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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 19

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 3
Abenteuer auf dem Lande

Wohin war er gegangen? Dort, etwa fünfzig Schritte von der Brücke, kauerte er hinter einer Felswand, von dichtem Gebüsch verborgen, die Flinte zum Schuss erhoben, als wenn er auf Wild lauerte.

Und in der Tat, ein finsterer (verbrecherisch würdet Ihr es nach Eurer menschlichen Moral nennen) Gedanke hatte sich auch seiner Seele bemächtigt. Als sich nun der Kilian, gemächlich auf dem Rücken seines starken Esels sitzend, langsam näherte, gelangte dieser Gedanke zur Ausführung. Ein Schuss krachte, als der Müller sich auf der schmalen, von keinem Geländer eingefassten Brücke befand. Unmittelbar darauf folgte ein lauter Aufschrei und schließlich stürzte der Kilian samt seinem Tier in den Bach, wobei das Wasser über beiden hoch zusammenschlug.

Einen Augenblick trat eine Totenstille ein, welche unserem Andreas sein ganzes Bewusstsein zurückgab und ihn die soeben begangene Tat in ihrer vollen Schwere erkennen ließ. Er zitterte, er erbleichte, er warf noch einmal den scheuen Blick auf die Stelle, wo sein Opfer versunken war. Dann stürzte er fort über Stock und Stein, von der schrecklichsten aller Furien (so würdet ihr Menschen sagen), von der Überzeugung des begangenen Mordes verfolgt.

Als er am anderen Morgen vor seinen Vater trat, sah er bleich wie ein Schatten aus, zeigte sich aber ergeben und gefasst.

»Lebt wohl«, sagte er mit bebender Stimme, indem er dem alten Mann die Hand reichte. »Lebt wohl, und wenn Euch von mir etwas zu Ohren kommen sollte, was Euch das Haar in die Höhe sträubt, so seid barmherzig und vergebt mir, und fluchet meiner nicht.«

»Was hast du vor?«, fragte der Waldhüter und blickte den Sohn ganz erstaunt an.

»Nichts, Vater, lasst mich gehen, ich habe Eile. Lebt wohl und betet (hier schnitt Schwefelkorn ein Gesicht) für mich.«

»Mache nur keine dummen Streiche«, entgegnete dieser, welcher natürlich von dem Vorgefallenen nichts ahnte, aber besorgt, setzte er doch hinzu: »Andreas, Andreas, seit du mit der Martha umgehst, ist es nicht recht richtig mit dir. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass ein junger Bursche einer solchen leichtfertigen Dirne wegen sich in Ungelegenheiten stürzte.«

»Mit der Martha und mir ist es für immer aus«, murmelte Andreas und überschritt die Schwelle des Hauses, während ihm der Vater kopfschüttelnd nachblickte.

»Junges Blut, tut selten gut«, murmelte er, »ich wette, die Falschheit des Mädchens hat ihm irgendeinen schlimmen Streich gespielt und er sinnt jetzt auf Rache. Nun, ich denke die frische Morgenluft wird ihm die bösen Gedanken vertreiben und er muss doch am Ende selbst einsehen, dass die Dirne nicht seiner wert ist.«

Indessen sich der Waldhüter auf diese Weise tröstete, hatte sein Sohn quer durch das Holz den nächsten Weg zum Flecken eingeschlagen und stand nun vor der Wohnung des Bürgermeisters still.

»Nun, was gibt es, Andreas?«, fragte der Polizeidiener, welcher sich wunderte, den jungen Menschen schon so früh an dieser Stelle zu sehen. »Habt Ihr wieder einmal einen Holzdieb erwischt? … He, habe ich es erraten?«

»Meldet mich beim Bürgermeister einer dringenden Angelegenheit wegen«, antwortete unser Bekannter, dumpf vor sich hinstarrend.

»Hm, seid ja heute verdammt kurz angebunden.« Der alte Casper begab sich fort, um den Auftrag auszuführen.

Ein paar Minuten darauf stand Andreas vor dem Gestrengen des Fleckens.

Dieser fragte: »Nun, was habt Ihr zu berichten? Hat sich etwas Außergewöhnliches ereignet?«

»Allerdings, Herr Bürgermeister.« Unser Bekannter senkte entmutigt den Kopf.

»So lasst hören. Ist im Wald etwas vorgefallen?«

»Nein, aber an der Brücke, die vor der Mühle liegt.«

»Ich errate schon. Ihr habt geschossen und getroffen?«

»Ja!«, tönte es dumpf von den Lippen des armen Sünders.

»Das ist schlimm«, sagte der Bürgermeister kopfschüttelnd. »Ist er denn tot?«

»Es unterliegt keinem Zweifel«, antwortete Andreas mit bebender Stimme, »und deshalb bin ich eben hier, um mich der Obrigkeit zu stellen und meine Strafe in Empfang zu nehmen.«

»Nun, es war doch wahrscheinlich ein Wilddieb und Ihr habt gewiss nur aus Notwehr geschossen? In diesem Fall wird Rücksicht auf Euch genommen werden.«

»Nein, Herr Bürgermeister, es war kein Wilddieb. Ich habe wissentlich getötet, und ich bin jetzt hierher gekommen, um mich der wohlverdienten Strafe zu unterwerfen.«

Daraufhin trat der Bürgermeister bestürzt einen Schritt zurück.

»Wie, Ihr, Andreas, der sich bisher des besten Rufes erfreute, Ihr wäret zum Mörder geworden?«

»Ja, zum Mörder!«, klang die dumpfe Antwort.

»Aber so sagt mir doch um des Himmelswillen, wer war denn das Opfer Eurer Rache?«

Unser Bekannter wollte eben hierauf antworten, als der Polizeidiener den Kopf zur Tür hineinsteckte und Meldung erstattete.

»Entschuldigen der Herr Bürgermeister, wenn ich störe, aber draußen steht der Kilian aus der Mühle und er ist nicht mehr zurückzuhalten. Er verlangt mit aller Gewalt vorgelassen zu werden, denn er behauptet, dass er eine Sache von der größten Wichtigkeit vorzubringen habe.«

Bei dem Namen »Kilian« schnellte Andreas wie eine Feder aus Stahl in die Höhe und ein Blick unendlicher Freude schoss aus seinen Augen, denn nun wusste er doch, dass sein Nebenbuhler noch lebte, und dass er kein Mörder geworden war.

Der Bürgermeister aber sagte: »Wenn der Bursche, der Kilian, sich so ungestüm gebärdet, so lasst ihn eintreten, er mag sein Anliegen vorbringen.«

Eine Minute darauf stand der Müller im Zimmer und warf einen wütenden Blick auf Andreas, als er diesen erblickte.

»Nun, was gibt es?«, fragte der Bürgermeister.

»Ich komme mit einer Anklage.«

»Gegen wen?«

»Gegen den hier,« und er zeigte mit einem zweiten wütenden Blick auf den Sohn des Waldhüters.

»Was ist geschehen?«

»Was geschehen ist? Mausetot hat er ihn geschossen. Er liegt im Bach und rückt und rührt sich nicht mehr.«

»Wer denn?«

»Nun, wer anders als der Graue.«

»Der Graue?«, sagte der Bürgermeister kopfschüttelnd, »erklärt Euch deutlicher.«

»Nun, mein Esel, jedermann im Dorf kennt meinen Esel.«

Jetzt musste sich der Bürgermeister zusammennehmen, um seinen Ernst beizubehalten.

»Andreas, bekennt Ihr Euch schuldig?«, fragte er, sich an diesen wendend.

»Allerdings«, lautete die Antwort, und schlau fügte unser Bekannter hinzu: »Ich kam eben deshalb hierher, um die Sache in Güte abzumachen.«

»Und darum nanntet Ihr Euch einen Mörder.«

»Ein Mord bleibt es doch immer, wenn es auch nur ein Mord an einem unschuldigen Tier ist«, antwortete Andreas mit einer Pfiffigkeit, die dem besten Advokaten Ehre gemacht haben würde.

»Nun, Kilian«, begann der Bürgermeister wieder, »wie viel ist Euch der getötete Esel wert?«

Warte, du sollst an mich denken, dachte der Müller und warf seinem Nebenbuhler einen neuen boshaften Blick zu, während er laut erwiderte: »Wie viel mir der Graue wert ist? Nicht weniger als fünfzig Gulden und davon geht kein Kreuzer ab.«

»Seid Ihr bereit, diese Summe als Schadenersatz zu zahlen, Andreas?«

»Ich weigere mich dessen nicht, ich werde das Geld noch heute hier hinterlegen.«

Der Kilian machte ein langes Gesicht. Er hatte erwartet, sein Gegner würde sich dagegen sträuben, und dann war es sein Vornehmen gewesen, den Entschädigungspreis noch höher hinaufzutreiben.

»Nun«, bemerkte der Bürgermeister, »der Streit ist somit also geschlichtet und morgen könnt Ihr Euch Euer Geld holen. Jetzt seid ihr beide entlassen und künftig haltet Frieden zusammen. Die Sache läuft nicht immer so glücklich ab.«

Die beiden Nebenbuhler entfernten sich ziemlich verlegen, denn jedem sagte sein Gewissen, dass der eine so viele Schuld wie der andere habe und dass die Dirne, die schwarzäugige Martha, am Ende doch alles angestiftet habe.

Der Müller, der Kilian, war aber ein höhnischer Mensch. Als er sich mit Andreas auf der Straße befand, blieb er stehen und sagte zu diesem gewandt: »Nicht wahr, die Martha hat dir ein hübsches Stück Geld gekostet und sie ist dir natürlich jetzt nur um so teurer geworden?«

»Keineswegs «, antwortete unser Bekannter, »und damit du siehst, dass ich keinen Groll mehr gegen dich hege, gebe ich dir dieselbe noch mit den fünfzig Gulden in den Kauf.«

»Ich danke bestens«, murmelte Kilian, »behalte dein Geschenk für dich, ich verzichte darauf.«

Der Vorfall wurde übrigens bald im Dorf ruchbar, und Martha fand es für angemessen, den Ort zu verlassen, weil ihr jedermann den Rücken kehrte. Sie begab sich zu der Residenz und dort fand sie freilich ein ergiebigeres Feld für sich.

Bald stolzierte sie in Samt und Seide einher und eines Tages heiratete sie und war dem Anschein nach eine vornehme Madame. Aber die Herrlichkeit dauerte nicht lange, denn es zeigte sich, dass ihr Mann ein Tagedieb und Faulenzer war, welcher verlangte, dass seine Frau ihn ernähren sollte. Da verschwanden denn zuerst die kostbaren Kleider im Pfandhaus, und dann fielen die einst so blühenden Wangen ein. Das frühere glatte rabenschwarze Haar hing zu beiden Seiten wirr und ungekämmt herum. Zuletzt musste dieselbe Martha, welche ehemals ein so leichtfertiges Spiel mit den Herzen der jungen Burschen in ihrem Dorf getrieben hatte, noch froh sein, dass sie sich in einer Kellerwohnung mit einer Drehrolle mühsam ihr Leben fristen konnte. Oft seufzte sie wohl schwer im Stillen über sich selbst, denn sie musste sich bekennen, dass sie durch eigene Schuld ihr Glück verscherzt hatte, woran sich manche ihres Geschlechts ein Beispiel nehmen mag.«

Hier schwieg der Erzähler und Schwalbe sagte: »Als Unterhaltung während einer Fahrt auf der Eisenbahn ist die Geschichte recht zeitkürzend gewesen. Auch dass Sie den Andreas schließlich noch mit einem blauen Auge haben davonkommen lassen, hinterlässt einen guten Eindruck, denn dieser schwarzäugigen Dorfkokette wegen hätte der ehrliche Bursche es doch nicht verdient, ins Unglück gestürzt zu werden.«

»Ich bemerkte Ihnen ja schon früher«, erwiderte Schwefelkorn, dass ich besser als mein Ruf bin. Wenn mich die Menschen nicht zwingen, boshaft zu werden, so begnüge ich mich in der Regel damit, sie ihre begangenen Torheiten in ziemlich gemütlicher Weise büßen zu lassen.«

»Das kommt darauf an, wie man es auffasst«, erwiderte der Doktor, »über die Sache ließe sich noch streiten.«

»Ja das ist eben der Widerspruch in der Natur von euch Erdenkindern«, entgegnete darauf sein Begleiter lachend, »dass ihr stets das letzte Wort behalten wollt. Ihr seid ein zänkisches Geschlecht und besitzt eine unüberwindliche Neigung, anderen das in die Schuhe zu schieben, was euch unbequem ist und was ihr gern los sein möchtet.«

Unterdessen hielt der Zug.

»Hier wollen wir aussteigen und Nachtquartier nehmen«, sagte Schwefelkorn. »Wir befinden uns in einer ziemlich großen Stadt und das Gut des Herrn von Bergheim liegt nur etwa zwei Stunden von derselben entfernt. Meinen Brief, worin ich ihm unseren Besuch ankündigte, hat er bereits empfangen und morgen nehmen wir uns einen Wagen und machen uns zu ihm auf den Weg. Bei seiner Liebenswürdigkeit dürfen wir uns eines guten Empfanges gewärtigen. Ich bin Taschenspieler genug, um den braven arglosen Herrn glauben zu machen, dass er wirklich den Jugendfreund vor sich hat, welchen er seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat.«