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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 61

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Dreizehntes Kapitel – Teil 3
Schluss

Arm in Arm, in der gemütlichsten Eintracht, drängten sich Philosophie und Teufelei durch das bunte Gewühl.

Plötzlich blieb Schwefelkorn stehen und rief: »Holla, was ist das?«

»Was haben Sie denn auf einmal?«

»Ei, da sehe ich auch meinen alten Bekannten Helferich.«

»Helferich? Wer ist denn das?«

»Ein lustiger Vogel, der hinter dem Rücken seiner Frau manches Rad schlägt. Und wahrhaftig, dort steht auch sie«, setzte er lachend hinzu. »Nun, jetzt können wir uns jedenfalls auf etwas Interessantes gefasst machen!«

Die zwei Personen, auf die Schwefelkorn Schwalbe aufmerksam gemacht hatte, waren beide in Dominos gehüllt und während die eine derselben, hinter welchem sich jedenfalls Helferich verbarg, eine schlanke Zigeunerin kokettierend verfolgte, behielt ihn die andere mit allen Zeichen einer fieberhaften Unruhe im Auge.

»Aber nun weiß ich ja immer noch nichts«, bemerkte der Doktor. »Geben Sie mir doch wenigstens zum Verständnis dessen, was nach Ihrer Behauptung nun folgen wird, einige Andeutungen über dieses geheimnisvolle Paar.«

»Ja so«, sagte sein Begleiter, »das hätte ich beinahe vergessen. Nun so hören Sie. Helferich ist ein reicher Kaufmann und erst seit zwei Jahren verheiratet. Er liebt seine Frau aufrichtig und auch sie liebt ihn leidenschaftlich. Und wenn sich bei einer Frau die Leidenschaft in der Liebe geltend macht, da findet sich auch die Eifersucht nicht fern. Helferich zeigt sich sehr aufmerksam gegen seine Gattin und dafür glaubt er, sich schon einige Freiheiten gestatten zu dürfen. Er ist sehr lebenslustig und in seinen Adern fließt ziemlich leichtes Blut. Hieraus hat sich eine eigentümliche Philosophie bei ihm entwickelt. ›Man kann seine Frau sehr lieben‹, behauptet er, ›ohne deshalb gerade gleichzeitig mit dem Ehestand auch mit den Freuden der Welt abzuschließen. Sie ist mir treu, das weiß ich‹, sagte er weiter, ›und Gefahr laufe ich deshalb nicht, wenn ich mitunter eine kleine Extratour mache. Zudem lege ich es jedes Mal so schlau an, dass sie davon nichts weiß. Wenn ich mich dann von Zeit zu Zeit so recht ausgetobt habe und zu ihr zurückgekehrt bin, dann finde ich sie desto anziehender und interessanter.‹

Voriges Jahr beim großen Maskenball zeigte die junge Frau große Lust, denselben ebenfalls einmal an der Seite ihres Gemahls zu besuchen, aber dieser, welcher dort ein paar leichte interessante Dämchen zu treffen hoffte, fand natürlich, dass ihm hierdurch ein vollständiger Querstrich durch die Rechnung gemacht werden würde und sann auf Mittel, der Gefahr vorzubeugen, die ihm den Abend zu verderben drohte, an welchem er wieder einmal in völliger Ungebundenheit als Junggeselle leben wollte und zu dem er schon mehrere interessante Verabredungen getroffen hatte. Als ihm daher seine Gattin den Wunsch zu erkennen gab, mit ihm den Ball zu besuchen, fühlte er sich hierdurch zwar eben nicht sehr angenehm überrascht, aber er war schlau genug, für den Augenblick gute Miene zum bösen Spiel zu machen und erklärte, dass er die Idee allerliebst finde und dass er gern bereit sei, zur Ausführung derselben die Hand zu bieten. Am anderen Tag aber teilte er seiner Frau mit einem sehr heuchlerischen Gesicht mit, dass er zu seinem größten Bedauern ihren Wunsch nicht erfüllen könne. Er habe gestern ganz vergessen, dass diesen Abend eine Versammlung von Industriellen stattfinde, wobei es sich um den Bau einer Eisenbahn handle, die einen großen Gewinn abzuwerfen verspreche. Die Zeichnung von Aktien würde schon heute stattfinden, er habe Hoffnung, in den Verwaltungsrat gewählt zu werden. Kurz und gut, sie sei zu verständig, um dies nicht einzusehen, aber bei einem Kaufmann komme immer erst das Geschäft und dann das Vergnügen, und deshalb bitte er sie, auf ihren Wunsch zu verzichten, wogegen er gern bemüht sein werde, ihr wegen dieser Verzichtleistung in anderer Weise eine Freude zu bereiten.«

Die junge Frau, kaum erst ein Jahr verheiratet, war wohl noch zu unerfahren, um in die Worte ihres Mannes einen Zweifel zu setzen. Es schmerzte sie zwar, einem Vergnügen zu entsagen, von dem sie sich einen heiteren Genuss versprochen hatte, aber sie unterdrückte ihren Missmut.

Mit einem versöhnenden sanften Lächeln bemerkte sie: »Nun, wenn es durchaus nicht geht, so füge ich mich. Wirst Du spät nach Hause kommen?«

»Du weißt ja, meine Liebe, wie es bei solchen Gelegenheiten zugeht. Man trinkt, es wird ein Spielchen gemacht – auf keinen Fall erwarte mich, denn es möchte doch zu lange dauern.«

Während Gabriele, von der Langenweile eines Winterabends überwältigt, dieser Weisung folgte und sich früh zu Bett legte, eilte Helferich zu einem Maskenverleiher, warf einen Domino über und stürzte sich in das Maskengewühl, nach pikanten Abenteuern suchend und dieselben wohl auch findend, denn der Tag dämmerte beinahe, als er behutsam die Tür seines Hauses aufschloss und ebenso behutsam in seine Schlafstube schlüpfte, da jedes Geräusch seine Gattin hätte stören und diese dann vielleicht später zu einem etwas scharfen Examen veranlassen können, denn über Nacht kommen den Menschen manchmal sonderbare Gedanken und namentlich eine junge Frau, die ihren Mann von sich fern weiß, ist dazu vorzugsweise geneigt.

Helferich, dessen Gewissen natürlich nicht das Beste war, warf denn auch, als er später mit Gabriele wieder zusammentraf, heimlich einen prüfenden Blick auf dieselbe. Da er aber in ihrem Gesicht nichts bemerkte, was bei ihm hätte Verdacht erregen können, so kehrte seine volle Sicherheit bei ihm zurück. Wie es in solchen Fällen meist zu geschehen pflegt, so suchte er den Betrug, welchen er gegen seine Gattin begangen hatte, jetzt durch verdoppelte Zärtlichkeit zu verdecken.

»Bist du spät zurückgekommen?«, fragte Gabriele.

»Ich sagte es dir ja, meine Teure, es würde sehr spät werden.«

»Du siehst auch recht angegriffen aus.«

»An solchen Abenden kann man es nicht so genau nehmen, im Interesse des Geschäfts darf man gegen andere nicht zurückstehen.«

»Du bist also in den Verwaltungsrat gewählt worden?«

»Hierüber soll erst in der nächsten Versammlung entschieden werden«, bemerkte Helferich und vermied dabei, seine Frau anzusehen.

»Wahrscheinlich«, so fuhr Schwefelkorn fort, »hat er dieses Jahr eine ähnliche Ausrede gebraucht, aber es ist von ihm dabei eins vergessen worden, dass nämlich ein zweites Ehestandsjahr die junge Frau in gewissen Dingen um ein Bedeutendes klüger gemacht hat. Auch wurde ihr wahrscheinlich von mancher Seite der Wink gegeben, den Worten der Männer nicht in allen Fällen unbedingten Glauben zu schenken und vielleicht hat auch eine zärtliche Freundin es übernommen, ihr gerade in Beziehung auf Helferich Vorsicht und Aufmerksamkeit zu empfehlen. So ist sie ihm also diesmal von Eifersucht getrieben, heimlich auf den Ball gefolgt. Jetzt steht sie dort in der Ecke und unter der Maske schießen ihre Augen Blitze und krampfhaft ballen sich jedes Mal die kleinen Hände zusammen, wenn ihr ehelicher Don Juan einer neuen Zerline oder einer neuen Donna Elvira seine zärtlichen Huldigungen darbringt.«

Als der Baron noch so sprach, erschien Helferich wirklich wieder mit der niedlichen Zigeunerin, die er schon früher angesprochen hatte. Ihr Arm lag in dem seinen, und indem er die kleine Hand zärtlich streichelte, näherte er sich unmittelbar dem schwarzen Domino.

»Geschwind kommen Sie!«, flüsterte Schwefelkorn und zog Schwalbe mit sich fort.

Jetzt blieb der nichts ahnende Helferich mit seiner Begleiterin unmittelbar vor dem geheimnisvollen Domino stehen.

Von dem bereits reichlich genossenen Wein angeregt, sagte er: »Braune Tochter der Wälder, fühlst du nicht das Bedürfnis, dich dieser drückenden Hitze zu entziehen und unbelauscht von zudringlichen Blicken, ein Glas Sekt mit mir zu schlürfen?«

»Das wäre mir schon recht«, gab die Zigeunerin lachend zurück, »aber ich traue dir nicht.«

»Wieso, holdes Kind?«

»Du scheinst mir ein Untreuer zu sein.«

»Du irrst dich, wenn de es wünscht, schwöre ich dir ewige Liebe.«

»Ha, ha!«, tönte es neckisch von den Lippen der Verlarvten und »ha, ha!« schallten diese Worte unmittelbar in seiner Nähe als Echo zurück, doch dieses Mal im höhnenden Ton.

»Ich glaube gar, der kleine schwarze Dämon dort, will uns äffen«, sagte nun auch Helferich, indem er nach dem Domino schielte.

»Komm, lass uns den Saal verlassen, es wird mir hier zu heiß«, fügte er laut hinzu.

Aber in diesem Augenblick flog auch schon der Domino auf ihn zu. Ehe er es sich versah, hing sich derselbe an seinen anderen Arm.

»Zwei?«, rief humoristisch der Kaufmann, »das ist zu viel! Wollt Ihr darum losen, wer mit mir geht?«

»Abscheulich!«, tönte es zürnend von den Lippen des Domino, und sich mit einem heftigen Ruck vom Arm Helferichs losreißend, stürzte derselbe sich mitten ins Gedränge.

Wie zu einer Bildsäule erstarrt, blieb unser Don Juan stehen.

Diese Stimme – er konnte sich nicht täuschen. Es war die seiner Frau, hier konnte keine Verwechslung möglich sein.

In seiner Bestürzung hatte derselbe gar nicht bemerkt, dass inzwischen auch die Zigeunerin von seiner Seite verschwunden war. Aber das erschien ihm jetzt als Nebensache, seine Augen blieben fortwährend noch auf die Davoneilende geheftet, welche jetzt eben dem Ausgang des Saales zustürmte.

Nun trat auf einmal Ernüchterung bei ihm ein. Er fühlte sich beschämt, sich so unmittelbar auf der Tat ertappt zu sehen, zugleich ärgerte er sich aber auch, dass seine Gattin, um dies zu bewerkstelligen, eine solche List angewendet hatte.

»Aber war sie es denn auch? Am Ende konnte er sich doch noch getäuscht haben. Und wenn sie es war, durfte er sie dann so spät in der Nacht hilflos auf der Straße allein lassen?« Teils von dem Gefühl der Pflicht, teils von Neugier getrieben, fasste er einen kurzen Entschluss und stürzte der Davoneilenden nach. Aber wo war sie geblieben? Sie musste bereits auf der Straße sein. Richtig, da stand, als er ins Freie trat, der arme Domino, von der Winterlust angehaucht, schüchtern und ratlos, denn kein Wagen war zu sehen und einen solchen hatte derselbe offenbar anzutreffen gehofft.

»Jetzt gilt es«, dachte Helferich, »ihr Fliehen hat ihr nichts geholfen, sie muss sich mir nun zu erkennen geben und eine kleine Strafe für diese unzeitige Neugier kann ihr ohnedem nichts schaden.«

»Meine Dame«, sagte er entschlossen an die Vermummte herantretend. »Sie bedürfen des Schutzes, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?«

Ohne ein Wort zu erwidern, nahm der Domino dieses Anerbieten an.

»Wohin befehlen Sie, dass ich Sie führe?«

»Ein Wagen«, tönte es unter der Maske dumpf hervor.

»Aber hier dürfte schwerlich einer zu finden sein, zudem zittern Sie ja am ganzen Körper. Gestatten Sie also, dass ich zunächst dafür sorge, dass Sie sich erst wieder etwas erwärmen und eine Erfrischung zu sich nehmen.«

Die Unbekannte stutzte, sie schüttelte heftig mit dem Kopf. Plötzlich aber schien sie auch anderen Sinnes geworden zu sein, denn wenn gleich offenbar im verstellten, doch aber im entschlossenen Ton sagte sie: »So kommen Sie, mein Herr!«

Nach etwa zehn Minuten hatte das Paar ein elegantes Restaurant erreicht und saß behaglich in einem kleinen gut durchwärmten Zimmer.

»Zwei feine Soupers und zwei Flaschen Sekt«, rief Helferich, bevor seine Begleiterin dies noch zu verhindern vermochte. »Nun legen Sie aber auch Ihre Maske ab«, bat dieser mit der größten Artigkeit.

Abermals folgte ein sehr entschiedenes Kopfschütteln.

»Mein Gott, ich will gewiss nicht indiskret sein, meine Dame, aber mit der Maske können Sie doch unmöglich essen und trinken.«

»Ich werde weder das Eine noch das Andere tun«, glitt es unvorsichtig ziemlich vernehmbar über die Lippen des Domino.

»Sie ist es!«, dachte Helferich, welcher dieses Mal sehr genau hingehorcht hatte.

Mit dieser Entdeckung begann auch wieder sein Mut zu wachsen. Er fühlte sich jetzt wieder als Herr und Gebieter, dass er seine Frau hintergangen und schwer verletzt hatte, daran dachte er natürlich nicht mehr.

»Da Sie nicht trinken wollen, so muss ich es wohl für Sie tun«, sagte er machend. »Auf Ihr Wohl also, meine schöne Emanzipierte, die Sie den Mut hatten, sich ohne die Begleitung eines Herrn auf einen solchen Ball zu wagen. Auf Ihr Wohl – ha, ha!«

Den unteren Teil seiner Maske lüftend, stürzte er halb abgewendet, ein Glas Champagner hinunter. Als er sich wieder seiner Gesellschafterin zukehrte, blitzten ihm zornglühend ein paar dunkle Augen entgegen.

»Oh, es wird noch besser kommen, mein Engelchen«, dachte er, »ich werde ein Radikalmittel anwenden, um dir ein für alle Mal den Appetit zu vertreiben, mich auf dem Maskenball zu belauschen.«

Nach etwa einer Stunde sagte er: »Es dürfte jetzt Zeit sein, mich nach einem Wagen für Sie umzusehen. Gedulden Sie sich nur einige Augenblicke, ich bin gleich wieder hier.«

Der Wagen rollte allerdings bald darauf heran, indessen eine Viertelstunde, eine halbe Stunde verging, ohne dass sich Helferich blicken ließ.

»Mein Gott«, dachte Gabriele, »wo bleibt er denn?«

Indem trat der Kellner ein. »Meine Dame, das Lokal wird geschlossen, der Kutscher fängt schon an, ungeduldig zu werden.«

»Aber ich warte ja nur auf den Herrn, der eben noch hier war«, lautete die etwas bestürzte Antwort.

»Der Herr? – Bei seinem Fortgang sagte er, die gnädige Frau würden die Rechnung bezahlen. Hier ist sie, dieselbe beträgt gerade dreißig Gulden.«

»Abscheulich!«, murmelte Gabriele, »mich schließlich noch in solche Verlegenheit zu setzen! Ich war auf einen derartigen Fall ja gar nicht vorbereitet. Wo soll ich nun das Geld zur Bezahlung hernehmen?«

Aber nach kurzem Nachdenken wendete sie sich doch entschlossen an den ihrer Antwort harrenden Kellner und sagte zwar lächelnd, indessen doch mit einer Würde, die ihren Eindruck bei diesem nicht verfehlte.

»Der Herr, welcher ein sehr naher Verwandter von mir ist, hat sich einen Fastnachtsscherz gemacht. Nehmen Sie inzwischen dieses goldene, mit Diamanten besetzte Armband als Pfand, morgen wird die Kleinigkeit berichtigt werden.« »Es tut mir unendlich leid, gnädige Frau …«

»Machen Sie weiter keine Umstände – hier nehmen Sie.«

Damit reichte Gabriele ihr kostbares Armband dem Aufwärter und schlüpfte aus dem Haus, um sich des draußen harrenden Wagens zu bedienen.