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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Norcroß in England und Frankreich

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 15

»Kaum hatte ich wieder einige Wochen bei meiner Frau zugebracht, als mir von mehreren Seiten glänzende Anerbietungen gemacht wurden. Mein Name war wie ein Licht aus der Dunkelheit aufgetaucht, und in mehr als einem europäischen Kabinett war von mir die Rede. Früher schon, ehe ich nach Russland gegangen war, hatte mir der Kardinal Alberoni nicht allein große Summen bieten lassen, wenn ich in Dienst der spanischen Krone treten würde, sondern er ließ sie mir auch unverzüglich auszahlen. Noch glänzender waren die Versprechungen, die er mir nun machte, nachdem er durch Frankreichs Einfluss in Ungnade bei seinem König gefallen war. Dadurch wurde ich in den Stand gesetzt, ein eigenes Haus zu machen und brauchte nicht mehr von der Gnade des Herzogs von Ormund zu leben. Ich hatte viele Freunde und Bekannte in Paris, und täglich strömten Menschen bei mir ein und aus, die meine Bekanntschaft suchten.

Um diese Zeit erhielt ich zu meinem Erstaunen ein höflich abgefasstes Einladungsschreiben vom Haus der Lords in London mit den nötigen Sicherheitspässen zur Hin- und Rückreise. Das Oberparlament schrieb mir, man finde sich bewogen, mir wegen meiner künftigen Bedienstung großmütige Vorschläge zu tun, die mir gewiss annehmbar sein würden. Es lag nicht im Plan des Kardinals Alberoni, mich damals gleich zu beschäftigen. Ich hatte, wie schon erwähnt, nicht Ruhe noch Rast in mir, sodann war ich auch curiös, zu erfahren, was die Herren, die stets meine Feinde gewesen waren, also umzustimmen vermocht hätte, und ihre Vorschläge zu hören, obwohl ich keinen derselben, sie mochten sein, welche sie wollten, annehmen konnte und mochte. Endlich war mir diese Gelegenheit erwünscht, mein Vaterland und meine Jugendfreunde wiederzusehen und mich nach dem Schicksal meiner Mutter zu erkundigen. Ich hatte ja die festeste Zusicherung einer völligen Sicherheit in Händen und ergriff die sich mir darbietende Gelegenheit mit Freuden, einmal nach England hinüber zu schwärmen. Es war Anfang Dezember, als ich nach London kam und mich vor das Haus der Pairs stellte. Ihr Anerbieten bestand in nichts Geringerem, als ihnen den Prätendenten lebendig in die Hände zu liefern. Durch ihre Spione hatten sie nämlich erfahren, dass ich mich je zuweilen sehr missfällig über diesen vorgeblichen Sohn Jakobs II. ausgesprochen hatte. Es ist wahr, ich hatte in der Hitze des Gesprächs über diesen Gegenstand jezuweilen Äußerungen getan, die dahin zielten, dass ich, welch ein starker Anhänger an die Sache der Stuarts ich auch gewesen wäre, doch niemals mich für die Sache des Prätendenten erklären würde, und dass es mir überhaupt jetzt ganz gleichgültig sei, wer in England herrsche. Solche Worte waren nach London verlautet – denn ich war überall umlauert – und die Herren Lords gründeten Hoffnungen darauf, die ich zu rechtfertigen keineswegs gewillt war. Als ich ihnen meine Meinung rund heraussagte, dass ich mich zur Ausführung ihres Planes niemals würde gebrauchen lassen, versuchten mich einige Lords erst durch Versprechungen, Schmeicheleien und Ehrenbezeigungen zu gewinnen, danach aber durch Drohungen zu erschrecken. Ich blieb bei beiden standhaft. Im Begriff, London wieder zu verlassen, wo ich einige Wochen mit alten Bekannten gut gelebt hatte, erhielt ich plötzlich einen wunderlichen Besuch.

Miss Rosamunde Palmerston trat in mein Zimmer, freundlich wie die Maiensonne und angetan mit aller zusammengeborgten Liebenswürdigkeit. Ohne viel Umstände sprach sie von ihrer heftigen Leidenschaft zu mir, die sie früher zu Fehlgriffen veranlasst habe, die aber nun, sobald sie von meinem Aufenthalt in London vernommen, in ihrer ganzen Stärke wieder erwacht sei. Ich möchte alles Geschehene vergessen und sowohl der Herr ihrer Person als auch ihres Vermögens werden. Man brauche ja, um glücklich zu sein, des ohnedies sehr albernen Ehebandes nicht, es sei sogar durch die Erfahrung hinlänglich bestätigt, dass die Ehe dem wahren Glück zweier in Liebe brennende Herzen hinderlich in den Weg trete. Die mir angeborene Artigkeit gegen das weibliche Geschlecht, die ich selbst dem verworfensten Individuum gegenüber nicht verleugnen kann, erlaubte mir nicht, ihr so auf diesen Antrag zu antworten, wie die Unverschämtheit desselben verdient hätte. Ich sagte ihr bloß, dass meine Verhältnisse mich nötigten, England wieder zu verlassen. Darauf erwiderte sie, sie wolle mit mir reisen bis ans Ende der Welt. Sie verlange ja weiter nichts von mir, als nur in meiner Gesellschaft zu leben. Sie wolle sich ganz an meinen Willen binden usw. Ohne mich auf die Untersuchung einzulassen, wie wahr und aufrichtig diese ausgesprochenen Gesinnungen sein möchten, dachte ich in jenem Augenblick nur an mich selbst und meine Liebe zu Ihnen, mein Fräulein, und erwog die Möglichkeit, dass ich über kurz oder lang in dem Fall sein möchte, um die Gunst Ihrer Gesellschaft betteln zu müssen, wie Rosamunde um die meine bettelte. Dieser Gedanke ließ mich alle Härte gegen sie vergessen. Ich sagte ihr, dass wir die Sache näher besprechen wollten, dass ich ihr einen Besuch machen werde, jetzt eben aber eine Vorstellung beim Minister habe, und so brachte ich sie glücklich fort. Eine Stunde darauf hatte ich London im Rücken und eilte nach Lancashire.

Nun komme ich an eine Szene, die ich Ihnen nicht rührend genug schildern kann. Ich sah nämlich meine Mutter wieder. Sie kannte mich nicht mehr, aber als ich mich zu erkennen gab, stürzte sie, außer sich vor Freude, mir an die Brust und herzte und küsste mich, wie sie dies vor zwanzig Jahren getan hatte. Sie sah gesund und wohl aus, stand im zweiundfünfzigsten Lebensjahr und konnte noch für eine angenehme Frau gelten. Der Wohlstand, in welchen sie durch ihre zweite Heirat gekommen war, hatte sie gut konserviert. Der alte Edelmann, ihr Gatte, ein guter beschränkter Mann, freute sich ebenfalls über meine Ankunft in seinem Haus und schätzte es sich für eine Ehre, mich anständig zu bewirten; denn der Ruhm meines Namens war bis in sein einsames Haus gedrungen. Ich musste ihm und meiner Mutter meine Schicksale erzählen, und ich fand an ihnen teilnehmende Zuhörer. Ich muss sagen, dass mir einige Tage in so reiner Glückseligkeit verstrichen, wie ich sie auf Erden wenig genossen habe. Es war mir in der Nähe der lieben Frau, die mich geboren und erzogen hatte, als schwiegen alle Stürme in meiner Brust, als wolle der lang entbehrte Frieden im Sonnenglanz meines nun anbrechenden heiteren Lebenstages einziehen in meine Brust, um sie, die von so vielfachen Schmerzen zerrissen war, zu kühlen und zu heilen. Ich erzählte den Alten viel von meiner Frau und dem Knaben, den sie mir geboren hatte, und sie weinten Tränen der Freude, und meine Mutter sehnte stich, ihren Enkel zu umarmen. Mein Stiefvater tat mir den Vorschlag, mein Weib und Kind nach England kommen zu lassen und bei ihm zu wohnen. Er wolle mich an Kindes statt annehmen und zum Erben seines nicht unbeträchtlichen Vermögens einsetzen. Kaum war er mit seinem wohlgemeinten Antrag fertig, als es mir war, als seien plötzlich alle die entschlummerten Geister der Unruhe in mir aufgewacht und fingen an, mich mit erneuter Kraft zu quälen und von dannen zu treiben. Die gewaltige Sehnsucht nach Ihnen, Friederike, der Wunsch nach Rache an meinen Feinden in Schweden, stiegen wie Vampire aus ihren Gräbern, schälten sich aus dem Leichentuch, in welche sie das häusliche Glück und die mir durch mütterliche Liebe gewordene Zufriedenheit einiger Tage gehüllt hatten, und begannen ihre alte Kraft an mir auszuüben. Nichtsdestoweniger kam mir der Antrag meines Schwiegervaters so verlockend vor. Die aufrichtigen Tränen, womit meine Mutter mich beschwor, bei ihr zu bleiben, und der Trost, die Freude ihres Alters zu werden, rührten mich so sehr, dass ich ernstlich beschloss, mein wildes Gemüt zu bezwingen, ihrer Bitte zu willfahren und die meinen nach England kommen zu lassen. Ich dachte mir nun schon nicht anders, als dass ich in dem Land, in der Gegend mein Leben beschließen würde, wo es begonnen hatte. Und hatte sich denn nicht auch der Grund, welcher mich daraus vertrieben hatte, gehoben? Zwar hielt ich den König Georg noch für einen Thronräuber, aber ich kannte keinen Menschen auf der Welt, der ein näheres Recht an die englische Krone gehabt hätte, als er. Das machte mich gegen die Regierung gleichgültig. Die Freude meiner Eltern über meinen Entschluss war groß. Ich machte schon Anstalten, meine Frau zu benachrichtigen und dem Kardinal Alberoni aufzusagen, da schickte der Präfekt der Landschaft in Manchester einen geheimen Boten an meinen Stiefvater – beide waren Freunde – mit dem gut gemeinten Wink, ich möchte mich so schnell wie möglich aus dem Staub machen, weil er dieser Tage bestimmt den Befehl erhalten werde, mich festzunehmen und gefangen in die Hauptstadt zu führen. Eine vornehme Dame habe dort Klage gegen mich erhoben, und da ich mich den Wünschen des Parlaments nicht gefügt hatte, so sei es um so geneigter, mich die Strenge des Gesetzes fühlen zu lassen. Das war wieder ein Gewitterschlag aus heiterem Himmel. Ich wusste wohl, woher er kam und er erinnerte mich noch zur rechten Zeit, dass ich nicht wagen dürfe, auf Erden an Ruhe und häuslich stilles Glück zu denken, sondern dass meine Bestimmung eine ganz andere sei, welcher gehorsam zu folgen ich mich denn auch ohne Weiteres anschickte, zumal ich von der Gerechtigkeit meiner Richter in London nicht viel zu erwarten hatte, die ja durch diese schöne Gelegenheit ein Häkchen erhalten hatten, wo sie mich mit einem Schein von Recht fassen, mir den Prozess machen und ihre Rache befriedigen konnten. Ich nahm von meinen erschrockenen Eltern Abschied. Meine Mutter zerfloss in Tränen, ihren schnell aufgefassten Lieblingsplan so unerwartet gestört zu sehen. Ich konnte ihr keinen Trost geben, ich war selbst tief erschüttert, und mit blutendem Herzen gingen wir voneinander. In Liverpool bestieg ich ein französisches Schiff und entkam glücklich nach Frankreich. Hier fand ich neue Geldsummen und Briefe von Alberoni, aber auch zugleich einen Brief vom König von Schweden. Er war von des Königs eigener Hand unterschrieben, mit dem Reichssiegel versehen und enthielt das Versprechen, dass ich in den Diensten des Königs gebraucht werden sollte, eine Sache von der größten Wichtigkeit auszuführen. Mein verlorenes Eigentum werde mir sogleich bei meiner Ankunft zurückgestellt werden, ich stehe unter des Königs Schutz und genieße vollkommene Sicherheit meiner Person und Güter, die mir durch dieses Dokument sowie durch die beiliegenden Pässe zugesichert und verbürgt seien. Ich war über ein solches Anerbieten nicht wenig verwundert, wie Sie sich denken können, doch hörte ich bald, dass sich gegen den allmächtigen Horn eine starke Gegenpartei gebildet habe, an deren Spitze der Graf Güllenborg stehe. Mir leuchtete ein, dass dies die schönste Gelegenheit sei, an meine Feinde an Ort und Stelle zu kommen. Überdies durfte ich mich ja auf das königliche Gelöbnis meiner Sicherheit verlassen. Ich dachte mit Wollust daran, mitten unter meine zähnefletschenden Gegner zu treten. Meine Frau wünschte selbst, wieder in ihrem Vaterland zu sein und in ihrem Geburtsort zu wohnen, an welchem ihr Herz hängt. Sie wollte aber nicht sogleich mit mir reisen, sondern erst abwarten, ob ich auch ein sicheres Auskommen in Schweden finden würde. Ich machte meine Anstalten, mit dem neuen Frühling dorthin zu reisen. Das Herumschwärmen gewährte mir ja allein noch Vergnügen. Das Geld aber achtete ich nicht, es war ja spanisches und leicht verdient. Aber es war, als sollte ich keinen Beschützer behalten, denn kurz darauf erhielt ich die Nachricht von dem gänzlichen Sturz Alberonis. Er war eigentlich schon ein Jahr vorher durch die bekannte Laura Piscatori bei seinem König in Ungnade gefallen, wie Sie wohl wissen werden. Er hatte aber geglaubt, durch geschickte Ausführung eines großen Planes sich wieder hineinzusetzen, und diese Ausführung hatte er durch mich bewirken wollen und mich deshalb so fleißig unterstützt. Nun aber war alles aus und ich hatte auf nichts mehr zu rechnen. Deshalb wurde ich um so geneigter, auf die Vorschläge des Königs von Schweden einzugehen.

Das Anliegen des englischen Parlaments an mich war unterdessen in Paris auch bekannt geworden. Ich hatte dessen kein Hehl gehabt. Da hingen sich nun die Jakobiter scharenweise an mich und ließen sogar ein Tedeum für mich singen, dass ich ihnen ihren trefflichen Prätendenten nicht entführt habe. Ich verachtete ihren Abgott und sie, denn meist sind es feige, nichtsnutzige Menschen, die, trotz ihres Geschwätzes, doch niemals etwas für ihren vermeintlichen Königssohn tun. Wie der Herr, so die Knechte. Ich ließ das Volk gehen und schwieg, denn wenn ich auch die Wahrheit gesagt hätte, sie hätten mir nicht geglaubt und mich verketzert und verfolgt.«