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Die Tauscher 2

die-tauscherDr. Uwe Krause
Die Tauscher Teil 2

»Fräulein Levinsohn, was berechtigt Sie zu einem derartigen Übergriff auf eine unbewaffnete, friedlich schlafende und zudem ziemlich unbescholtene Person?«

Florian zog sich den nassen Waschlappen vom Gesicht. Wer hatte das gerade eben gesagt? Die Stimme kam ihm bekannt vor. Irgendwann hatte er sie schon einmal gehört.

»Über das Maß Ihrer Unbescholtenheit will ich jetzt nicht urteilen, werter Herr Hammerstain«, antwortete eine helle Frauenstimme, »aber als Ihre Assistentin bin ich nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, Sie aus dem Reich der Träume zu scheuchen. Selbst wenn Sie mir meinen Lohn der letzten drei Monate schulden.«

Florian fuhr hoch und riss die Augen auf. Er schnappte nach Luft und verschluckte sich. Ein Husten schüttelte ihn. Das Atmen fiel ihm schwer. Es war, als würde die Luft gar nicht in seiner Lunge ankommen.

Er lag angekleidet auf einem Ledersofa, das anscheinend in einer Art Büro stand. Einem Büro in einem Eckzimmer, denn an zwei Wänden waren Fenster. Durch die Rollläden drang Tageslicht. Florian ließ sich zurückfallen.

Schon wieder so ein elender Traum. Hörte das nie auf? Und wer hatte da gerade eben geredet?

Aus einem Nebenzimmer näherte sich das Hämmern von hohen Absätzen. Die Rollläden wurden hochgezogen, mit energischem Schwung. Florian riskierte es, erneut ein Auge halb zu öffnen.

Eine Frau, dachte er. Und dann dachte er – oder es dachte in seinem Kopf – ein Sonderlob für deinen Scharfsinn – wenn ein Mann solche hochhackigen Schuhe trägt, solltest du besser gleich aus dem Fenster springen.

Aber die Frau, die zu den hochhackigen Schuhen gehörte, war wohl auch nicht besser.

Sie drehte sich zu Florian um, eine Hand noch an dem Rollband, die andere in die Hüfte gestützt.

»Ich nehme an, der Herr Hammerstain braucht mal wieder seinen Lebensretter?«, gluckste sie.

»Wa… wie bitte?«

Wer hatte das gesagt? Er hatte das gesagt! Zumindest hatte er gedacht, dass er das sagen wollte und dann hörte er diese Stimme direkt an seinem Ohr.

Florian riss beide Augen auf und glotzte mit offenem Mund seine Hände an. Es waren Männerhände mit starken Adern auf dem Handrücken. Kleine schwarze Härchen bedeckten Handrücken und die ersten Fingerglieder. An der linken Hand war ein Ring. Ein schwerer Goldring mit einer achteckigen polierten Platte aus einem grünen Stein. Mit Mühe erkannte Florian den Totenkopf, der in den Stein geritzt war. Die Hände bewegten sich und Florian stellte fest, dass er es war, der diese Hände zu ihren Bewegungen veranlasste, obwohl es nicht seine Hände waren. Es waren eindeutig nicht seine Hände. Aufwachen. Er musste endlich aufwachen.

»Aufwachen!«, rief die helle Frauenstimme amüsiert. Das Sofa bewegte sich, er bekam einen Parfümduft in die Nase. Eine Mischung aus Apfel- und Blütenduft, sehr frisch. Mädchenhaft. Zu mädchenhaft für ein weibliches Wesen mit diesen Schuhen und … diesen Hüften. Unpassend. Ein Parfüm als Tarndecke. Wer zum Geier war sie überhaupt?

»Hallooooohoooo! Gibt es intelligentes Leben hinter diesen glasigen Augen?« Sie wedelte theatralisch vor Florians Gesicht. Seine erstaunten Blicke wanderten über ihr Gesicht und ihre Figur. Sie hielt seinem prüfenden Blick amüsiert und mit schräg gelegtem Kopf stand.

Schwarzes Haar, kurz geschnitten. Starke gerade Brauen, große dunkle Augen. Die Wangenknochen waren hoch und standen deutlich hervor. Die Nase eindeutig zwei Nummern zu groß. Ein sorgfältig geschminkter Mund, der in ein kleines, ein wenig spottlustiges Lächeln auslief. Hübsch, aber woher kam die sichtbare senkrechte Falte neben ihrem lächelnden Mundwinkel? Florian war verwirrt. Das waren zwei Züge, die nicht miteinander harmonieren wollten. Als ob sich zwei Frauen hinter demselben Gesicht verbergen würden. Ein rundes Kinn mit einem Grübchen als passender Abschluss.

Schwer bestimmbares Alter. Jedenfalls älter als ihr Parfüm. In ihren Augenwinkeln waren zwei deutliche Fältchen. Sie mochte Ende zwanzig oder eher Anfang dreißig sein. Keine Schönheit. Vielleicht nicht einmal hübsch. Aber das spöttische Funkeln ihrer Augen und ihr Lächeln glichen alles aus.

Sie erhob sich und stellte sich neben das Sofa. Sie trug eine Rüschenbluse und einen knielangen grauen, eng anliegenden Rock. Sie war nicht groß, nicht einmal besonders schlank, aber sie hatte eine gute Figur.

Florian bekam einen Hustenanfall. Es schüttelte ihn, aus seiner Kehle würgte er übelschmeckenden Schleim hervor, der wie eine giftige Qualle auf seiner Zunge lag.

Für einige Momente fragte sich Florian, ob er das Zeug einfach ausspucken sollte und verschluckte den Schleim dann. Ekel schüttelte ihn.

»Ich merke schon, es fehlt der Morgenteer!«, sagte die Frau, die die Stimme vorhin als Fräulein Levinsohn bezeichnet hatte. Sie stöckelte zum Schreibtisch, suchte für einen Moment und fand dann eine Dose mit Zigaretten.

Sie beugte sich über den Schreibtisch, und Florian hatte ausführlich Gelegenheit, das gut proportionierte Hinterteil unter dem Stoff zu bewundern. Ihre Strümpfe hatten hinten eine Naht, die die Beine noch schlanker wirken ließ.

So lange dauert es nicht, eine Zigarette anzuzünden. Sie lässt sich Zeit. Sie gibt dir Gelegenheit, sie anzuschauen. Aber warum?

Fräulein Levinsohn kam mit der angezündeten Zigarette zurück und hielt sie Florian hin. Der winkte ab. Schon bei dem Geruch wurde ihm übel. Irgendeine Erinnerung war damit verknüpft, aber er konnte sie nicht in Begriffe fassen.

Die Levinsohn verstand nicht und schaute ihn mit erstaunten Augen an. Mit Augen, die noch größer wirkten, als sie sowieso schon waren.

»Soll ich ein Plakat malen«, murrte Florian, »schaffen Sie dieses stinkende Zeug aus meiner Nähe.«

Fräulein Levinsohn öffnete fassungslos den Mund. Zwischen ihren Lippen, vor ihren weißen Zähnen, hing ein Speichelfädchen. Dann zuckte sie die Achseln, stöckelte aus dem Raum und Florian hörte eine Toilettenspülung.

Sie tauchte wieder auf und lehnte sich an den Türrahmen. Sie verschränkte die Arme, als wäre ihr kalt. Ihr rechter Fuß glitt aus dem Schuh und fuhr an der linken Wade entlang.

»Muss ja eine tolle Nacht gewesen sein!«, sagte sie dann leise.

»Wie meine Nächte so sind.«

»Nun, dass Silwester Hammerstain sein Hauptnahrungsmittel verweigert, ist noch nie vorgekommen. Selbst nach der Sache mit der burmesischen Tänzerin waren Sie in einem besseren Zustand.«

»Die Tänzerin hatte eine Wahnsinnsfigur, einen Adamsapfel und ziemlich große Füße«, ließ sich wieder die Männerstimme vernehmen, »Frauen haben kleine Füße und besitzen keinen Adamsapfel. Eine Tatsache, die mir erst klar wurde, als ich weitere Fakten in Augenschein nehmen konnte … nehmen musste.«

Die Augenbrauen der Levinsohn waren dafür geschaffen, als Ausdruck ironischer Erheiterung in die Höhe gezogen zu werden. So wie jetzt.

»Wissen Sie, Herr Hammerstain, dass Sie mir die Geschichte trotz Folterdrohungen meinerseits nie erzählen wollten?«

»Ich dachte, dieses Detail meines Privatlebens wäre zwei Monatslöhne wert«, spottete die Männerstimme durch ein Husten hindurch.

»Vergessen Sie es«, trällerte Fräulein Levinsohn.

»Ein Monatslohn?«

»Versuchen Sie nicht, mit mir zu feilschen«, kicherte sie, »genauso gut könnten Sie im Wettessen gegen einen weißen Hai antreten. Aber …« Ihr Fuß glitt zurück in den Schuh. Sie bewegte sich tänzelnd ein wenig in den Hüften, um den richtigen Sitz für den Fuß zu finden und zog dabei wieder die Augenbrauen in die Höhe. »… ich erlasse Ihnen die Zinsen und Verzugszinsen und sämtliche Strafzahlungen wegen verspäteter Übergabe meiner Lohntüte. Zumal Letztgenannte sowieso jämmerlich schlecht gefüllt ist.«

»Wollen Sie jetzt über Ihr Gehalt jammern? Kündigen Sie doch einfach!«

Die Frau stemmte die Arme in die Hüften. So wie sie jetzt dastand, die Füße etwas auseinander, den Kopf vorgestreckt, sah sie gleichzeitig reizend und gefährlich aus.

»Damit Sie den ausstehenden Lohn sparen? Vergessen Sie es!«, fauchte sie.

»Pfänden Sie die Büroeinrichtung«, erklärte die Männerstimme. Sie hatte einen deutlich amüsierten Unterton, wie Florian bemerkte.

»Der Kram ist doch nichts wert«, schleuderte ihm die Levinsohn entgegen, »und das wissen Sie genau.«

»Hätte ich sonst diesen Vorschlag gemacht?«

Sie ließ die Arme baumeln.

»Warum bin ich eigentlich bereit, für ein derartiges Ekel zu arbeiten?«, jammerte sie.

»Sagen Sie es mir!«

»Sie sind der Detektiv. Sogar mit Lizenz, auf die Feststellung legen Sie ja wert.«

Das Wort Detektiv löste ein kleines Beben in Florians Gehirn aus. Detektiv. Ja, da war etwas. Detektiv – Kriminalroman.

Er setzte sich auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Das Gesicht fühlte sich ungewohnt an. Bart über der Oberlippe. Haare zerzaust, aber zurückgekämmt. Ungewohnte Frisur. Narbe an der Stirn. An Kinn und Wangen kratzige Bartstoppeln.

Das durfte nicht wahr sein.

»Wo bin ich?«, sagte Florian ziemlich kläglich.

»Wohnung Silwester Hammerstain, Berlin Mitte, Spandauerstraße Nummer 762, siebter Stock, Tür Nummer fünf«, rasselte Fräulein Levinsohn herunter.

»Datum?«

»16. Juni.«

»Das Jahr, meinte ich.«

»Das allerdings ist neu«, stellte Fräulein Levinsohn fest. Sie klang zugleich empört und überrascht. »So viel Ihrer sowieso raren Hirnmasse haben Sie sich noch nie weggebechert, dass Ihnen das Jahr entfallen ist. Oh, da fällt mir gerade ein, dass Sie mir nicht drei, sondern dreizehn Monatslöhne schulden.«

»Lassen Sie den Unfug«, knurrte die Männerstimme. Die Hände massierten die Schläfen, hinter denen es unangenehm pochte.

»Dann fangen Sie mal mit dem Unfug lassen an«, konterte die Levinsohn, »ich frage mich, wieso ich mir das alles gefallen lasse.«

»Ich mich auch.«

»WAS?«

»Ja«, Florian stemmte sich in die Höhe. Er stand ein wenig unsicher auf seinen Füßen. Sein Körper war schwerer als gewohnt, er lastete auf den Beinen.

»Was ist los mit Ihnen?« Die Levinsohn war neben ihm, nahm seinen Arm und stützte ihn. Ihre dunklen Augen schauten ihn besorgt an.

Florian winkte ab. »Kein Problem. Bisschen schwindelig. Grüße vom Kreislauf. Ich wollte nur sagen …«, er strich sich mit der freien Hand eine Strähne aus der Stirn, »… dass ich mich manchmal ein wenig unhöflich verhalte. Wie ein …«

»Rüpel, Flegel, Mistkerl, Fiesling, Ekel, Barbar, Widerling, Kotzbrocken, Giftpilz, Rabauke, Bauerntölpel, Nervensäge, Unmensch?« Fräulein Levinsohn musste tief Luft holen, nachdem sie die Worte mit steigender Begeisterung heruntergerattert hatte.

Florian setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Nach zwei Schritten funktionierte es.

»Suchen Sie sich was aus«, sagte er.

»Ich möchte mir drei aussuchen!«, bettelte die Levinsohn.

»Vergessen Sie es.«

»Drei, bitte!«

»Zwei.«

»Drei und bei einem setze ich fast wie ein echtes davor«, feilschte sie.

»Zwei oder gar nichts.«

»Also gut«, seufzte die Levinsohn theatralisch und legte dann überlegend den Zeigefinger an den Mund, »ich nehme den Mistkerl und das Ekel. Bekomme ich das jetzt schriftlich?«

»Nicht in meinem unzurechnungsfähigen Zustand«, erklärte Florian und schlurfte ins Badezimmer.

»Unzurechnungsfähig? Ich wusste es! Jede Form von Selbstkritik Ihrerseits ist ein deutliches Zeichen von tiefgreifenden Problemen. Sie haben sich doch nicht zufällig einen Kopfschuss eingefangen?«

Kopfschuss – das war ein Wort, aber auch mehr. Und dieses Mehr war spürbar, aber ließ sich nicht fassen. Zähneknirschend gab Florian den Versuch auf.

Er öffnete eine Tür und stand im Badezimmer. Warum hatte er gerade diese Tür geöffnet? Er schaltete das Licht an. Seine Hand traf den Schalter sofort.

Intuition. Das Wort formte sich in seinem Bewusstsein. Damit verbunden war der Begriff Achterbahn, aber den konnte Florian nicht einordnen.

Er stellte sich vor das Waschbecken. Aus dem Spiegel starrte ihm das Gesicht eines unbekannten Mannes entgegen. Hellbraunes Haar, graue Schläfen, starke Brauen, die Augen blau und etwas zusammengekniffen, als würden sie ständig in die Sonne schauen. Energische Nase, gerader Mund über einem markanten, geteilten Kinn. Narbe an der Stirn, weitere Narben unter dem linken Auge, an Wange und Kinn. In der Zusammenfassung auf eine raue Art ein sehr attraktives Antlitz.

Florian war sicher, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Aber wo konnte das gewesen sein. Und warum, um alles in der Welt, sollte dieses Gesicht sein eigenes sein?

Vielleicht hatte die Levinsohn ja recht mit ihrer Kopfschusstheorie. Vielleicht litt er unter Gedächtnisverlust. Vielleicht war er ein Psychopath, der sich einbildete, falsch in seinem Körper zu sein.

Florian hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Das Wasser quoll lauwarm und mit einem starken Geruch von Chlor über sein Gesicht.

Irgendetwas war anders. Etwas war falsch. Aber es schien in gewisser Weise auch richtig zu sein, so als hätte man ihn vorgewarnt und vorbereitet oder als wäre es genau das, was er gewohnt war. Hatte man? Wann war das gewesen?

Seufzend richtete sich Florian auf. Auf dem Ablagebrett wartete eine ganze Sammlung von Tuben, Dosen und Fläschchen. Der Besitzer des Badezimmers bemühte sich ganz offensichtlich, die Zeichen seines Lebensstils mithilfe der kosmetischen Industrie irgendwie aus seinem Gesicht zu verbannen.

Jetzt bemerkte Florian, dass er in einem Anzug im Bad stand. Ein blauer Anzug mit weißen Nadelstreifen. Nachdenklich löste er die Krawatte. Er kannte diesen Anzug. Kein Wunder, es war ja sein eigener. Nein, das war es nicht. Er kannte ihn aus einem anderen Grund.

Mit einem Seufzen griff Silwester Hammerstain nach dem Rasierzeug und gönnte sich eine ausführliche und sorgfältige Rasur. Einen Moment lang überlegte sich Florian, ob er sich einen Kinnbart stehen lassen sollte. Die Antwort war positiv und wurde durch entsprechende Führung der Rasierklinge in die Tat umgesetzt.

Hammerstain entschied sich für einen hellen Sommeranzug aus Leinen zu einem hellblau gestreiften Hemd. Nach etwa zehn Minuten Auswahl griff er zu einer zartgelben Krawatte und einem Einstecktuch mit kräftigen gelben Streifen. Dazu kam der runde Strohhut und braune Sommerschuhe und der Auftritt war komplett.

»Hier, der Lebensretter«, begrüßte ihn Fräulein Levinsohn und hielt ihm ein hohes Glas hin. Florian schnupperte und rümpfte die Nase.

»Schütten Sie das weg, Rohrreiniger trinke ich nicht!«

»Aber es ist wie immer«, quiekte die Levinsohn entsetzt, »Ihr eigenes Rezept – ein Schuss Tabascosoße, ein Fingerbreit Whisky, Salz, Pfeffer, Zitrone, Mayonnaise, Brandy, Sekt, Wodka, Eierlikör …« Sie runzelte überlegend die Stirn. »Es ist alles drin.«

»Es ist ekelhaft«, erklärte Florian entschieden, »gibt es in dieser Bude vielleicht ein Glas Orangensaft?«

Fräulein Levinsohn starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. »Orangensaft?«, flüsterte sie, »zum Trinken? Für Sie?«

»Ich wollte damit nicht meine Schuhe polieren, falls der Verdacht aufgekommen sein sollte«, knurrte Florian.

»Was ist geschehen?«, fragte die Levinsohn mit einem drängenden Ton in der Stimme, »welche Frau hat Sie so verändert?«

»Es war eher ein Mann«, antwortete Hammerstain.

»Oh!«, war alles, was Fräulein Levinsohn herausbrachte. Sie wurde weiß wie ein Laken, ihre Hände wedelten ziellos durch die Luft und verkrallten sich dann ineinander. Ihr Atem ging schnell, was an der Bewegung unter ihrer gestärkten Bluse deutlich zu bemerken war.

Hammerstain grinste boshaft. »Einmal musste es ja heraus«, sagte er.

Die Levinsohn seufzte ein Ja und nickte ein wenig. Sie hielt sich mit einer Hand am Schreibtisch fest.

»Womit endlich auch geklärt wäre, warum ich mir freiwillig die Fingernägel schneide und eine halbe Stunde damit verbringe, meine Krawatte passend zu Hemd und Einstecktuch zu wählen.«

Fräulein Levinsohn nickte erneut. Ihre Lippen formten eine lautlose Zustimmung. In ihren Augen zeigte sich ein feuchter Schimmer. Dann streckte sie sich, als hätte man sie mit Pressluft gefüllt.

»Es ist nicht meine Aufgabe, über Dinge dieser Art zu urteilen«, erklärte sie steif.

»Nun da es heraus ist, dürfen Sie zwischen Ekel und Mistkerl wählen«, grinste Silwester Hammerstain.

Fräulein Levinsohn stieß einen empörten Schrei aus, in den sich ein Hauch von Erleichterung mischte.

»Ich bin für Ihre schmutzigen Gedanken nicht verantwortlich«, erklärte Hammerstain, »ich sagte nur, dass es ein Mann war. Was der mit mir angestellt hat, erwähnte ich nicht.«

»Und? Was hat er?«, fragte die Levinsohn atemlos.

»Er hat mein Leben ein wenig auf den Kopf gestellt«, sagte Florian.

»Oh«, machte die Levinsohn wieder, »na ja, viel mehr Chaos als bisher schon geht eigentlich nicht.«

»Ich fürchte, da haben wir verschiedene Ansichten.«

»Wie dem auch sei, ich werde mich um den Orangensaft kümmern«, verkündete Fräulein Levinsohn mit Würde, »ich werde es auslegen, da Sie sowieso pleite sind, aber es kommt auf die Rechnung – keine Chance!«

»Hatte ich mir gedacht.«

Unter der Tür drehte sich Fräulein Levinsohn noch einmal um. »Ehe ich es vergesse oder das Jahr vorbei ist«, sagte sie mit einem ebenso hübschen wie boshaften Lächeln, »1944.«

»Wie bitte?«

»Sie wollten das Jahr wissen. Wir haben das Vergnügen, im Jahr 1944 zu leben. Seltsam, dass es doch Dinge gibt, die wir gemeinsam haben«, fügte sie spitz an und schloss die Tür mit Schwung und Knall.

Florian ließ sich in einen Sessel fallen. Berlin 1944. Das klang beunruhigend. Das klang absolut nicht gut, obwohl er keine Ahnung hatte, was ihn so beunruhigte. Er sprang auf, lief zum Fenster und erstarrte.