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Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer 9

Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
Zweiter Band

Der große Rubin
Teil 1

»Das hast du nun davon, mein lieber Dagobert!«, begann der Hausherr, als sie wieder einmal, wie nach alter Übereinkunft regelmäßig wöchentlich zweimal, bei Tisch zusammensaßen, Andreas Grumbach, der Großkaufmann und Präsident des Klubs der Industriellen, seine liebens- und verehrungswürdige Gattin Frau Violet und der getreue Hausfreund mit dem Petruskopf Dagobert Trostler. »Das hast du nun davon, dass der Ruhm deiner großen Passion, die zugleich deine große Kunst ist, in immer weitere Kreise dringt. Man wendet sich lieber an dich, den berühmten Amateurdetektiv, als an die Polizei. Das ist bequemer und billiger …«

»Das ist noch kein großes Kompliment für mich«, warf Dagobert dazwischen.

»Aber auch sicherer! Man weiß, dass man sich auf dich verlassen kann, und dass die Sachen nicht gleich an die große Glocke gehängt werden. Polizei und Gericht sind für sich schon ein Stück Öffentlichkeit. Jedenfalls leitet ihre Tätigkeit meist in die Öffentlichkeit, und das entspricht nicht immer den Wünschen der Beteiligten, selbst der Beschädigten nicht. Da kommt man also zu dir, und so hätte ich denn wieder Arbeit für dich, und zwar Postarbeit. Es ist sehr dringlich, und der Fall scheint mir schwierig.«

Nun mischte sich Frau Violet tief gekränkt ins Gespräch.

»Was, Andreas, du erfährst Geschichten und erzählst mir nichts?«

»Aber, liebes Kind, ich bin ja gerade dabei!«

»Ja – jetzt! Weil Dagobert da ist. Sonst hätte ich vielleicht nie etwas erfahren.

»Wenn ich aber versichere, dass die Geschichte noch ganz brühwarm ist? Ich habe sie erst eine halbe Stunde vor Tisch erfahren. Der junge Baron Friese ist ganz außer sich!«

»Baron Eugen Friese – unser Klubmitglied?«, fragte Dagobert.

»Der junge Friese, der vor zwei Jahren die Lichtenegger geheiratet hat?«, forschte Frau Violet.

»Jawohl«, bestätigte der Hausherr, »ganz derselbige. Er ist furchtbar aufgeregt und hat mich als väterlichen Freund und seinen Klubpräsidenten ins Vertrauen gezogen, da er sich selbst nicht mehr zu helfen weiß. Ich habe ihm nun auch nicht helfen können, aber ich habe ihm, da ich wusste, dass Dagobert da sein würde, geraten, seinen schwarzen Kaffee heute bei uns zu trinken.«

»Was – du hast ihn eingeladen, und auch das sagst du jetzt erst und so nebenbei?«

»Ich habe nicht gedacht, dass dich die Sorge um einen kleinen Schwarzen mehr aus der Fassung bringen werde.«

»Davon ist nicht die Rede, aber vielleicht hätte man den Wunsch gehabt, sich etwas besser anzuziehen! Aber erzähle jetzt: Was also ist dem kleinen Friesen passiert?«

»Eine tolle Geschichte! Ich begreife, daß er vor Wut die Wände hinauflaufen möchte. Die Geschichte war so …«

»Entschuldige, lieber Freund«, unterbrach nun Dagobert, »soll das die Geschichte werden, zu deren Aufhellung mir eine Rolle zugedacht ist?«

»Natürlich. Davon sprechen wir ja.«

»Dann möchte ich dich bitten, sie nicht zu erzählen.«

»Warum denn nun nicht um alles in der Welt?«, fragte Herr Grumbach erstaunt. Auch Frau Violet protestierte gegen die Behinderung, denn sie war schon recht neugierig.

»Du sagtest doch«, fuhr Dagobert standhaft fort, »daß Friese in kürzester Zeit selbst hier erscheinen werde.«

»Allerdings, aber das ist doch kein Hindernis, dir den Fall vorher klarzumachen.«

»Ein ernstes Hindernis. Ich traue dir nicht.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Und ich traue mir nicht. Bei solchen Dingen kommt es sehr auf die Genauigkeit der Details an. Du wirst mir sicher etwas Falsches erzählen.«

»Erlaube du einmal!«

»Und dann wird Friese erzählen, und schließlich würde ich dann hinterher bei irgendeiner vielleicht entscheidenden Einzelheit selbst nicht mehr wissen, ob ich sie von dir, also wahrscheinlich unrichtig, oder von Friese, also wahrscheinlich richtig, habe. Man muss sich vor Voreingenommenheiten hüten, die bei Nachforschungen immer die allergrößte Gefahr bilden. Ich kenne das.«

»Du bist übertrieben, Dagobert, und ein Pedant. So verwickelt ist der Tatbestand doch nicht, dass ich ihn nicht richtig darstellen oder dich durch meine Erzählung konfus machen könnte.«

»Mein lieber Grumbach! Ich erinnere dich an mein Experiment mit deiner Whistpartie.«

»Was für ein Experiment?«

»Es war etwa vor einem halben Jahr. Ihr wart vier Herren von der Partie im Klub. Ich erzählte euch eine sensationelle Mordgeschichte, die ich mit einigen Details ausstattete.«

»Jetzt erinnere ich mich. Nun – und?«

»Tags darauf bat ich jeden Einzelnen der vier Herren vertraulich, mir genau aufzuschreiben, was ich erzählt hatte. Du warst ja mit darunter.«

»Jawohl, nur war ich der Meinung, dass ich allein mit dem Auftrag beehrt worden sei.«

»Alle vier mussten berichten, alle vier durchaus vertrauenswürdige, ernsthafte Männer, die es mit der Wahrheit sehr genau nehmen.«

»Nun, und was weiter?«

»Alle vier Berichte, die ich gewissermaßen als Zeugenaussage auffassßte, waren falsch und wiesen in wesentlichen Punkten solche Verschiedenheiten auf, dass sie einen Untersuchungsrichter hätten zur Verzweiflung bringen müssen. Darum nehme ich mir das Recht heraus, vorsichtig zu sein.«

Gegen Dagobert war nicht aufzukommen, man hatte aber nicht lange zu warten. Gerade als die kleine Gesellschaft sich vom Tisch erhob, um sich ins Rauchzimmer zu begeben, wurde Baron Friese gemeldet. Frau Violet machte mit gewohnter Anmut und Liebenswürdigkeit die Honneurs, und wenige Minuten später waren die Herren im Rauchzimmer mit schwarzem Kaffee und Zigarren versorgt, während Frau Violet sich an die Zigaretten hielt. Sie hatte sich auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Marmorkamin eingerichtet, rechts ihr gegenüber saß Dagobert, links der Baron, während Grumbach seinen gewohnten Platz in der Mitte des Zimmers am Rauchtisch einnahm.

Dagobert eröffnete die Feindseligkeiten: »Also, lieber Baron, Sie haben, wie ich höre, einen dummen Streich gemacht. Wir erwarten ein umfassendes Geständnis. Schießen Sie los!«

»Ja, Herr Dagobert.« Auch er nannte ihn nur schlechtweg Herr Dagobert. Niemand wird es ergründen, wie sich das gemacht hat, aber die Tatsache stand fest, dass keiner aus dem Bekanntenkreis Dagoberts ihn anders denn mit seinem Vornamen ansprach. Manche mochten vielleicht nicht einmal wissen, dass sie sich damit eine eigentlich unzulässige Vertraulichkeit erlaubten. »Ja, es war eine Dummheit, aber meine Schuld ist nicht so schlimm, wie sie sich auf den ersten Anblick ausnehmen mag. Darum habe ich auch nichts dagegen gehabt, dass die Angelegenheit in Gegenwart der gnädigen Frau verhandelt werde. Ich muss ja selbst die volle Aufklärung wünschen, wobei ich allerdings um streng vertrauliche Behandlung bitten muss. Es hätte keinen Zweck und wäre mir äußerst peinlich, wenn meine Frau etwas von dieser dummen Sache erführe.«

Frau Violet gelobte feierlich tiefstes Stillschweigen, worauf der junge Mann verbindlich dankte und der Meinung Ausdruck gab, dass er von ihrem weiblichen Takt und Scharfsinn sogar einen nützlichen Rat erhoffe.

»Am meisten aber«, fuhr er fort, »erwarte ich mir von Ihrer berühmten Geschicklichkeit, Herr Dagobert. Der Herr Präsident hat mir Mut gemacht, mich an Sie zu wenden.«

»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Baron.«

»Also hören Sie! Meine Frau befindet sich seit vier Wochen zur Kur in Franzensbad. Sie können sich denken, dass so ein gottverlassener Strohwitwer zur Sommerzeit ein recht trauriges Leben in der Stadt führt.«

»Na, na! Es muss eben getragen werden.«

»Man trägt’s. So begab ich mich denn eines schönen Sommerabends in meiner tiefen Trostlosigkeit mit einigen Freunden zu dem lustigen Venedig in Wien. Uns hatte vornehmlich der Star der Arena, die berühmte dramatische Tänzerin aus St. Petersburg, die Fürstin Feodorowna Obolinskaja, angelockt.«

»Ich glaub’s!«, gab Dagobert, selbst ein gedienter Lebemann, mit sachverständigem Kopfnicken zu.

»Es war der Mühe wert. Ein phänomenales Frauenzimmer und mit Schmuck von geradezu phantastischem Reichtum angetan. Man munkelte, dass sie sogar die Freundin von …«

»Ich kenne die Legende«, unterbrach Dagobert ihn, »… und weiter?«

»Nein, Dagobert«, legte sich da Frau Violet ins Mittel. »Sie dürfen nicht immer unterbrechen, wenn’s anfängt, am interessantesten zu werden. Glauben Sie wirklich, Baron, dass sie – seine Freundin gewesen ist?«

»Man sagt so.«

»Vielleicht sagt sie es«, meinte Dagobert. »Es wäre kein schlechtes Mittel der Reklame.«

»Mag sein!«, fuhr der junge Baron fort, »es kommt nicht darauf an. Uns gefiel sie sehr wohl. Da hatte einer von uns den Einfall – ich war es nicht – wir sollten unsere Karten hinauf in die Garderobe schicken, ob wir nach der Vorstellung die Ehre haben dürften, sie in unserer Gesellschaft im Champagnerpavillon zu begrüßen.«

Frau Violet schlug die Hände über dem Kopf zusammen über die Vermessenheit der jungen Männer von heutzutage.

»Sie kam«, fuhr Baron Friese fort, »und wir unterhielten uns ganz ausgezeichnet.«

»Das Datum – wenn ich bitten darf!«, mahnte Dagobert, indem er Bleistift und Notizbuch hervorholte.

»Ja, das weiß ich so genau nicht mehr.«

»Es könnte aber vielleicht von Wichtigkeit sein.«

»Möglich, aber wenn man mit einer Tänzerin soupiert, so glaubt man nicht immer gleich, dass man für den Untersuchungsrichter soupiert. Es war sehr hübsch, und ich hatte das Glück, von ihr besonders ausgezeichnet zu werden. Ich hatte schließlich auch die Ehre, sie im Fiaker nach Hause bringen zu dürfen.«

»Ah, ah!!«

»Pardon, meine Herrschaften! Selbstverständlich nur bis zum Haustor! Dort wurde ich verabschiedet. Das ist doch selbstverständlich! Ich hatte zu erwähnen vergessen, dass die Fürstin mit ihrer Mutter erschienen war, und das war keine Theatermutter. Die Ähnlichkeit war unverkennbar, und auch das Benehmen der Fürstinmutter war durchaus vornehm und einwandfrei. Die Bekanntschaft war nun einmal gemacht, und sie wurde weitergepflegt. Der Zufall fügte es, dass ich gelegentlich auch ohne meine Freunde die Vorstellung besuchte.«

»Der Zufall?«

»Jawohl, meine Gnädigste, solche Zufälle ereignen sich. Das ist das Leben. Aber ich versichere wieder, es ging in allen Ehren zu. Die Damen waren regelmäßig meine Gäste. Ich brachte sie regelmäßig nach Hause und wurde regelmäßig beim Haustor entlassen.«

»Also die unschuldigste Idylle von der Welt«, bemerkte Dagobert, »wobei ich nur nicht an Ihrer Stelle gewesen sein möchte, lieber Baron.«

»Warum? Es war ja ganz angenehm. Das Nachspiel freilich …«

»Darauf warten wir.«

»Eines Abends erklärte die Fürstinmutter, auch im Namen der schönen Tochter, dass es nun hohe Zeit für sie sei, sich ein ganz klein wenig zu revanchieren. Ich müsste nun einmal bei ihnen soupieren. Ich nahm die Einladung an. Der Tag wurde festgestellt. Das Souper hat stattgefunden.«

»Wann?«, forschte Dagobert.

»Gestern.«

»Gestern? Die Toten reiten schnell, lieber Baron. Erzählen Sie weiter!«

»Die Damen menagieren nicht zu Hause. Das Mahl war von Sacher beigestellt. Ich habe einige Praxis in Sacherschen Menüs. Es war eins für fünfzig Kronen das Gedeck, also immerhin annehmbar. Es ging alles sehr korrekt zu, und wir trennten uns im besten Einvernehmen.«

»Das war gestern Abend!«, rief nun Frau Violet.

»Eigentlich gestern Nacht. Denn wir kamen ja erst nach der Vorstellung dazu, und es war reichlich zwei Uhr nach Mitternacht, als ich mich empfahl.«

»Und heute schon bedürfen Sie der Hilfe Dagoberts? Wie geht denn das zu?«

»Allerdings recht sonderbar. Ich war noch nicht aufgestanden, als mir der Diener der Fürstin gemeldet wurde, und zwar in einer sehr dringlichen und durchaus unaufschiebbaren Angelegenheit. In Gottes Namen denn! Ich ließ ihn vor. Er brachte einen Brief von der Fürstin.«

Dagobert rückte sich auf seinem Sessel zurecht, als gewänne er jetzt erst Interesse für die Sache.

»In dem Brief teilte sie mir mit …«

»Nicht doch, lieber Baron!«, unterbrach hier Dagobert. »Sie haben den Brief sicherlich bei sich. Wir möchten ihn im Wortlaut kennen.«

»Das kann geschehen.« Er holte den Brief aus der Tasche und las:

Mille remerciments, verehrter Freund, für den schönen Abend, den Sie uns bereitet haben, und an den ich mich immer mit Vergnügen erinnern werde. Sie waren so wunderbar aufgeräumt, aber heute müssen wir wieder ernsthaft sein. Bringen Sie also Ihren liebenswürdigen Scherz zu Ende, und schicken Sie mir den Ring mit dem großen Rubin durch Überbringer dieses zurück. Herzlichst Ihre dankbare Freundin Feodorowna O.

»Ja, hatten Sie denn wirklich einen Ring mitgenommen, Baron?«, fragte Frau Violet.

»Ist mir natürlich nicht eingefallen. Ich sehe den Diener verständnislos an und suche mich zu erinnern. Vergeblich. Ich hatte absolut nicht so viel getrunken, dass ich irgendeine Dummheit hätte machen sollen. Ich bin in der schönsten Manierlichkeit zu Fuß nach Hause gegangen. Die Fürstin wohnt auf dem Kolowratring, ich auf dem Kärntnerring. Ich erinnere mich deutlich, wie gemächlich ich ging, wie ich noch in ein Kaffeehaus einkehrte, dort noch einige illustrierte Blätter durchsah. Ich erinnere mich noch der einzelnen Illustrationen und der Unterschriften. Es ist völlig ausgeschlossen, dass der Wein mir den Sinn verwirrt haben sollte. Ich sage also dem Diener ruhig, dass ich von dem Ring nichts wüsste, und dass damit die Sache für mich erledigt sei. Dieser Fall scheint vorausgesehen worden zu sein. Denn der Diener hatte auch für ihn seine Instruktionen. Er erlaubte sich in aller Untertänigkeit zu bemerken, dass auch er von dem Scherz wüsste. Nicht nur Ihre Durchlaucht, auch er habe gesehen, wie ich beim Abschied den Ring in das äußere Seitentäschchen meines Überziehers praktiziert hätte. Das war mir doch zu toll. Die Fürstin hatte allerdings nach Tisch ihre Schmucksachen vor mir ausgebreitet und sie gebührend von mir bewundern lassen, aber ich war doch wahrhaftig nicht auf die verrückte Idee verfallen, mir einen Ring einzustecken. Ich läutete meinem Diener und ließ den Überrock hereinbringen, den er schon wieder in den Kasten gehängt hatte. Der Rock wird gebracht, und in dem äußeren Seitentäschchen fand sich der Ring!«

»Sollte sich da nicht vielmehr die Fürstin einen kleinen Scherz erlaubt haben, um Sie ins Bockshorn zu jagen, lieber Baron?«, fragte lächelnd Frau Violet.

»Die Sache ging mir sehr bald über den Spaß, wie Sie gleich hören werden, gnädigste Frau. Es war in der Tat ein kostbarer Ring: ein ungewöhnlich großer und schöner Rubin, umkränzt von sechs wundervollen Diamanten. Was konnte ich tun? Ich übergab ihn dem Diener und ließ durch ihn meine Entschuldigungen für das Unbegreifliche entbieten. Nun kommt aber erst die Hauptsache!«

»Das lässt sich denken«, schaltete Dagobert ein.

»Es war noch keine halbe Stunde vergangen – ich saß gerade beim Frühstück – da war der fürstliche Diener schon wieder da, und er brachte wieder einen Brief. Hören Sie nur. Er lautet: Geehrter Herr! Weder die guten noch die schlechten Scherze dürfen zu weit getrieben werden und müssen ein Ende finden. Ich finde sogar, dass Ihr Scherz sehr ernst geworden ist. Die Steine an dem Ring, den Sie mir zurückgeschickt haben, sind falsch. Die meinen waren echt, wie mir der Hofjuwelier Georg Friedinger, bei dem ich den Ring vor noch nicht vier Wochen gekauft habe, jederzeit bestätigen wird. Der Preis, den ich bezahlt habe, betrug sechstausend Kronen, wie ebenfalls Herr Friedinger zu bestätigen in der Lage sein wird. Ich erwarte nun von Ihnen entweder die umgehende Übersendung des genannten Betrages oder, was ich vorzöge, die sofortige Zurückstellung der echten Steine. Sollte ich bis heute Nachmittag vier Uhr nicht voll befriedigt sein, so wäre ich um so mehr gezwungen, die Angelegenheit meinem Rechtsanwalt, dem Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Valerian, zu übergeben, da ich schon übermorgen abreisen muss, um ein Engagement in Paris anzutreten. Hochachtungsvoll Fürstin Feodorowna Obolinskaja.«

»Das ist stark!«, rief Frau Violet empört. »Der reine Erpressungsversuch!«

»Oder Betrugsversuch«, versetzte der junge Baron, »oder eigentlich beides, und ich fürchte – ein erfolgreicher.«

»Was?«, ließ sich nun Dagobert vernehmen. »Sie werden doch der Bande nicht sechstausend Kronen in den Rachen werfen wollen!«

»Ich hätte es schon getan, wenn der Herr Präsident, dessen Meinung ich erst einholte, mir nicht eindringlich davon abgeraten hätte.«

»Mit gutem Grund«, bemerkte Grumbach.

»Ja doch«, fuhr der Baron fort, »es wäre hellichter Wahnsinn, aber ich muss um jeden Preis einen Skandal vermeiden. Das weiß das Frauenzimmer, und darum zieht sie die Schraube so an. Erstens einmal muss ich verhindern, dass meine Frau von der albernen Geschichte etwas erfährt, da sie sich, so unschuldig ich auch bin, ganz falsche Vorstellungen machen würde. Ich habe keine Lust, mir solcher Dummheiten wegen meine glückliche Ehe trüben zu lassen. Weiter aber bin ich Fabrikherr und leite ein großes Geschäft. Nun denken Sie sich den Eindruck in der Geschäftswelt, wenn solche Dinge über mich ruchbar würden! Dr. Valerian würde schon dafür Sorge tragen, dass die Zeitungen den interessanten Fall veröffentlichen. Ich danke schön. Da bezahle ich lieber mein Lehrgeld, allerdings – sechstausend Kronen – ein bisschen teuer!«

»Das ließe sich ja hören«, nahm Grumbach wieder das Wort, »nur meine ich, dass es nichts nützen würde. Gibt man den Erpressern einmal nach, dann ist man ihnen mit Haut und Haar verfallen. Die Versuche würden fortgesetzt werden, und man muss ihnen willfahren, oder man hat das erste Opfer umsonst gebracht und hat dann nicht nur das Lehrgeld bezahlt, sondern den Skandal doch noch obendrein, ist also doppelt geschlagen. Dann lieber gleich den Skandal, als sich lebenslänglich an die Kette hängen zu lassen.«

»Ich bin auch der Ansicht«, meinte Frau Violet, »dass man für sein Recht kämpfen und es sonnenklar an den Tag bringen lassen soll.«

»Sie haben leicht reden, gnädigste Frau«, entgegnete der junge Baron, »vielleicht weil Sie eine Frau sind.«

»Ich sollte doch meinen, dass gerade eine Frau besonders befähigt wäre, die Scheu vor einem öffentlichen Skandal zu verstehen und zu würdigen, aber in diesem Fall …«

»Ja, meine Gnädigste, Sie unterschätzen doch die Macht der öffentlichen Meinung der Kaufmannschaft. Man würde mich kaum mehr ernst nehmen. Es mögen philiströse Anschauungen sein, die da vorherrschen, aber man kann nicht aufkommen gegen sie. Schließlich kann man auch nicht aufkommen gegen das Vorurteil einer gekränkten Gattin. Darum will ich lieber jedes Opfer bringen, bevor ich es auf einen Eklat ankommen lasse. Was ist Ihre Meinung, Herr Dagobert? Der Herr Präsident ließ mich hoffen, dass Sie vielleicht einen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden wüssten.«

»Meine Meinung ist die, dass ich wütend bin!«, knurrte Dagobert. »Wieder einmal muss man sich um das Einfachste und Natürlichste herumdrücken, um nur um Gottes willen kein Aufsehen zu erregen. Das Einfachste und Natürlichste wäre, die ganze Sippschaft sofort festsetzen zu lassen.«

»Doch wohl nur die Fürstin?«

»Die ganze Sippschaft – und statt dessen soll nun herumdiplomatisiert werden!«

»Aber Sie sehen doch ein, Herr Dagobert …«

»Natürlich sehe ich es ein. Ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf, Baron. Derlei kann jedem von uns passieren.«

»Sie aber sind wenigstens Junggeselle!«, gab Frau Violet zu bedenken.

»Nicht nur das, sondern auch vielleicht etwas vorsichtiger als unser junger Freund. Was nun den Fall selbst betrifft, so liegt er beinahe einfacher, als mir lieb ist. Es ist nicht viel Ehre dabei zu holen. Die Falle ist zu plump gestellt. Da tät’s die Polizei auch, und ich brauchte mich gar nicht erst zu bemühen.«

»Aber Sie wissen doch, Herr Dagobert, dass ich mich an die Polizei nicht wenden kann!«

»Weiß schon, und das versöhnt mich noch mit der Sache. Lassen Sie also Ihrer Donna die Verständigung zukommen, dass Sie, da sie es doch so eilig hat, ihr morgen Nachmittag um vier Uhr bei ihrem Anwalt, dem Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Valerian, mit Vergnügen zur Verfügung stehen. Sie solle sich nur auch den Hofjuwelier Friedinger mitbringen. Er ist nämlich, wie ich nebenbei bemerken will, beeideter gerichtlicher Schätzmeister, wird also in der Lage sein, den bei ihm gekauften Ring zuverlässig zu schätzen.«

Der Baron machte große Augen zu Dagoberts Vorschlägen.

»Erlauben Sie, Herr Dagobert«, sagte er, ein wenig aus dem Kontakt gebracht, »ich bin ja bereit zu bezahlen, da es nun einmal nicht anders geht, aber ich verstehe doch nicht recht, dass Sie mich förmlich in die Höhle des Löwen schicken wollen. Mir wäre es doch lieber, wenn sich die Sache bei meinem Rechtsanwalt abspielte. Ich werde schlechte Figur machen unter ihren Leuten und diesen völlig preisgegeben sein. Die Fürstin, ihr Anwalt, ihr Juwelier – die werden ja mit mir machen, was sie wollen, und mir nach Belieben die Kehle zuschnüren.«

»Das ist schon die richtige Zusammensetzung. Verlassen Sie sich darauf.«

»Aber wenigstens werde ich mir meinen Rechtsanwalt mitnehmen!«

»Es hätte keinen Sinn, lieber Baron, überflüssigerweise noch mehr Leute einzuweihen. Ihr Anwalt werde ich sein.«

»Ah, dann bin ich schon beruhigt.«

»Ich werde pünktlich um vier Uhr zur Stelle sein. Verehrte Hausfrau, Sie werden sicherlich den Wunsch hegen, von dem Ergebnis der Unterhandlungen möglichst bald in Kenntnis gesetzt zu werden?«

»Natürlich brenne ich darauf, den Ausgang zu erfahren!«

»Dann brauchen Sie nur den Baron und mich morgen zu Tisch zu laden.«

»Was hiermit geschieht und mit tausend Freuden. Aber, Dagobert, Sie wissen, unsere Speisestunde ist um fünf.«

»Eben, weil ich das weiß, Gnädigste, habe ich die Konferenz für vier Uhr anberaumt, um fünf Uhr wird alles vorbei sein, und wir werden an Ihrem Tisch sitzen. Ich empfehle Ihnen übrigens, Frau Violet,  – Sie wissen doch, wie gern ich Sie in Ihren Hausfrauensorgen unterstütze – ein, zwei Flaschen Sekt in Eis stellen zu lassen. Ich meine nur unseres jungen Freundes wegen, und da es doch eine Siegesfeier werden wird. Denn ich für meine Person werde Ihrem wundervollen und mit Recht so berühmten kühlen Rüdesheimer treu bleiben.«

»Es wird für jeden Geschmack gesorgt sein, meine Herren!«

Der Baron erschöpfte sich in Entschuldigungen und versicherte, dass er sich nie erlaubt hätte, sich aufzudrängen, aber Dagobert schnitt ihm das Wort ab.

»Wir müssen, gnädigste Frau, diesen jungen Mann ein wenig unter unsere Obhut nehmen, damit er uns keine unnützen Streiche mache. Sie sehen, wie notwendig es ist, dass er bemuttert werde.«