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Lost Land – Der Aufbruch

Jonathan Maberry
Lost Land 2
Der Aufbruch
Endzeit/Dystopie, Hardcover, Thienemann, Stuttgart, Juli 2013, 576 Seiten, 19,95 Euro, ISBN: 9783522201766, aus dem Englischen von Heinrich Koop und Franca Fritz

Einmal mehr geht es für Tom, seinen Bruder Benny und dessen Freunde ins Leichenland, und dieses Mal soll ihr Abschied von der Enklave Mountainside endgültig sein. Ihr Ziel ist der Yosemite-Nationalpark, aus dessen Richtung der Jet gekommen sein soll, den sie einige Monate zuvor gesichtet haben.

Doch die Nachricht der Abreise des ebenso bewunderten wie gefürchteten „Samurais“ Tom Imura sorgt für Unruhe im nur scheinbar menschenleeren Leichenland: Seine Verbündeten fürchten um das Chaos, welches das durch Toms Abwesenheit entstehende Machtvakuum nach sich ziehen wird, und seine Feinde haben noch einige Rechnungen mit ihm offen. Toms Versuche, einen Neuanfang zu starten, scheitern – stattdessen holt ihn bald die Vergangenheit ein und bringt auch Benny, Chong, Lilah und Nix in tödliche Gefahr.

Der Aufbruch, das zweite Buch der Lost Land-Quadrologie von Jonathan Maberry, ist entgegen dem Titel kein Band des Neuanfangs. Stattdessen bildet er erstens den Übergang, den man von den Zwischenbänden eines Vierteilers klassischerweise erwartet. Der Neuanfang kündigt sich entsprechend an. Mal auf hoffnungsvolle Art – wenn etwa einzelne Verstorbene auf rätselhafte Weise nicht zu Zombies werden oder Lilah ihre Scheu zu anderen Menschen langsam überwindet. Meistens aber auf ungleich angsteinflößendere Art: Die Schlurfzombies wandeln sich zu Speed-Monstern, wie man sie aus Danny Boyles Zombiefilmen gewöhnt ist, und es wird angedeutet, dass der Osten nicht das Paradies ist, das sich Tom und die anderen erhoffen. Hier liegen klar die spannungstechnischen Höhepunkte der Übergangsfunktion, die dem dritten Band und seinen unklaren Neuerungen entgegenfiebern lassen.

Zweitens ist Der Aufbruch aber auch ein Abschlussband. Ehe Tom neu anfangen kann, muss er erst Begonnenes zu Ende führen, und das bildet die Rahmenhandlung der auftretenden Ereignisse. Themen, die sich in Die Erste Nacht angebahnt haben oder sogar nur angedeutet wurden, erfahren ein (vorläufiges?) Ende: Gameland, Nix‘ Sinnen nach Rache und ihre komplizierte Beziehung zu Benny, die Fehde zwischen den Imuras und dem Matthias-Clan.

Trotz dieser engen thematischen Verbindung zu Band 1 ist Der Aufbruch aber über weite Strecken ganz anders. War Die Erste Nacht noch die ebenso einfühlsam wie actionreich erzählte Geschichte zweier Brüder, die sich trotz ihrer Differenzen in einem zwischen Horror und Endzeit pendelndem Setting zusammenraufen müssen, so ist Der Aufbruch vor allem eins: eine ebenso flott geschriebene wie vorhersehbare Dystopie für Jugendliche. Man hört förmlich den Verlagsverantwortlichen heraus, wie er Maberry darauf aufmerksam macht, dass Gesellschaftsdystopien für Teenager im Moment doch besser liefen als Zombiestorys. Entsprechend sind die Zombies eigentlich nur noch bedauernswertes Kanonenfutter, das von den bösen Buben genutzt wird, um die Teenager durch monsterverseuchte Gruben zu jagen. Motive jüngerer Dystopie-Erfolge wie Die Tribute von Panem oder Die Auserwählten lassen grüßen. Zwar bietet das fruchtbaren Boden für die schon im ersten Teil aufgegriffene Thematik der Relativität des Bösen, und einige daraus erwachsende Dialoge gehören zu den großen Glanzpunkten des Romans. Aber das Besondere des ersten Bandes, sein Pendeln zwischen Beklemmung und Freiheitsgefühl angesichts der feindlichen Weiten, geht dadurch ebenso verloren wie sämtliche Horror-Aspekte.

Inzwischen ist das Leichenland außerdem nicht mehr der von Toten beherrschte Garten Eden, in dem die Brüder Imura weitestgehend auf sich gestellt sind. Stattdessen kann die Truppe rund um Tom keinen Kilometer mehr zurücklegen, ohne auf einen Haufen Kopfgeldjäger zu stoßen. Storytechnisch erhält das zwar eine akzeptable Erklärung, aber selbst die Endzeitatmosphäre geht dadurch paradoxerweise mit Verlassen der weiterhin in herrlicher Endzeitstimmung dahinvegetierenden Enklave Mountainside verloren. Ein positiver Aspekt dessen ist, dass viel mehr Figuren auftauchen, die man bisher wenn überhaupt nur vom Hörensagen kannte, und die Perspektiven zunehmen. Allerdings bedeutet das auch, dass sich den einzelnen Figuren kaum mehr gewidmet werden kann. Insbesondere Tom, eigentlich doch der Fanliebling der Serie, gibt zwar noch die Rahmenhandlung vor, erscheint aber streckenweise nur noch als dauerbesorgtes Abziehbild seiner Selbst. Der Fokus liegt auf der Einführung neuer Kopfgeldjäger, neuer, in ihrem religiösen Fanatismus herrlich fies wirkender Feinde, und vor allem auf den jugendlichen Protagonisten und ihren mitunter sehr YA-typischen Problemchen. Zugute kommt das vor allem Chong, der mit seinen Selbstzweifeln und seiner eher marginalen Begabung fürs in detailreichen Kampfkunst- und Samurai-Referenzen schwelgende Zombie-Slashen am vielschichtigsten daherkommt und für die meisten Leser das größte Identifikationspotenzial bieten dürfte.

Trotz des genretechnischen Wandels bietet die Handlung wenige Überraschungen. Bis hin zum unvermeidlich tragischen Ende passiert eigentlich immer genau das, was man erwartet. Die bildhaften Beschreibungen und der einfach gehaltene, aber gerade dadurch fesselnde Sprachstil sorgen dennoch dafür, dass man das Buch schlichtweg nicht aus der Hand legen kann.

Im Sommer ist der dritte Teil der Reihe in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die Finsternis als E-Book erschienen. Auf Englisch existieren bislang neben den vier Hauptbänden zahlreiche Kurzgeschichten und zwei Comics, eine Verfilmung ist angekündigt. Zudem ist Lost Land in weitere Romanreihen Maberrys eingebunden.

Fazit:
Der Aufbruch ist ein fesselnder Pageturner mit sozialkritischen Untertönen, der sich dieses Mal vor allem an ein jugendliches Publikum richtet. An die Genialität des ersten Bandes reicht er zwar nicht heran, bietet aber dafür einige interessante Neuerungen und macht damit Lust auf die Fortsetzungen.

(ar)