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Leben im fernen Westen Teil 1

Georg Friedrich Ruxton
Leben im fernen Westen
Aus dem Englischen von M. B. Lindau
Dresden. Verlag Rudolf Kuntze. 1852

Georg Friedrich Ruxton

Die Londoner Zeitungen vom Oktober des Jahres 1848 brachten die traurige Nachricht von dem in St. Louis am Mississippi erfolgten Tod des erst 28-jährigen Lieutenants George Friedrich Ruxton, des Verfassers der vorliegenden Skizzen.

Es sind schon viele Menschen selbst aus den lebendigsten Perioden unserer Geschichte zum Gegenstand sorgfältig ausgearbeiteter Biographien erwählt worden, ohne auf diese Ehre so gerechte Ansprüche zu haben als dieser beklagte junge Offizier. Es war ihm nicht hinreichende Zeit vergönnt, auch nur ein Zehntel seiner persönlichen Erfahrungen und seltsamen Abenteuer in dreiviertel Teilen der Welt in eine dauernde Gestalt und Form zu bringen. Berücksichtigt man die physische Arbeit und Anstrengung, der er sich unterzog, die Ausdehnung des Gebietes, welches er durchwanderte, so erstaunt man fast, wie er noch Muße fand, so viel zu schreiben. Ruxton verließ bereits mit 17 Jahren Sandhurst, um im spanischen Bürgerkrieg den praktischen Teil des militärischen Berufs zu erlernen. Er wurde in einer Lanzenreiterschwadron angestellt, die zur Heeresabteilung des ritterlichen Generals Don Diego Leon gehörte und nahm an mehreren der wichtigsten Schlachten dieses Feldzuges tätigen Anteil.

Die Königin Isabella verlieh ihm in Anerkennung seiner Tapferkeit das Kreuz Erster Klasse vom Orden des heiligen Fernando, eine Ehre, die selten einem so jungen Mann zuerkannt worden ist. Bei seiner Rückkehr aus Spanien erhielt er eine Anstellung im Regiment. Während er mit diesem ausgezeichneten Korps in Kanada diente, wurde er zuerst mit jenem bewegten Treiben indianischen Lebens bekannt, das er so anziehend geschildert hat. Sein feuriger Geist wurde des einförmigen Kasernenlebens sehr bald müde. Seinem unwiderstehlichen Drang folgend, gab er seine Offiziersstelle auf und wendete seine Schritte nach jenen ungeheuren Wildnissen, die nur der rote Indianer oder der einsame amerikanische Trapper bewohnt.

Wer mit Ruxtons Schriften näher bekannt ist, wird bemerkt haben, mit welchem besonderen Vergnügen er bei der Erinnerung an diesen Teil seiner Laufsahn verweilt und wie sehnsüchtig er bis zur Stunde seines Todes danach verlangte, zu diesen Stätten ursprünglicher Freiheit zurückkehren zu können.

»Obwohl man mir Barbarei zum Vorwurf machen könnte«, schreibt er, »so muss ich doch bekennen, dass ich die glücklichsten Augenblicke meines Lebens in der Wildnis des fernen Westens gefunden habe und dass ich nie ohne Vergnügen meines einsamen Lagers in dem Bajou-Salade gedenke, wo meine Rifle mein treuester Freund, mein gutes Pferd und meine Maultiere oder der Kojote, der uns seine Nachtmusik brachte, meine besten Gefährten waren. Mit einem reichlichen Vorrat an trockenem Holz zur Erhaltung des Feuers versehen, dessen lustige Flamme hoch emporstieg, weit und nah das Tal beleuchtete und meine Tiere zeigte, die mit vollen Bäuchen zufrieden an ihren Pflöcken standen, konnte ich mit verschränkten

Beinen auf dem Boden sitzend, der behaglichen Wärme mich freuen und mit der Pfeife im Mund den aufsteigenden blauen Qualm verfolgen, in seinen Windungen und phantastischen Gestalten Luftschlösser bauen und die Einsamkeit mit den Gestalten derjenigen beleben, die weit von mir entfernt waren. Kaum aber erwachte je in mir der Wunsch, solche Stunden der Freiheit mit den Genüssen des gesitteten Lebens zu vertauschen, denn das Leben eines Gebirgsjägers besitzt in der Tat, so unerklärlich und seltsam es auch klingen mag, einen so eigentümlichen Zauber, dass selbst die feinsten und gesittetsten Männer, wenn sie einmal die Annehmlichkeiten seiner Freiheit und Sorglosigkeit gekostet haben, den Augenblick, wo sie es mit dem einförmigen Ansiedlerleben vertauschten, schmerzlich beklagen und immer und immer wieder sich danach sehnen werden, aufs Neue seine Freuden und Reize genießen zu können.«

Als Ruxton ans dem fernen Westen nach Europa zurückkehrte, erfasste er, von dem unternehmenden, um erschrockenen Geist eines Raleigh beseelt, den kühnen Plan, in das Innere Afrikas einzudringen. Der Präsident der königlichen geographischen Gesellschaft gedenkt dieses Unternehmens in seinem jährlichen Bericht von 1845 mit folgenden Worten. »Ich habe vor Kurzem einen feurigen talentvollen jungen Mann, den Lieutenant Ruxton, kennengelernt, der zu meinem nicht geringen Erstaunen den verwegenen Plan erfasst hat, Afrika in der Parallele des südlichen Wendekreises zu durchreisen und in dieser Absicht bereits unterwegs ist. Er ist, nachdem er sich durch Fußwanderungen im nördlichen Afrika und in Algier auf sein Unternehmen vorbereitet hat, im vergangenen Dezember von Liverpool nach Ichaboe abgesegelt. Von dort wollte er sich zur Walvis Bay wenden, wo wir bereits Handelsniederlassungen besitzen. Der unerschrockene Reisende hatte von den Agenten dieser Niederlassungen so günstige Berichte von den tiefer im Inneren wohnenden Völkerstämmen sowie von der Beschaffenheit des Klimas erhalten, dass er die zuversichtlichste Hoffnung hegte, in das Innere eindringen, wenn nicht bis zu den portugiesischen Kolonien von Mozambique gelangen zu können. Wenn ihm dies gelingt, dann wird Lieutenant Ruxton, indem er uns mit der Achse des großen Festlandes bekannt macht, dessen südlicher äußerer Teil in unserem Besitz ist, sich in der Tat einen dauernden Namen unter den britischen Reisenden erwerben.«

Seinen gewagten Plan verfolgend landete Ruxton mit einem einzigen Gefährten an der afrikanischen Küste etwas südlich von Ichaboe und trat sogleich seine Forschungsreise an. Aber es war, als ob Natur und Menschen sich vereinigt hätten, seinen Plan zu vereiteln. Der Weg der Reisenden führte durch eine Wüste von Flugsand, wo es kein Wasser und außer etwas grobem Gras und harziger Myrrhe keinen Pflanzenwuchs gab. Ihr nächster Bestimmungsort war Angra Pequena an der Küste, das ihnen als eine belebte Station bezeichnet, in der Tat aber verlassen war. Es lag nur ein einziges Schiff in der offenen See, als die Reisenden anlangten, und dieses, wie sie zu ihrem unaussprechlichen Kummer erfahren, wollte eben in See gehen. Es war keine Spur vom Fluss zu entdecken, der nach den Karten an dieser Stelle sich ins Meer ergießen sollte. Es blieb den Reisenden kein anderes Rettungsmittel, als wieder umzukehren – eine Aufgabe, welcher ihre Kraft kaum gewachsen war. Ohne den rechtzeitigen Beistand einiger Eingeborenen, die gerade in dem Augenblick erschienen, als Ruxton und sein Gefährte unter Erschöpfung und Durst erliegen wollten, würden die zwei unglücklichen Gefährten jedenfalls das lange Verzeichnis von denjenigen vermehrt haben, die den Versuch, in das Innere dieses verhängnisvollen Landes einzudringen, mit ihrem Leben büßen mussten.

Die Eifersucht der an der afrikanischen Küste angesiedelten Kaufleute und Missionare, welche die zur erfolgreichen Ausführung der Reise nötige Auskunft verweigerten oder nur in entstellter Art erteilten, veranlasste Ruxton, seinen Plan vor der Hand aufzugeben. Er unternahm jedoch mehrere interessante Ausflüge in das Innere und namentlich in das Land der Bosjesmanen.

Da seine eigenen Mittel zur Ausführung seines Lieblingsplanes nicht ausreichten, so wendete sich Ruxton bei seiner Rückkehr nach England an die Regierung. Aber obwohl sein Verlangen nicht ganz abgewiesen wurde, denn es war der Begutachtung der königlichen geographischen Gesellschaft vorgelegt und von dieser günstig befürwortet worden, so traten doch so viele Verzögerungen ein, dass Ruxton die Geduld verlor und seinen Plan aufgab. Er wendete sich nun zunächst nach Mexiko und hat glücklicherweise seine Erinnerungen an diese Reise der Welt in einem der anziehendsten Bücher hinterlassen, die erschienen sind. Es scheint jedoch, dass die afrikanische Reise, der Lieblingsplan seines Lebens, ihn in späterer Zeit wieder beschäftigt habe, denn wir finden im Frühjahr des Jahres 1848, ehe er die Reise antrat, die seine letzte sein sollte, in einem seiner Briefe folgende Stelle. »Meine Bewegungen sind unsicher, denn ich suche eine Jachtreise nach Borneo und dem indischen Archipelagus zur Ausführung zu bringen. Ich habe mich der Regierung zu einer Reise ins innere Afrika erboten, und die Gesellschaft zum Schutz der Urvölker wünscht, dass ich mich zur Organisation der Indianerstämme nach Kanada begebe, während ich selber, wenn ich meiner Neigung folgen könnte, nach allen Teilen der Welt zugleich gehen möchte.«

Was das Buch anbelangt, welchem diese Bemerkungen als Einleitungen vorangehen, so nimmt der Herausgeber keinen Anstand, dessen Verdiensten das höchste Lob zu spenden. Von einem Mann geschrieben, der an literarische Beschäftigung nicht eben gewöhnt war und sein Leben von der frühesten Jagend an in kriegerischen Abenteuern oder auf Reisen zugebracht hatte, zeichnet sich sein Stil häufig durch Kraft und Zierlichkeit aus, während der Gegenstand selber überall Neuheit und Originalität zeigt. Die Erzählung von dem Leben im fernen Westen erschien zuerst im Blackwood Magazine, dessen Herausgeber im Frühling des Jahres 1848 den größeren Teil des Manuskripts empfing, welchem der Schluss bald nachfolgte. Während diese Zeitschrift das Werk in einzelnen Abschnitten mitteilte, erweckte die Wildheit der erzählten Abenteuer auf gewissen Seiten einige Zweifel hinsichtlich ihrer Treue und Glaubwürdigkeit. Es dürfte daher dem Leser willkommen sein, wenn er erfährt, dass die beschriebenen Begebenheiten Bilder aus dem wirklichen Leben und die Ergebnisse persönlicher Erfahrung des Verfassers sind, und es mögen hier zu diesem Zweck nachfolgende Stellen aus Briefen Platz finden, die der Verfasser im Sommer des erwähnten Jahres an die Herausgeber des Blackwood Magazine schrieb.

»Ich habe einige sanftere Charakterzüge der Gebirgsjäger aufgefunden – aber nicht auf Kosten der Wahrheit – denn einige dieser Leute haben ihre guten Seiten, die man aber, da sie nur selten zur Oberfläche kommen, schnell ergreifen muss, ehe sie wieder verschwinden. Killbuck, jener alte Bursche zum Beispiel, war ein ziemlich guter Gentleman, ebenso La Bonté. Ben Williams ein anderes braves Haus und Rube Herring waren auch Etwas.

Das mexikanische Fandango ist buchstäblich wahr. Es scheint schwer zu begreifen zu sein, wie es den Mexikanern gelang, ihre Messer den Rippen der Gebirgsmänner fern zu halten, aber klingt es nicht noch viel unwahrscheinlicher, dass am anderen Tag 4000 Mexikaner mit dreizehn Geschützen und hinter einer starken Verschanzung von 900 ungeübten Missouriern aufs Haupt geschlagen, ihrer Geschütze beraubt und teils getötet und verwundet oder gefangen genommen wurden, während von den Amerikanern nicht ein einziger sein Leben einbüßte? Dies ist zuverlässige Tatsache.

Ich selber räumte einst in Taos, mit nur drei Gebirgsjägern oder Trapper ein Fandango, wobei wir nun mit unseren Messern versehen waren und es mit mehr als zwanzig Mexikanern zu tun hatten.

Was die Überfälle vonseiten der Indianer, das Hungerleiden, Menschenschlachten usw. anbelangt, so ist auch nicht ein einziger Zug dem Bereich der Erfindung entnommen. Es sind Tatsachen aus der Geschichte der Gebirge, aber ich habe vielleicht hier und da die handelnden Personen etwas vertauscht und in der Ordnung der Begebenheiten eine Abweichung von der Zeitrechnung eintreten lassen.«

Ferner schreibt er: »Es dürfte wohlgetan sein, ein Missverständnis hinsichtlich der Wahrheit und Dichtung meiner Erzählungen zu berichtigen. Sie enthalten durchaus keine Dichtung. Es gibt darin nicht einen einzigen Vorfall, der sich nicht wirklich ereignet hätte, nicht einen einzigen Charakter, der im Felsengebirge nicht wohlbekannt wäre – zwei Persönlichkeiten ansgenommen, deren Namen ich verändert habe, deren Originale aber den übrigen trotzdem nicht minder bekannt sind.«

Sein letzter Brief, den er kurz vor seiner Abreise aus England, einige Wochen vor seinem Tod, schrieb, wird jedem, der den Verfasser persönlich kannte, eine Träne des Mitgefühls für das traurige Schicksal dieses vortrefflichen jungen Mannes entlocken, der in einem fremden Land eines elenden Todes starb, ehe er noch die gewagte Reise angetreten hatte, deren Aufregungen und Gefahren er so freudigen Mutes erwartete.

»Die menschliche Natur kann nicht für die Dauer von den zivilisierten Verschönerungen in diesem »großen Dorf leben und dieses Menschenkind hat sich schon seit manchem Monat nach dem Westen, nach Büffelfleisch und Gebirgstaten gesehnt. Mein Weg führt mich über New York, über die Seen und St. Louis nach Fort Leavenworth oder Independence an der indianischen Grenze. Dort will ich meine Habe auf ein Maultier packen, ein Büffelpferd, (meinen Panchito, wenn er noch lebt) besteigen und den Santa Fe Trail zum Arkansas einschlagen, um stromaufwärts meinen Weg ins Gebirge zu nehmen, im Bajou-Salade, wo Killbuck und La Bonté sich mit den Ute vereinigten, zu überwintern, und dann im nächsten Frühjahr über das Gebirge zum großen Salzsee zu gehen – und dies ist in der Tat genug – immer nur vorausgesetzt, dass mir auf dem Skalpier-Weg an den Coon Creeks und der Pawnee-Gabel von den Comanchen oder Pawnee nicht die Schädelhaut geraubt wird.«

Armer Mann! Er sprach scherzend mit jugendlicher Heiterkeit und zuversichtlichem Mut von dem Schicksal, welches ihn jedenfalls ungeahnt, aber so sicher erreichte, wenn auch nicht durch das Messer eines Indianers, so doch durch den nicht minder tödlichen Streich einer Krankheit. Außer seiner Liebe zum Wanderleben und zu Abenteuern, die sich, wenn man ihr einmal Raum gelassen hat, so schwer wieder ausrotten lässt, trieb ihn noch ein anderer Beweggrund über das Meer. Er hatte sich seit einiger Zeit dann und wann unwohl gefühlt und hoffte, dass die Luft seiner geliebten Prärien ihn heilen würde. In einem Brief an einen Freund vom Monat Mai gedenkt er der mutmaßlichen Ursache des Übels mit folgenden Worten: »Ich habe mehrere Tage im Zimmer zubringen müssen, und zwar in Folge eines Unfalls, der mir im Felsengebirge begegnete, wo ich von dem nackten Rücken eines Maultiers herabgeworfen wurde und mit dem Kreuz auf den scharfen Pfahl einer Indianerhütte fiel. Ich befürchte mein Rückgrat verletzt zu haben, denn ich habe seitdem von dem Übel nicht das Geringste gespürt. Und bald nachdem ich Sie verlassen, wurden die Symptome ziemlich bedenklich. Aber es geht mir jetzt wieder besser.«

Seine ärztlichen Ratgeber teilten seine Vermutung, dass er sich durch jenen unglücklichen Fall innerlich verletzt habe. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Übel die entfernte, aber eigentliche Ursache seines Todes gewesen sei. Aber gleichviel, welche Ursachen dieses traurige Ereignis herbeigeführt haben, das Ereignis selber wird von allen, die Gelegenheit hatten, die vortrefflichen Eigenschaften George Ruxtons kennenzulernen, dauernd und innig beklagt werden. Anziehend und einnehmend bei der ersten Bekanntschaft, gewann er immer mehr, so näher man ihn kennenlernte. Er verband mitgroßen natürlichen Ansagen und dem unerschrockensten Mut eine überaus angenehme Bescheidenheit und Sanftmut. Hätte er länger gelebt und den wiederholten Ermahnungen seiner Freunde, sein unstetes Wanderleben aufzugeben und sich in England niederzulassen, fernerhin widerstanden, so würde sein Name in der Reihe der kühnen ausdauernden Männer, deren Reisen in fernen gefahrvollen Ländern für England und für die Welt einen so reichen Schatz wissenschaftlicher und allgemeiner Kenntnisse angehäuft haben, ohne Zweifel zu hoher Geltung gelangt sein.