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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 2

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 2

Als Hans erwachte, drang ein fahler Lichtschimmer durch die Luke. Er hörte Schritte über sich auf Deck und die Rufe von Matrosen. Zugleich hatte er das Gefühl, als ob das Schiff sachte über das Wasser glitt. Wir sind in Fahrt!, frohlockte er, aber dann fiel ihm ein, dass sie noch auf dem Guadalquivir sein mussten. Noch vierundzwanzig Stunden, so berechnete er, waren es bis auf die hohe See. Vorher durften sie ihn nicht entdecken, sonst setzten sie ihn schlankweg an Land und er konnte sehen, wie er weiterkam. Er zog sich an. Seine Kleider waren noch feucht, aber wenigstens nicht mehr völlig durchnässt. In dem warmen Laderaum waren sie leidlich getrocknet. Der Hunger wühlte in seinen Eingeweiden. Er untersuchte die Säcke, auf denen er gelegen hatte, in der Hoffnung, dass sie Mehl enthielten. Aber es war Pferdefutter, Hafer und Häcksel. In den Kisten mochte vielleicht etwas Essbares sein, aber wie sollte er sie öffnen? Schließlich kaute er ein paar Haferkörner, aber das half nichts gegen den wütenden Hunger.

Plötzlich erschreckte ihn ein Geräusch. Von oben wurde eine Leiter durch die Lukenöffnung geschoben. Schnell zog er sich in sein Versteck zurück, warf sich hin und zog sich die Plandecke über den Kopf. Er beobachtete, wie zwei Männer die Leiter herunterstiegen und umständlich zu räumen und zu suchen begannen, wobei sie ein paar Mal ganz in seine Nähe kamen. Endlich schienen sie gefunden zu haben, was sie suchten. Mit Mühe schleppten sie eine große Kiste an Bord.

Hans war wieder allein, müde, zerschlagen und hungrig. Um den Hunger nicht so sehr zu fühlen, versuchte er weiterzuschlafen, und in der Tat schlief er vor Erschöpfung bald wieder ein. Er träumte sehr lebhaft. Er sah sich in Konstanz als Knabe auf dem Jahrmarkt. Verkaufsstände gab es da und Buden mit Zuckerwerk und Lebkuchenherzen. Das Schönste waren aber doch die Schaukeln. Sie hingen in der Form kleiner Nachen zu fünft nebeneinander an einem himmelhohen Gestell. Von den fünf Knaben in den Nachen will jeder am höchsten schaukeln. Um das Nachengestell herum aber stehen die Kameraden und machen ihre Glossen. »Seht den Veit!«, rufen sie. »Feste, Veit, noch höher, noch höher!« Hans packt der Ehrgeiz. Mit ganzer Kraft wirft er sich in die Seile. Da schreien sie auch schon: »Seht den Hans! Hans Hauser ist am höchsten!« Und Hans fliegt durch die Luft, ein Brausen und ein Sausen in den Ohren, einen leisen Druck auf dem Kopf, und die Fläche des Sees scheint im Wechsel des Auf und Ab sich steil aufzurichten und wieder zurückzusinken in die Waagrechte.

Gerade als sich der Träumer über diese merkwürdige Erscheinung Gedanken machen wollte, erwachte er und bemerkte mit Staunen, wie sich das Vorderschiff hob, hoch empor, dass die Ladung in Bewegung geriet, und dann wieder vornüber sank in schier unermessliche Tiefen. So ging das auf und ab, auf und ab, wie auf der Schaukel zu Konstanz, nur viel langsamer. Das ist die See, dachte Haus, das ist das offene Meer. Aber zugleich wurde ihm übel. Ein Brechreiz kroch ihm die Kehle herauf. Hans, der zum ersten Mal in seinem Leben zur See fuhr, wusste aus Erzählungen von Matrosen, was das war: Seekrankheit. Schließlich überwältigte ihn der Brechreiz. Doch er spie nur ein wenig Galle aus, er hatte ja nichts im Magen.

Matt, kalten Schweiß auf der Stirn, sank er auf sein Lager zurück, als plötzlich von Neuem die Leiter angelegt wurde, die diesmal ein riesengroßer Matrose herabstieg. Es war, wie Hans später erfuhr, Hinnerk Klövekorn ans Blankenese.

Der Lange sah sich zunächst einmal prüfend im Laderaum um.

Haus rührte sich nicht. Doch plötzlich kam ihn wieder das Würgen an, und da stand auch schon Hinnerk Klövekorn vor ihm und sagte bloß: »Nu kiek mal da! Ja, Kamerad, wo kommst du denn her?«

Statt aller Antwort fragte Hans: »Sind wir schon auf hoher See?«

»Ich denk’ doch wohl«, entgegnete Klövekorn lachend. »Merkst du nicht, dass eine höllisch steife Brise weht?«

»So!«, sagte Hans erleichtert. »Dann kann ich ja wohl an Deck gehen.« Mühsam – die Beine versagten ihm fast den Dienst – kletterte er vor Klövekorn die Leiter hinauf.

Auf Deck saßen und standen Matrosen und Fahrgäste herum. Das Schiff machte unter vollen Segeln rasche Fahrt. Das Meer war stürmisch bewegt. Man sah bis zum Horizont nichts als Wasser. Von der dunkeln, fast schwarzen Flut hoben sich hell die weißen Schaumstreifen der Wellen ab.

Das Erscheinen des jungen Burschen erregte großes Erstaunen. Von allen Seiten liefen Matrosen und Fahrgäste herbei und starrten Hans wie ein Meerwunder an.

»Nu segg man bloß, wo kommst du denn her?«, fragte Klövekorn nochmals im heimatlichen Platt.

Hans, dem im scharfen Wind ganz schwindlig wurde, antwortete nur leise: »Aus Konstanz.«

Ein allgemeines Gelächter erhob sich. »Aus Konstanz kommt er, geradeswegs aus Konstanz!« Und einer fing gar zu singen an: »Konstanz liegt am Boden – Bodensee …«

Hans ärgerte sich. Er hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Da ging eine Bewegung durch die Umstehenden Die Matrosen wichen zurück und machten einem großen blonden Mann Platz.

»Was geht hier vor?«, fragte Hohermut. Da traf sein Blick Hans’ klägliche Gestalt. Ein Ausdruck ärgerlichen Staunens ging über seine Züge. »Hans Hauser«, rief er, »ja, zum Teufel, was tust du denn hier?«

Das war zu viel für Hans. Überwältigt von Schwäche, sank er vor dem Mann in die Knie. Das aber gefiel Hohermut vollends nicht. Er fasste ihn hart an der Schulter. »Steh auf!«, gebot er.

Doch Hans gehorchte sein Körper nicht mehr, er vermochte sich nicht zu erheben.

Einen Augenblick stand Hohermut unschlüssig. Da nahm Martin Kressel, Hohermuts Pferdeknecht, das Wort. Er hatte ein eckiges Gesicht und steil aufgebürstete blonde Haare, dazu gutmütige blaue Augen. »Euer Gnaden«, sagte er, zu Hohermut gewendet, »ich glaube, der Bursche hat Hunger.«

Hohermut sah einen Augenblick von dem derben Knecht zu dem schlanken Jüngling, der immer noch vor ihm kniete und dem die blonden Strähnen wirr über das bleiche Gesicht hingen.

»Nun, wenn du meinst, Martin«, sagte er schon etwas freundlicher, »dann gib ihm etwas zu essen!«

Kressel trat zu Haus. »Kommt!«, sagte er. Er umschlang den Jungen – Kressel mochte doppelt so alt sein wie Hans – und zog ihn, ja trug ihn fast hinunter unter Deck in sein, Martin Kressels Reich.

Das war freilich sehr klein. Kressel teilte es mit drei Pferden: mit Jakob und Esau, den Füchsen, die Hohermut und Hutten ritten, und seinem eigenen Pferd, dem Rappen Suse. Die Pferde standen so eng, dass ihre Leiber einander fast berührten. An der Seite hatte sich Martin eine schmale Ruhestatt bereitet. Dort bettete er nun Hans, der sich wie leblos fallen ließ. Dann ging Martin in die Kombüse zu Keil, dem Koch. »Mach mal eine Mehlsuppe«, sagte er in seiner oberhessischen Mundart – er stammte aus Laubach im Vogelsberg – »und gut geschmälzt!«

Keil aber stieß ärgerlich die Tiegel und Töpfe auf dem winzigen Herd herum. »Jetzt gibt’s keine Suppe«, brummte er ärgerlich, »und überhaupt ist das Schmalz knapp und nur für die Herren.«

Martin Kressel aber erwiderte ganz ruhig: »Siehst du, Keil, jetzt machst du mir gleich eine Mehlsuppe, und gut geschmälzt, oder ich hau’ dir dein ganzes Gelump zusammen.«

Da sah ihn Keil nur schief von unten an und sagte: »Na ja doch! Warum denn gleich so grob?« Er tat Mehl und Wasser, sogar ein bisschen Milch – was eine große Leckerei war – in den Topf, und Kressel passte auf, dass auch ein gehöriges Stück Schmalz dazukam. Mit der fertigen Suppe aber ging Martin hinunter zu seinem Schützling. Der lag noch immer blass mit geschlossenen Augen. Er war zu schwach, um sich aufzurichten. Da gab ihm Martin Kressel die Mehlsuppe löffelweise in den Mund. Hans aß gierig. Kressel aber brummte, während er ihm die Suppe einflößte: »So ein Huhn, so ein Kücken, so ein verrücktes!«

Hans Hauser fühlte sich ungemein wohl. Er lag neben den Pferden, wo ihm Kressel, so eng der Raum war, ein Plätzchen eingeräumt hatte. Als Martin sich am Morgen erhoben hatte, war auch Haus erwacht. Doch Martin gebot ihm, liegen zu bleiben, und zwar in einem Ton, der Widerspruch nicht ratsam erscheinen ließ. Da lag er denn und sah durch die halb geöffneten Augenlider, wie Martin die Pferde sorglich putzte, mit besonderem Bedacht aber Suse, seinen eigenen Gaul. Wie lange er so lag, wusste er nicht. Da Kressel offensichtlich keine Lust zum Reden hatte, schwieg auch Hans. Ein paar Stunden mochten so verflossen sein, dann brachte Martin einen großen Topf mit Erbsen und Speck, dazu zwei Löffel. Sie langten beide gehörig zu, als aber der Topf zu zwei Drittel leer war, reichte ihn Martin Hans hinüber. »Der Rest ist für Euch.«

Hans war zufrieden. Er war nicht mehr seekrank, nicht mehr müde, nicht mehr hungrig, und ein paar Dutzend Meilen lagen zwischen ihm und dem Sevillaner Kontor nebst dem ehrenwerten Don Francisco Garcia.

Es musste Nachmittag sein, als ihn ein Matrose zu Hohermut entbot. Hans schlug das Herz, als er dem Boten zur Hütte auf dem Hinterdeck des Schiffes folgte, wo Hohermut wohnte. Als er eintrat, waren Hohermut und Hutten über Karten und Papiere gebeugt. Sie schienen beide den jungen Mann, der schüchtern in einer Ecke des kleinen Raumes stand, nicht zu bemerken.

Endlich hob Hohermut den Kopf: »Lasst Euch vom Quartiermeister warmes Zeug gehen, Hauser!«, begann er ohne weitere Begrüßung und ohne das vertrauliche Du, dessen er sich im Sevillaner Kontor im Gespräch mit Hans bedient hatte. »Und dann mögt Ihr Martin Kressel bei den Pferden helfen. Wenn wir erst auf den Inseln sind, wird sich eine Gelegenheit finden, Euch nach Sevilla zurückzuschicken.«

Damit war Hans entlassen. Aber als er wieder draußen stand auf Deck und der herrliche Seewind ihm um die Ohren blies, der die knisternden großen weißen Segel füllte, als er über die weite, bewegte Meeresfläche blickte, die jetzt blau im Sonnenschein lag, da musste er an sich halten, dass er nicht laut aufjauchzte. »Frei, frei!«, jubelte sein Herz. »Und die Welt, die schöne, unermesslich weite Welt liegt ausgebreitet vor dir. Von den Kanarischen Inseln wollt ihr mich heimschicken? Ach, edler Herr Georg Hohermut von Speyer, es wird sich schon so bald keine Schiffsgelegenheit nach Sevilla finden! Und wenn es auch eine gibt, Ihr, edler Herr, werdet den Hans Hauser schon nicht heimschicken, wenn Ihr erst wisst, was Ihr an ihm habt.«

So half er denn Martin Kressel bei den Pferden, der den »Tintenkleckser« und »Pfeffersack« zuerst etwas geringschätzig behandelte. Er lernte mit Striegel und Kardätsche umgehen, lernte Tränken – »dass Ihr mir ja den Eimer hochhaltet, damit der Gaul sich nicht zu bücken braucht!« – und Füttern: Hafer und Häcksel, »wohl gemischt, für Suse aber etwas mehr Hafer, denn das braucht sie.«

Die nächsten Tage brachten schönes Wetter. Hans, der bei den Pferden nicht allzu viel zu tun hatte, benutzte sie, um sich auf dem Schiff umzusehen. Die Trinidad war eine stolze Karavelle, dreimastig mit zwölf Geschützen, sodass eine Breitseite von je sechs Geschützen abgefeuert werden konnte. Kapitän war ein Spanier, ein kleiner Mann mit pechschwarzem Spitzbart, dessen Haut gelb, ja braun war wie angegilbtes Pergament. Er sprach fast nichts und war unter Schiffsvolk und Fahrgästen gefürchtet, aber er galt als erfahrener Kapitän, der schon viele Schiffe in die Neue Welt geführt hatte. Ja, man erzählte sich sogar, dass er – damals noch ein Schiffsjunge – an des großen Kolumbus vierter Reise nach Westindien teilgenommen habe.

Das Schiffsvolk war aus aller Herren Ländern zusammengewürfelt: Spanier waren darunter und Portugiesen, ein Schotte, ein Flame, ein Däne und als einziger Deutscher der Hamburger Hinnerk Klövekorn. Es war eine recht rohe, ja gefährliche Gesellschaft, die sich kaum untereinander verständigen konnte, und es bedurfte eiserner Strenge, sie in Zucht zu halten. Die Fahrgäste – hundertzwanzig Köpfe, darunter auch einige Frauen – waren außer ein paar spanischen Edelleuten fast lauter Deutsche. Sie hatten daheim Pflug und Handwerkszeug verlassen, um in der Neuen Welt ihr Glück zu machen. Viele treue und biedere Landleute und Handwerker waren dabei, auch ein Spaßmacher, der die langen Stunden der Fahrt mit Schnurren und Späßen trefflich zu verkürzen verstand, Jakob Schmitz, ein Barbier aus Köln.

Einer von den Fahrgästen stand immer ein wenig abseits, besonders wenn der Pater Severinus, ein Augustiner aus Mainz, des Morgens die Messe las. Es war ein langer Student mit der breiten roten Narbe eines Säbelhiebs auf der Stirn. Hans Hauser gegenüber lüftete er ein wenig das Geheimnis, das seine Person umgab und das ihn in den Verdacht gebracht hatte, ein Ketzer zu sein. Er erzählte ihm, dass er, ein geborener Niedersachse, zu Wittenberg Student gewesen sei und zu Philipp Melanchthons, ja zu des streitbaren Gottesmannes Martini Lutheri Füßen gesessen habe. Eines Duells wegen, das ihm die Narbe eingetragen, dem Gegner aber das Leben gekostet habe, sei er relegiert worden. Er bekannte sich zu des Lutheri Lehre, meinte aber, dass Hans nur so beten und es mit der Kirche halten solle, wie es ihn seine Mutter gelehrt habe.

Es gab unter den Fahrgästen auch ein paar wüste und wilde Gesellen, denen daheim in Deutschland oder Spanien der Galgen drohte und die sich der irdischen Gerechtigkeit durch die Flucht übers Meer zu entziehen gedachten. Sie hockten meist im Kreis um die paar »Altgedienten« herum und lauschten ihren tollen Erzählungen von den Wundern der Neuen Welt. Die »Altgedienten« – so hießen die Landsknechte, die schon an einer Expedition in das Innere Venezuelas teilgenommen hatten – überboten sich in Wundermären. Von Zwergvölkern erzählten sie, von Gegenden, wo die Menschen nicht sterben, vom Indianervolk, bei dem die Frauen gewappnet und gerüstet zu Felde ziehen, nur einmal im April eines jeden Jahres Männer eines Nachbarstammes empfangen und die Knaben töten, die zur Welt kommen. Fiebrig aber glänzten die Augen der Erzähler wie die ihrer Zuhörer, wenn die Rede auf die Goldschätze der Neuen Welt kam. Alle kannten die Berichte des Fernando Cortez über das Wunderland Mexiko, das Reich Montezumas, das goldstrotzende, wo die Azteken ihren furchtbaren Göttern scharenweise Menschen schlachteten. Mit Feuer und Schwert hatte der ruhmreiche spanische Eroberer wider den satanischen Brauch gewütet. Dann, wenige Jahre später, war die kaum minder seltsame Kunde von dem Inkareich, dem Goldland Peru, ans Ohr des aufhorchenden Abendlandes gedrungen, das die Spanier Pizarro und Almagro mit ebenso viel Tapferkeit wie Tücke der Krone Spaniens unterworfen hatten. Brauchte man nicht nur loszustürmen in die indianische Wildnis, wie die kleinen Abenteurerscharen um Cortez und Pizarro, um Gold zu finden in diesem Erdteil voller Wunder, scheffelweise, haufenweise, Berge von Gold?

Ein Märchen ging von Mund zu Mund, eine Sage, ein Gerücht. An einem See liegt eine große Indianerstadt. Unermesslich reich sind ihre Bewohner. Ihre Häuser sind mit Platten aus purem Gold gedeckt. Der König aber geht ganz eingehüllt in Gold. Allmorgendlich salbt man ihn und bestreicht den Körper mit Goldkörnern, dass er ganz bedeckt ist vom gleißenden Metall. Wo ist die Stadt, wo herrscht al rey dorado, der vergoldete König? Wo liegt der See? In den unermesslichen, von den großen ostwärts strömenden Flüssen durchzogenen Ebenen, den sonnenglühenden Llanos? Im Gebirge oder am gewaltigen Strom Orinoko? In den Schneebergen der Cordillere de los Andes? Er lockt, der Goldene, er winkt, er zieht, ein Trugbild, ein höhnisches Gespenst, die Golddurstigen hinter sich her, unerreichbar, immer entschwindend. Überall ist sein Reich und doch nirgends.

Der lange niedersächsische Student zeigte Hans Hauser eine Karte der Neuen Welt, die er in Sevilla erstanden hatte. Sie sei von Amerigo Vespucci, dem berühmten Florentiner, in Person gezeichnet, so habe ihm der Krämer erklärt und sich seinen Schatz gehörig bezahlen lassen.

»Seht«, sagte der Student, auf die Karte weisend, »dies hier ist das Land, dem wir zusteuern, Venezuela, Klein-Venedig, wie es der Entdecker Alfonso de Hojeda nannte. Ich glaube, weil ihn die Pfahlbauten der Indianer an die Lagunenstadt erinnerten. Und hier quer über dem ganzen Land steht: Pariás abundantia auro et margaritis. Parias, ein Land unermesslich reich an Gold und Perlen. Dem Goldland steuern wir zu und der costa de perlas, der Perlenküste.«

»Und Ihr«, fragte Hans Hauser, »wollt Ihr auch reich werden im Welserland? Sucht Ihr auch nach dem Reich des vergoldeten Königs?«

Der Student schwieg. »Nein«, sagte er dann zögernd, »Golddurst plagt mich nicht. Aber seht, da war in meiner Vaterstadt ein Schulmeisterlein, Waldseemüller hieß es. Das brachte uns Knaben nicht nur Lesen, Schreiben, Rechnen und ein bisschen Katechismus bei. Der kleine Mann mit den feurigen Augen hatte allerhand gelesen und verstand sogar Lateinisch. Ihr hättet ihn hören müssen, wie er erzählte von den Entdeckungen der Portugiesen und Spanier, vor allem aber von Christoph Kolumbus, dem großen Seefahrer, und seinen vier Reisen, die er unternahm, um auf der Fahrt nach Westen Indien zu erreichen. ›Ein neues Zeitalter ist angebrochen‹, so pflegte er zu sagen, ›als Kolumbus den Fuß auf die kleine, unbekannte Insel der Neuen Welt setzte.‹ Damals sprang der Wunsch in mir auf, brennend, unbezwinglich: Das Land der Wunder musst du sehen! Dort, wo der Mensch ganz allein auf sich selber gestellt ist, musst du dich bewähren. Mit leiblichen Augen will ich schauen, wovon der kleine Schulmeister nur vom Hörensagen weiß.«

»Ja«, sagte Kressel, der sich zu den beiden gesellt hatte und nachdenklich Fabricius’ Worten gefolgt war, »das kann ich wohl verstehen. Trotzdem, mich treiben nicht Golddurst und Abenteuerlust übers Meer. Ich glaube nicht, dass die Neue Welt schöner ist als unsere Heimat. Auch uns Bauern hat der Agent des Welserhauses, der zu uns nach Laubach kam, um Auswanderer für die Unternehmungen der Welser in der Neuen Welt zu werben, die Schönheit und den Reichtum Venezuelas in glühenden Farben geschildert. Doch es hat keinen großen Eindruck auf uns gemacht. Wir Bauern wissen zu gut, dass der Mensch im Schweiß seines Angesichts sein Brot essen soll. Als aber der Agent von den drei Ernten erzählte, die der Boden drüben im Welserland in einem Jahr bringe, da haben wir aufgehorcht. Muss ein solches Land nicht sichtbar von Gott gesegnet sein? Ich bin der jüngere Sohn, und mein Bruder … Sollte ich mein Leben lang Knecht sein auf seinem Hof? Ich zögerte nicht lange. Noch am selben Abend habe ich in Gegenwart von zwei ehrenhaften Zeugen den Vertrag mit dem Agenten der Welser abgeschlossen.«

»Aber«, sagte Hans Hauser und warf sich ein wenig in die Brust, »ohne mein Haus, die Welser, würdet Ihr nie auf diesen Schiffsplanken stehen auf der Fahrt ins indianische Land. Die Welser in Augsburg, die Fugger in Nürnberg, die große Handelsgesellschaft in Ravensburg: Seht den Wagemut und die Tatkraft, mit der sie den guten Ruf und den ehrlichen Namen des deutschen Kaufmanns über das Weltmeer tragen! Eine Macht sind sie, die sich Fürsten und Herren, ja dem großmächtigen Kaiser Karl V., an die Seite stellen kann. Ist der Kaiser nicht in der Schuld der Welser und Fugger, wie jedermann weiß, seit sie ihm mit gewaltigen Summen aushalfen bei der Kaiserwahl? Darum auch, als es galt, das neu entdeckte indianische Land zu erschließen, zu besiedeln, da rief der Kaiser die Welser und belieh sie, die Kaufleute, mit einem wahren Königreich, mit Venezuela, dem Welserland.«

»Ein neues Deutschland, ein Deutschland über See!«, sagte Fabricius. »Soll es noch einmal so weit kommen? Es wäre ein Geschenk Gottes. Denn vielleicht, wer weiß, wird einmal den Deutschen die Heimat zu eng, und haben wir nicht dasselbe Recht an der Welt wie die Portugiesen und Spanier, die Engländer und Holländer?«

»Ja«, versetzte Kressel, »und die Frucht gedeiht gut in dem Land, das mit deutschem Schweiß gedüngt ist.«

Ein paar Tage später kam Alegranza, die nördlichste der Kanarischen Inseln, in Sicht. Der Kapitän ließ scharf Ausguck halten, denn in den Buchten der kleinen, unbewohnten Kanarischen Inseln pflegten die Berber, die gefürchteten afrikanischen Seeräuber, den Schiffen aufzulauern, die nach Westindien bestimmt waren oder, beladen mit den Reichtümern der Neuen Welt, zu den spanischen Häfen heimkehrten.

Hans Hauser, der ungewöhnlich scharfe Augen hatte, liebte nichts mehr, als im Mastkorb zu sitzen und Ausschau zu halten. Wirklich sichtete er eines Morgens ein Schiff am Horizont, das ihm verdächtig vorkam. »Schiff voraus!«, gellte sein Ruf über Deck.

Der Kapitän ließ für alle Fälle die Geschütze klar machen. Mit großer Geschwindigkeit lief das unheimliche Schiff auf die viel langsameren Expeditionsschiffe zu. Doch plötzlich drehte das Piratenschiff bei und nahm Kurs auf das afrikanische Festland. Hohngeschrei und befreites Lachen ertönte auf der Trinidad, wo Matrosen und Reisende, an der Reling stehend, die Bewegungen des Seeräubers gespannt verfolgt hatten. Auch Haus Hauser atmete auf. Doch es war ihm fast ein wenig leid, dass er um ein wirkliches und richtiges Seegefecht gekommen war.

Fortsetzung folgt …