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Der Welt-Detektiv Band 6

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Schwäbische Sagen 1

Schwäbische-Sagen

Das Opfer für die alte Urschel

Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen

Ein Vorsprung des Urschelberges bei Pfullingen wird das »Hörnle« genannt, über welches der Weg auf den eigentlichen Urschelberg führt. Wenn die Pfullinger Kinder diesen Berg besteigen wollen, um Holz zu suchen, so kommen sie in der Nähe der Frauenhalder Weinberge an einem Stein vorüber, der heißt der »Remselesstein«, weil hier jedes Kind zwei bis drei durchlöcherte Hornknöpfe (Remsele genannt) als »ein Opfer für die alte Urschel« hinlegt. Bei der Rückkehr sieht man alsdann nach, ob die Knöpfe noch daliegen. Wenn die Urschel sie auch nicht wegnimmt, so hat sie doch indes danach gesehen und sich darüber gefreut. Ganz nahe bei diesem Stein ist eine Wasserquelle.

Ehe die Kinder von dem Remselesstein an weiter hinaufsteigen, suchen sie erst noch einen hübschen Stein, auf welchen die Sonne, wie sie glauben, etwas eingebrannt hat, nämlich ihr eigenes Bild, eine »Sonne« oder ein rundes, regelmäßiges Loch, durch welches man hindurchsehen kann. Ein solcher Stein wird dann eine Strecke weiter oben bei dem sogenannten »Hämmerle«, einem durchbrochenen Felsen, durch welchen der Weg führt, rechts, an einer steilen Stelle hinabgeworfen. Dann sieht man genau zu, wie weit die Steine hinabrollen, und wer den seinen am weitesten laufen sieht, der sagt ganz vergnügt: »Die Urschel hat mein Opfer am liebsten angenommen.«

Die alte Urschel hat vor vielen Jahren einen Bauer, der Laub geholt hatte, mit Wagen und Ochsen an eben dieser Stelle hinabgeworfen. Indes ist ihm und seinem Gespann wunderbarerweise nichts geschehen. Nur das Laub war verstreut, sodass er es frisch wieder aufladen musste.

Etwa siebzig Schritte unterhalb des »Hämmerle« befand sich sonst hart am Wege ein tiefes, unergründliches Loch, woselbst die Urschel den Eingang zu ihrem unterirdischen Schloss hatte. Man hat aber vor noch nicht langer Zeit einen Stein darauf gewälzt und Erde darüber geworfen. Doch ist die Stelle noch immer kenntlich.


Das Nachtfräuleinsloch

Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen

Auf einem Vorhügel des Urschelberges, auf dem sogenannten »Hörnle«, befindet sich eine Grube, die das »Nachtfräuleinsloch« heißt. In dies wirft jeder, der daran vorübergeht oder fährt, einen Stein, indem er sagt: »Wir wollen den Nachtfräulein auch ein Opfer bringen.« Wer dies Opfer aber nicht bringt, dem legen die Nachtfräulein einen Stein so in den Weg, dass er darüber fallen muss, oder sie spielen ihm auf eine andere Weise einen Streich.

Vor einigen Jahren hat man dies Loch untersucht und weiter darin nachgegraben, aber keinen Grund gefunden. Kein Strick war lang genug, die Tiefe desselben auszumessen. Deshalb hat man es endlich mit breiten Steinen zugedeckt. Eine Vertiefung jedoch ist geblieben, und die Vorübergehenden werfen noch beständig einen Stein dahinein. Wenn dieses Loch einmal ganz ausgefüllt sein wird, dann sind die Nachtfräulein, die man auch »Nonnen« nennt, erlöst, und dann wird Pfullingen die glücklichste Stadt des Landes werden.


Das versunkene Schloss

Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen

Dicht bei dem Nachtfräuleinsloch, etwa 170 Schritt unterhalb des »Hämmerle«, erhebt sich ein kleiner Hügel, auf dessen Spitze ein Signalstein gesetzt wurde. Dort soll in alten Zeiten ein Schloss gestanden haben und mit unendlichen Schätzen in die Tiefen gesunken sein.

Bei Nacht kam einmal eine Frau aus Reutlingen an dem Platz vorbei, sah plötzlich ein prächtiges Schloss vor sich stehen und ging hinein. Darin traf sie Männer und Frauen. Die gaben ihr zu essen und zu trinken, soviel sie mochte. Als sie hierauf nach Pfullingen kam und die Leute fragte, wem denn das stolze, glänzende Schloss da oben am Berg gehöre, wo sie so herrlich bewirtet worden war, da konnte ihr niemand Auskunft darüber geben.

Ebenso sagt man, dass auf der Höhe des eigentlichen Urschelberges (auf dem Hohberg oder Hauberg) noch ein zweites Schloss versunken sei und nun in der Tiefe des Urschelberges, der hohl sein soll, von der alten Urschel bewohnt werde.

Den ganzen Berg soll eine goldene Kette umschließen und die unterirdischen Schätze des Schlosses zusammenhalten.

Ein Mann aus Pfullingen hatte viel von diesem Schloss gehört und ging deshalb einmal bei Nacht hinauf. Er fand dort auch richtig ein Schloss und zog an der Glocke, die an der Tür hing, worauf ein weißes Fräulein hervortrat und ihn fragte, was er wolle. Er war verlegen und wusste nicht, was er antworten sollte, und sagte deshalb, er hätte sich verirrt. Da ging das Fräulein zurück, kam aber alsbald mit einer Laterne wieder, um ihn den Weg nach Pfullingen zu zeigen, und führte ihn traurig die Treppe hinab. Während sie miteinander gingen, fragte der Mann sie mancherlei, erhielt aber keine Antwort. Endlich, als er dicht bei seinem Haus war, zeigte das Fräulein darauf und sprach: »Da geht’s hinein!« Dann wandte es sich um und ging zurück.


Die alte Urschel

1

Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen von einer alten Frau

Seit vielen Hundert Jahren lebt eine verwünschte Frau im Urschelberg bei Pfullingen; man nennt sie nur die alte Urschel. Sie erscheint manchmal in schwarzen, manchmal in weißen Kleidern. Immer hat sie einen Schlüsselbund an der Seite.

Vor etwa zweihundert Jahren lebte zu Pfullingen ein Bursche namens Michael Weiß. Der fand als Knabe einmal am Fuße des Berges ein Pferdekummet. Er nahm es auf, aber sogleich verwandelte es sich unter seinen Händen in die Urschel aus dem Berg. Sie war von kleiner, zierlicher Gestalt, trug einen Schlüsselbund und begleitete von nun an den jungen Burschen, wenn er auf dem Urschelberg erschien. Kam er mit Wagen und Pferden, so bremste sie bei der Abwärtsfahrt den Wagen, indem sie sich ins Rad stellte, und zwar vom Steig am Urschelhohberg bis nahe vor Pfullingen. Sie sprach auch mit dem Burschen und erzählte ihm mancherlei. Das ging so, bis der Michel verheiratet war und schon vier Kinder hatte. Eines Tages sagte sie zu ihm, sie sei von ihrer Schwester hierher verwünscht worden, und er sei ausersehen, sie zu erlösen. Sie werde ihm erscheinen halb als Schlange, halb als Jungfrau, und dann müsse er sie küssen. Darauf werde ein schwarzer Pudel seinen Rachen gegen ihn aufreißen, aber das habe nichts zu bedeuten. Sie werde ihm eine Rute reichen, und er könne damit den Pudel, der auf einer Kiste sitze, leicht vertreiben. Das Geld in der Kiste gehöre dann ihm. Auch werde über seinem Haupt ein Mühlstein an einem Zwirnsfaden hängen, allein auch das sei nicht gefährlich, wenn er nur stillhalte und sich überhaupt nicht muckse; wenn er aber einen Laut von sich gebe, sei er verloren.

Michel erschrak zuerst über diese Ankündigung, dann machte er eine Bedingung und sagte, er wolle das alles nur tun, wenn seine Eltern mitkämen. Das wollte jedoch die Urschel nicht zugeben, und so unterblieb die Erlösung. Die Urschel setzte ihm noch eine Zeit lang zu mit Bitten und Flehen; dann sagte sie ihm schließlich, dass er auf alle Fälle zu einer bestimmten Zeit sterben müsse, er möge sie nun erlösen oder nicht. Trotzdem war Michel nicht mehr umzustimmen und starb genau an dem Tag, den die Urschel vorausgesagt hatte. Da soll sie bitterlich geweint und gesagt haben, wenn ein Hirsch eine Eichel in den Boden trete und aus der Eichel ein Baum und aus dem Holz des Baumes einmal eine Wiege werde, so könne das erste Kind, das da hineinkomme, sie einmal erlösen.


2

Eine mündliche Überlieferung von Herrn Pfarrer Meyer in Pfullingen

Ein junger Gesell aus Pfullingen ging einst mit seinen Eltern auf ein Feld am Urschelberg, um Kartoffeln zu holen, schirrte die Pferde ab und ließ sie während der Arbeit weiden. Als er nachher auf dem Berg sie wieder aufsuchte, fand er dort ein neues Pferdekummet. Das nahm er mit und setzte es sich, wie es der Brauch ist, auf beide Schultern, indem er seinen Kopf zwischen durchsteckte. Da sah er mit einem Mal die alte Urschel im grünen Rock und mit roten Strümpfen vor sich stehen. »Ich und noch jemand«, sprach sie, »freuen uns, dass du endlich gekommen bist. Wir warten schon Jahrhunderte lang auf die Erlösung, zu der du uns verhelfen kannst.« Dann erzählte sie ihm ausführlich, mit welcher Sehnsucht und Sorge sie das Keimen und Wachsen des Baumes belauscht und betrieben habe, daraus man seine Wiege gemacht hatte; wie sie Minuten und Tage, Jahre und Jahrhunderte gezählt habe, bis der Baum endlich gehauen und aus seinem Holz eine Wiege gemacht worden war. In dieser Wiege habe sie ihn gepflegt und vor den Nachstellungen ihres bösen Feindes von klein auf geschützt. Nun sei die Zeit gekommen, wo er sich dankbar zeigen und sie erlösen könne, was unter allen Menschen nur ihm allein möglich sei. Sie sagte ihm weiter, dass sie unermessliche Schätze bewache. Diese wolle sie alle ihm geben, und einen noch tausendmal köstlicheren Schatz, wenn er sie erlöse. Sie werde ihn auf einem Weg, den sonst niemand sehen könne, in das Innere des Berges führen, woselbst jetzt das alte herrliche Schloss stehe, das vordem oben auf dem Berg gestanden hatte. Dort werde eine Schlange von furchtbarem Aussehen auf seine Brust losfahren. Diese solle er nur herzhaft in die Arme schließen und fest an sein Herz drücken, so werde er alsbald das schönste Weib von der Welt in seinen Armen haben. Dann sei der alte Fluch gelöst. Das alte Schloss werde aus der Tiefe wieder ans Tageslicht heraufsteigen und er darin wohnen und all die goldenen Schätze mit dem schönen Weib teilen.

Mit solchen Worten und Besprechungen suchte sie den Jüngling zu bewegen. Dem aber wurde es angst und bange, und er betete im Stillen ein Vater unser. Da war die Urschel plötzlich verschwunden. Danach erschien sie ihm noch zu verschiedenen Malen und suchte ihn zu bereden, dass er ihr doch zu Willen sein möchte. Er widerstand aber jedes Mal ihren Bitten, zumal sie ihm nicht gestatten wollte, dass er seine Eltern mitbringe. Diese sollten höchstens bis an den Eingang des Berges mitgehen dürfen.

Eines Tages war der junge Gesell mit anderen Kameraden wieder am Urschelberg. Da erschien auch die alte Urschel wieder und drohte ihm nun, dass er des Todes sein sollte, wenn er noch länger sich weigere, sie zu erlösen. Die anderen aber sahen nichts und hörten nichts von ihr. Da versprach er ihr es denn endlich, fragte vorher aber noch den Geistlichen, der sein Beichtvater war, um Rat, der meinte, dass eine einmal verfluchte Seele durchaus nicht erlöst werden dürfe, und führte dies in der Predigt, die er am nächsten Sonntag hielt, noch weiter aus, und schloss damit, das Ganze sei ein Teufelsspuk, um die arme Seele dieses frommen Jünglings zu verderben. Es gibt noch einige ganz alte Leute, deren Eltern diese Predigt mit angehört haben.

Nach Jahr und Tag kam der junge Gesell einmal wieder mit seinen Eltern auf den Acker am Urschelberg, um Kartoffeln zu holen. Sie hatten wieder ihre Pferde bei sich, von denen eins das gefundene Kummet trug. Da erschien dem Jüngling, ohne dass die Eltern es sahen, die alte Urschel wieder und schalt ihn heftig aus, dass er dem Pfarrer von ihr gesagt habe. Dann wiederholte sie ihr altes Jammern, dass, wenn er sie nicht erlöse, sie noch Jahrhunderte lang leiden müsse.

»So geschieht es dir eben recht!«, gab er ihr zur Antwort. »Wer einmal verflucht ist, ist ewig verflucht.«

Diese Worte hörten seine Eltern und merkten daraus, dass er mit der Urschel rede, von deren Worten sie keinen Laut vernommen hatten. Plötzlich aber sahen sie ihren Sohn tot niederfallen. Die alte Urschel hatte ihn umgebracht. Zugleich war das gefundene Kummet verschwunden.

Von dieser Geschichte sollen die Äcker hinter dem Urschelberg den Namen »Mordios-Äcker« erhalten haben.


3

Eine mündliche Überlieferung aus Reutlingen

Die Urschel pflanzte einmal, um erlöst zu werden, eine Buche; denn wäre aus diesem Baum, nachdem er groß geworden war, eine Wiege gemacht worden, so würde das Kind, das man in diese gelegt hätte, sie erlösen können. Allein der Baum wurde gefällt und zu Brennholz verwandt. Sie steckte daher eine zweite Buche. Aus der wurde wirklich nach vielen Jahren eine Wiege gemacht, und in die kam ein Kind aus Pfullingen zu liegen. Als dieses Kind erwachsen war, diente es als Knecht in Pfullingen und kam oft mit Wagen und Pferden auf den Urschelberg. Da sprach dann die Urschel immer mit dem Knecht, wenn er Holz oder Steine von dem Berg holte, und redete ihm zu, dass er nur noch mehr ausladen möge. Sie wolle seinen Wagen schon halten, dass er nicht umfalle. So konnte denn dieser Knecht mit den schwersten Lasten den Urschelberg herabfahren, ohne dass ihm jemals ein Unglück begegnet wäre; denn die Urschel ging stets neben seinem Wagen her und stellte sich, wo es nötig war, mitten ins Rad. Deshalb sperrte der Knecht auch nie, während andere oft drei Räder hemmen mussten.

»Frieder, fahr fort«, rief sie ihm zuweilen zu.

Und er sagte oftmals zu seinen Begleitern: »Seht doch nur, wie schön sie ist!«

Aber niemand konnte sie sehen, als bloß dieser Knecht.

Da offenbarte sie ihm endlich auch, dass er sie erlösen könne, und bat ihn dringend, es zu tun. Das versprach er ihr denn auch. Als aber die Zeit heranrückte, wo die Erlösung vollbracht werden sollte, da fürchtete er sich. Obwohl sie ihm Mut einsprach und ihm mit Bitten keine Ruhe ließ, so konnte er sich doch nicht dazu entschließen, besonders nicht, nachdem er sich mit einem Geistlichen darüber besprochen hatte. Darauf eröffnete ihm die Urschel, er werde doch nur noch ein Jahr leben, auch wenn er sie nicht erlöse. Er hat sie auch wirklich nicht erlöst und ist nach Verlauf eines Jahres gestorben.

Nach einer anderen Erzählung ging der Knecht bereits in die Berghöhle der Urschel hinein, um die zwei Pudel von den beiden Kisten zu verjagen, deren eine mit Gold, die andere mit Silber gefüllt war. Als er aber einen schweren Mühlstein an einem Zwirnsfaden über sich hängen sah, erschauderte er so sehr, dass er starb.

Da jammerte die Urschel und sagte: »Jetzt müsse sie wieder warten, bis aus einer jungen Buche einst eine Wiege werde. Das erste Kind, welches in diese Wiege komme, könne sie alsdann erlösen.«

Ein solcher Baum soll nun wieder auf dem Urschelberg stehen und von der alten Urschel gehegt und gepflegt werden.