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Das Steppenross – Kapitel 17 – Teil 3

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 17 Teil 3
Stromaufwärts

Die Comanchen auf dem Kriegspfad gehen vom Gürtel an nackt und tragen das Hemd nur auf der Jagd oder bei gewöhnlichen Gelegenheiten. Wie ließ sich aber die kupferfarbige Haut, die braunen Arme und Schultern, die bunte Brust, das rot, weiß und schwarz angestrichene Gesicht herstellen? Wo sollte ich die nötige Farbe herbekommen? Das Schwarze hätte sich allenfalls mit Schießpulver nachahmen lassen.

»Pah!«, rief Rube, der ein zierliches, mit Perlen gesticktes Beutelchen in der Hand hielt. »Ich denke mir, dass die Sachen in diesem Beutel des Indianers vorrätig sind. Hier sind sie wirklich!«

Der Sack aus Bocksfell war der sogenannte Medizinbeutel des Indianers. Als Rube die Hand hineinsteckte, zog er mehrere lederne Päckchen hervor, welche Farben von verschiedener Art und auch einen kleinen glänzenden Spiegel enthielten.

Dass diese seltsamen Dinge sich darin befanden, war durchaus nicht zu verwundern, sondern vielmehr ganz natürlich. Der Indianer reitet zwar zuweilen im Frieden, aber niemals im Krieg auch ohne seine Schminke und seinen Spiegel mit sich zu führen. Es waren genau die richtigen Farben, welche der gefangene Krieger an seinem Körper hatte.

Mein Schnurrbart wurde sogleich mit einem scharfen Bowiemesser abgenommen. Die Farben wurden ein wenig fett eingerieben, und ich stellte mich neben den Indianer, um mich nach seinem Vorbild herrichten zu lassen. Rube der als Maler auftrat, bediente sich eines Stückchen Hirschfelles als Pinsel, und Gareys breite Handfläche diente als Palette. Die Arbeit war nach zwanzig Minuten vollendet, und ich erschien als eine genaue Abbildung des Indianerkriegers. Der alte Trapper hatte die hässlichen Schriftzeichen bis auf das Kleinste nachgeahmt. Es fehlte nicht einmal die Hand auf der Brust und das rote Kreuz auf der Stirn. Das Seitenstück sah ebenso abscheulich aus wie das Original. Ein Stück und zwar ein Wichtiges fehlte noch in der Verwandlung. Ich bedurfte noch des langen, schwarzen, straffen Haares, womit das Haupt des Comanchen geziert war. Diesem Mangel wurde bald abgeholfen. Das Bowiemesser diente als Schere, und Garey benahm sich als Haarkünstler, indem er den Kopf des Wilden schnell seiner Zierde beraubte.

Als der Wilde die scharfe Klinge an seiner Stirn fühlte, zuckte er zusammen, denn er glaubte, er sollte lebendig skalpiert werden.

»In dieser Weise würde ich dem Schwarzen das Haar nicht abschneiden«, rief der Alte. »Nimm nur das Fell mit, Bill! Sonst musst du dir noch erst die Mühe machen, eine Perücke anzufertigen.«

Garey befolgte natürlicherweise den grausamen Rat nicht, denn er wusste, dass er nur im Scherz erteilt wurde.

Schnell wurde eine einfache Perücke hergestellt und an mein langes Haar befestigt. Mein eigenes Haar war glücklicherweise schwarz, sodass die Farben zueinander passten.

Es schien mir, als lächelte der Indianer, indem er bemerkte, welchen Gebrauch wir von seinem herrlichen Haar machten. Aber es war ein düsteres Lächeln, und während der ganzen Zeit kam weder ein Wort noch ein Ruf über seine Lippen.

Meine Gefährten konnten sich nicht mäßigen, sondern lachten laut, als sie unsere seltsame Maskerade sahen. Es mischte sich Lächerliches und Ernstes, aber vor allem spaßhaft sah der Indianer aus, nachdem er kahl geschoren war.

Es war ein Glück, dass der Krieger einen Federschmuck hatte, der in Kriegszügen nur selten gebraucht wird. Bei dieser Gelegenheit musste er wesentlich dazu beitragen, das falsche Haar zu verbergen. Ich setzte den Federschmuck auf meinen Kopf, und somit war alles geschehen. Der Maler, der Friseur und der Kammerdiener hatten ihre Schuldigkeit getan.

Wir schlichen uns nun vorsichtiger als vorher auf der Fährte weiter und ließen jedes Mal den Weg von den Spähern genau erforschen. Es kam hierbei nicht auf Eile an, denn aus der frischen Spur der Indianer ersahen wir, dass sie nicht weit vor uns voraus waren. Es stand sogar zu befürchten, dass sie uns erblicken könnten. Wir wünschten, sie erst nach Sonnenuntergang zu treffen. Früher wäre es uns eher schädlich als nützlich gewesen. Wäre ein zurückgebliebener Indianer mit uns zusammengetroffen, so würden alle unsere Pläne vereitelt worden sein. Wir zögerten alle, bis wir glaubten, dass die Indianer ihr Lager aufgeschlagen und die Nachzügler herangezogen hatten.

Aber ich wollte auch nicht zu spät ankommen. Ich hatte erfahren, dass die Beratung an diesem Abend gehalten werden sollte. Davon hing die Entscheidung ab. Zu welcher Stunde aber sollte der Rat gehalten werden? Vielleicht sogleich, nachdem man haltgemacht hatte.

Ein Streit zwischen dem Sohn eines Häuptlings und einem weißen Anführer von Rothäuten konnte nicht lange unentschieden bleiben. Es handelte sich um eine wichtige folgenschwere Frage: um den Besitz Isolinas. Die Streitfrage würde wahrscheinlich schnell entschieden werden, um die Häuptlinge wieder zu einigen. Ich musste also notwendigerweise zur rechten Zeit an Ort und Stelle sein, wenn die Beratung in früher Stunde stattfand.

Ich beabsichtigte womöglich in der Dämmerung kurz vor Einbruch der Nacht im Indianerlager anzukommen, um die Gegend auszukundschaften, ehe sie vollständig in Dunkelheit gehüllt war. Dies war notwendig, damit wir, wenn wir fliehen mussten, eine bestimmte Richtung einschlagen konnten.

Bei unserem Vorrücken richteten wir uns nach den Spuren der Fährte. Wir ließen uns dabei von unserer scharfsinnigen Trappern leiten, die genau die Zeit angaben, wann die letzten Spuren entstanden waren. Beide schlichen schnell auf der Fährte vorwärts, indem sie die Augen fortwährend auf die Erde gerichtet hielten.

Ich richtete dagegen meine Augen dorthin, woher ich ein neues Hindernis fürchtete, auf den Himmel.

Das Aussehen des Himmels, die düsteren Wolken, der Sturm, die Dunkelheit, die mich in der vergangenen Nacht verdrossen hatten, würden mir jetzt willkommen gewesen sein. Aber gerade jetzt war keine Wolke zu erblicken, keine Spur von ihnen, nur grenzenloser, klarer Äther.

In einer Stunde mussten sich Millionen von Sternen und das silberne Licht des Mondes zeigen – eine Nacht, so hell wie der Tag.

Mich beunruhigte diese Aussicht. In meiner törichten Leidenschaft wollte ich den unabänderlichen Naturgesetzen widersprechen und verlangte Wolken, Sturm und Dunkelheit. Wie einem Nachtvogel, der sich nur in der tiefsten Dunkelheit wohlfühlt, so war mir beim Anblick des hellen Himmels unwohl zumute. Gleich nach Sonnenuntergang musste der Mond voll, rund und hell aufgehen und die Erde mit seinem weißen Licht überziehen, dann war das Unternehmen doppelt gefährlich.

Bei Mondschein konnte ich allein auf meine Verkleidung rechnen, und es war daher ein Glück, dass wir unsere Zeit so gut verwandt hatten. Wurde ich jedoch gezwungen, zu sprechen, so half mir meine Verkleidung nur wenig. Gerade die listige und vollkommene Nachahmung des Originals konnte einen Indianer veranlassen, sich mir zu nähern und mich anzusprechen. Wie konnte ich mich aber in eine Unterhaltung mit ihm entlassen, da mir von der Sprache der Comanchen sehr wenig bekannt war?

Diese Gedanken beunruhigten mich im Weiterreiten.

Die Nacht näherte sich, die Sonne stand am westlichen Horizont. Es war eine peinliche Stunde.

Die Späher waren schon eine Zeit lang vorausgegangen, aber nicht zurückgekehrt, um uns Bericht abzustatten. Wir machten in einem Gehölz Halt und warteten auf sie. Vor uns lag ein Hügel, der mit Bäumen besetzt war, und über diesen führte die Kriegsfährte. Wir hatten die Späher in das Gehölz gehen sehen und richteten die Blicke auf die Stelle, wo wir sie wiederzusehen erwarteten.

Nach kurzer Zeit erkannten wir einen von den Trappern am Eingang des Gehölzes. Wir erkannten Garey, und er winkte uns, heranzukommen.

Wir ritten den Hügel hinauf und verließen die Fährte. Der Trapper führte uns durch die Bäume über den hohen Gipfel. Das Gehölz zog sich eine Strecke weiter auf der anderen Seite des Hügels hinab. Wir machten aber Halt, ehe wir den Rand erreichten, stiegen ab und banden unsere Pferde an die Bäume.

Dann krochen wir auf Händen und Füßen weiter bis zum äußersten Rand des Gehölzes. Als wir durch das Laub auf die jenseitige Fläche blickten, sahen wir Rauch und Feuer und in der Mitte ein Zelt aus Häuten. Rings um dasselbe gingen dunkle Gestalten, Menschen und Pferde. Es war das Comanchen-Lager, auf welches wir hinabblickten.

Wir waren gerade zur rechten Zeit angekommen. Es war Dämmerung und so dunkel, dass wir im dichten Schatten der Bäume uns selbst nicht erkennen konnten, aber doch so hell, dass wir die Stellung des Feindes genau beobachteten. Unser Platz gewährte uns einen vollständigen Überblick über das Lager und die nächste Umgebung desselben. Der Hügel, den wir bestiegen hatten, war eine vereinzelte Erhöhung auf viele Meilen in der Runde, und die Ebene, auf welcher sich das Lager befand, dehnte sich vom Fuß des Hügels in unabsehbare Ferne aus.

Diese Ebene war halb mit Baumgruppen, Gebüsch und Streifen Waldes bedeckt, worin der Pecanbaum vorherrschte, daher diese Ebenen auch Pecanprärien genannt werden.

Zwischen den Gruppen und Waldstreifen befanden sich vereinzelte Bäume, deren Wipfel sich in dem freien Spielraum weit verästelt hatten.

Durch diese starken Bäume und vereinzelte Gruppen aus Pecan erhielt die Landschaft fast das Ansehen einer bebauten Gegend, und diese Täuschung wurde noch durch den schlängelnden Bach vermehrt, dessen Fluten in den Strahlen der Abendsonne schimmerten.

Es war dennoch eine Wildnis, aber eine schöne Wildnis. Die Tätigkeit des Menschen hatte mit der Bildung und Verzierung dieser lieblichen Landschaft nichts zu tun, denn die Baumgruppen waren nicht von Menschenhänden gepflanzt.

Etwa eine halbe Meile vom Fuß des Hügels befand sich am Ufer des Baches das Lager der Indianer. Es war, wie leicht zu erkennen, nicht nur vortrefflich zu einer Verteidigung, sondern auch zum Schutz gegen einen Überfall geeignet.

Im Mittelpunkt des Lagers stand ein einziges Zelt. Die Vorderseite war gegen den Bach gekehrt. Von dem Zelt an senkte sich die Ebene bis zum Wasser hinab, dem Glacis einer Festung ähnlich. Das Lager befand sich gleichsam an dem Wäldchen und nahm die glatte Rasenfläche zwischen den Bäumen und dem Bach ein. Die dunkelfarbigen Gestalten, die wir erblickten, bildeten teils verschiedenartige Gruppen, teils gingen sie umher. Einige lagerten auch im Gras oder beugten sich über das Feuer, um das Abendessen zuzubereiten.

Der Platz war durch regelmäßig aufgestellte Speere abgeteilt. Die schlanken, beinahe fünf Fuß hohen Schafte erhoben sich wie kleine Schiffsmaste und waren mit Fähnchen, bunten Federn und Skalpe verziert. Auf dem Boden lagen die bunten Schilder, Bogen, Köcher, die gestickten Jagdtaschen und Medizinbeutel.

Nicht ohne Grausen nahmen wir wahr, dass unter diesen Sachen die weißen, gefangenen Frauen lagen. Die Strecke war aber zu weit entfernt, als dass ich Isolina hätte erkennen können.

Auf beiden Flanken des Lagers befanden sich die Pferde auf einem breiten Bogen. Jedes war mit dem Lasso angebunden und konnte sich beliebig zum Weiden bewegen. Die beiden Linien dehnten sich hinter dem Lager aus und trafen jenseits des Gehölzes zusammen, sodass der Bach eine gerade Grenzlinie bildete.

Der besondere Vorzug dieses Platzes bestand darin, dass das kleine Gehölz dahinter das Einzige in einem weiten Umkreis war, sodass kein Platz gegen einen Überfall besser schützen konnte. Der Feind fand auf der anderen Seite des Baches weder Baum noch Hügel, noch Vertiefung, noch Gebüsch – keine Deckung irgendeiner Art.

Die Stelle konnte zufällig so gewählt worden sein. Es war unwahrscheinlich, dass die Indianer an diesem Ort und zu dieser Zeit einen Überfall fürchteten. Die Vorsicht ist aber bei ihnen derartig zur Gewohnheit geworden, dass sie stets den angemessensten Ort zu ihrem Lagerplatz wählen. Die Bäume lieferten ihnen Holz, der Bach Wasser und die Ebene Futter für das Vieh. Besaßen sie Fleisch als Nahrung, so waren alle Erfordernisse eines Indianerlagers vorhanden.

Die Stärke der Stellung konnte ich auf den ersten Blick erkennen, und zwar mehr mit den Augen eines Jägers, als denen eines Soldaten. Im militärischen Sinne bot sie keinen besonderen Punkt als Verteidigung, aber man konnte ihr nicht durch List nahe kommen, und darauf legt der berittene Indianer den größten Wert. Wenn man ihn nicht überfallen kann und ihm nur fünf Minuten Zeit bleiben, so vereitelt er jeden Angriff. Ist man ihm überlegen, so ergreift er die Flucht und lässt sich nur durch solche Gegner zum Kampf bringen, die besser beritten sind als er.

Der Comanchen-Krieger denkt mehr an den Rückzug, als auf die Verteidigung, und nimmt den Kampf nur mutig auf, wenn er es mit mexikanischen Feinden zu tun hat.

Meine Hoffnung verminderte sich, je mehr ich das Lager der Indianer betrachtete. Es ließ sich nur bei der dunkelsten Nacht betreten und war für den schlauesten Späher ziemlich unzugänglich.

Meine Begleiter mochten in diesem Augenblick wohl dieselben Gedanken hegen, denn obgleich sie schwiegen, sah ich doch in ihren düsteren Mienen deutlich die getäuschte Hoffnung. Niemand hatte, seitdem wir am Ort angelangt waren, ein Wort gesprochen.

Es war ein schrecklicher Gedanke, dass meine Verlobte zwar nahe, aber doch durch eine unüberwindbare Schranke von mir getrennt war, und dass jeder Versuch, dieses Hindernis zu beseitigen, meinen eigenen Untergang herbeiführen würde. Ich hätte meine Person der größten Gefahr preisgegeben, um Isolina zu retten. Aber ich überzeugte mich, dass jeder Versuch nutzlos sein musste.