der rechten und dann auf der linken Schulter eine so schwere Last, dass seine Knie zusammensanken.

Diese Bewegung schien den Wünschen der Person, welche sich seiner als Leiter bediente, ganz zu entsprechen. Wir müssen gestehen, dass der Herabsteigende ein Individuum männlichen Geschlechtes war.

»Sehr gut, l’Eveillé«, sagte der Herabsteigende, indem er behände von Thibauts Schultern auf die Erde sprang, während über ihm das Fenster geschlossen wurde.

Thibaut sah trotz seines Rausches zweierlei ein: erstens, dass man ihn für einen gewissen l’Eveillé hielt, der vermutlich in einem Winkel schnarchte, und zweitens, dass er einem Liebhaber als Leiter gedient hatte.

Diese doppelte Überzeugung war etwas demütigend für ihn. Er streckte die Hand aus und ergriff einen flatternden Stoff, der ihm der Mantel des Liebhabers zu sein schien. Diesen Mantel hielt er mit der Hartnäckigkeit eines Betrunkenen fest.

»Was machst du denn da?«, fragte eine Stimme, die Thibaut zu kennen glaubte. »Du scheinst zu fürchten, dass ich dir verloren gehe. «

»Jawohl, das fürchte ich«, antwortete Thibaut, »denn ich will wissen, wer der unverschämte Mensch ist, der meine Schultern als Leiter braucht!«

»O weh!«, sagte der Unbekannte. »Bist du denn nicht l’Eveillé?«

»Nein, ich bin es nicht«, antwortete Thibaut.

»Nun, es schadet nichts. Schönen Dank.«

»Was! Schönen Dank? Glaubt Ihr denn, es werde so hingehen?«

»Jawohl, das glaube ich.«

»Da machet Ihr die Rechnung ohne den Wirt.«

»Lass mich los, Tölpel, du bist betrunken.«

»Betrunken! Wir zwei haben ja nur sieben Flaschen ausgestochen, und der Amtmann hat für seinen Teil allein vier getrunken.«

»Ich sage dir, lass mich los, du Trunkenbold!«

»Was! Ihr nennt mich einen Trunkenbold, weil ich drei Flaschen Wein getrunken habe!«

»Nein, nicht weil du drei Flaschen Wein getrunken, sondern weil du davon einen Rausch bekommen hast.«

Der Unbekannte machte einen dritten Versuch, seinen Mantel loszumachen.

»Wirst du meinen Mantel loslassen, du Tropf?«

Thibaut war immer reizbar, aber in seiner dermaligen Stimmung hatte seine Reizbarkeit den höchsten Grad erreicht.

»Ihr müsst wissen, mein schöner Herr«, sagte er mit einem derben Fluch, »dass hier nur der ein Tropf ist, der den Leuten auf die Schultern steigt und sie beleidigt, statt ihnen zu danken. Ich weiß daher nicht, was mich zurückhält, Euch einen Faustschlag ins Gesicht zu geben.«

Kaum hatte Thibaut diese Drohung ausgesprochen, so fühlte er die Faust des Unbekannten auf seinem Kopf. Thibaut wankte wie unter einem Keulenschlag.

»Nimm das, du Lümmel!«, sagte die Stimme, welche gewisse ähnliche Erinnerungen in ihm weckte. »Ich bin ein guter Mensch. Ich gebe dir die kleine Münze, ehe ich dein Goldstück gewogen habe.«

Thibaut antwortete durch einen tüchtigen Faustschlag auf die Brust, aber der Unbekannte schien nicht im Geringsten dadurch erschüttert zu werden, sondern wiederholte den ersten Faustschlag in so kräftiger Weise, dass Thibaut wohl einsah, ein dritter Schlag müsse ihn zu Boden werfen.

Aber die Kraft seiner Faust brachte dem Unbekannten Unglück. Thibaut war auf ein Knie niedergefallen, seine Hand griff einen Kieselstein. Thibaut richtete sich auf und warf seinem Gegner den Stein an den Kopf.

Der Koloss sank mit einem wahren Gebrüll zu Boden und blieb bewusstlos liegen.

Thibaut, der nicht wusste, ob er seinen Gegner getötet oder nur verwundet hatte, nahm eilig die Flucht.