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Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer 7

Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
Zweiter Band

Dagoberts unfreiwillige Reise
Teil 1

Andreas Grumbach, seine Gattin, Frau Violet, hatten sich gerade zu Tisch gesetzt, als Dagobert eintrat. War das eine Überraschung! Seit zwei Monaten hatten sie ihn mit keinem Auge gesehen. Er war förmlich verschollen gewesen.

»Es ist schön von Ihnen, Dagobert, dass Sie wenigstens noch am Leben sind!«, hieß ihn Frau Violet freudig erregt willkommen, während ihm Grumbach mit Herzlichkeit die Hand schüttelte.

»Ich gebe zu, es ist ein hübscher Zug von mir, aber es hätte wahrhaftig nicht viel gefehlt …«

Er vollendete nicht, und man fragte nicht. Man wusste von früher her schon, dass er bei Tisch, solange die aufwartende Dienerschaft noch ab und zu ging, nicht zum Reden zu bringen sein werde, und so fragte man sich vorderhand nur gegenseitig das Befinden ab und erging sich sonst in allgemeinen und gleichgültigen Redensarten.

Der Bedienstete, der gerade die Suppe servierte, hatte gar nicht erst den Wink der Hausfrau abgewartet, sondern, wie es sich für einen gut geschulten Diener, der den Brauch des Hauses kennt, gehört, aus freien Stücken und im eigenen Wirkungskreis für den Gast ein frisches Gedeck aufgelegt.

Frau Violet war aber doch riesig neugierig, und sie hatte auch allen Grund dazu. Zwei Monate sich nicht sehen zu lassen und gar kein Lebenszeichen von sich zu geben – so etwas war überhaupt noch nicht da gewesen! Dagoberts Antlitz wies eine Blässe wie von überstandener Krankheit auf, und sein Petruskopf erschien ihr nun noch viel interessanter als früher. Sie kannte die große Passion Dagoberts, sich als Amateurdetektiv um Dinge zu kümmern, in Sachen hineinzumischen und ihnen nachzugehen, die ihn eigentlich gar nichts angingen und sich dabei gelegentlich in recht bedenkliche und gefährliche Zwischenfälle verwickeln zu lassen. Sie erinnerte sich dabei dankbaren Gemütes, welch wichtige Dienste er mit seiner merkwürdigen Gabe scharfsinniger Kombinationskunst als Gentleman-Detektiv wiederholt auch ihrem Haus schon geleistet habe.

Als der Diener auf einen Augenblick das Zimmer verließ, konnte sie sich nicht enthalten, ihm die Frage zuzuflüstern: »Sie waren verreist, Dagobert?«

»Jawohl, eine kleine Reise – eigentlich eine unfreiwillige Reise.«

»Wohin?«

»Nach Preßburg.«

»Eine Stunde von Wien – das ist doch keine Reise!«

»Es sind etwa sechzig Kilometer.«

»Man bleibt nicht zwei Monate in Preßburg, noch dazu im Winter!«

»Sehr richtig. Für die Rückfahrt musste ich allerdings einen kleinen Umweg machen so von ungefähr zweitausend Kilometern. Ich bin nämlich über Mentone zurückgekommen.«

Die Unterhaltung wurde unterbrochen, als der Diener wieder eintrat. Frau Violet, die ja wusste, dass Dagobert, wie er das immer gern getan hatte, nach Tisch beim schwarzen Kaffee im Rauchzimmer seine Erlebnisse in der Zwischenzeit erzählen werde, war doch zu ungeduldig, einiges Nähere jetzt schon zu erfahren, um nicht eine neuerlich sich darbietende Gelegenheit zu einer Frage zu benutzen.

»Sie waren natürlich wieder – in Geschäften fort, Dagobert?«

»Ich antworte, wie Franz Liszt antwortete, als ihn ein Potentat fragte, ob er in Wien gute Geschäfte gemacht habe: Ich mache keine Geschäfte, ich mache Musik, Majestät.«

»Aber ich meinte ja – die Musik, Dagobert!«

Auch so wäre noch ein Missverständnis möglich gewesen. Denn tatsächlich hatte Dagobert die große Passion auch für die Musik, die er leidenschaftlich liebte. Auch da galt er als hingebungsvoller Amateur, und dabei hätte er es sich keineswegs gefallen lassen, bloß als Dilettant angesehen zu werden. In Wahrheit hatte Frau Violet gar nicht die Musik gemeint, sondern seine andere Liebhaberei, die für die Detektivkunst. Diese Kunstliebhaberei war ihr an ihm doch noch die interessantere.

Als dann die kleine Gesellschaft das Rauchzimmer betrat, richtete Frau Violet dem Gast, den sie der an ihm ungewohnten Blässe halber noch immer als Patienten betrachtete und daher mit einer gewissen Mütterlichkeit betraute, seinen Sitz in der Nähe ihres Lieblingsplätzchens am Kamin her. Der Hausherr selbst nahm seinen gewohnten Platz am Rauchtischchen in der Mitte des Zimmers ein. Der Kaffee war serviert, man hatte sich mit Zucker, die Herren mit Zigarren, Frau Violet mit einer Zigarette versorgt. Man war unter sich und ungestört.

»Sie haben sich sicher wieder in irgendeine verrückte Geschichte eingelassen, Dagobert,« begann Frau Violet.

»Sehr verrückt, meine Gnädigste!«

»Sie werden einmal schlecht dabei wegkommen, Dagobert. Ich habe Sie oft genug gewarnt.«

»Man schafft sich seinen Lebensinhalt, Frau Violet. Wissen Sie, was ich eigentlich am allerliebsten täte?«

»O ja, am liebsten würden Sie – Musik machen.«

»Das tue ich so wie so. Die tiefste Sehnsucht gilt immer dem Unerreichbaren, und am liebsten möchte man gewöhnlich das tun, was man nicht kann.«

»Was möchten Sie denn also am allerliebsten tun?«

»Novellen schreiben.«

»Aber – Dagobert!«

»Da ich das aber nicht kann – leider! –, so trachte ich wenigstens, meine Novellen zu erleben.«

»Erlebte Novellen – das ist auch schon etwas, vielleicht mehr und Besseres als geschriebene.«

»Ob auch Besseres – das möchte ich nicht so schroff behaupten, Frau Violet! Das Leben ist kolossal fruchtbar im Dichten, aber es dichtet nicht immer kunstgemäß. Wo nach allen Regeln der Kunst eine verfolgte Unschuld nottäte, da fehlt gewöhnlich die Unschuld, und wo man den geistsprühenden Baron brauchte, wie einen Bissen Brot, dass er mit seiner wundervollen Vorurteilslosigkeit zum Schluss alles ins richtige Geleise bringe, da ist im Leben weit und breit keine Spur von ihm zu entdecken. So sind denn meine Novellen eigentlich immer recht kunstlos gefügt, und sie geraten sehr selten zu einem allseits befriedigenden Abschluss. Die Kunstform der Novelle …«

»Mein lieber Dagobert, das alles ist sicher sehr schön und gut, was Sie mir da entwickeln wollen, aber es ist nicht das, was ich von Ihnen erwarte.«

»Verzeihung, Gnädigste. Ich weiß, dass ich verpflichtet bin, Ihnen meine Beichte abzulegen. Ich beginne also meine Novelle, die eigentlich keine ist, weil …«

»Keine Philosophie mehr, Dagobert. Ich wünsche Tatsachen.«

»Gut. Eine Tatsache war es, dass mein Arzt eines schönen Tages – es war so um die Mitte Oktober herum – an mir eine leichte Leberanschwellung und gleichzeitig eine kleine Gallenaffektion feststellte.«

»Sie waren leidend, Dagobert, und haben uns keine Mitteilung gemacht!«

»Der Esel meinte, ich hätte vielleicht ein wenig zu gut gelebt. Als ob man überhaupt zu gut leben könnte. Natürlich habe ich immer darauf gehalten, so gut wie möglich zu leben, aber ich bin ein Epikuräer und habe mir immer etwas zugutegetan auf meine Weisheit im Genießen.«

»Nun scheint Sie Ihre Weisheit gelegentlich doch im Stich gelassen zu haben.«

»Meine Leber hat mich im Stich gelassen. Ich hätte Besseres von ihr erwartet. Also nun los mit der Karlsbader Kur! Es war nicht nötig, deshalb nach Karlsbad zu fahren; sie konnte auch zu Hause erledigt werden. Der Arzt hatte es gnädig gemacht mit mir. Des Morgens vor dem Frühstück einen anständigen Becher Mühlbrunn, darauf sofort eine halbe Stunde spazieren laufen – das war alles. Die Sache war mir ungewohnt und nicht eben angenehm. Gleich in aller Gottes Frühe fortrennen und so zwecklos spazieren gehen – das ist nie mein Fall gewesen, aber es musste sein.«

»Dem Arzt muss man folgen, Dagobert!«

»Natürlich. Ich schiebe also los und hatte gleich am ersten Tag meine Novelle.«

»Sie haben immer Glück gehabt.«

»Es kommt darauf an. Wie Sie wissen, habe ich mein Junggesellenheim vor Kurzem in die Elisabeth-Promenade verlegt, die sich ja, wie Sie wissen, großartig herausgemacht hat. Früher hieß sie Rossauer Lände und unsere Stadtväter haben sie jetzt erst umgetauft. Ich finde, dass das eine recht überflüssige Wallung von Vornehmtuerei war. Ross-Au-Lände – so gut deutsche Wörter, die frische und angenehme Vorstellungen wecken. War es da unbedingt nötig …«

»Gott, Dagobert – ich warte auf Ihre Novelle!«

»Ich wollte nur sagen, das damit die Linie für meine Spaziergänge gegeben war.«

»Natürlich! Die Promenade ist sehr schön.«

»Im Gegenteil – durchaus nicht natürlich. Die Promenade, wenn Sie das kühne Bild gestatten wollen, wächst mir nämlich schon zum Hals heraus. Wenn man den Weg tagtäglich ohnedies mehrmals machen muss, dann wird man sich ihn nicht auch noch zum Spazierengehen aussuchen. Das wäre ja tödlich langweilig. Für mich war es also klar, dass ich meinen Weg über die Brigittabrücke nehmen musste, in die Brigittenau, den zwanzigsten Bezirk, in den ich früher äußerst selten gekommen war und den ich daher fast noch gar nicht kannte. Als Grillparzer in seinem Armen Spielmann die Brigittenau schilderte, da war sie wirklich noch eine Au, jetzt ist sie eine Großstadt für sich mit einer allerdings verhältnismäßig recht armen Bevölkerung. Da konnte ich immerhin erwarten, Neues zu sehen und mancherlei Anregung zu empfangen.«

»Ich selbst bin in meinem Leben noch nicht dort gewesen, Dagobert.«

»Gleich bei der Brücke ist dort jetzt der Schanzl der Obstmarkt, etabliert. Ein hübsches, farbiges Bild. Da hatte ich sie nun vor mir, förmlich in Reih und Glied aufgestellt, die berühmten Schanzlweiber, berühmt ob der Kolossalität ihrer Leibesformen und nicht minder ob der Kolossalität der Derbheit ihrer Ausdrucksformen, wenn sie gereizt werden oder sonst in schlechter Laune sind. Vor ihnen auf umfänglichen Gestellen Berge von Obst, das sie feilhalten; hinter ihnen der Donaukanal, die zahlreichen Obstschiffe mit ihrem schier unerschöpflichen Inhalt. Ein prachtvolles, buntes Bild! Ich schreite die Stände langsam ab, und als ich am vierten Stand vorbeigekommen war, da wusste ich, dass meine notgedrungenen Spaziergänge nun doch über die langweilige ärztliche Vorschrift hinaus eine Art Zweck und Ziel haben würden. Ich werde da am Rückweg ebenfalls vorbeikommen und morgen wieder und überhaupt alle Tage, solange noch das Martyrium der kurgemäßen Lebensweise dauern sollte.«

»Aha – cherchez la femme!«

»Sehr richtig, meine Gnädigste. Sie kennen mich. Es war aber auch ganz merkwürdig.«

»Es wird doch nicht gleich eine Gräfin unter die Obstweiber gegangen sein?«

»Das allerdings nicht. Ich glaube aber, dass so manche Gräfin sich beglückwünschen könnte …«

»So schön war sie, Dagobert?«

»Nicht einfach schön. Sie war überraschend in der Umgebung. Denken Sie sich unter den wetterharten Kolossalweibern ein zierliches Figürchen, Kubikinhalt bei Weitem nicht die Hälfte von dem der übrigen Berufsgenossinnen. Die verkörperte Anmut. Nicht wesentlich eleganter gekleidet als die Übrigen; ja sie trug, wie die anderen, ein weit, für meinen Geschmack zu weit ausladendes Kopftuch, sodass man förmlich Kunststücke machen musste, um ihr ins Gesicht zu sehen, aber wie sie ihr Zeug trug, das war doch etwas ganz anderes! Und auch sonst. Die anderen hatten ihre Füße in warme Filzpatschen gesteckt. Der Herbst hatte schon recht rau eingesetzt. Sie trug ganz entzückende Stiefelchen, die unter dem geschürzten Kleid vortrefflich zur Geltung kanten. Ihre Hände waren auffallend klein und schön, aber fest von der Arbeit, und wie sie ihren Obstkram ordnete, bemerkte ich, dass sie einen Ehering trug.«

»Und von dem Gesicht, der Hauptsache, reden Sie nichts?«

»Das kommt zuletzt; das ist das Merkwürdigste. Sie können sich das Feinste vorstellen, und Sie werden ihr nicht zurecht tun. Wie soll ich es Ihnen nur anschaulich machen? Sie erinnern sich der köstlichen typisch englischen Frauenschönheiten, die Dumourier für den Punch zu zeichnen pflegte. Der brave Künstler ist längst tot, sonst hätte man glauben können, sie sei eines seiner beliebtesten Modelle gewesen. Wahrhaftig das Urbild eines der englischen Idealmädchen, obschon ihr Haar dunkel war. Sie trug es an der Seite gescheitelt, und so beschattete eine kunstvoll gebauschte Haarwelle die feine Stirne. Das Kinn, die Lippen, die zart gezeichnete Nase – kurz ein Gesicht, das unter den Hofdamen der Königin von England nicht überrascht hätte, das aber bei einer Frau Sopherl vom Naschmarkt noch einigermaßen auffallen musste.«

»Ich werde hingehen und mich überzeugen, Dagobert!«

»Und Sie werden mir dann zugeben, dass ich nicht übertrieben habe. Ich kokettierte natürlich sofort scharf hinüber, aber erfolglos. Ich wurde keines Blickes gewürdigt. Auf dem Rückweg dieselbe Geschichte: Sie bemerkte mich nicht. Sie begreifen, Gnädigste, dass so etwas schmerzt. Man ist es sonst gewohnt, bemerkt zu werden. Man schmeichelt sich doch …«

»Ich bin ganz unbesorgt, mein lieber Dagobert, Sie werden sich schon bemerkbar gemacht haben!«

»Ich danke für die gute Meinung, meine Gnädigste. Ich fürchte aber, dass Sie mich in diesem einen Fall überschätzen. Auch an den nächsten Tagen äugelte, liebäugelte ich hin, vergeblich. Sie besorgte ihre Sachen bei ihrem Stand und sah überhaupt niemanden an. Das gab mir zu denken.«

»Natürlich! Ihr Herren der Schöpfung steht gleich vor einem unlösbaren Problem, wenn einmal ein hübsches Frauenzimmer sich nicht geneigt zeigt, euch die gebührende Aufmerksamkeit zu erweisen!«

»Ich suchte nach einer Erklärung dieser völligen Gleichgültigkeit der Flucht der Erscheinungen gegenüber und glaubte, sie in einer starken inneren Benommenheit zu finden. Diese junge Frau musste irgendetwas haben, was sie mit zwingender Ausschließlichkeit beschäftigte. Ich hatte sie mir immer genau, sehr genau angesehen, und da hatte ich auch zwei ganz feine Linien bemerkt, die sich vom Ansatz der zart geschwungenen Nasenflügel zu den Mundwinkeln zogen. Von diesen beiden Linien schloss ich zunächst auf ein Leid oder auf ein Leiden. Das verminderte mein Interesse nicht. Ich nahm mir vor, wenn ich Obst kaufen werde – und ich werde Obst kaufen – es selbstverständlich nur bei ihr zu kaufen. Ich kaufte also, kaufte wiederholt. Sie füllte mir die Weintrauben in den Papiersack, wog, wechselte mit völligem Mangel irgendwelcher persönlicher Anteilnahme. Kein Lächeln, wenn ich wiederkam, nicht einmal das leiseste Anzeichen, dass sie mich überhaupt wiedererkenne. Auf meine Versuche, Gespräche anzuknüpfen, ging sie nicht ein. Sie antwortete einsilbig, teilnahmslos. Sie war die personifizierte Teilnahmslosigkeit. Da konnte ich hundert Jahre lang Weintrauben einkaufen, ohne ihr auch nur um einen Schritt näher zu rücken.«

»Für Ihr Geld hatten Sie auch auf mehr nicht Anspruch, Dagobert, als auf Weintrauben.«

»Das ist nicht ganz richtig, meine Gnädigste. Als Kundschaft hat man auch Anspruch auf ein freundliches Lächeln als Zugabe. Ich gestehe, mein Interesse begann abzuflauen. Die reizvolle Erscheinung übte zwar noch immer ihre Anziehungskraft, die Anmut war unleugbar und war entzückend, und doch das Ganze schien nicht beseelt. Ich begann meine psychologischen Erklärungen umzudeuten und jene feinen Linien, die dem Gesichtchen etwas Vergrämtes gaben, umzuwerten. Diese Linien sind einfach von der innerlichen Bösartigkeit eines ungezügelten Naturells gezogen.«

»Das ist wieder echter Dagobert! So sind die Männer. Weil sie ihn nicht anlächelt, muss sie gleich eine bösartige Katze sein!«

»Allerdings, sie schien mir nun mehr bösartig als vergrämt, verteufelt hübsch, aber bösartig. Meine ursprüngliche Begeisterung für die Prinzessin unter den Plebejerinnen musste noch einen weiteren Stoß erleiden. Ich stand in der Nähe, als eine Dame bei ihr Weintrauben einkaufen wollte, als Anna Burgholzer – ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass ich ihre Generalien längst schon ausgekundschaftet hatte – bei meinen Beziehungen zur Polizei übrigens eine sehr einfache Sache, eine Nachfrage beim Marktkommissariat – aber halten wir uns damit nicht auf …«

»Nein, Dagobert, das dürfen Sie nicht so nebensächlich behandeln. Sie war also wirklich verheiratet?«

»Jawohl. Ihr Mann war Fischer …«

»War – ist es hoffentlich noch?«

»War Fischer in Kagran, jenseits der großen Donau. Von dort aus zog er täglich in die Lobau, übrigens ein historischer Boden, auch Aspern und Wagram liegen in der Nähe, und übte dort sein Gewerbe aus.«

»Schön, und was war es mit der Dame, die Weintrauben kaufen wollte?«

»Sie hatte sich vermessen, sich selbst die Trauben auszusuchen, und sogar den sträflichen Versuch gewagt, besonders schöne Trauben von unten weg herauszuziehen, wodurch allerdings der ganze Bau leicht ins Wanken hätte geraten können. Anna Burgholzer verwies ihr das kurz und schroff, und als die Dame daraufhin, vielleicht weil sie die Mahnung überhört oder angenommen hatte, dass die scharfe Zurückweisung unmöglich ihr gegolten haben könne, nicht sofort Order parierte, da begann Anna Burgholzer eine Standrede so urkräftiger Art, dass die Dame erschreckt und wortlos davoneilte. Der Redestrom flutete aber weiter, und die entfesselte Obstmarktfrauenberedsamkeit brachte in schier endloser Reihe so durchaus ordinäre Beschimpfungen hervor, dass ich selbst wie angedonnert dastand. Das also war meine englische Hofdame!«

»Geschieht Ihnen schon recht, Dagobert! Ein hübsches Lärvchen genügt Ihnen, um gleich alle erdenklichen Vorzüge damit in Verbindung zu bringen. Ihr alle seid bestochene Richter!«

»Da war allerdings auch nicht der leiseste Unterschied mehr von den übrigen Marktweibern zu entdecken. Von meiner Schwärmerei war ich nun so ziemlich geheilt, und ich beschloss, mich für die Dame nicht weiter zu interessieren. Schon am nächsten Tage aber wurde mein Interesse wieder auf das Lebhafteste angeregt. Als ich wieder dort in gemessener Entfernung vorbeiging – sie selbst bemerkte mich bei meinen Promenaden niemals – sah ich einen Mann bei ihr stehen, und zwar nicht vor dem Verkaufsstand, sondern hinter demselben ganz dicht neben ihr, der sofort meine volle Aufmerksamkeit herausforderte. Ich umkreiste den Schauplatz und stellte meine Beobachtungen an. Sie wissen, gnädige Frau, ich habe etwas vom Jagdhund an mir.«

»Ich weiß, Dagobert.«

»Ich hatte eine Witterung in die Nase bekommen. Das war etwas für mich. Eine famose Figur. Eine hohe, sehr kräftige Gestalt. Starker dunkler Schnurrbart. Das derbe, blatternarbige Gesicht etwas bleich. Die Kleidung funkelnagelneu, aber von ordinärer Eleganz. Lichter, rehlederfarbiger Überzieher, neuer Zylinderhut, Lackschuhe, die phänomenal großen Hände in Glacéhandschuhen steckend, die noch das kräftige rote Handgelenk sehen ließen. Ich postierte mich hinter die beiden, lehnte mich ans Ufergeländer und tat, als sei ich ganz in Anspruch genommen von dem Treiben auf den Obstschiffen. Dabei behielt ich aber den Elegant natürlich scharf im Auge.«

»Warum hat denn der Sie nur gar so sehr interessiert, Dagobert?«

»Man hat seinen Blick, meine Gnädigste. Ich hatte gleich die Überzeugung: Der Mann ist vor Kurzem erst aus dem Zuchthaus herausgekommen!«

»Das kann man doch um Gottes willen einem Menschen nicht gleich von der Nase herunterlesen.«

»Vielleicht doch! Das Gesicht war an und für sich ein gediegenes Spitzbubengesicht, vielleicht nicht so im Allgemeinen, aber doch für den Kenner. Und dann was mich eigentlich auf die Idee gebracht hatte – die verdächtige Blässe. Der Mann sah nicht aus wie ein Patient, der sich nun in der Rekonvaleszenz befindet – der Mann hat einfach längere Zeit im Kühlen gesessen. Die beiden sprachen sehr wenig miteinander, und ich hätte es auch nicht hören können. Dennoch waren meine Beobachtungen nicht ganz erfolglos. Während meine Schöne eine Kundschaft bediente, griff der Galan in ihre Geldlade und langte sich eine Handvoll Kleingeld heraus. Mit dieser Hand gab das schon aus!«

»Haben Sie ein Glück, Dagobert! Gleich so in flagranti!«

»Nein, nein, meine Gnädigste, so einfach war die Geschichte doch nicht. Das war kein Diebstahl. Das geschah mit ihrem Einverständnis. Sie selbst rückte ihm mit der Linken die Lade zurecht, während sie mit der Rechten weiter bediente. Das Ganze wurde recht rasch und unauffällig gemacht. Das war aber noch nicht alles. Das Wichtigere kam noch. Als er das Kleingeld in der Hosentasche untergebracht hatte, griff er in die äußere Seitentasche seines Überziehers und brachte, nachdem er sich flüchtig umgesehen hatte, ob er nicht beobachtet werde, ein paar zerknüllte größere Geldnoten hervor, die er dann in die Geldlade schob.«

»Also ein Wechselgeschäft!«

»Eher eine Vorsichtsmaßregel. Für ihn war es nicht rätlich, große Geldnoten bei sich zu tragen und vielleicht gefährlich, sie wechseln lassen zu wollen. Ihm war mit Kleingeld besser gedient. Darauf grüßten sich die beiden kurz, eigentlich nur mit den Augen, und dann ging er davon.«

»Sie natürlich ihm nach, Dagobert?«

»Natürlich. Ich nahm im Stillen vorläufigen Abschied von meiner verwunschenen englischen Hofdame und trug jetzt weit besseres Verlangen. Ich stieg dem eleganten Herrn nach. Mein Arzt wäre nun sehr zufrieden mit der Ausgiebigkeit meines Spazierganges gewesen. Der edle Kavalier ging die Spittelauer Lände entlang in der Richtung nach Nussdorf. Nach etwa halbstündigem Marsch kehrte er in eine sehr unansehnliche Branntweinschenke ein. Ich wartete. Er musste eine recht kräftige Stärkung zu sich genommen haben. Denn sein Gesicht war gerötet und seine Augen glänzten, als er wieder herauskam. Er ging weiter und richtig – bis Nussdorf. Dort bog er in ein Seitengässchen ein und betrat ein niedriges, im übrigen recht weitläufiges und dabei sehr schmieriges und baufälliges Haus. Er schien zu Hause zu sein. Ich wartete wieder.«

»Eine recht strapaziöse Geschichte, Dagobert.«

»Ich wartete. Es war elf Uhr, und ich dachte mir, dass er so gegen zwölf sich doch wohl um sein Mittagessen kümmern werde. Ich hatte richtig kalkuliert. Schon um halb zwölf kam er aus seinem Bau heraus und verlor sich in ein nahegelegenes Wirtshaus.

Der Kavalier hatte jetzt hohe Stiefel an und einen Lodenrock, keine Spur mehr von der früheren Eleganz, aber das grobe Zeug stand ihm viel besser und natürlicher. Er sah nun genau so aus, wie die anderen Nussdorfer Hauerbuben. Ich musste seine Behausung sehen und ging direkt auf die Tür zu, aus welcher ich ihn hatte herauskommen sehen. Sie war unversperrt und ich sah in ein Gemach, das gar nichts Auffälliges bot. Ehrlich gestanden, ich hatte auch nichts Auffälliges erwartet. Ich fühlte nicht einmal die Versuchung, einen Blick in den Schrank oder in den Koffer zu tun, um nach etwaigen Einbruchswerkzeugen zu fahnden. War meine Vermutung richtig, dass er eine kriminalistische Vergangenheit hinter sich habe, so war nicht anzunehmen, dass er so dumm sein werde, verfängliche Dinge in seiner Behausung zu halten. War sie falsch, dann war er vielleicht überhaupt kein Verbrecher.«

»Das ist ganz schön, Dagobert, aber hatten Sie nicht damit gerechnet, dass Sie jemand stellen und fragen konnte, was Sie da eigentlich zu suchen hätten.«

»Darauf war ich allerdings vorbereitet. Ich hätte mich nach meiner Wäscherin Frau Sali Rumpolt erkundigt und steif und fest behauptet, dass sie da wohnen müsse. Ich wurde aber nicht behelligt und hielt mich auch nicht damit auf, mich um etwaige Auskünfte zu bemühen. Das wäre ihm doch zu Ohren gekommen, hätte Verdacht erregt und mir meine weiteren Nachforschungen nur erschwert. Es hätte auch keinen Zweck gehabt. War der Mann wirklich belastet, dann residierte er da wahrscheinlich unter falschem Namen. Hatte er sich aber nichts vorzuwerfen, dann hatte meine ganze Spioniererei überhaupt keinen Sinn. Ich fuhr zur Stadt zurück und überlegte während der Fahrt, ob ich meine Untersuchungen überhaupt fortführen solle. Die Sache schien doch recht unsicher, aber ich wollte doch noch nicht locker lassen. Ich musste zu einer Gewissheit kommen. Der erste Eindruck war doch ein zu starker gewesen. Wenn mich mein physiognomischer Blick da getäuscht hatte, dann konnte ich mein Geschäft überhaupt an den Nagel hängen und mir das Lehrgeld zurückgeben lassen.«

»Sie tun ja gerade, als müssten Sie von Ihrer Detektivkunst leben!«

»Man muss seinen Beruf haben, Frau Violet. Sie haben ganz richtig von einer Kunst gesprochen. Der Künstler hat seinen Ehrgeiz, auch wenn keine materiellen Fragen ins Spiel kommen. Ich fuhr beim neuen Polizeipalast vor und suchte mir meinen Freund den Oberkommissar Dr. Weinlich auf. Er ist die Seele der kriminalpolizeilichen Abteilung, und Sie wissen, dass wir gegenseitig schon wiederholt in der Lage waren, uns nicht unerhebliche Dienste zu leisten.«

»Ich erinnere mich sehr gut, Dagobert, dass er uns in der Affäre der schmählichen anonymen Briefe behilflich gewesen ist.«

»Ich ließ mir das Verbrecheralbum vorlegen.«

»Nun – haben Sie ihn gefunden, Dagobert?«

»Nein, meine Gnädigste. Zwei Stunden lang habe ich mich mit den Bildern beschäftigt, und das Resultat war, dass ich schließlich ganz dumm im Kopf wurde. So ging es nicht. Ich musste seinen Daumenabdruck haben. Ich ging also am nächsten Tag hin und holte mir seinen Daumenabdruck.«

»Das geben Sie großartig, Dagobert! Ich holte mir seinen Daumenabdruck! Wie haben Sie denn das angestellt?«

»Das war weiter kein schwieriges Unternehmen. Ich war um die Zeit, da er zum Mittagessen gehen sollte, zur Stelle und verlegte ihm den Ausgang aus dem Haustor durch ein breitspuriges und wackliges Stativ, das ich als Pseudofotograf dort ausgestellt hatte. Ich war natürlich dazu entsprechend schäbig gekleidet.«

»Was Sie für Einfälle haben, Dagobert! Und das Stativ und den Apparat hatten Sie sich bis Nussdorf hinausgeschleppt?«

»Ach nein, meine Gnädigste. Der erste Tag hatte mich schon gewitzigt. Von nun an hatte auf meinen Exkursionen mir mein Wagen nachzufahren, und was ich fahren konnte, wurde gefahren. Er konnte also aus dem Haustor nicht heraus. Ich bat, ohne mich in meiner Geschäftigkeit auch nur nach ihm umzuwenden, um einen Augenblick Geduld. Auf seine Frage, was ich da vorhabe, antwortete ich, dass ich eine Ansichtskartenaufnahme vom Kahlenberg machen wolle. Er könnte mir übrigens einen Freundschaftsdienst leisten und das Stativ, das so verflucht wacklig sei, zwei Sekunden halten; länger werde es nicht dauern. Er erklärte sich bereit und streifte den Rucksack ab, den er umgehängt trug. Als er ihn niederstellte, gab es einen harten Klang und einen klirrenden Ton, der, so leise er war, von mir nicht unbemerkt blieb. Ich wirtschaftete weiter mit riesigem Eifer an meinem Apparat und demonstrierte, wie er das Stativ zu halten habe. Die Hauptsache sei, dass das Stativ nicht wackle. Ich zeigte ihm genau, wie er die Daumen an der oberen schmalen Leiste anzusetzen und dann recht kräftig nach abwärts zu drücken habe.«

»Ja aber, Dagobert, das Holz nimmt doch nicht gleich einen Daumenabdruck auf?«

»Gewiss nicht, Frau Violet, aber ich hatte auf die schmale Holzleiste erst einen Streifen amerikanischen Heftpflasters aufgeklebt und diesen dann wieder abgezogen, bevor er kam.«

»Ach so!«

»Er griff fest zu, ganz nach der Vorschrift. Ich zog die Klappe, und in wenigen Sekunden war das Werk getan. Er nahm seinen Rucksack auf – wieder ein Klang, der mir nicht entging – und zog seines Weges. Ich stäubte ein wenig Federweiß auf die mir nun wichtig gewordene Holzleiste und brachte das Stativ mit aller gebotenen Behutsamkeit zu meinem Wagen. Ich fuhr aber nicht gleich davon, sondern blieb noch auf der Lauer. Ich wollte wissen, wohin er nach seinem im Wirtshaus eingenommenen Mahl seine Schritte lenken werde. Nicht länger als eine halbe Stunde hatte ich zu warten, dann sah ich ihn wieder mit seinem Rucksack auftauchen. Er stieg zum Donaustrom hinunter. Einige Minuten war er meinen Blicken entzogen, dann sah ich ihn wieder im Boot des Fährmanns. Ich blickte ihm nach, bis er am jenseitigen Ufer ausstieg. Es war mir wichtig, die Richtung zu kennen, welche er einschlagen würde. Er hielt sich rechts, und ich konnte ihn ziemlich lange verfolgen, bis er sich in dem Weidengestrüpp der Auen verlor.«

»Hören Sie, Dagobert, eine solche Geduld brächte ich in meinem Leben nicht auf!«

»Mir war das wichtig für etwaige spätere Nachforschungen. Eines wichtigen Vorteils über ihn hatte ich mich ja schon begeben: Er hatte mich bereits gesehen! Weitere Begegnungen hatte ich also zu vermeiden. Ich orientierte mich für den Fall, dass ich ihn auf diesem Wege noch einmal sollte beobachten müssen. Das war klar, dass ich ihm in einem Boot nicht nachfahren konnte. Ich konnte aber mit meinem Wagen – Sie wissen, Gnädigste, dass ich zwei gute Amerikaner, flinke Sekundentraber, vorgespannt habe, darauf halte ich! – über die nächste Brücke stromabwärts ein Umgehungsmanöver vollführen und ihm dann den Weg kreuzen.«

»Sagen Sie mal, Dagobert, fürchten Sie sich denn gar nicht?«

»Vorläufig war ja noch nichts riskiert. Ich fuhr nun nach Hause und machte bei Blitzlicht eine scharfe fotografische Aufnahme der Daumenabdrücke. Am nächsten Vormittag arbeitete ich auf der daktyloskopischen Abteilung meines Freundes Dr. Weinlich. Mit der Daktyloskopie ist das doch etwas anderes, meine Gnädigste, als mit der Fotografie! Das Verbrecheralbum hatte mich nur konfus gemacht. Bei den Fingerabdrücken spielt weder die Barttracht, noch der erzwungene Ausdruck eine verwirrende Rolle. Es ist ganz erstaunlich, welche klare Sprache diese Abdrücke führen und noch erstaunlicher die unendlichen Variationen, die die Natur auf einer so kleinen Fläche zu spielen vermag. Man wird unter Tausenden und Tausenden von Abdrücken auch nicht zwei finden, die gleich oder sich auch nur ähnlich wären. Die Unterschiede sind immer so markant, dass jeder Irrtum geradezu ausgeschlossen ist. Ich hatte kaum eine Stunde gesucht und hatte meinen Mann gefunden. Mit untrüglicher Sicherheit. Denn nun bot auch die zu der gefundenen Nummer gehörige Fotografie die Bestätigung. Da erst erkannte ich ihn auch im Bild wieder, trotz der seitherigen nicht unwesentlichen Veränderungen.«

»Also doch ein bereits bestrafter Verbrecher?«, fragte Herr Grumbach dazwischen.

»Ich hatte keinen Augenblick ernsthaft daran gezweifelt. Max Glan, vulgo der g’flickte [Fußnote] Maxl, wiederholt vorbestraft, das letzte Mal mit fünf Jahren schweren Kerkers; Spezialität: Einbruch, dabei aber auch zu schwerer Körperverletzung geneigt und bereit, wenn das Geschäft es erforderte. Dr. Weinlich interessierte sich lebhaft für meine Arbeiten, aber ich war mit meinen Mitteilungen zurückhaltend. Man hat seinen Künstlerehrgeiz. Ich wollte meine Sache allein fertigmachen. Er weiß übrigens, dass er sich auf mich verlassen kann und dass schließlich ein etwaiger Erfolg auf sein Konto gebucht werden wird. Ich bin ein Jäger von Passion, aber ich bin nicht schussneidig. Es machte mich nicht redseliger, erhöhte aber meine Passion noch ganz beträchtlich, als er mir eröffnete, dass er sich wieder einmal ganz besonders gerade für den g’flickten Maxl interessiere. Es sei noch keine vierzehn Tage her, dass in der Hietzinger Villa Seiner Exzellenz des Feldmarschall-Leutnants v. Jung eingebrochen und eine Kassette geraubt worden sei, und wenn vom Täter auch noch keine Spur gefunden werden konnte, so deute doch die Arbeit auf die kundige Hand des g’flickten Maxl.

Was enthielt die Kassette?, fragte ich.

›Sehr viel,‹ erwiderte der Oberkommissär. ›Achtzehntausend Kronen in Barem und fast das Doppelte in Wertpapieren, die für den Einbrecher allerdings wertlos sind, dann eine Anzahl wichtiger Dokumente und endlich sämtliche Orden Seiner Exzellenz, eine recht stattliche Anzahl.‹

Diese Mitteilungen erregten mein Interesse. Vor meinem Geist tauchte die Gestalt mit dem Rucksack auf, wie ich sie aus weiter Ferne durch die Donau-Auen schreiten sah. Das waren so ziemlich die einsamsten Strecken im weiten Bereich der Großstadt. Was hatte der Mann dort zu suchen? Warte, Bürschchen, dir werden wir jetzt erst recht auf die Kappen gehen!

Meine Absichten waren die besten, aber leider musste ich schon am nächsten Tag erleben, dass der Vogel ausgeflogen war. Maxl war ausgezogen, unbekannt – wohin? Ein gewitzter Bursche, der sich auskennt! Für Leute seines Schlages ist häufiger Domizilwechsel äußerst empfehlenswert als das allerbeste und sicherste Schutzmittel. Also entwischt. Nun konnte ich mir ihn suchen in der Millionenstadt!«

»Was haben Sie da getan, Sie armer Dagobert?«, fragte Frau Violet teilnahmsvoll.

»Geärgert habe ich mich, meine Gnädigste.«

»Und dann, als Sie sich ausgeärgert hatten?«

»Da habe ich von vorn angefangen. Ich habe meine Spaziergänge zum Schanzl wieder aufgenommen und ich kann versichern, dass ich auch nun nicht umhin konnte, Frau Anna Burgholzer für ganz außerordentlich hübsch zu finden. Allerdings – meine Gänge hatten wenig Zweck. Der Mann, den ich erwartete, kam nicht, oder er kam vielleicht gerade, da ich nicht zur Stelle war. Sie selbst konnte ich nicht ausfragen, und wenn ich es versucht hätte, wäre es eine große Dummheit gewesen.«

»Ich hätte die Sache da schon längst entmutigt aufgegeben, Dagobert.«

»Zur Entmutigung lag gar kein Grund vor. Im Gegenteil, ich hatte trotz alledem das Gefühl, dass ich meinen Mann sicher hatte.«

»Eine schöne Sicherheit!«

»Vergessen Sie nicht, dass ich schon eine ganze Reihe von Anhaltspunkten hatte. Soll ich rekapitulieren?«

»Nein, Dagobert, ich weiß alles. Nur weiß ich nicht, was ich nun an Ihrer Stelle angefangen hätte.«